OGH 4Ob538/87

OGH4Ob538/8730.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Schlosser, Dr. Petrag und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** G***, Wien 10, Wienerbergstraße 15-19, vertreten

durch Dr. Robert Amhof und Dr. Heinz Damian, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Gerald G***, Geschäftsführer, Bruck a.d. Leitha, Pachfurtherstraße 2/6/20, vertreten durch Dr. Ernst Biel, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 423.884,51 sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 26.August 1986, GZ 12 R 153/86-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 7.März 1986, GZ 39 Cg 96/85-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.171,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 1.288,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte war seit 17.10.1980 im Handelsregister als Geschäftsführer der H*** GesmbH (später unbenannt in BAU- und K*** GesmbH, im folgenden kurz: GesmbH)

eingetragen. Über das Vermögen dieser Gesellschaft wurde am 3.3.1983 der Konkurs eröffnet. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19.10.1984, 6 c E Vr 9267/83, Hv 3572/84, wurde der Beklagte schuldig erkannt, als Geschäftsführer dieser Gesellschaft bis Juni 1981 fahrlässig deren Zahlungsunfähigkeit als Schuldnerin mehrerer Gläubiger dadurch herbeigeführt zu haben, daß er den Betrieb dieser Gesellschaft mit unzulänglichem Eigenkapital aufnahm, unverhältnismäßig Kredite benützte und überhöhte Entnahmen tätigte, sowie im Zeitraum von Juni 1981 bis 3.3.1983 in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Befriedigung der Gläubiger dieser Gesellschaft dadurch vereitelte oder schmälerte, daß er Schulden in der Höhe von S 8,397.298,67 beglich, neue Schulden in der Höhe von S 9,671.462,- einging, die Eröffnung des Konkurses nicht rechtzeitig beantragte und ab 1980 die Geschäftsbücher der Gesellschaft verfälschte und Belege beiseiteschaffte. Er wurde deshalb wegen Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 3 StGB verurteilt. Von der Anklage nach § 114 ASVG (Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung) wurde er freigesprochen.

Für die Zeit vom Februar 1982 bis Jänner 1983 hat die genannte Gesellschaft der klagenden Partei geschuldete Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von S 423.884,51 nicht gezahlt.

Die klagende Partei begehrt die Zahlung dieses Betrages vom Beklagten mit der Begründung, daß er Schutzgesetze (§ 1311 ABGB) zugunsten der Gläubiger, nämlich § 159 Abs 1 Z 2 StGB und § 85 GmbHG, verletzt habe und daher aus dem Titel des Schadenersatzes für die Beitragsrückstände der GesmbH pesönlich hafte. Die GesmbH habe trotz Kenntnis des Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit den Konkurs nicht rechtzeitig angemeldet, sei neue Schulden eingegangen und habe insbesondere weiterhin Dienstnehmer beschäftigt, wodurch die Beitragsforderungen der klagenden Partei entstanden seien. Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und wendet ein, die klagende Partei habe innerhalb des "klagegegenständlichen Zeitraums" (gemeint Februar 1982 bis Jänner 1983) an die versicherten Dienstnehmer keine Leistungen erbracht. Der Beklagte habe der klagenden Partei zeitgerecht mitgeteilt, daß er die Beitragsrückstände nicht abdecken könne, da er über das Konto der GesmbH nicht verfügungsberechtigt sei; er habe die klagende Partei aufgefordert, die Beitragsrückstände durch Pfändung einzutreiben, wodurch zu dieser Zeit der Rückstand zur Gänze abgedeckt worden wäre.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der Beklagte war zwar de jure Geschäftsführer der GesmbH doch führte tatsächlich Hannes H***, der dem Kläger mit Abtretungsvertrag vom 6.10.1980 sämtliche Gesellschaftsanteile übertragen hatte, weil er vermögenslos erscheinen wollte, die Geschäfte. Der Beklagte tat dies aus Gefälligkeit.

Die GesmbH wurde spätestens Ende 1980 zahlungsunfähig; dies hätte dem Beklagten auf Grund verschiedener Anzeichen spätestens bis 30.6.1981 bekannt sein müssen. Tatsächlich war ihm das Ergebnis der Bilanz 1980, die einen Verlust von S 269.716,-- und eine Überschuldung von S 276.158 aufwies, zum Jahresende 1981 bekannt. Das Insolvenzverfahren hätte rechtzeitig Anfang Juli 1981 beantragt werden müssen. Trotz Erkennbarkeit der Insolvenz wurden aber die Geschäfte wie bisher weitergeführt, Verbindlichkeiten im Ausmaß von S 9,671.462 neu begründet und solche in der Höhe von S 8,397.298,67 beglichen. Der Beklagte forderte Hannes H*** am 30.8.1982 auf, (nur noch) die laufenden Arbeiten durchzuführen und abzurechnen sowie über ein bestimmtes Konto nur noch Lohn- und Materialzahlungen zu tätigen. Damit "zog sich der Beklagte aus der GesmbH zurück". Er forderte in der Folge Hannes H*** auf, die Arbeiter und Angestellten termingerecht zu kündigen und in erster Linie Verbindlichkeiten bei der Krankenkasse und beim Finanzamt abzudecken. Die GesmbH beschäftigte aber weiterhin Dienstnehmer und zahlte die Beiträge an die klagende Partei nicht.

Am 8.2.1983 sprach der Beklagte bei Inspektor H*** von der klagenden Partei vor und teilte mit, daß er über das Bankkonto der GesmbH nicht zeichnungsberechtigt sei; er schilderte wie seine Geschäftsführertätigkeit ablaufe, sagte, daß er das Unternehmen Hannes H*** habe zurückgeben wollen, womit dieser jedoch nicht einverstanden gewesen sei. Das Erstgericht nahm "als möglich" (aber nicht erwiesen) an, daß der Beklagte bei diesem Gespräch die klagende Partei auch aufforderte, durch Pfändungen Beitragsrückstände einzutreiben.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der wegen fahrlässiger Krida rechtskräftig verurteilte Beklagte wegen Verletzung dieser Schutzgesetze für die dadurch verursachten Beitragsrückstände hafte. Eine Vereinbarung, wonach der Geschäftsführer von jeglicher Mitwirkung an der Geschäftsführung ausgeschlossen sei, sei unwirksam. Die Aufforderung des Beklagten an Hannes H***, die Beitragsrückstände abzudecken, befreie ihn nicht von der Schadenersatzhaftung gegenüber der klagenden Partei, weil er nicht rechtzeitig den Konkurs der Gesellschaft angemeldet habe. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, daß er sich am 30.8.1982 "aus der Gesellschaft zurückgezogen" habe, weil im Strafurteil rechtskräftig festgestellt worden sei, daß er als Geschäftsführer bis Juni 1981 die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft fahrlässig herbeigeführt habe und bis zur Konkurseröffnung (3.3.1983) als Geschäftsführer die Befriedigung der Gläubiger vereitelt oder geschmälert habe. Der Beklagte wäre als Geschäftsführer verpflichtet gewesen, die Geschäftsführung zu überwachen.

Es sei gesicherte Rechtsprechung, daß Gläubiger einer GesmbH, die für ihre Forderungen im Vermögen der Gesellschaft keine oder keine ausreichende Deckung gefunden haben, den Geschäftsführer der Gesellschaft nach den allgemeinen Grundsätzen des ABGB unmittelbar auf Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen könnten, der ihnen von dem organschaftlichen Vertreter durch eine eigene schuldhafte Verletzung eines Gesetzes, das gerade den Schutz der Gesellschaftsgläubiger bezwecke, verursacht worden sei. Die strafrechtlichen Bestimmungen über die fahrlässige Krida seien ein solches Schutzgesetz, dessen Zweck auch der Schutz der neuen Gläubiger sei.

Daß diese Schutzgesetzverletzung für den Schadenseintritt im Einzelfall doch nicht kausal gewesen sei, etwa weil der Schaden auch sonst eingetreten wäre, habe der Beklagte nicht behauptet. Darauf, ob der Sozialversicherungsträger im fraglichen Zeitraum Leistungen an die Versicherten erbracht habe, komme es nicht an; seine Leistung bestehe schon darin, daß er die Dienstnehmer versichert halte. Der Beklagte erhebt gegen das Urteil des Berufungsgerichtes Revision wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil iS der Klagebabweisung abzuändern oder es aufzuheben. Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Auch die Rechtsrüge, die der Beklagte zunächst darauf stützt, daß die klagende Partei ihre Schadensminderungspflicht verletzt habe, versagt. Zu dieser Frage hat der Beklagte nur vorgebracht, daß er die klagende Partei (zeitgerecht) aufgefordert habe, die Beitragsrückstände durch Pfändung des Kontos der Gesellschaft einzubringen, da er über dieses Konto nicht verfügungsberechtigt sei. Zu diesem Beweisthema beantragte der Revisionswerber die Vernehmung des Zeugen H***.

Das Erstgericht begründete im Rahmen seiner Beweiswürdigung eingehend, daß die "zeitgerechte" Vorsprache des Beklagten bei der klagenden Partei erst am 8.2.1983 war. Da dem Beklagten geglaubt werden könne, was er der Gebietskrankenkasse damals bekanntgegeben habe, erübrige sich die Vernehmung des Zeugen H***. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß die Aufforderung des Beklagten, die Konten der Gesellschaft zu pfänden, kein Beweis dafür sei, daß er sich bemüht habe, den Schaden abzuwenden. Einen Monat vor der Konkurseröffnung sei eine Aufforderung an die klagende Partei, Exekution zu führen, sinnlos gewesen. Eine nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geführte Exekution hätte keinen Erfolg mehr gebracht.

Selbst wenn also der Beklagte die klagende Partei am 8.2.1983 aufgefordert haben sollte, bestimmte (konkret bezeichnete) Forderungen der Gesellschaft zu pfänden (was das Erstgericht nur als möglich, aber nicht erwiesen annahm), konnte die klagende Partei damals im Hinblick auf die finanzielle Situation der Gesellschaft eine anfechtungsfeste Befriedigung wegen der entgegenstehenden Bestimmung des § 31 Abs 1 Z 2 KO nicht mehr erlangen, so daß der - im übrigen in der Berufung nicht mehr geltend gemachte - Einwand der Verletzung der Rettungspflicht durch die beklagte Partei ins Leere geht. Es liegt daher auch kein - der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zuzuordnender - Mangel der Prozeßstoffsammlung vor.

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, liegt der Schaden der klagenden Partei darin, daß sie Sozialversicherungsbeiträge, die ihr dafür gebühren, daß sie die Dienstnehmer der Gesellschaft sozialversichert hielt, nicht hereinbringen konnte. Dieser Schaden ist unabhängig davon entstanden, ob und in welcher Höhe die klagende Partei an Dienstnehmer der Gesellschaft für den fraglichen Zeitraum Versicherungsleistungen zu erbringen hatte. Die Behauptung der Revision, für die offenen Sozialversicherungsbeiträge sei im Vermögen der Gesellschaft ausreichend Deckung vorhanden gewesen, ist neu und zudem aktenwidrig.

Zur Frage der Haftung des Geschäftsführers der GesmbH für Gesellschaftsschulden infolge Verletzung von Schutzgesetzen nimmt die Revision nicht mehr Stellung, so daß insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der zweiten Instanz verwiesen werden kann. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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