Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 5.Jänner 1951 geborene Klägerin ist polnische Staatsbürgerin. Mit Schreiben vom 28.März 1985, eingelangt bei der Beklagten am 4.April 1985, stellte sie den Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension. Dem Antrag war eine Bestätigung des Leiters der Ambulanz der psychiatrischen Klinik der medizinischen Akademie Krakau angeschlossen, derzufolge die Klägerin dort wegen eines paranoidalen Syndroms behandelt wird. Die Erkrankung habe im Jahre 1979 begonnen.
Mit Bescheid vom 21.Oktober 1985 wies die Beklagte den gestellten Antrag mit der Begründung ab, daß bei der Klägerin die für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestzahl von Versicherungsmonaten nicht gegeben sei. Das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit sei daher nicht mehr geprüft worden. Mit dem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 2. November 1985, welches dort am 11.November 1985 einlangte und von dieser an das Erstgericht weitergeleitet wurde, wandte sich die Klägerin gegen die bescheidmäßige Ablehnung ihres Antrages mit dem ersichtlichen, wenn auch nicht ausdrücklich gestellten Begehren, die Beklagte zur Leistung einer Berufsunfähigkeitspension zu verpflichten. Das Erstgericht behandelte dieses Schreiben der in erster Instanz unvertretenen Klägerin daher als Klage. Diese brachte darin vor, sie sei nicht nur während ihres Studiums versichert gewesen, sondern auch von 1979 bis 1985. Darüberhinaus seien gemäß einer Broschüre der Beklagten bei der Erfüllung der Wartezeit Erleichterungen vorgesehen, wenn die Berufsunfähigkeit die Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit sei. Sie sei aber berufsunfähig und ihre Krankheit sei während ihres Stipendiums an der Technischen Universität Wien "hervorgekommen".
Dem hielt die Beklagte in ihren Einwendungen entgegen, die Klägerin habe insgesamt nur 40 Versicherungsmonate in Österreich erworben, und zwar an Beitragszeiten vom Oktober 1975 bis August 1976 insgesamt 11 Monate und vom März 1977 bis März 1979 25 Monate, sowie an Ersatzzeit (Schulzeit) 4 Monate vom Oktober 1976 bis Jänner 1977. Im Anschluß an das Ende der Beitragszeit habe sich die Klägerin nach ihren eigenen Angaben in Polen aufgehalten. Sie erfülle daher nicht die für den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit erforderliche Warnizeit von
60 Versicherungsmonaten, weshalb sich auch die Prüfung einer allfälligen Berufsunfähigkeit erübrige.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf an Hand der im Anstaltsverfahren vorgelegten Beweismittel folgende Tatsachenfeststellungen:
Die Klägerin legte einen Teil ihres Studiums in Österreich zurück, arbeitete aber gleichzeitig vom 3.November 1975 bis 31. August 1976 als Chemielaborantin im Öffentlichen Krankenhaus der Elisabethinen in Linz. Die Zeit ihres Studiums an der Technischen Universität Wien vom Oktober 1976 bis Jänner 1977 rechnete die Beklagte als Ersatzzeit an. Vom 3.März 1977 bis 2.März 1979 war die Klägerin als medizinisch-technische Assistentin an der Ersten Medizinischen Universitätsklinik Wien beschäftigt. Danach kehrte sie nach Polen zurück.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß die Klägerin die gem. § 236 ASVG für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit erforderliche Wartezeit von 60 Versicherungsmonaten nicht erfülle, weil sie zum Stichtag 1. Mai 1985 nur insgesamt 40 Versicherungsmonate aufweise. Der Klägerin könne nicht sowohl ihre Beitragszeit als Beschäftigte als auch die gleichzeitige Studienzeit angerechnet werden, weil letztere als Ersatzzeit nur dann angerechnet werde, wenn der Versicherte sonst keiner Beschäftigung nachgegangen sei.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte den geltend gemachten Verfahrensmangel wegen unterlassener erstgerichtlicher Anleitung und amtswegiger Erhebung ihrer als Folge einer Berufskrankheit eingetretenen Berufsunfähigkeit schon deshalb, weil derartige Erhebungen im Hinblick auf das von der Klägerin geltend gemachte Leiden (paranoidales Syndrom) aus rechtlichen Gründen entbehrlich gewesen seien. Diese Krankheit scheine nämlich in der Anlage 1 zu § 177 Abs 1 ASVG nicht auf und könne daher nicht als abstrakte Berufskrankheit im Sinne dieser Gesetzesstelle gelten. Ob es sich dabei um eine konkrete Berufskrankheit im Sinne des § 177 Abs 2 ASVG handle, könne aber nur vom Träger der Unfallversicherung festgestellt werden. Eine derartige Feststellung gehe nicht sukzessive in die Kompetenz der Gerichte über. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht weiters aus, die Vorstellung der Klägerin, dieselben Zeiten, die ihr als Beitragszeit als Beschäftigte angerechnet wurden, müßten ihr auch als Ersatzzeit auf Grund des gleichzeitig absolvierten Studiums angerechnet werden, finde im Gesetz keine Deckung. Die Ersatzzeiten seien vielmehr nur dann als leistungswirksam zu berücksichtigen, wenn für sie kein Beitrag entrichtet wurde.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Urteilsaufhebung oder auf dessen Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung.
Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Mit ihrer Mängelrüge zeigt die Klägerin schon deshalb keinen Mangel des Berufungsverfahrens auf, weil das Gericht zweiter Instanz die von ihr geltend gemachten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht meritorisch geprüft, sondern deren Vorliegen ausschließlich deshalb verneint hat, weil ihnen schon aus rechtlichen Gründen keinerlei Relevanz zukommen könne. Die Revisionswerberin bekämpft daher in Wahrheit diese Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes und bringt damit inhaltlich den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zur Darstellung. Im Gegensatz zu ihrer Meinung trifft es aber zu, daß die von ihr als "paranoidales Syndrom" geltend gemachte Erkrankung in der als Anlage 1 einen Bestandteil des ASVG bildenden "Liste der Berufskrankheiten (§ 177)" weder namentlich genannt noch begrifflich eine solche ist, die durch die Einwirkung der aufgezählten Schadstoffe oder Arbeitsbedingungen ausgelöst worden sein kann. Ein paranoides Syndrom ist nämlich ein solches, bei dem paranoide Inhalte vorherrschen, ohne daß bereits durch andere Symptome eine Psychose oder ähnliches nosologisch abgesichert wäre. Die Bezeichnung läßt offen, ob es sich um eine Reaktion, Schizophrenie, symptomatische Psychose oder ähnliches handelt. Bei einer solchen geistigen Erkrankung handelt es sich daher nicht um ein organisches Leiden, sondern um die Entwicklung eines bestimmten Wahnsystems, außerhalb dessen das formale und inhaltliche Denken, soweit sich dieses isoliert betrachten läßt, intakt ist (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch255, Stichworte "Paranoia" und "paranoides Syndrom"). Die Erkrankung der Klägerin kann daher von vornherein nicht als abstrakte Berufskrankheit gem. § 177 Abs 1 ASVG gelten. Ob sie als eine nicht im Anhang 1 enthaltene Krankheit dennoch als konkrete Berufskrankheit gem. § 177 Abs 2 ASVG anerkannt werden könnte, kann im sozialgerichtlichen Verfahren nicht geprüft werden. Soweit die Klägerin hier die Auffassung vertritt, eine derartige Prüfung wäre als Vorfrage keineswegs der Kompetenz des Sozialgerichtes entzogen gewesen, folgt sie offensichtlich der Meinung von Tomandl (Leistungsrecht 15 f). Demgegenüber hat aber das Berufungsgericht zutreffend erkannt, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes die Feststellung einer Berufskrankheit im Sinne des § 177 Abs 2 ASVG nur vom Träger der Unfallversicherung vorgenommen werden kann und überdies zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministers für soziale Verwaltung bedarf. Diese Feststellungsbefugnis vermag schon deshalb nicht sukzessiv in die Kompetenz der Sozialgerichte überzugehen, weil zufolge des im Art. 94 B-VG verankerten Grundsatzes der Trennung der Justiz von der Verwaltung die Wirksamkeit einer gerichtlichen Entscheidung nicht davon abhängen kann, daß sie einer Zustimmung durch die Verwaltungsbehörde bedürfte. Die Auffassung Tomandls (aaO 16 FN 25), das Sozialgericht sei in einem solchen Fall an eine Zustimmung des Bundesministers für soziale Verwaltung nicht gebunden, kann mit dem klaren Gesetzeswortlaut nicht in Einklang gebracht werden. Soweit die Klägerin im übrigen geltend macht, das Berufungsgericht habe zu ihrer Rechtsrüge nicht wirklich Stellung genommen, ist dies aktenwidrig. Das Gericht zweiter Instanz hat vielmehr bereits zutreffend den Unterschied zwischen Beitrags- und Ersatzzeiten hervorgehoben und darauf verwiesen, daß Ersatzzeiten im Sinne des § 227 ASVG nur bestimmte Zeiten sein können, die ohne daß für sie ein Beitrag entrichtet worden wäre, als leistungswirksam berücksichtigt werden. Danach ist aber für die Klägerin nur eine Wartezeit von 40 Versicherungsmonaten in Österreich erfüllt. Sie erreicht daher nicht die für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit gem. § 236 Abs 1 Z 1 lit a) ASVG erforderliche Mindestwartezeit von 60 Monaten.
Der Revision war aus allen diesen Gründen ein Erfolg zu versagen. Ein Kostenersatzanspruch der zur Gänze unterlegenen Klägerin nach Billigkeit gem. § 77 Abs 1 Z 2 lit b) ASGG kommt schon deshalb nicht in Frage, weil sie im Hinblick auf die ihr bewilligte Verfahrenshilfe Kosten für eine Vertretung nicht zu tragen hat (vgl. Kuderna, ASGG 413).
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