OGH 7Ob40/87

OGH7Ob40/8724.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Egermann, Dr. Petrag und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Horst M***, Kaufmann, Bezau, Mittlere Au 60, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei D*** Allgemeine Versicherungs AG, Wien 1., Schottenring 15, vertreten durch Dr. Hubert Fitz, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen restl. 163.290,57 S s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 11. Mai 1987, GZ. 6 R 372/86-15, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 8. September 1986, GZ. 9 Cg 65/86-8, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.793,05 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 617,55 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, Inhaber der Einzelfirma Horst M***, die sich mit Fußbodenverlegungen, Estrichverlegungen, Ausschäumungen und Isolierungen befaßt, hat im Jahre 1983 im Auftrag der Firma Hans N*** auf dem Werkstättenflachdach dieser Firma eine Isolierschicht aufgebracht. Hiezu hatte er die auf dem Flachdach bereits vorhandenen, nicht von ihm verlegten Waschbetonplatten zu entfernen, die Isolierschicht aufzulegen und darauf die Waschbetonplatten wieder zu verlegen. Dabei kam es zu einer Beschädigung der darunterliegenden Dachhaut (Folie) durch Arbeiter des Klägers.

Zum Zeitpunkt des Schadenseintrittes war der Kläger bei der Beklagten haftpflichtversichert, wobei dem Versicherungsvertrag die "Allgemeinen und Ergänzenden allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung" (AHVB 1978 und EHVB 1978) zugrundelagen. Nach Art. 7.9.3 AHVB 1978 erstreckt sich die Versicherung nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an jenen Teilen von unbeweglichen Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit sind. Als Inhalt des Versicherungsvertrages wurden auch die Bedingungen Nr. 626 und 874 vereinbart. Nach der Bedingung Nr. 626 wurde für die Tätigkeit an unbeweglichen Sachen folgendes zusätzlich vereinbart:

"1. Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an jenen Teilen von unbeweglichen Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit sind, gelten, abweichend von Art. 7.9.3 AHVB, mitversichert. Der Versicherungsschutz wird im Rahmen der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme bis 100.000 S geleistet.

2. Der Selbstbehalt des Versicherungsnehmers beträgt in jedem Versicherungsfall 10 %, mindestens 1.000 S."

Im vorliegenden Schadensfall hat die Beklagte dem Kläger insgesamt 104.000 S geleistet, und zwar 90.000 S (100.000 S abzüglich 10 %) für die Beschädigung der Dachhaut und den Rest für der Höhe nach mit 17.700 S unbestrittene Folgeschäden, wobei sie die Umsatzsteuer abzog (diesbezüglich ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig, daß diese Folgeschäden ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer zur Gänze deckungspflichtig sind). Dementsprechend hat das Berufungsgericht in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles unter Abweisung des Mehrbegehrens dem Kläger 3.700 S samt Anhang zugesprochen.

Das Erstgericht hatte dem Kläger 120.752,14 S s.A. zuerkannt und ein Mehrbegehren von 69.826,11 S s.A. abgewiesen. Seitens des Klägers wurde die Abweisung nur bezüglich eines Betrages von 46.238,43 S s.A. bekämpft.

Während das Erstgericht die Rechtsansicht vertrat, die beschädigte Dachhaut sei nicht Gegenstand der Bearbeitung durch den Kläger gewesen, weshalb der Ausschlußtatbestand des Art. 7.9.3 AHVB nicht gegeben sei, führte das Berufungsgericht diesbezüglich im wesentlichen folgendes aus:

Der Zweck der im Art. 7.9.3 AHVB 1978 enthaltenen

Tätigkeits- oder Bearbeitungsschadenklausel liege darin, den Versicherer im gewissen Umfang vom erhöhten Risiko zu befreien, das sich aus der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers ergibt. Eine Einbeziehung solcher Schäden in die Haftpflichtversicherung würde bedeutend höhere Prämien bedingen, da die Sachen, die unmittelbar vom Versicherungsnehmer bearbeitet werden, im besonders hohen Maße der Gefahr einer Beschädigung ausgesetzt seien. Der Ausschlußbestimmung liege auch die rechtspolitische Überlegung zugrunde, daß der freie Unternehmer das Unternehmerrisiko zumindest teilweise selbst tragen solle. Unter einer "Tätigkeit" an einer Sache im Sinne dieser Ausschlußklausel sei eine bewußte und gewollte Einwirkung auf eine Sache, die einem bestimmten Zweck dient, zu verstehen. Diese Einwirkung brauche aber nicht mit einer Veränderung der äußeren Gestalt oder der Substanz der Sache oder mit einer Einwirkung auf die Substanz verbunden sein. Es werde auch nicht gefordert, daß die Sache oder der Gebäudeteil im Mittelpunkt des Auftrages stehe. Es genüge, daß gelegentlich einer an einer anderen Sache auszuführenden Arbeit auch eine Tätigkeit an der später beschädigten Sache bewußt und gewollt durchgeführt wird. Bewußt und gewollt müsse nicht die Schadenszufügung, sondern lediglich die Einwirkung auf die Sache sein. Daß der Schaden lediglich zufällig eingetreten sei, hindere die Anwendung dieser Ausschlußklausel also nicht, wenn nur die Schadenszufügung im Rahmen einer bewußten und gewollten Tätigkeit erfolgt sei. Es sei nicht erforderlich, daß es zwangsläufig durch die Tätigkeit zu einer Schadenszufügung komme, sondern es genüge, daß die Tätigkeit zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung der Sache, an der die Tätigkeit vorgenommen wird, verbunden sei. Bei unbeweglichen Sachen soll der Versicherungsschutz nicht hinsichtlich des ganzen Gebäudes entfallen, wenn nur an einem Teil desselben eine gewerbliche Tätigkeit ausgeführt wurde. Ausschlußobjekt sei nur jener Teil, der unmittelbar Gegenstand der Tätigkeit war. Für die Beurteilung der Frage, welcher Teil einer unbeweglichen Sache Gegenstand der Tätigkeit war, sei die Verkehranschauung maßgeblich. Eine unbewegliche Sache lasse sich gedanklich in beliebig viele kleine Bestandteile zerlegen. Je nach Art und Umfang der Arbeit, die dem Versicherungsnehmer übertragen ist, sei Gegenstand seiner gewerblichen Betätigung stets eine mehr oder minder große Sacheinheit, die sich ihrerseits wieder aus einer Vielzahl von wirtschaftlich nicht interessierenden Einzelstücken zusammensetze. Entscheidend sei dafür die Verkehrsauffassung, wobei sich wesentliche Anhaltspunkte aus der Art des Auftrages und der Tätigkeit des Versicherungsnehmers ergeben. Es sei daher immer zu prüfen, worauf sich die Arbeit des Versicherungsnehmers im Einzelfall seinem Auftrag nach in der Hauptsache bezogen und auf welche Teile des Grundstückes er zur Durchführung seines Auftrages bewußt eine Einwirkung ausgeübt habe. Bei der Ermittlung dessen, was Gegenstand der Tätigkeit gewesen ist, sei eine punktuelle Betrachtungsweise nicht angebracht. Vielmehr müsse nach der natürlichen Betrachtungsweise eines verständigen und unvoreingenommenen Beurteilers beachtet werden, daß sich die gewerbliche Tätigkeit nicht immer auf den Sachteil beschränken läßt, der im Mittelpunkt der Bearbeitung steht.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall sei es nicht gerechtfertigt, zwischen den einzelnen Schichten des Daches zu unterscheiden und als Ausschlußobjekt lediglich die äußerste Schicht, nämlich die Interplastikfolie anzusehen, zumal durch Tätigkeiten an dieser äußersten Schicht des Daches auch die darunterliegenden Schichten der Dachhaut beeinträchtigt werden konnten und auch tatsächlich beeinträchtigt worden sind. Nach der Verkehrsauffassung müsse daher das gesamte Dach als Tätigkeitsobjekt des Klägers und seiner Arbeiter bei Ausführung des ihm übertragenen Auftrages zur Anbringung einer zusätzlichen Isolierung des Daches angesehen werden.

Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt. Die vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Was die Auslegung des Risikoausschlusses nach Art. 7.9.3 AHVB anlangt, kann auf die eingehenden und durch zahlreiche deutsche Literaturstellen und Entscheidungen belegten Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden. Der Oberste Gerichtshof schließt sich diesen Ausführungen, die in ihrer Gründlichkeit kaum zu überbieten sind, vollinhaltlich an, weshalb zusätzliche Darlegungen entbehrlich sind. Auch die Revision bekämpft die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes im grundsätzlichen nicht.

Es ist demnach davon auszugehen, daß für die Beurteilung der Frage, welche Teile der unbeweglichen Sache Gegenstand der Bearbeitung waren, die Verkehrsauffassung maßgebend ist. Dies akzeptiert auch der Kläger offensichtlich. Lediglich bei der Anwendung dieses Rechtsgrundsatzes auf den konkreten Fall weicht er von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes insoferne ab, als er den Standpunkt vertritt, selbst nach der Verkehrsauffassung könne ein Flachdach nicht schlechthin als eine Einheit aufgefaßt werden, sondern sei in seine Teile insoweit zu zerlegen, als die zusätzliche Isolierschicht nicht zugleich eine Bearbeitung der Dachhaut darstelle. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Grundsätzlich dient ein Dach dazu, die darunterliegenden Räume vor Einwirkungen von außen zu schützen. Hiebei wird nach der Verkehrsauffassung kaum ein Unterschied zwischen dem Schutz vor verschiedenen Einflüssen (Kälte, Feuchtigkeit, UV-Bestrahlung u. dgl.) gemacht werden. Vielmehr erblickt die Verkehrsauffassung im Dach einen einheitlichen Schutz gegen jeglichen negativen Einfluß, welcher Art auch immer, von außen. Dem Berufungsgericht muß also dahin beigepflichtet werden, daß nach der Verkehrsauffassung das Dach eines Gebäudes als solches schon nach seiner Funktion eine Einheit ist. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß einzelne Teile des Daches allenfalls von verschiedenen Gewerbetreibenden hergestellt werden und daß daher der Techniker oder Baufachmann, weil dies für die Funktion seines Gewerbes von Bedeutung ist, unter den einzelnen Teilen unterscheidet. Maßgebend ist nämlich die Verkehrsauffassung und nicht die Einordnung einzelner Teile eines nach der Verkehrsauffassung einheitlichen Bestandteiles nach Maßgabe der Tätigkeitsbereiche von am Bau beschäftigten Handwerkern oder sonstigen Gewerbetreibenden. Die heutige Tendenz zur Spezialisierung hat es mit sich gebracht, daß häufig Arbeiten bei der Errichtung oder Instandsetzung eines Gebäudes nicht von einem einzelnen Unternehmer, sondern von einer Mehrzahl spezialisierter Gewerbetreibender ausgeführt werden. Die Tätigkeiten dieser Gewerbetreibenden müssen aufeinander abgestellt sein und greifen oft ineinander. Hiebei wird eine Tätigkeit häufig die Bearbeitung von Gebäudeteilen zum Gegenstand haben, die von einem anderen Gewerbetreibenden hergestellt worden sind. Hier wird niemand einen Zweifel daran hegen, daß diese Tätigkeit auch unmittelbar an den anderen Gebäudeteilen ausgeübt wird. Dies muß in der Regel für das Dach eines Gebäudes gelten. Wie bereits dargelegt, macht die allgemeine Verkehrsauffassung keinen Unterschied zwischen den einzelnen Teilen des Daches, die letzten Endes in ihrer Teilfunktion alle auf seine Hauptfunktion bezogen sind.

Das Berufungsgericht ist also zutreffend von dem Risikoausschluß des Art. 7.9.3 AHVB ausgegangen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Allerdings betrug der Streitwert im Revisionsverfahren nur 163.290,57 S (die vom Erstgericht zugesprochenen 120.752,14 S zuzüglich der in der Berufung bekämpften Teilabweisung von 46.238,43 S abzüglich des nunmehr unbekämpft zugesprochenen Betrages von 3.700 S).

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