OGH 11Os57/87

OGH11Os57/879.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Juni 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Hon.Prof. Dr. Brustbauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sailler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Robert S*** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143, erster Fall, und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Robert S*** gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 6.April 1987, GZ 2 c Vr 1.439/86-59, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Rzeszut, und des Verteidigers Dr. Auer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Jugendlichen Robert S*** und Johann H*** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143, erster Fall, und 15 StGB (A und B) sowie des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach dem § 135 Abs. 1 StGB (D) und Robert S*** außerdem des Verbrechens der Verleumdung nach dem § 297 Abs. 1

"2. Fall" StGB (C) schuldig erkannt.

Robert S*** bekämpft dieses (im Fall des Mitangeklagten H*** rechtskräftige) Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5, 9 lit. a (der Sache nach auch 9 lit. b) und 10 des § 281 Abs. 1 StPO.

Als teils vollendeter, teils versuchter schwerer Raub liegt den beiden Angeklagten zur Last, am 6.Dezember 1986 in Wien in Gesellschaft des gesondert verfolgten Erwachsenen Peter P*** als Beteiligte (§ 12 StGB) mit Gewalt gegen eine Person mit dem Vorsatz, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, Bargeld a/ der Rosina F*** weggenommen zu haben, indem sie ihr nachliefen und Robert S*** ihr die Handtasche, in der sich ein Bargeldbetrag von 1.000,80 S befand, "gewaltsam entriß" (Faktum A), b/ unbekannt gebliebenen Frauen wegzunehmen versucht zu haben, indem sie nach vorangegangener Verabredung, eine Frau zu berauben, jeweils gemeinsam ein (ihnen geeignet scheinendes) Tatopfer aussuchten, worauf Johann H***, während Robert S*** und Peter P*** - in den zu B I bezeichneten Fällen in einem Auto - in der Nähe blieben,

I/ sich in zwei Fällen (Handtaschen tragenden) Frauen näherte, dann jedoch jeweils aus Furcht vor Entdeckung "mit der Vorstellung, eine dem Tatplan entsprechende Vollendung der Tat sei nicht möglich", von seinem weiteren Vorhaben Abstand nahm, II/ einer (dritten) Frau die Handtasche zu entreißen versuchte, "was jedoch fehlschlug, weil die Frau unmittelbar vorher die Handtasche von der einen Hand in die andere nahm",

III/ einer (vierten) Frau die Handtasche zu entreißen versuchte, "was jedoch fehlschlug, weil er daneben griff".

In der diesen Teil des Schuldspruchs betreffenden Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) bezeichnet der Angeklagte S*** die zum Faktum A getroffene Urteilsfeststellung, er habe Rosina F*** die von ihr "instinktiv" festgehaltene Handtasche (eine große Einkaufstasche) gewaltsam entrissen, und im Zusammenhang damit auch die Annahme seines auf (gleichartige) Beraubung der Opfer gerichteten Vorsatzes bei den (dieser Tat unmittelbar vorangegangenen) Versuchsfakten B I bis III als unvollständig und unzureichend begründet.

Rechtliche Beurteilung

Dabei gibt er allerdings sowohl die Aussage der Zeugin Rosina F*** als auch die darauf gegründeten Urteilsfeststellungen nur unvollständig wieder, denen zufolge Robert S*** an der Tasche derart kräftig angerissen hatte, daß Rosina F*** den Griff loslassen mußte, um nicht umgerissen zu werden, und noch einige Zeit nachher Schmerzen in den Fingern verspürte (S 306). Der sonach mängelfrei begründeten Feststellung des Einsatzes immerhin überlegener körperlichen Kraft zur Wegnahme der Tasche tut aber die (relativierende) Bemerkung des Angeklagten S***, "viel Kraft" habe er dazu nicht gebraucht und es habe "kein Gerangel" gegeben, sondern es sei "alles sehr schnell gegangen" (S 307), keinen Abbruch, weshalb sie hier unerörtert bleiben konnte. Die Mängelrüge versagt daher, und zwar auch zu den Versuchsfakten (B I bis III), denen selbst nach dem Beschwerdevorbringen ein auf gleichartige Sachwegnahme gerichteter Vorsatz zugrunde lag.

Als verfehlt erweisen sich auch die nominell die Versuchsfakten B I und II betreffenden, inhaltlich jedoch nur auf die beiden Teilfakten von B I ausgerichteten Rechtsrügen, es sei bei diesen räuberischen Angriffen noch zu keiner ausführungsnahen Handlung gekommen und die Tat daher noch nicht im Sinn des § 15 Abs. 2 StGB versucht gewesen (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO unter Vernachlässigung der dann in Betracht kommenden Strafbarkeit der vorausgegangenen Verabredung eines Raubes nach dem § 277 Abs. 1 StGB), oder aber es sei Rücktritt vom Versuch (§ 16 StGB) anzunehmen (der Sache nach § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO). Denn schon die Verfolgung des von den drei Tätern gemeinsam bestimmten jeweiligen Opfers durch einen von ihnen (H***) auf der Straße, um ihm tatplangemäß an geeigneter Stelle und im geeigneten Augenblick die Handtasche zu entreißen und sodann zu den in der Nähe gebliebenen Komplizen (P*** und S***) zurückzukehren, stellt eine unmittelbare, in zeitlicher und örtlicher Beziehung ausführungsnahe Vorstufe der Deliktsverwirklichung dar (SSt. 55/69 ua). Die Frage aber, ob ein Täter die entscheidende Hemmstufe vor der Tatbegehung schon überwunden hatte, ist nicht - wie die Beschwerde in bezug auf Johann H*** meint - nach subjektivem Erleben, sondern aus objektiver Sicht zu beurteilen (SSt. 52/40 ua) und für den Beschwerdeführer, der laut den Urteilsfeststellungen erwartete, daß der sich dem jeweiligen Opfer bereits nähernde Komplize sogleich die Handtasche entreißen werde, unbedenklich zu bejahen. Mit der Behauptung, Johann H*** habe den Tatentschluß in den zu B I behandelten Fällen freiwillig aufgegeben, ist der Beschwerdeführer auf den Urteilssachverhalt zu verweisen: Darnach hatte H*** diese beiden Angriffe nicht aus (allgemeiner) Furcht vor Entdeckung und Strafe aufgegeben, sondern weil er sich infolge der konkreten Befürchtung, entdeckt zu werden, auf Grund der gegebenen Situation außerstande fühlte, den Tatplan zu Ende zu führen; in einem solchen Fall fehlt es an der Freiwilligkeit des Rücktritts (abermals SSt. 52/40). Dazu kommt, daß die Rücktrittsmotivation des Johann H*** für die Strafbarkeit des Beschwerdeführers bedeutungslos ist, weil der von ihm reklamierte Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch nur für denjenigen Beteiligten wirkt, der selbst die Voraussetzungen hiefür (§ 16 StGB) unmittelbar erfüllt (Leukauf-Steininger StGB 2 § 16 RN 12). Ebenso versagt der Einwand (§ 281 Abs. 1 Z 10 StPO), sämtliche im Ersturteil als (vollendeter bzw. versuchter) Raub beurteilten Taten wären statt dessen dem Tatbestand des Diebstahls zu unterstellen, weil zur Wegnahme der Handtasche(n) in keinem Fall Gewalt gegen eine Person angewendet worden sei bzw. angewendet werden hätte sollen.

Denn wenn das überraschend angegriffene Opfer im Augenblick des Angriffs die Tasche festhält und der Täter sie ihm aus der Hand reißt - wie dies nach den Urteilsfeststellungen zum Faktum A bei Rosina F*** der Fall war, die unter der Einwirkung des Angriffs die Tasche loslassen mußte, um nicht umgerissen zu werden -, wird nicht bloß die Abwehrbereitschaft (des Opfers) durch die Plötzlichkeit und Schnelligkeit des Vorgangs ausgeschaltet, sondern ein bereits (wenn auch erst im letzten Moment) aktualisierter Widerstand überwunden. Darin ist eine zur Annahme von Gewalt gegen die Person im Sinn des § 142 Abs. 1 StGB ausreichende Kraftentfaltung zu ersehen, wozu im übrigen die präventive Ausschaltung eines derartigen vom Täter bloß vorausgesetzten Sachbehauptungswillens durch die Anwendung entsprechender körperlicher Kraft (und nicht bloß durch Ausnützung des Überraschungsmoments) genügen würde (Zipf WK § 142 Rz. 52; Kienapfel BT II § 142 RN 41 jeweils mit Judikaturnachweisen). Lag ein auf gleichartige Sachwegnahme gerichteter Vorsatz des Beschwerdeführers wie im Fall A auch seiner Beteiligung an den Versuchsfakten B I bis III zugrunde - was in der Beschwerdeschrift ausdrücklich zugestanden wird -, so erweist sich die übereinstimmende Beurteilung der Schuldspruchfakten A und B I bis III als (teils vollendeter und teils versuchter schwerer) Raub insgesamt als rechtlich einwandfrei. Das Vergehen der dauernden Sachentziehung nach dem § 135 Abs. 1 StGB (D) wird den beiden Angeklagten in diesem Zusammenhang hinsichtlich jener Handtasche samt Inhalt (mit Ausnahme des Bargeldes) angelastet, die sie der Rosina F*** gewaltsam (A) weggenommen und sodann nach Durchsuchung (bei der sie das darin befindliche Geld übersahen) weggeworfen hatten.

Unberechtigt ist zunächst der Vorwurf unvollständiger, unzureichender und widersprüchlicher Begründung (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) der Urteilsannahme eines sich auf Bargeld beschränkenden (Zueignungs- und) Bereicherungsvorsatzes der Angeklagten. Denn ihr eingestandener Vorsatz, der Frau "die Tasche" wegzunehmen, schließt keineswegs aus, daß sie - wie ihr weiteres Vorgehen mit der weggenommenen Tasche samt Inhalt deutlich macht - sich nur das (allenfalls) darin enthaltene Geld und nicht auch die Tasche selbst sowie deren sonstigen Inhalt zueignen (und sich daran bereichern) wollten.

Davon ausgehend haben die Angeklagten aber - der von Robert S*** insoweit auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO gestützten Rechtsrüge zuwider - die Preisgabe der vom Schuldspruch wegen Raubes (A) zutreffend nicht erfaßten Tasche samt Inhalt (ausgenommen Bargeld), auf die sich ihr Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz nicht erstreckt hatte, als dauernde Sachentziehung gesondert zu verantworten (Zipf WK § 142 Rz. 54; SSt. 55/69 [S 239] mit weiteren Nachweisen). Die vom Beschwerdeführer angestrebte Beurteilung des zuletzt genannten Delikts als (nicht gesondert strafbare) "Begleittat" zum Raub kommt mangels Typizität des Zusammenhangs und wegen des (immerhin doch) selbständig ins Gewicht fallenden Unrechtsgehaltes der dauernden Entziehung weiterer Sachen nicht in Betracht (vgl. zum Begriff der "Begleittat" Leukauf-Steininger StGB 2 § 28 RN 46, 47; SSt. 53/11).

Des Verbrechens der Verleumdung nach dem § 297 Abs. 1 "2. Fall" StGB (richtig: höherer Strafsatz - SSt. 55/16) wurde Robert S*** schuldig erkannt (C), weil er bei seiner polizeilichen Einvernahme am 7.Dezember 1986 andere wissentlich falsch des Verbrechens des Raubes verdächtigt hatte, nämlich (I) seinen Bruder Günther S***, gemeinsam mit ihm im Juli oder August 1984 versucht zu haben, einer alten Frau eine Handtasche zu entreißen, und (II) Leon S***, gemeinsam mit ihm im September 1985 einer alten Frau eine Handtasche entrissen und etwa 500 S Bargeld erbeutet zu haben, wobei er laut den Urteilsannahmen bei diesen Falschbezichtigungen "zumindest in Kauf genommen" hatte, daß die von ihm Verdächtigten in die Gefahr einer behördlichen Verfolgung kamen.

Dagegen wendet der Beschwerdeführer zunächst ein (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO), Verleumdung seines Bruders Günther S*** (C 1) könne ihm schon deshalb nicht angelastet werden, weil diese Person - am 19.Februar 1972 geboren (S 107) - im Zeitpunkt der angedichteten Straftat (Juli oder August 1984) noch strafunmündig war (§ 9 JGG). Dieser (von Foregger-Serini StGB 3 in Erl. III zu § 297 vertretenen) Rechtsansicht kann indes nicht gefolgt werden, weil als behördliche Verfolgung im Sinn des § 297 StGB auch strafgerichtlich angeordnete Erziehungsmaßnahmen in Betracht kommen, die wegen strafbedrohter Handlungen eines Unmündigen getroffen werden können (§ 2 JGG; Leukauf-Steininger StGB 2 § 297 RN 17). Dem weiteren, beide Verleumdungsvorwürfe (C I und II) treffenden Beschwerdeeinwand zuwider ändert es nichts an der Verwirklichung des Tatbestands nach dem § 297 Abs. 1 StGB, wenn der Täter mit dem anderen zugleich auch sich selbst derselben mit Strafe bedrohten Handlung falsch verdächtigt.

Aber auch das (undifferenziert) auf Z 5 und Z 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Beschwerdevorbringen, mit welchem die Annahme bekämpft wird, daß die Gefährdung der Verdächtigten vom (zumindest bedingten) Vorsatz des Angeklagten S*** umfaßt gewesen war, schlägt nicht durch.

Die vorgebrachte Motivation, durch (die inkriminierten Falschbezichtigungen umfassende) Geständnisbereitschaft die Entlassung aus der polizeilichen Verwahrungshaft zu erreichen, schließt die Annahme eines Gefährdungsvorsatzes im Sinn des § 297 Abs. 1 StGB nicht aus. Dessen Feststellung aber ist dem keineswegs - wie die Beschwerde meint - bloß als "Leerformel" aufzufassenden Urteilsspruch, der Angeklagte Robert S*** habe die Gefahr einer behördlichen Verfolgung der von ihm falsch Verdächtigten "zumindest in Kauf genommen", worin die Willenskomponente des bedingten Vorsatzes hinreichend umschrieben wird, deutlich genug zu entnehmen.

Da sich die Nichtigkeitsbeschwerde demnach in keinem Punkt als stichhältig erweist, war sie zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über Robert S*** nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Anwendung der §§ 41 StGB und 11 Z 1 JGG 1961 sowie unter Bedachtnahme auf § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von elf Monaten.

Bei der Strafbemessung wertete es die Wiederholung der räuberischen Angriffe, das Zusammentreffen mehrerer Delikte, eine einschlägige Vorstrafe sowie den raschen Rückfall als erschwerend und berücksichtigte demgegenüber das Geständnis des Angeklagten, seine ungünstigen häuslichen Erziehungsverhältnisse, die teilweise objektive Schadensgutmachung, den negativen Einfluß des erwachsenen Mittäters Peter P*** sowie den Umstand, daß es teilweise beim Versuch blieb, als mildernd.

Robert S*** begehrt die Herabsetzung und bedingte Nachsicht

der Freiheitsstrafe.

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Schöffengericht stellte die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig fest und wertete sie auch ihrem Gewicht nach zutreffend. Die verhängte Strafe erweist sich schon im Hinblick auf die Häufung der Verfehlungen, die einschlägige Vorstrafe wegen Raubes und den raschen Rückfall als nicht überhöht. Der Gewährung bedingter Strafnachsicht standen in Anbetracht des getrübten Vorlebens und des Umstandes, daß sich der Angeklagte bereits einmal dieser Rechtswohltat nicht würdig erwies, Erwägungen der Spezialprävention entgegen.

Auch der Berufung konnte daher kein Erfolg beschieden sein. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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