OGH 13Os101/87

OGH13Os101/8717.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.September 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Kießwetter, Dr. Brustbauer (Berichterstatter) und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Harald P*** und Sieghard B*** wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 StGB. und anderer strafbaren Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Harald P*** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengerichts vom 13.April 1987, GZ. 18 a Vr 1759/86-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Ruckenbauer, jedoch in Abwesenheit beider Angeklagten und des Verteidigers des Angeklagten Sieghard B***, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch IV wegen des Vergehens der Förderung der gewerbsmäßigen Unzucht nach § 215 StGB. sowie in dem den Harald P*** betreffenden Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 1 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:

Harald P*** wird für das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs. 1 Z. 3 StGB. (I), das Verbrechen des Menschenhandels nach § 217 Abs. 1 StGB. (II) und das Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs. 1 StGB. (III) gemäß § 217 Abs. 1 StGB. unter Anwendung des § 28 StGB. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von

1 (einem) Jahr

verurteilt.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Harald P*** und die Staatsanwaltschaft, soweit diesen Angeklagten betreffend, werden mit ihren Berufungen auf die vorstehende Entscheidung verwiesen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft betreffend Sieghard B*** wird Folge gegeben und die über diesen Angeklagten verhängte Strafe (nunmehr Zusatzfreiheitsstrafe) unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB. auf das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 28.November 1986, U 725/86, auf

10 (zehn) Monate

erhöht.

Gemäß § 390 a StPO. fallen den Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 19.Februar 1960 geborene Harald P*** und der am 8. Dezember 1964 geborene Sieghard B*** wurden des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs. 1 StGB. (II) und des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs. 1 StGB. (III), Harald P*** außerdem des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs. 1 Z. 3 StGB. (I) sowie des Vergehens der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht nach § 215 StGB. (IV) schuldig erkannt. Darnach haben

I. Harald P*** die Doris B*** durch Schläge zu Handlungen veranlaßt, die besonders wichtige Interessen der Genötigten verletzten:

1. anfangs August 1985 in Bildstein zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht in St. Margrethen (Schweiz);

2. zwischen Ende August 1985 und Ende November 1985 in Hohenems wiederholt zur Fortsetzung der Prostitutionsausübung;

II. Harald P*** und Sieghard B***, teilweise im bewußten und gewollten Zusammenwirken, von Anfang August 1985 bis ca. Mitte September 1985 Doris B*** und Ursula D*** der

gewerbsmäßigen Unzucht in einem anderen Staat als in dem, deren Staatsangehörigkeit sie besaßen und in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zugeführt, indem Harald P*** und Sieghard B*** allein oder gemeinsam wiederholt Doris B*** und Ursula D*** jeweils mit dem Kraftwagen zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht nach St. Margrethen (Schweiz) und ins Fürstentum Liechtenstein brachten und Harald P*** Anfang August 1985 Doris B*** hiefür auch angeworben, indem er - teils in Verbindung mit der zu I 1 angeführten Tathandlung - intensiv auf sie einwirkte, in St. Margrethen (Schweiz) der gewerbsmäßigen Unzucht nachzugehen;

III. Harald P*** und Sieghard B*** in Bildstein und Hohenems mit dem Vorsatz, sich aus der gewerbsmäßigen Unzucht einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese Person jeweils durch Abnahme des gesamten Schandlohns ausgenützt:

1. Harald P*** von Anfang August 1985 bis ca. Mitte Dezember 1985 Doris B***;

2. Sieghard B*** von ca. Mitte August 1985 bis ca. Mitte Dezember 1985 Ursula D***;

IV. Harald P*** in Tateinheit mit den zu I und II bezeichneten Tathandlungen im August 1985 Doris B*** der gewerbsmäßigen Unzucht zugeführt, indem er sie zur Prostitutionsausübung überredete und ihr entsprechende Kenntnisse vermittelte, Standplätze zuwies sowie Präservative zur Verfügung stellte.

Die Schuldsprüche wegen des Menschenhandels (II), der Zuhälterei (III) und der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht (IV) bekämpft Harald P*** mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Verfehlt ist der Beschwerdestandpunkt, die regelmäßige Beschränkung der Prostitutionsausübung auf das "allernächste Grenzgebiet" für die Dauer bloß "einiger Stunden" schließe eine abstrakte Gefährdung der Prostituierten im Sinn des tatbestandsmäßigen Schutzzwecks aus. § 217 Abs. 1 StGB. kennt weder eine der Unzuchtsausübung dienende Mindestaufenthaltsdauer der Prostituierten im fremden Staat noch eine Mindestentfernung zum Heimatstaat.

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer jedoch die im Schuldspruch IV vorgenommene zusätzliche Beurteilung (Tateinheit) des mit Gewaltausübung (I) begangenen Menschenhandels (II) als Förderung gewerbsmäßiger Unzucht nach § 215 StGB., weil der Menschenhandel ein qualifizierter Fall der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht ist (SSt. 50/59). Demnach steht § 217 StGB. zu § 215 StGB. im Verhältnis der Spezialität. Folglich war der Schuldspruch IV (§ 215 StGB.) in Teilstattgebung der Beschwerde aufzuheben, ohne daß bei bloßem Wegfall der Idealkonkurrenz ein förmlicher Freispruch zu ergehen hatte.

Soweit der Beschwerdeführer aber weiters eine Idealkonkurrenz von § 217 Abs. 1 StGB. und § 216 StGB. (an sich zutreffend: 11 Os 120/86) bestreitet, übersieht er, daß ihm ersichtlich ein eintätiges Zusammentreffen dieser beiden Delikte urteilsmäßig gar nicht vorgeworfen wird. Werden doch, wie der Urteilssatz zeigt, vom Schuldspruch des Menschenhandels (II) die Verbringung der Prostituierten in die Schweiz und nach Liechtenstein und von jenem der Zuhälterei (III) nur die Tathandlungen in Bildstein und Hohenems (Vorarlberg) erfaßt. Damit erübrigt sich auch ein diesbezügliches, von der Generalprokurator angeregtes Vorgehen nach § 290 Abs. 1 StPO. zugunsten des Angeklagten B***.

Die seitens der Staatsanwaltschaft nicht angefochtene Unterstellung der gewaltsamen Nötigung der Doris B*** zur Ausübung der Prostitution im Ausland unter die §§ 105, 106 Abs. 1 Z. 3 StGB. (I) statt der Heranziehung des strenger strafbedrohten Abs. 2 des § 217 StGB. wirkte sich zum Vorteil des Angeklagten aus und muß auf sich beruhen.

Die Kassierung des Schuldspruchs IV wegen des Vergehens der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht macht eine Strafneubemessung bei Harald P*** nach § 217 Abs. 1 StGB. nötig. Dabei waren erschwerend, daß P*** mehrere strafbare Handlungen verschiedener Art begangen hat, wobei der Menschenhandel zwei Frauenspersonen betraf und dieses Delikt sowie jenes der schweren Nötigung jeweils bis zu fünf Jahren mit Strafe bedroht sind; mildernd war die nunmehrige Unbescholtenheit des Angeklagten. Hingegen war seine Einlassung weder ein reumütiges Geständnis noch trug sie zur Wahrheitsfindung wesentlich (§ 34 Z. 17 StGB.) bei (S. 224). Danach erschien das eingangs ausgesprochene Strafmaß tätergerecht.

Harald P*** war mit seiner Berufung ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diesen Angeklagten betreffenden Berufung auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Das Erstgericht verhängte über Sieghard B*** nach § 217 Abs. 1 StGB. unter Anwendung des § 28 StGB. eine siebenmonatige Freiheitsstrafe und wertete als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Delikte. Das Geständnis B***, welches zur Wahrheitsfindung wesentlich beitrug, und der Umstand, daß B*** zu den Tatzeiten das 21.Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, waren mildernd.

Zwar fällt der von der Staatsanwaltschaft in ihrer Berufung hervorgehobene Tatzeitraum von etwa einem halben Jahr bei der vorliegenden Deliktsgestaltung nicht sehr erschwerend ins Gewicht. Doch zeigen die trotz des jugendlichen Alters ausgesprochenen Vorverurteilungen des Sieghard B*** zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen und die abermalige Straffälligkeit des Angeklagten in einem Kriminalitätsbereich, den die Rechtsprechung als Ansatz organisierten Verbrechertums perhorresziert (LSK. 1979/54, beifällig zitiert in Foregger-Serini3 Anm. I zu § 217 StGB.), daß dieser Tätertyp aus spezialpräventiven Rücksichten einer empfindlichen Bestrafung bedarf. Die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe war deshalb auf eine dem soeben erläuterten Strafzweck genügende Dauer anzuheben, wobei gemäß § 31 StGB. auf das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 28.November 1986, U 725/86 (§ 198 Abs. 1 StGB.: 1 Monat), Bedacht genommen wurde.

Der Ausspruch nach § 38 StGB. blieb unberührt.

Der für den Angeklagten B*** bestellte und ordnungsgemäß geladene Verteidiger ist zum Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof nicht erschienen (Rückschein im Akt des Rechtsmittelgerichts). Infolge seines Ausbleibens wurde gemäß § 286 Abs. 1, zweiter Satz, StPO. die von ihm erstattete Gegenäußerung zur Berufung der Staatsanwaltschaft (ON. 32) vorgelesen und der Entscheidung zugrundegelegt. Auf die Vorlesung gemäß der zitierten Gesetzesstelle sind die Angeklagten und die Verteidiger in den Vorladungen aufmerksam gemacht worden. Die Anwesenheit eines Verteidigers im Gerichtstag ist nicht erforderlich, es genügt, daß ein Verteidiger bevollmächtigt oder bestellt ist und daß er die Möglichkeit hatte, zum Gerichtstag zu erscheinen: SSt. XLVI/5 (siehe auch EvBl. 1986 Nr. 167, dritter Absatz; 13 Os 43/87, 13 Os 66/87).

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