OGH 12Os76/87

OGH12Os76/876.8.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.August 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sailler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Naitseng C*** wegen des Vergehens des versuchten schweren Diebstahles nach §§ 15, 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 17.März 1987, GZ 5 b Vr 804/86-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Tschulik und des Verteidigers Dr. Peyrer-Heimstädt, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19.Februar 1971 geborene Schüler Naitseng C*** des Vergehens des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs 1, 128 Abs 1 Z 1 StGB, des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Dem Angeklagten liegt zur Last, am 17.Mai 1986 in Villach Christian L*** durch das Versetzen von Schlägen und Stößen vorsätzlich am Körper verletzt zu haben, wobei dieser eine Schädelprellung mit kurzer Bewußtlosigkeit, sowie einen Bluterguß und Abschürfungen am Hinterkopf erlitt (C/), sodann dadurch, daß er dem bewußtlos auf dem Boden liegenden Christian L*** eine Brieftasche mit mehreren hundert Schilling aus der Gesäßtasche nahm und sich damit entfernen wollte, versucht zu haben, dem Genannten unter Ausnützung eines Zustandes, der ihn hilflos machte, fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern (A/), und es vorsätzlich unterlassen zu haben, Christian L***, dessen Verletzung am Körper er verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten (B/).

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte Naitseng C*** mit einer auf die Gründe der Z 5, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Mängelrüge (Z 5) bekämpft die Urteilsannahme, mit der Schädelprellung, die Christian L*** durch die Schläge und Stöße des Angeklagten erlitten habe, sei auch eine kurzzeitige Bewußtlosigkeit einhergegangen. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Zeugenaussage des Peter-Jürgen de C***, der den Eindruck gehabt habe, der am Boden liegende L*** sei zwar ziemlich betrunken, jedoch bei Bewußtsein gewesen, sowie auf die in der Hauptverhandlung verlesene Krankengeschichte des Landeskrankenhauses Villach, nach der die ursprünglich auf Gehirnerschütterung lautende Diagnose auf Schädelprellung abgeändert worden sei, welche Beweismittel das Erstgericht nicht erörtert habe.

Damit bekämpft die Rüge aber keine entscheidende Tatsache, weil weder für die Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 1 StGB, noch für die Annahme einer Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 94 Abs 1 StGB wesentlich ist, daß die durch den Angeklagten verursachte Verletzung des Christian L*** zu dessen Bewußtlosigkeit geführt hat. Bedrängnisdiebstahl setzt nur voraus, daß der Bestohlene zur Tatzeit physisch oder psychisch außerstande oder doch schwer behindert ist, sich gegen diebische Angriffe zur Wehr zu setzen. Dies kann aber auch die Folge einer schweren Alkoholisierung sein (vgl. ÖJZ-LSK 1978/212). Aus diesem Grund ist es für die Deliktsqualifkation des § 128 Abs 1 Z 1 StGB nicht entscheidungsrelevant, ob Christian L*** bewußtlos im pathologischen Sinn gewesen ist oder ob, wie der Zeuge Peter-Jürgen de C*** meinte (vgl. S 87 dA) und auch der Angeklagte selbst angenommem haben will (vgl. S 69 dA), bei Christian L*** nur eine (auch) mit seiner Alkoholisierung zusammenhängende schwere Benommenheit bestanden hat, die ihn außerstande setzte, seine Brieftasche wirksam vor dem Zugriff des Angeklagten zu schützen. Der Tatbestand des § 94 Abs 1 StGB hinwieder setzt objektiv voraus, daß das Opfer hilfsbedürftig ist, wobei eine Verletzung am Körper in der Regel die (objektive) Hilfsbedürftigkeit des Opfers indiziert (SSt. 55/61). Eine Hilfsbedürftigkeit im Sinne dieses Tatbestandes war objektiv gegeben und für den Täter erkennbar, weil das zu Boden gegangene Tatopfer sich nicht mehr zu erheben vermochte, unansprechbar war und sich ohne Gegenwehr die Brieftasche wegnehmen ließ. Es liegt auf der Hand, daß der Verursacher der Verletzung in einem solchen Fall alle Vorkehrungen zu treffen hatte, damit dem Verletzten alsbald ärztliche Hilfe zuteil wird. Daraus folgt aber, daß das Schöffengericht in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen ist, der Angeklagte C*** habe seiner Hilfeleistungspflicht gegenüber dem hilfebedürftigen Christian L*** - objektiv betrachtet - nicht entsprochen.

Hinsichtlich des Tatbestandes des Imstichlassens eines Verletzten vermißt der Beschwerdeführer aber auch zu Unrecht Feststellungen zur inneren Tatseite (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO):

Hat doch das Erstgericht der Verantwortung des Angeklagten Naitseng C***, die Hilfebedürftigkeit des Verletzten nicht erkannt zu haben, keinen Glauben geschenkt, diese Verantwortung vielmehr auf Grund der Verfahrensergebnisse für widerlegt erachtet und dem Angeklagten folglich unterstellt, indem er sich um den am Boden liegenden Verletzten nicht mehr weiter kümmerte und sich vom Tatort entfernte (vgl. S 95, 97 dA), eine Hilfeleistung vorsätzlich unterlassen zu haben (SSt. 55/61).

In Ansehung des Urteilsfaktums A/ macht der Beschwerdeführer strafaufhebenden Rücktritt vom Versuch geltend. Soweit er in diesem Zusammenhang auf seine vom Erstgericht abgelehnte Verantwortung zurückgreift, die Brieftasche des Christian L*** nur herausgenommen zu haben, um (ohne sich vom Tatort entfernen zu wollen) nach einem Ausweis zu suchen und die Identität des Verletzten festzustellen, die gegenteilige, ein Handeln mit Diebstahlsvorsatz bejahende Urteilsannahme aber negiert, bringt er den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Geht man jedoch von den getroffenen Tatsachenfeststellungen aus, so kommt dem Angeklagten mangels Freiwilligkeit seines Rücktritts vom Versuch Straflosigkeit nicht zustatten. § 16 Abs 1 StGB greift nämlich nur dann Platz, wenn der Täter aus eigenem Antrieb auf Grund innerer Erwägungen (deren Motiv nicht wesentlich ist) von der Ausführung der Tat im Bewußtsein Abstand nimmt, er könne die Tat wohl noch vollenden, wolle dies aber nicht mehr. Zwar können äußerer Anlaß für eine solche innere Umkehr des Täters auch Aufforderungen sowie Zureden seitens des Tatopfers oder Dritter sein, doch wird der Versuch jedenfalls dann nicht straflos, wenn der Dieb sich ertappt fühlt und die Beute nur deshalb widerstandslos hergibt, weil er sich außerstande sieht, die Tat noch in der geplanten Form zu vollenden und das Diebsgut doch noch in seinen ausschließlichen Gewahrsam zu bringen (vgl. ÖJZ-LSK 1978/325; 9 Os 66/83 ua). Wenn der Angeklagte Naitseng C*** von Manfred O*** bei der Tat beobachtet, von letzterem ca. 8 bis 10 m vom Tatort entfernt mit der Brieftasche in der Hand (mithin noch vor Vollendung des Gewahrsamsbruches) betreten und durch dessen wiederholte Aufforderung dazu veranlaßt worden ist, die Diebsbeute herauszugeben, indem er sie in Richtung des auf dem Boden liegenden Christian L*** warf, so ist eine Tatvollendung nur deshalb unterblieben, weil der Angeklagte sich wegen der gegebenen äußeren Umstände bereits für entdeckt hielt. In einem solchen Fall kann aber keinesfalls noch davon gesprochen werden, daß beim Täter die Vorstellung erhalten geblieben wäre, eine dem Tatplan entsprechende Vollendung der Tat wäre noch möglich; dies umsoweniger, als der Angeklagte unmittelbar nach der Tat dem einschreitenden Polizeibeamten gegenüber die Wegnahme der Sache in einer strafrechtlich unverfänglichen Weise zu erklären versuchte (vgl. S 15 dA).

Feststellungsmängel im Sinne der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO vermag der Beschwerdeführer auch nicht in bezug auf den Schuldspruch wegen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (C/) in gesetzmäßiger Weise aufzuzeigen. Nach Überzeugung des Schöffengerichtes sind der Angeklagte und Christian L*** nämlich in einer für eine Rauferei charakteristischen Weise gegeneinander tätlich vorgegangen (vgl. S 94 dA). Der Versuch des Angeklagten, die Zufügung der Verletzung des Christian L*** als Notwehrhandlung darzustellen, ist vom Schöffengericht demgegenüber als Schutzbehauptung gewertet worden (vgl. S 96 dA), womit auch das Vorliegen einer Notwehrsituation verneint wurde. Mit seinen den Rechtsfertigungsgrund des § 3 Abs 1 StGB reklamierenden Beschwerdeausführungen hält der Angeklagte sohin nicht am Urteilssachverhalt fest.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Naitseng C*** war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 128 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 11 Z 1 JGG zu einem Monat Freiheitsstrafe, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Bei deren Bemessung war die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen verschiedener Art erschwerend, mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel, der Umstand, daß die Tat in einem Falle beim Versuch geblieben ist sowie daß die Tat längere Zeit zurückliegt und der Angeklagte sich seither wohlverhalten hat.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte einen vorläufigen Aufschub des Ausspruchs der zu verhängenden Strafe nach § 13 JGG an, im Eventualfall eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe. Die Berufung ist zur Gänze nicht berechtigt.

Auch wenn zugunsten des Berufungswerbers anzunehmen ist, daß er durch den später verletzten Christian L*** zu dieser Tätlichkeit provoziert wurde, so ist doch im Hinblick auf das dem Raufhandel nachfolgende strafbare Verhalten des Angeklagten, das einen nicht unerheblichen Schuld- und Unrechtsgehalt enthält, nicht anzunehmen, daß der Schuldspruch allein (oder in Verbindung mit den im § 13 JGG angeführten Maßnahmen) genügen werde, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, sodaß es des Ausspruches der Strafe aus spezialpräventiven Gründen bedurfte. Nach der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Berufungswerbers (§ 32 StGB) hat das Schöffengericht die über ihn verhängte Freiheitsstrafe nicht zu hoch bemessen, sodaß auch eine Herabsetzung der Strafe nicht gerechtfertigt ist.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

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