OGH 14Os117/87

OGH14Os117/8723.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.September 1987 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Laszlo O*** wegen des Finanzvergehens des versuchten Schmuggels nach §§ 13, 35 Abs. 1 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10.März 1987, GZ 6 d Vr 10762/84-58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die getroffene Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 49-jährige Kaufmann Laszlo O*** (im zweiten Rechtsgang neuerlich) des Finanzvergehens des versuchten Schmuggels nach §§ 13, 35 Abs. 1 FinStrG schuldig erkannt. Darnach hat er am 12.Oktober 1982 in Arnoldstein im Rückfall (§ 41 FinStrG) versucht, vorsätzlich eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich drei goldene Colliers, zehn goldene Angehänge in Herzform, zehn goldene Angehänge in Schlüsselform, neunzehn Paar goldene Ohrstecker in Knotenform, fünf Paar goldene Ohrstecker und ein Stück mit Kugelangehänge, einundzwanzig goldene Ringe, zehn goldene Angehänge in Fußballform, fünfzehn goldene Angehänge in Tennisschlägerform und dreiundsechzig goldene Armketten im Wert von 66.560 S, unter Verletzung einer zollrechtlichen Stellungs- oder Erklärungspflicht dem Zollverfahren zu entziehen, wobei der abgabenrechtliche Wertbetrag 33.926 S beträgt.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen zum Tathergang hatte der Angeklagte es unterlassen, anläßlich seiner Einreise aus Italien nach Österreich die bezeichneten Schmuckstücke in die schriftliche Zollerklärung aufzunehmen, und deren Mitführung auch dem einschreitenden Abfertigungsbeamten des Zollamtes Arnoldstein verschwiegen, als dieser ihn ausdrücklich befragte, ob er deklarierungspflichtige Waren einführe.

Im ersten Rechtsgang hatte der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 21.August 1984, GZ 9 Os 79/84-6, gemäß § 362 Abs. 1 Z 1 StPO die außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens zugunsten des Angeklagten verfügt und die Erneuerung des Verfahrens in erster Instanz angeordnet, weil sich auf Grund der Aktenlage erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit jener dem (damaligen) Urteil zugrunde gelegten Tatsachen ergeben hatten, auf welche das Gericht die Annahme stützte, der Angeklagte sei im Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen (ON 21 dA).

Im zweiten Rechtsgang gelangte das erkennende Gericht (erneut) zur Auffassung, daß es dem Angeklagten bei Begehung des ihm angelasteten Finanzvergehens weder an der Diskretions- noch an der Dispositionsfähigkeit gefehlt habe, weshalb (abermals) ein Schuldspruch gefällt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, in welcher die Gründe der Z 5, 9 lit. b und 10 des § 281 Abs. 1 StPO geltend gemacht werden; der Beschwerde kann - übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - insoweit Berechtigung nicht abgesprochen werden, als sie sich gegen die Annahme wendet, der Beschwerdeführer sei zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, und in diesem Zusammenhang dem Urteil anhaftende formale Begründungsmängel reklamiert.

Das Erstgericht verweist zur Begründung des bekämpften Ausspruches zunächst auf zwei Passagen im schriftlichen Gutachten des (im erneuerten Verfahren beigezogenen) psychiatrischen Sachverständigen Dr. P*** (vom 29.April 1985, ON 26/S 267 dA), in welchen es heißt, man werde, auch wenn aus psychiatrischer Sicht kein sicherer Anhaltspunkt für eine während des Deliktszeitraumes vorliegende akute Psychose mit Umdeutungen von Erlebnisinhalten, paranoiden Wahnvorstellung und Wahrnehmungsstörungen vorhanden ist, gerade die bei schizophrenen Defektzuständen immer wieder zu beobachtende Störung des formalen Gedankenablaufes und der damit einhergehenden Kritikstörung und Realitätsbeeinträchtigung nicht außer acht lassen können, und es lasse sich aus psychiatrischer Sicht nicht mit Sicherheit von der Hand weisen, daß der bei Laszlo O*** seit längerer Zeit bestehende Persönlichkeitsdefekt ein besonderes Ausmaß und dadurch den Stellenwert einer akuten Geisteskrankheit im engeren Sinn erreichte. Ferner nimmt das Gericht auf die mündlichen Darlegungen des Sachverständigen Bezug, wonach er aus medizinischer Sicht nicht mit Sicherheit ausschließen könne, daß im Tatzeitpunkt ein schizophrener Defektzustand vorhanden war. Es obliege daher, so heißt es in den Urteilsgründen weiter, dem erkennenden Gericht, auf Grund des Tatverhaltens, des Angeklagten die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu lösen, zumal "die Sachverständigen" nicht in der Lage gewesen seien, diese Frage eindeutig zu beantworten und sich vielmehr darauf beschränkten, daß Zurechnungsunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden könne, die Klärung aber dem Gericht überließen. Daß der Angeklagte zurechnungsfähig gewesen sei, ergebe sich nach Auffassung des Gerichtes daraus, daß er den Beruf eines Handlungsreisenden in Schmuck ausübt, mithin eine verantwortungsvolle Tätigkeit, die zweifelsfrei nicht von einem Geisteskranken oder Schwachsinnigen ausgeübt werden könne, daß er von seiner Gattin beauftragt wurde, nach Mailand zu fahren, um dort selbständig Schmuck auszusuchen und anzukaufen, wobei er einen Teil dieses Schmuckes per Post nach Österreich senden ließ und den Rest "in offenbar subtiler Kenntnis seiner Vorgangsweise" nach Österreich verbringen sollte, sich mithin eingehendst mit den einzelnen Waren befaßte, und daß sein gesamtes Verhalten bei Begehung der Tat in keiner Weise die Annahme zulasse, er könnte nicht in der Lage gewesen sein, das Unrechtmäßige seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (S 405/406, 407 ff dA); mithin sei die gegenteilige Behauptung des Angeklagten widerlegt und es sei davon auszugehen, daß er sohin in Hinterziehungs"absicht" handelte, sodaß bei ihm "auch das subjektive Tatbild" gegeben sei (S 410 dA).

Nun ist es zwar sicherlich richtig, daß die Frage, ob der Täter im Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war, vom Gericht eigenständig auf Grund aller Ergebnisse des Beweisverfahrens zu entscheiden ist, ohne daß es dabei an Expertisen von Sachverständigen gebunden wäre (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 46 zu § 134). Dabei hat das Gericht jedoch alle bezüglichen, in der Hauptverhandlung - sei es unmittelbar, sei es durch Verlesung von Aktenstücken - vorgekommenen Verfahrensergebnisse zu berücksichtigen und im Urteil darzulegen, aus welchen Erwägungen es bestimmten, seiner Überzeugung entgegenstehenden Beweisergebnissen nicht zu folgen vermag (vgl. ua Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 136 zu § 281 Z 5).

Dieser Verpflichtung ist das Gericht, wie die Mängelrüge (Z 5) zutreffend reklamiert, nicht in hinreichendem Maße nachgekommen. Abgesehen davon, daß es die Frage nach einem vorsätzlichen Handeln des Angeklagten (als Voraussetzung für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands) mit jener nach der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten (als einem Merkmal der Schuld) vermengt und übersieht, daß auch ein Schuldunfähiger durchaus vorsätzlich handeln kann (vgl. SSt. 55/15), weil die Vorsätzlichkeit eines Verhaltens nicht dadurch bedingt ist, daß dieses dem Täter auch als schuldhaft zugerechnet werden kann (vgl. Steininger in ÖJZ 1981, 367 mwN), ließ es im Urteil nicht nur das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. P*** (vom 21. Oktober 1986, ON 37 dA), wonach es gerade für einen psychiatrischen Laien oftmals schwer verständlich ist, wenn formal einigermaßen geordnete Handlungsweisen gesetzt werden, dahinter eine schwere psychische Störung zu sehen (S 335 dA), wobei es aber für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht nur auf den formalen Ablauf einer Handlungsweise ankommt, unerörtert, obwohl es seine Überzeugung von der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers primär auf dessen Tatverhalten, also den formalen Handlungsablauf, gründete, sondern auch (und im besonderen) die in den Akten erliegenden (in der Hauptverhandlung verlesenen; vgl. S 392 dA) früheren Expertisen von Sachverständigen. So hat vor allem der Sachverständige Dr. G*** in dem im Verfahren AZ 6 b E Vr 4307/82 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erstatteten (in Kopie der ON 52 in dem in der Hauptverhandlung verlesenen Akt AZ 6 E Vr 726/81 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz angeschlossenen) gerichtspsychiatrischen Gutachten vom 27.Juli 1982 ausgeführt, daß bei Laszlo O*** damals (mithin knapp drei Monate vor der gegenständlichen Straftat vom 12.Oktober 1982) ein schizophrener Defektzustand bestand und es durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich sei, daß die schizophrene Denk- und Antriebsstörung das Handeln des Genannten in den kritischen Augenblicken entscheidend beeinflußte, sodaß (bezogen auf den damals maßgebenden Tatzeitpunkt 1.April 1982, in welchem O*** den Tatbestand des Vergehens nach § 24 Abs. 1 lit. b DevG erfüllt hatte) die Dispositionsfähigkeit aufgehoben war (S 14 des damaligen Gutachtens). Das deckt sich auch mit dem Ergebnis vorangegangener Expertisen (des Facharztes Dr. Z***) und dem Gutachten Dris. G*** vom 10.Jänner 1983 (ON 52 im Akt AZ 6 E Vr 726/81 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz). Im Hinblick auf das Gutachten vom 27.Juli 1982 hatte die Staatsanwaltschaft Wien den gegen O*** gestellten Strafantrag wegen Vergehens nach dem Devisengesetz zurückgezogen. Auf all diese Umstände wurde bereits in dem im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes vom 21. August 1984 hingewiesen; deren Erörterung im angefochtenen Urteil unterblieb jedoch.

Der mithin dem angefochtenen Urteil anhaftende Begründungsmangel in der Bedeutung der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO zwingt zur (abermaligen) Kassierung des Schuldspruchs (und damit auch des Strafausspruchs). Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten bei der nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben und, da sich zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst aber noch nicht einzutreten hat (vgl. diesbezüglich auch Art. II § 3 Abs. 2 der Finanzstrafgesetznovelle 1985 BGBl. 571), die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden braucht.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die getroffene kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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