OGH 12Os83/87

OGH12Os83/8727.8.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.August 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hans Jürgen B*** wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Jugendschöffengericht vom 30.März 1987, GZ 15 Vr 1894/86-39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, der Mutter und gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten Elfriede B***, des Angeklagten Hans Jürgen B*** und des Verteidigers

Dr. Maximilian Ganzert zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 290 Abs. 1 StPO wird das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß dem Angeklagten Hans Jürgen B*** die Vorhaft vom 19.November 1986, 18,00 Uhr, bis 2.Dezember 1986, 10,45 Uhr, gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB auf die Strafe angerechnet wird. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13.Februar 1971 geborene Schüler Hans Jürgen B*** des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, an fremden Sachen ohne Einwilligung des jeweiligen Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht zu haben, und zwar

1./ am 22.Oktober 1986 in Fischlham am Wirtschaftsgebäude des landwirtschaftlichen Anwesens der Ehegatten Albert und Anna S*** in Hafeld Nr 20 durch Anzünden von im Wirtschaftsgebäude gelagertem Heu,

2./ am 5.November 1986 in Fischlham am Vierkanthof des Johann D*** in Hafeld Nr 8 durch Anzünden von im Obergeschoß gelagerten Strohballen,

3./ am 11.November 1986 in Fischlham am Wohnhaus des Heinrich W*** in Hafeld Nr 4 durch Anzünden von Heu im Bereich des Anbaues des Wohnhauses,

4./ am 11.November 1986 in Steinerkirchen am Wirtschaftsteil des landwirtschaftlichen Anwesens der Ehegatten Benedikt und Maria O*** in Almegg Nr 17 durch Anzünden von auf der Tenne gelagertem Heu.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 4 und 9 lit b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der Strafausspruch wird mit Berufung angefochten.

Zum erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund rügt der Beschwerdeführer die Abweisung der von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge auf Vernehmung der behandelnden Ärzte Prim.Doz. Dr. Gerhard F*** und Dr. Franz M***, welche ihn durch mehrere Monate auf seine biologische Reife untersucht und direkt beobachtet hätten, sowie auf Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fach der Kinder- und Jugendpsychiatrie zum Beweis seiner (die Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit zur Tatzeit ausschließenden) mangelnden Reife (vgl Band III, S 30, 31, 56, 57 d.A). Verfahrensgrundsätze, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist, sind durch die Ablehnung dieser Beweisanträge jedoch nicht hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden:

Rechtliche Beurteilung

Beizupflichten ist zunächst der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses, daß es zur Lösung der Frage, ob der jugendliche Angeklagte aus besonderen Gründen zur Tatzeit noch nicht reif genug gewesen ist, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 10 JGG), der persönlichen Vernehmung der beiden in der heilpädagogischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt mit der Behandlung des Angeklagten befaßt gewesenen Ärzte nicht bedurfte. Prim. Doz. Dr. Gerhard F*** und Dr. Franz M*** haben, ohne zu gerichtlichen Sachverständigen bestellt worden zu sein, dem Gericht aus eigenem ein heilpädagogisches Gutachten ON 36 übermittelt, dessen Verlesung in der Hauptverhandlung (vgl Band III, S 30 d.A) gemäß § 252 Abs. 2 StPO (als "Urkunde anderer Art") zulässig gewesen ist. Zudem hat der bestellte gerichtsmedizinische Sachverständige Univ. Prof. Dr. Klaus J*** auf die heilpädagogische Behandlung des Angeklagten in der neuropsychiatrischen Abteilung für Kinder und Jugendliche des Landeskrankenhauses Klagenfurt in seinem Gutachten Bedacht genommen und deren Ergebnisse mitverwertet (vgl Band III, S 23, 27 und 28 d.A). Widersprüche in den Schlußfolgerungen der Gutachter, welche eine Aufklärung durch Vernehmung der Verfasser erfordert hätten, wurden im Beweisantrag nicht dargetan; sie ergeben sich auch nicht aus den Akten, zumal auch das erwähnte heilpädagogische Gutachten von bloß beeinträchtiger Dispositionsfähigkeit des jugendlichen Angeklagten ausgeht (vgl Band II, S 611 d.A).

Die Nichtbeiziehung eines weiteren Sachverständigen hinwieder würde nur dann eine Verletzung von Verteidigungsrechten bewirkt haben, wenn das Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen Widersprüche und Mängel im Sinne der §§ 125, 126 StPO aufgewiesen hätte oder wegen der Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung zwei Sachverständige hätten beigezogen werden müssen (§ 118 Abs. 2 StPO).

Erachtet das Gericht aber, wie hier, den vernommenen Sachverständigen für befähigt, ein einwandfreies Gutachten über den Fall zu erstatten, und ergeben sich weder Bedenken der in den §§ 125, 126 StPO angeführten Art, noch Umstände, welche die Erstellung von Befunden und Gutachten schwierig erscheinen lassen, so zieht die Ablehnung eines auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen abzielenden Beweisantrages keine Urteilsnichtigkeit im Sinne der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO nach sich

(vgl Mayerhofer-Rieder2, ENr 133 zu § 281 Abs. 1 Z 4 StPO). Die Erwägungen, aus welchen das Jugendschöffengericht die Eignung des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Klaus Jarosch auch für jugendpsychiatrische Begutachtungen uneingeschränkt bejaht hat, werden in den Urteilsgründen in unbedenklicher Weise dargelegt (vgl Band III, S 57 d.A). Den Beschwerdeausführungen zuwider ergeben sich auch keine Widersprüche und Mängel in bezug auf die vom genannten Sachverständigen gezogenen - nicht bloß auf allgemeinen Überlegungen basierenden, sondern konkret auf den psychischen Zustand des jugendlichen Angeklagten abstellenden und auch durchaus nachvollziehbaren - Schlüsse, wonach bei Hans Jürgen B*** infolge seiner verzögerten Reife die Hemmfähigkeit zwar erheblich vermindert, die Willenskontrolle aber nicht vollständig ausgeschaltet und mithin seine Dispositionsfähigkeit zur Tatzeit nicht aufgehoben gewesen ist. "Schwierig" im Sinne des § 118 Abs. 2 StPO sind Beobachtung oder Begutachtung nur dann, wenn ein Sachverständiger die ihm vorgelegten Sachfragen nicht oder nicht mit Bestimmtheit zu beantworten vermag und die Möglichkeit einer Beantwortung durch andere Gutachter sich nicht von vornherein ausschließen läßt (vgl ÖJZ-LSK 1979/370 ua). Konkrete Umstände, welche besondere Schwierigkeiten im dargelegten Sinn indizieren würden und demgemäß eine Kontrolle des Gutachtens durch Hinzuziehung eines zweiten Sachverständigen angezeigt erscheinen ließen, sind weder vom Beschwerdeführer vorgebracht worden, noch sonst im Verfahren hervorgekommen. Auch insoweit schlägt daher die Verfahrensrüge nicht durch.

Als rechtlich verfehlt (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO) rügt der Beschwerdeführer den Ausspruch des Gerichtes, wonach bei ihm weder die Voraussetzungen des § 11 StGB noch jene des § 10 JGG gegeben sind, mit der Begründung, seine Dispositionsfähigkeit sei zur Tatzeit wegen sozialer und psychischer Unreife beeinträchtigt gewesen. Hiebei übersieht der Beschwerdeführer jedoch, daß sowohl bei Geisteskrankheit, Schwachsinn, tiefgreifender Bewußtseinsstörung oder anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störungen als auch bei verzögerter Reife die Schuld des Täters nur dann ausgeschlossen ist, wenn ihm dadurch die Fähigkeit, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, mangelt. Eine bloße Minderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit reicht hingegen zu einem Schuldausschluß nicht aus. In bezug auf die Taten des Angeklagten ist keiner der im § 11 StGB bezeichneten Zustände indiziert gewesen. Gestützt auf das Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Klaus J*** ist das Erstgericht anderseits davon ausgegangen, daß beim jugendlichen Angeklagten zur Tatzeit eine psychische und soziale Unreife vorlag, welche seine Entwicklung abweichend von der Norm ungünstig beeinflußt hat, aber keinen solchen Grad erreichte, daß dadurch das biologische Schuldelement ausgeschlossen worden wäre; da in der Tat keine abrupte Impulshandlung, sondern ein lang vorausgeplantes und überlegtes Tun zu ersehen war, wurde bloß eine Beeinträchtigung der Dispositionsfähigkeit angenommen, welche das Steuerungs- und Hemmvermögen des Jugendlichen keinesfalls aufgehoben hat (vgl Band III, S 51 ff d.A). Entgegen dem Beschwerdevorbringen sind in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils demnach ohnedies hinreichende Feststellungen tatsächlicher Natur getroffen worden, auf Grund deren der Jugendschöffensenat die Fähigkeit des jugendlichen Angeklagten, nicht nur das Unrechtmäßige seines Handelns zu erkennen, sondern auch seine Triebe und Neigungen willensmäßig zu beherrschen, bejahen und in rechtlicher Hinsicht folgern konnte, daß der Angeklagte zur Tatzeit reif genug gewesen ist, um das Unrecht der ihm angelasteten Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Da dem Urteil sohin auch Nichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO nicht anhaftet, war die Beschwerde des Angeklagten zu verwerfen.

Aus Anlaß der Beschwerde war jedoch gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen, daß zu Unrecht die Anrechnung der von Hans Jürgen B*** in der Zeit vom 19.November 1986, 18,00 Uhr, bis 2. Dezember 1986, 10,45 Uhr, erlittenen Vorhaft (vgl Band I, S 3, 59, 195 d.A) auf die ausgesprochene Strafe unterblieben ist (§ 281 Abs. 1 Z 11 StPO). Das Urteil war deshalb dahin zu ergänzen, daß dem Angeklagten Hans Jürgen B*** diese Vorhaft gemäß § 38 Abs. 1 StGB auf die Strafe angerechnet wird.

Das Jugendschöffengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 169 Abs. 1, 28 Abs. 1 StGB und § 11 JGG eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht als mildernd den bisherigen ordentlichen Lebenswandel, das reumütige Geständnis, das Alter des Angeklagten von erst 15 1/2 Jahren, die schwierige Familiensituation und die seelische Abartigkeit von höherem Grad, als erschwerend die viermalige Brandstiftung.

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe, weil die seelische Abartigkeit von höherem Grad nicht auch die verminderte Zurechnungsfähigkeit umfasse und das Überwiegen der Milderungsgründe nicht ausreichend gewürdigt worden wäre.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die verminderte Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten ist eine Folge seiner seelischen Abartigkeit, die das Erstgericht erkannt und eingehend gewürdigt hat (Bd III S 51 f, 58). Mit Rücksicht auf die oftmalige Wiederholung der Tat und den hohen Schaden (über 2 Mio S) ist die (bedingt nachgesehene) Freiheitsstrafe von 18 Monaten trotz der ins Gewicht fallenden Milderungsgründe nicht überhöht. Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der angeführten Gesetzesstelle.

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