Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 16.297,63 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 1.481,60, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 6. Mai 1983 ereignete sich um 17,35 Uhr auf der Stroheimer-Bezirksstraße bei Km 6 (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem Karl L*** als Lenker des PKW der Klägerin mit dem Kennzeichen O 209.766 und der Erstbeklagte als Lenker des LKW mit dem Kennzeichen O 81.245 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Halter, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Die beiden Fahrzeuge kollidierten im Begegnungsverkehr. Dabei wurde die in ihrem PKW mitfahrende Klägerin schwer verletzt; beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde zu 2 U 168/83 des Bezirksgerichtes Eferding gegen die beiden beteiligten Lenker ein Strafverfahren eingeleitet. Der Strafantrag gegen den Erstbeklagten wurde gemäß § 227 Abs 1 StPO zurückgezogen; L*** wurde gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von S 768.412,-- s.A.; überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren, wobei die Drittbeklagte nur im Rahmen des den LKW der Zweitbeklagten betreffenden Haftpflichtversicherungsvertrages zu haften habe. Das Leistungsbegehren der Klägerin umfaßt unter anderem ein Schmerzengeld von S 750.000,--. Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß der Erstbeklagte den Unfall allein verschuldet habe. Er habe mit dem von ihm gelenkten LKW die Fahrbahnmitte erheblich überfahren. Im Hinblick auf die schweren Verletzungen der Klägerin gebühre ihr ein angemessenes Schmerzengeld von S 750.000,--.
Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im wesentlichen ein, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe den Lenker des PKW der Klägerin, der mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe. Überdies sei er im Zuge der Begegnung der beiden Kraftfahrzeuge nicht genügend nach rechts ausgewichen und habe er verspätet reagiert. Der Erstbeklagte habe dem Rechtsfahrgebot hinlänglich entsprochen; selbst wenn er noch weiter rechts gefahren wäre, wäre es infolge der Fahrweise des L*** in gleicher Weise zum Unfall gekommen. Die Klägerin treffe hinsichtlich ihres Schmerzengeldanspruches ein Mitverschulden von einem Drittel, weil sie den Sicherheitsgurt nicht verwendet habe. Schließlich wendeten die Beklagten eine Schadenersatzforderung der Zweitbeklagten aus diesem Verkehrsunfall von S 1.517,71 (Fahrzeugschaden) aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein. Das Erstgericht entschied, daß die Klagsforderung mit S 505.912,-- zu Recht und mit S 262.500,-- nicht zu Recht besteht und daß die eingewendete Gegenforderung von S 1.517,71 nicht zu Recht besteht. Es verurteilte daher die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von S 505.912,-- s.A. und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 262.500,-- s.A. gerichtete Mehrbegehren der Klägerin ab. Dem Feststellungsbegehren der Klägerin gab es in Ansehung aller zukünftigen Unfallschäden, hinsichtlich allfälliger zukünftiger Schmerzengeldansprüche allerdings nur zu drei Vierteln, statt.
Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Stroheimer-Bezirksstraße beschreibt im Bereich der Unfallstelle in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen eine Linkskurve mit einer Richtungsänderung von etwa 90 Grad, wobei die Fahrbahn mit etwa 8 % über diese Krümmung hinweg abfällt. Die Fahrbahn ist asphaltiert. An der Kurvenaußenseite schließt etwa niveaugleich ein schmales Bankett und dann eine abfallende Wiesenböschung an, die später in Waldgrund übergeht. An der Kurveninnenseite schließt an die Asphaltfläche ein 40 cm breiter gepflasterter Streifen an, der gegenüber der Asphaltfläche nicht ganz niveaugleich ist, sondern zum Fahrbahnrand hin stärker geneigt ist als die Asphaltfläche selbst. An diesen gepflasterten Streifen schließt eine Bordsteinkante und direkt an diese eine ansteigende grasbewachsene Böschung an. Auf Höhe des Km 6 ist die Asphaltfahrbahn 5,3 m bzw. unter Einbeziehung des gepflasterten Streifens von der Bordsteinkante bis zum kurvenaußenseitigen Asphaltrand 5,7 m breit. Etwas weiter bergwärts ist die Asphaltfahrbahn 5,2 m breit. Im Bereich der Unfallstelle (bzw. 10 m davor und 10 m danach) ist eine gegenseitige Sicht von etwa 46 m gegeben, wenn man die Aufbauten des Fahrzeuges mitberücksichtigt. Die Fahrbahnoberfläche selbst ist aus der Sitzposition eines PKW-Lenkers erst auf rund 38 m einzusehen. Der Kurvenradius beträgt im Annäherungsbereich an die Unfallstelle aus Fahrtrichtung des Erstbeklagten etwa 40 m.
Der Erstbeklagte fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 35 bis 40 km/h. Beim Durchfahren der Linkskurve geriet er derart über die Straßenmitte, daß der 2,5 m breite LKW im Zeitpunkt des Zusammenstoßes die Mitte der 5,3 m breiten Asphaltfahrbahn um 1,11 m überschritt; für den Fall, daß auch noch die 40 cm breite Regenrinne der dem Verkehr gewidmeten Fläche zugeordnet würde, hätte der LKW die Mitte der dann 5,7 m breiten Fahrbahn um 91 cm überschritten. Wegen des bei Durchfahren der Kurve gegebenen größeren Raumbedarfes des LKW von ca. 3 m war der Erstbeklagte, der zumutbarerweise eine Fahrspur derart hätte wählen können und müssen, daß das rechte Vorderrad 20 cm vom rechten Asphaltrand läuft, aber jedenfalls gezwungen, die Fahrbahnmitte zu überfahren, und zwar um 35 cm bzw. 15 cm, je nachdem, ob der gepflasterte Streifen zur Fahrbahn gerechnet wird.
Der PKW der Klägerin war - bei einer Überdeckung der beiden Fahrzeuge von ca. 21 cm - im Zeitpunkt des Zusammenstoßes 90 cm von der Mitte der Asphaltfahrbahn entfernt, bei Einbeziehung der Regenrinne 70 cm von der Fahrbahnmitte. Der Abstand des PKW nach rechts betrug zum Beginn der Regenrinne 15 cm, zur Bordsteinkante 55 cm.
L*** näherte sich der Unfallstelle mit ca. 45 km/h. Beide Fahrzeuglenker bremsten im Zuge der Begegnung ihre Fahrzeuge ab, L*** allerdings früher als der Erstbeklagte. Während sich die Bremsung des LKW erst nach der Kollision auswirkte, reagierte L*** bereits 1,2 bis 1,5 Sekunden vor dem Zusammenstoß.
Die Klägerin erlitt bei dem Unfall folgende Verletzungen:
1. Ein Schädelhirntrauma, wobei dieses zuerst als Gehirnerschütterung interpretiert wurde, es dann aber zur Ausbildung eines subduralen Blutergusses mit Hirnquetschung und Hirnprellung kam;
- 2. eine durchdringende Verletzung des linken Augapfels;
- 3. Rißquetschwunden im Bereich des linken Oberlides und an der Stirn sowie einen Bluterguß an der Stirn;
- 4. eine Rißquetschwunde am linken Handrücken;
- 5. eine Prellung der rechten Brustkorbseite.
Die Klägerin war beim Unfall nicht angegurtet. Ein Nachweis, daß die Folgen in dieser Schwere auch beim ordnungsgemäßen Gebrauch des Sicherheitsgurts eingetreten wären, wurde nicht erbracht. Die Verletzungen der Klägerin waren vorübergehend lebensbedrohlich. Sie wurde unmittelbar nach dem Unfall in das UKH Linz gebracht und nach klinischer Untersuchung und Röntgenuntersuchung ambulant versorgt. Die Wunden wurden in örtlicher Betäubung gereinigt und genäht; die Klägerin wurde gegen Wundstarrkrampf schutzgeimpft. Wegen der durchdringenden Verletzung des linken Auges wurde sie dann zur weiteren Behandlung der Augenverletzung in das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder verlegt, wo die Augenverletzung operativ versorgt wurde. Dort kam es am 8. Mai 1983 zum Auftreten eines epileptischen Anfalles. Die Klägerin wurde deswegen in das AKH Linz verlegt, wo eine computertomographische Untersuchung des Schädels durchgeführt wurde. Bei dieser Untersuchung wurde eine Gehirnblutung festgestellt; die Klägerin wurde aus diesem Grund noch am 8. Mai 1983 operiert. Bei dieser Operation wurde ein ausgedehnter Bluterguß in der rechten Scheitel- und Schläfengegend entleert. Nach Einlegen von Wunddrains wurde die Wunde geschlossen; der Knochendefekt blieb jedoch bestehen. Bei Kontrolluntersuchungen wurden dann Restblutungen und auch eine Hirnquetschung festgestellt; die nervenfachärztliche Untersuchung ergab eine linksseitige Halbseitenlähmung. Nach Besserung des Allgemeinbefindens wurde die Klägerin am 18. Juni 1983 aus der stationären Behandlung entlassen. Am 13. Juli 1983 wurde sie dann im Landeskrankenhaus Buchberg bei Traunkirchen stationär aufgenommen, wo sie bis 5. August 1983 blieb. Im Rahmen dieses stationären Aufenthaltes wurde ein Druckgeschwür am linken Außenknöchel und auch ein Harnweginfekt behandelt; bei beidem handelte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Unfallsfolgen. Auch im LKH Buchberg konnte die Klägerin nur so weit mobilisiert werden, daß sie sich selbst ernähren konnte. Gehen oder Stehen ohne fremde Hilfe konnte nicht erreicht werden. Nach der Entlassung aus dem LKH Buchberg am 5. August 1983 blieb die Klägerin weiter auf fremde Hilfe angewiesen.
An dem beim Unfall verletzten linken Auge besteht nach wie vor eine geringe Störung des Sehvermögens. In der rechten Schläfengegend besteht nach wie vor ein Knoctendefekt mit deutlich erkennbaren Hirnpulsationen. Es finden sich ausgedehnte Narben innerhalb der beharrten Kopfhaut, an der Stirn und an beiden Armen. Darüber hinaus besteht bei der Klägerin ein beträchtliches Psychosyndrom. Es besteht eine linksseitige spastische Halbseitenlähmung mit Geh- und Stehunfähigkeit und auch eine Hautgefühlsstörung. Die Klägerin ist zu 100 % erwerbsunfähig und vollkommen hilflos. Sie hat nicht nur bis zur Untersuchung durch den Gerichtssachverständigen am 30. Oktober 1985 epileptische Anfälle erlitten, sondern auch danach noch mindestens vier derartige Anfälle, die jeweils 5 Minuten dauerten. Auch in Hinkunft können solche Anfälle auftreten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, daß wegen des fehlenden Knochendeckels in der rechten Schläfengegend bei einem Sturz eine neuerliche Gehirnverletzung eintritt. Auch auf Grund der Hautgefühlsstörung sind Sekundärschäden nicht auszuschließen. Die Klägerin hatte unfallsbedingt e bis 2 Tage sehr starke Schmerzen, 2 bis 3 Wochen zuzüglich einen Tag starke Schmerzen, 5 bis 6 Wochen mittlere Schmerzen und 3 bis 4 Monate leichte Schmerzen zu ertragen. Darin sind auch die überschaubaren Restbeschwerden enthalten. Diese rein körperlichen Schmerzen werden aber von den psychischen Beeinträchtigungen bei weitem überwogen. Der Umstand, daß die Klägerin völlig auf fremde Hilfe angewiesen ist und daß sie auch ihre Kleinlandwirtschaft nicht mehr betreuen kann, führt bei ihr zu schwerstem psychischen Beeinträchtigungen, zumal zu diesem Bewußtsein ihrer Unzulänglichkeiten, mit denen sie ständig konfrontiert wird, auch noch die Sorge um ihre Zukunft kommt. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, die 40 cm breite Regenrinne könne wegen ihrer stärkeren Neigung nach außen und wegen ihrer anderen Oberflächenbeschaffenheit nicht der Fahrbahn zugerechnet werden. Die Klägerin müsse sich als Halterin des PKW ein den Lenker ihres Fahrzeuges treffendes Mitverschulden anrechnen lassen. Das Verschulden des Erstbeklagten bestehe in einem Verstoß gegen § 7 Abs 2 StVO, weil er 75 cm zu weit links gefahren sei. Hingegen treffe L*** kein Verschulden, weil er einen Seitenabstand von nur 15 cm nach rechts eingehalten habe und weder zu schnell gefahren sei noch verspätet oder falsch reagiert habe. Im Hinblick auf die Verletzungsfolgen der Klägerin erscheine ein Schmerzengeld von insgesamt S 650.000,-- angemessen, das jedoch wegen des durch Unterlassung der Anlegung des Sicherheitsgurts begründeten Mitverschuldens der Klägerin um ein Viertel zu kürzen sei. Dieses Urteil wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Beklagten keine Folge. Hingegen gab es der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes bezüglich des Leistungsbegehrens (die Entscheidung bezüglich des Feststellungsbegehrens wurde bestätigt) dahin ab, daß es die Klagsforderung mit S 580.912,-- als zu Recht und mit S 187.500,-- als nicht zu Recht bestehend und die eingewendete Gegenforderung von S 1.517,71 als nicht zu Recht bestehend erkannte. Es verurteilte daher die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 580.912,-- s.A. und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 187.500,-- s.A. gerichtete Mehrbegehren der Klägerin ab.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, auch wenn der 40 cm breite an den rechten Asphaltrand anschließende gepflasterte Streifen einen Teil der Fahrbahn im Sinne des § 2 Abs 1 Z 2 StVO darstellen sollte, sei bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 7 Abs 2 StVO, die im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Unübersichtlichkeit der Kurve im Unfallsbereich sicher gegeben gewesen seien, ein Kraftfahrzeuglenker nicht schlechthin verpflichtet, am äußersten rechten Fahrbahnrand zu fahren. Es sei ihm vielmehr auch in diesen Fällen die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zum rechten Fahrbahnrand zuzubilligen, der allerdings nicht jenes Maß übersteigen dürfe, das zur Vermeidung einer Personen- und Sachgefährdung erforderlich sei. Das Ausmaß dieses zulässigen rechtsseitigen Sicherheitsabstandes richte sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Breite, der Beschaffenheit und dem Verlauf der Fahrbahn, der eingehaltenen Geschwindigkeit und dergleichen.
Ziehe man im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des 40 cm breiten gepflasterten Streifens in Betracht, daß die Fahrbahn 5,7 m breit gewesen sei und der Straßenverlauf eine Sicht auf entgegenkommende Fahrzeuge auf 46 m gestattet habe, daß beide beteiligte Lenker bei Tageslicht nur mit geringer Geschwindigkeit gefahren seien und an den Fahrbahnrändern irgendwelche Hindernisse, die die Einhaltung eines besonderen Sicherheitsabstandes erfordert hätten, nicht vorhanden gewesen seien, dann habe für den Lenker des PKW der Klägerin kein zwingender Grund bestanden, näher als mit einem Abstand von 55 cm an die Bordsteinkante heranzufahren. Zur Fahrbahnmitte sei unter Berücksichtigung des gepflasterten Randstreifens ein Abstand von 70 cm verblieben. Für den Gegenverkehr sei daher eine Fahrbahnbreite von 3,55 m (2,85 m und 0,7 m) zur Verfügung gestanden. Damit habe der Lenker des PKW der Klägerin der wegen des Gegenverkehrs grundsätzlich gegebenen Gefahrenlage durch seine Fahrweise ausreichend Rechnung getragen. Er habe davon ausgehen dürfen, daß sich die entgegenkommenden Fahrzeuglenker den Verkehrsvorschriften entsprechend verhalten würden und habe nur mit einem diesen Vorschriften entsprechenden Gegenverkehr rechnen müssen. Wenn L*** in der Folge wegen des auf seiner Fahrbahnhälfte entgegenkommenden LKW der Zweitbeklagten bremsen habe müssen, habe er nicht mehr noch weiter nach rechts lenken können, weil nach den Grundsätzen der Bewegungsmechanik damit eine tangentiale, spurbeibehaltende Fahrlinie, die also zur Straßenmitte zu geführt habe, bedingt gewesen sei. Es könne sohin in der Fahrweise dieses Lenkers ein die Anspruchskürzung rechtfertigendes Mitverschulden nicht erblickt werden.
Die Klägerin habe im Sinne des § 1325 ABGB Anspruch auf ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld. Dieses Schmerzengeld könne nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der körperlichen und seelischen Schmerzen der Verletzten sowie der Art und der Schwere ihrer Verletzungsfolgen, nach freier Überzeugung des Gerichtes global festgesetzt werden. Im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen der Verletzung der Klägerin sei ein Schmerzengeld von (ungekürzt) S 750.000,-- angemessen, das allerdings wegen Nichtanlegen des Sicherheitsgurts um 25 % zu kürzen sei.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klägerin nur ein Betrag von S 158.447,15 s.A. zugesprochen, ihr darüber hinausgehendes Leistungsmehrbegehren von S 422.464,85 s.A. aber abgewiesen werde und daß lediglich festgestellt werde, daß die Beklagten der Klägerin zur ungeteilten Hand (die Drittbeklagte nur im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages) für alle Schäden aus diesem Verkehrsunfall zur Hälfte haften, hinsichtlich allfälliger künftiger Schmerzengeldansprüche der Klägerin allerdings nur zu drei Achteln, das Feststellungsmehrbegehren aber abgewiesen werde; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
Aber auch der Rechtsrüge kommt keine Berechtigung zu. Die Beklagten bestreiten in ihrem Rechtsmittel nicht, daß den Erstbeklagten wegen Verletzung der Vorschrift des § 7 Abs 2 StVO ein Verschulden an dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall trifft. Sie gehen zutreffend davon aus, daß der in der Kurveninnenseite an die asphaltierte Fahrbahn anschließende 40 cm breite gepflasterte Streifen nach den im vorliegenden Fall festgestellten Umständen der Fahrbahn im Sinne des § 2 Abs 1 Z 2 StVO zuzuordnen ist (vgl. ZVR 1983/207 mwN) und bestreiten auch nicht die Richtigkeit der der ständigen Rechtsprechung des OGH (zuletzt etwa ZVR 1985/153 mwN) entsprechenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß nach den im vorliegenden Fall festgestellten Umständen dem Lenker des PKW der Klägerin wegen seiner bei Annäherung an die Unfallstelle eingehaltenen Fahrlinie eine Verletzung der Vorschrift des § 7 Abs 2 StVO nicht anzulasten ist. Die Beklagten versuchen aber darzutun, daß L*** deswegen ein mit 50 % zu bewertendes Verschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil er - nach Erkennen des verkehrswidrigen Verhaltens des entgegenkommenden Erstbeklagten - nicht im Sinne des § 10 Abs 1 StVO weiter nach rechts ausgewichen sei, wobei er auch den an der Kurveninnenseite befindlichen gepflasterten Streifen befahren hätte können.
Die Richtigkeit der vom Berufungsgericht gezogenen (den Tatsachenbereich betreffenden) Schlußfolgerung, L*** hätte wegen der von ihm eingeleiteten Bremsung nicht weiter nach rechts auslenken können, kann dahingestellt bleiben; es steht nicht fest, daß der PKW der Klägerin wegen der von L*** bei
Ansichtigwerden des entgegenkommenden LKW eingeleiteten Bremsung etwa unlenkbar geworden wäre.
Dem Lenker des PKW der Klägerin kann aber aus anderen Gründen kein Schuldvorwurf wegen der Unterlassung eines Ausweichmanövers nach rechts gemacht werden. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen bestand für ihn Sicht auf die Fahrbahnoberfläche (nur diese Sichtweite ist entscheidend, weil aus den Aufbauten des entgegenkommenden Fahrzeuges, die auf etwa 46 m sichtbar waren, nicht geschlossen werden konnte, daß dieses Fahrzeug die Fahrbahnmitte wesentlich überfuhr) auf rund 38 m. Diese Strecke wurde bei einer Summengeschwindigkeit der sich begegnenden Fahrzeuge von 80 bis 85 km/h in einer Zeit von 1,6 bis 1,7 Sekunden durchfahren. Das bedeutet, daß dem Lenker des PKW der Klägerin nur dieser kurze Zeitraum für das Erkennen der verkehrswidrigen Fahrweise des Erstbeklagten und eine allfällige Reaktion darauf zur Verfügung stand. Zieht man in Betracht, daß das Fehlverhalten des Erstbeklagten für den Lenker des PKW der Klägerin erst einen gewissen Auffälligkeitswert erlangen mußte, daß von einem entgegenkommenden Fahrzeug, das aus irgendeinem Grund die ihm nicht zukommende Fahrbahnhälfte benützt, die Rückkehr auf seine rechte Fahrbahnhälfte zu erwarten ist, es sei denn, daß sich aus besonderen Gründen das Gegenteil erschließen läßt (ZVR 1977/186; ZVR 1979/90 uva.) und daß L*** nach den Feststellungen der Vorinstanzen unverzüglich auf das Erkennen der Gefahr durch ein Bremsmanöver reagierte, dann kann ihm die Unterlassung eines zusätzlichen Ausweichmanövers nach rechts nicht als Mitverschulden angelastet werden. Dies ergibt sich nicht nur aus der Kürze der Zeit, die ihm für eine Reaktionshandlung zur Verfügung stand, sondern auch daraus, daß nach ständiger Rechtsprechung einem Fahrzeuglenker nicht zugemutet werden kann, in einer von einem anderen Verkehrsteilnehmer geschaffenen Gefahrenlage zwei Rettungshandlungen gleichzeitig zu setzen (ZVR 1977/264; ZVR 1979/173 uva.).
Mit Recht haben unter diesen Umständen die Vorinstanzen ein Mitverschulden des Lenkers des PKW der Klägerin an dem eingetretenen Unfall verneint.
Was die Höhe des Schmerzengeldanspruches der Klägerin anlangt, hat das Berufungsgericht die für die Schmerzengeldbemessung maßgeblichen rechtlichen Grundsätze durchaus zutreffend dargestellt. Im vorliegenden Fall stehen nicht so sehr die der Klägerin zugefügten bedeutenden körperlichen Schmerzen im Vordergrund, sondern vielmehr der Umstand, daß die Klägerin infolge ihrer bei dem Unfall erlittenen Verletzungen geh- und stehunfähig wurde. Sie hat mehrfache epileptische Anfälle erlitten, muß mit der Möglichkeit weiterer derartiger Anfälle rechnen und ist völlig hilflos geworden und auf fremde Hilfe angewiesen. Bei diesen Unfallsfolgen, die ihrer Bedeutung für den Verletzten nach durchaus denen etwa im Fall einer Querschnittlähmung gleichzustellen sind, ist in der Schmerzengeldbemessung des Berufungsgerichtes mit (ungekürzt) S 750.000,-- ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.
Der Revision der Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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