European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00029.87.0630.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Am 19. April 1983 gegen 23:05 Uhr lenkte Maurizio F* den der Klägerin gehörigen LKW mit dem polizeilichen Kennzeichen TN * auf der Tauern-Autobahn in Richtung Salzburg. Dabei fuhr er auf den LKW, pol. KZ O *, der vom Zweitbeklagten gelenkt wurde, und auf das vom Drittbeklagten gelenkte Sattelkraftfahrzeug, pol. KZ O *, auf. Diese beiden Fahrzeuge gehörten der Erstbeklagten. Die Viertbeklagte war im Unfallszeitpunkt der Haftpflichtversicherer der den Schleppzug bildenden Fahrzeuge.
Die Klägerin begehrte von den Beklagten an Schadenersatz die Bezahlung von S 102.943,92 s.A. Der Lenker ihres Fahrzeuges sei auf den Schleppzug aufgefahren, weil dieser nicht ordnungsgemäß beleuchtet und der Abschleppvorgang sei auch nicht entsprechend gekennzeichnet gewesen. Überdies seien die beiden LKW mit einer so geringen Geschwindigkeit gefahren, daß der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin damit nicht habe rechnen können. Die beiden Lenker des Schleppzuges hätten nicht die nächstliegende Abfahrt der Autobahn benützt. Es habe auch nicht der gesetzlich vorgeschriebene Gewichtsunterschied zwischen Schleppfahrzeug und geschlepptem Fahrzeug bestanden.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin habe durch das Einhalten einer überhöhten Geschwindigkeit und durch grobe Unaufmerksamkeit den Unfall allein verschuldet. Der Schleppzug sei ordnungsgemäß beleuchtet gewesen. Der Umstand, daß die beiden Lenker des Schleppzuges nicht die nächstliegende Autobahnabfahrt benützten, sei für das Unfallsgeschehen nicht kausal gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:
Zur Unfallszeit schleppte der Zweitbeklagte das vom Drittbeklagten gelenkte und infolge eines Getriebeschadens nicht mehr fahrbereite Sattelkraftfahrzeug mittels Schleppstange auf der A 10 in Richtung Salzburg ab. Die Fahrbahn war zum Unfallszeitpunkt trocken. Witterungsbedingte Sichtbehinderungen lagen nicht vor. Der Schleppzug bewegte sich auf der rechten Fahrspur bei ebener Fahrbahn mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h. Der Zweit- und der Drittbeklagte verließen die Autobahn bei diesem Abschleppvorgang nicht über die erste Ausfahrt, weil sie der Meinung waren, daß die in Frage kommenden Ausfahrten Eben und Pfarrwerfen von ihrer Beschaffenheit her nicht für eine Abfahrt geeignet wären. Auf der hinteren Stoßstange des abgeschleppten Fahrzeuges waren vorschriftsmäßig Rückleuchten angebracht. Ebenso waren die rückstrahlenden Dreiecke vorhanden. Zum Unfallszeitpunkt strahlten am abgeschleppten Sattelfahrzeug sowohl die Rückleuchten als auch die kleinen Begrenzungslichter Licht aus. Auf der rückwärtigen Seite des abgeschleppten Sattelfahrzeuges war auf der dort angebrachten Leiter in Kopfhöhe ein Pannendreieck angebracht.
Der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin stieß, nachdem er vorher einige Fahrzeuge überholt hatte, bei Kilometer 34.600 mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h ohne zu bremsen gegen den vor ihm fahrenden und eine Geschwindigkeit von ca. 50 km/h einhaltenden Schleppzug. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt. Da die Scheinwerfer aufgeblendet waren, hätte der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin die Rückstrahler des Schleppzuges aus einer Entfernung von mindestens 100 bis 150 m erkennen können. Eine Verhinderung der Kollision wäre für ihn durch "Ausweichen" wie auch mit einer Geschwindigkeitsangleichung durch leichtes Abbremsen aus technischer Sicht möglich gewesen.
Sowohl die Autobahn-Abfahrt Eben als auch jene von Pfarrwerfen wären für den Schleppzug zur Abfahrt geeignet gewesen.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Zweit- und Drittbeklagte zwar § 46 Abs 3 StVO, der eine Schutznorm darstelle, verletzten; dieser Verstoß stehe aber in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem Unfallsgeschehen. Die gleichen Überlegungen träfen auch für einen allenfalls vorhandenen Gewichtsunterschied zwischen Schlepp- und abgeschlepptem Fahrzeug und für die Überschreitung der für Abschleppvorgänge angeordneten Geschwindigkeit von 30 km/h zu, weil der Schutzzweck dieser Normen ein anderer sei. Das Alleinverschulden am Unfallsgeschehen treffe den Lenker des Fahrzeuges der Klägerin, der mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und überdies durch Unaufmerksamkeit auf den Schleppzug aufgeprallt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, die die Abweisung des Betrages von S 31.314,64 s.A. ausdrücklich unbekämpft und damit in Rechtskraft erwachsen ließ, Folge, hob das "angefochtene Urteil" also im Umfang der Anfechtung von S 68.629,28 s. A. auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es fügte seiner Entscheidung einen Rechtskraftvorbehalt an, weil zum Schutzzweck des § 46 Abs 3 ZPO noch keine oberstgerichtliche Judikatur bestehe. Im Gegensatz zur Ansicht des Erstgerichtes beziehe sich der Schutzzweck dieser Bestimmung auf die Bewegungsabläufe auf Autobahnen in einem weiteren Sinn. Insbesondere solle dadurch ein Auffahren, Auslenken oder Bremsen anderer Fahrzeuge hintangehalten werden. Unter diesem Gesichtspunkt müsse daher dem Zweit- und dem Drittbeklagten insoweit ein Verschulden am Unfall angelastet werden, als sie die durch den Schleppzug benützbaren Autobahnabfahrten Eben und Pfarrwerfen nicht benützten. Ein Verstoß nach § 20 Abs 2 StVO oder § 105 Abs 2 KFG könne dem Zweit- und Drittbeklagten aber nicht angelastet werden. Der Umstand, daß der Schleppzug mit 50 km/h anstatt mit 30 km/h fuhr, habe auf das Unfallsgeschehen keinen Einfluß gehabt, weil der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin den Schleppzug vor dem Anprall überhaupt nicht wahrgenommen hat. Er wäre in gleicher Art und Weise auf den Schleppzug aufgefahren, wenn dieser anstatt einer Geschwindigkeit von 50 km/h eine solche von 30 km/h eingehalten hätte. Daß beim Schleppzug das Gesamtgewicht des Zugfahrzeuges nicht wesentlich höher war als jenes des geschleppten Sattelfahrzeuges (§ 105 Abs 2 KFG), sei irrelevant, weil der Schutzzweck dieser Norm offenkundig der Sicherheit des Schleppzuges und nicht der Verhinderung eines Auffahrens durch andere Straßenbenützer dient. Bei der Gegenüberstellung des Verschuldens überwiege jenes des Lenkers des Fahrzeuges der Klägerin im Verhältnis 3 : 1.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß unter Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, wobei die Bekämpfung nach dem ausdrücklich angeführten Anfechtungsinteresse (nur) die Aufhebung im Umfang der bisher nicht erledigten S 68.629,28 s.A. betrifft; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Die Beklagten stellen sich in ihrem Rechtsmittel auf den Standpunkt, daß die Unaufmerksamkeit des Lenkers des Fahrzeuges der Klägerin derart groß war, daß der Unfall mit jedem anderem vor ihm fahrenden Fahrzeug auch passiert wäre. Der Schutzzweck des § 46 Abs 3 StVO erstrecke sich daher nicht auf einen Fall wie diesen.
Dem ist zu erwidern:
Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (vgl. Brunner, Die Zurechnung der Schadenersatzpflicht bei Verletzung eines "Schutzgesetzes" gemäß § 1311 ABGB, ÖJZ 1972, 116; Müller, Straßenverkehrsrecht22, Bd. I, 450; Soergel-Siebert, FN 334 zu § 823 Abs 2 BGB). Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung haftet jemand, der ein Schutzgesetz übertritt, nur für jene Schäden, die die Schutznorm verhüten wollte (vgl. Brunner aaO 117; Wolff in Klang VI 83; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz 172; ZVR 1976/64; ZVR 1972/64; ZVR 1966/244 ua.). Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (8 Ob 76/81; 8 Ob 131/73; 8 Ob 192/83 = RdW 1985/340 ua.). Wie weit der Normenzweck (Rechtswidrigkeitszusammenhang) reicht, ist Auslegungsfrage im Einzelfall (Koziol-Welser, Bürgerliches Recht6 339).
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Schutzzweck des § 46 Abs 3 StVO auf die Bewegungsabläufe auf der Autobahn in einem weit gefaßten Sinn abgestellt ist. Insbesondere soll ein Auffahren, Auslenken, Bremsen usw. überhaupt jede Behinderung des Verkehrs, der auf Autobahnen durch die Ermöglichung hoher Geschwindigkeiten gekennzeichnet ist, hintangehalten werden (RdW 1985/340). Wenn daher § 46 Abs 3 StVO in seinem letzten Satz anordnet, daß ein Fahrzeug, das wegen eines Gebrechens seine Fahrt auf der Autobahn nicht fortsetzen kann, "unverzüglich über die nächste Abfahrtsstraße von der Autobahn zu entfernen" ist, so kann der Zweck dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall bezogen nur dahin verstanden werden, daß ein Abschleppvorgang auf der für die Einhaltung hoher Geschwindigkeiten vorgesehenen und daher für relativ langsame Abschleppvorgänge besonders gefährlichen Autobahn nur so lange dauern darf, wie dies unbedingt erforderlich ist, um das fahruntaugliche Fahrzeug von der Autobahn zu schaffen. Diesem Gebot haben beide dabei zusammenwirkende Kraftfahrzeuglenker nicht entsprochen; sie fuhren vielmehr in unfallsträchtiger Weise auf der Autobahn mit ihren als Abschleppzug zusammengekoppelten LKW weiter, obwohl sie schon zweimal die Gelegenheit gehabt hätten, die Autobahn zu verlassen. Sie handelten demgemäß der Schutzvorschrift des § 46 Abs 3 StVO zuwider.
Den Beklagten kann nicht zugutegehalten werden, daß sie der irrigen Meinung waren, die Ausfahrten Eben und Pfarrwerfen seien von "ihrer Beschaffenheit her" nicht für eine Abfahrt geeignet. Nach ständiger Rechtsprechung hat nämlich der Übertreter einer Schutzvorschrift seine Schuldlosigkeit an der Übertretung der Schutznorm zu beweisen (ZVR 1965/195; SZ 51/109; ZVR 1984/45 uza.). Einen solchen Beweis haben die Beklagten indes nicht erbracht; für ihre unrichtige Annahme besteht vielmehr kein Anhaltspunkt. Gemäß § 46 Abs 2 StVO darf von der Autobahn nur über die durch Hinweiszeichen gekennzeichneten Abfahrtsstraßen abgefahren werden. Daraus ergibt sich aber mangels gegenteiliger Anhaltspunkte, daß diese Abfahrtsstraßen auch tatsächlich für die Abfahrt von der Autobahn geeignet waren. Dies in Rechnung zu stellen, kann jedem Kraftfahrzeuglenker ohne weiteres zugemutet werden. Daß dem Lenker des Fahrzeuges der Klägerin eine schwerwiegende Unaufmerksamkeit zur Last liegt, weil er, ohne den vor ihm fahrenden Abschleppzug wahrzunehmen, in diesen hineinfuhr, begründet sein - hier entsprechend gravierend zu bewertendes - Verschulden; dieser Umstand kann aber den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verstoß der beiden vorschriftswidrig die Autobahn in weiterem Umfang als erlaubt zum Abschleppen benützenden Fahrzeuglenker und dem eingetretenen Schaden nicht beseitigen (2 Ob 62/82; 8 Ob 261/81; ZVR 1981/89; ZVR 1980/340; ZVR 1976/245 ua.).
Zutreffend ging das Berufungsgericht daher davon aus, daß den Zweit- und Drittbeklagten ebenfalls ein Verschulden am Unfall anzulasten ist, und maß dieses im Verhältnis 3 : 1 zu ihren Gunsten auch richtig aus. Die gegenteiligen Ausführungen der Beklagten im Rekurs sind nicht stichhältig.
Ihrem Rechtsmittel war daher der Erfolg zu versagen. Der Kostenausspruch beruht auf §§ 50, 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)