OGH 13Os34/87

OGH13Os34/8714.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Mai 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin in der Strafsache gegen Helmut W*** wegen des Verbrechens der Erpressung nach § 144 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengerichts vom 22.Dezember 1986, GZ. 27 Vr 2383/86-58, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Köhler, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung des Angeklagten wird nicht Folge gegeben. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 17.Jänner 1957 geborene Helmut W*** wurde des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 und 2 Z. 1 StGB (1), des Vergehens nach § 16 Abs. 1 (vierter, fünfter und sechster Fall) Suchtgiftgesetz (2) und des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB (3) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Linz

am 28.Juni 1986 in Gesellschaft der abgesondert verfolgten Gabriele W*** Verfügungsberechtigten des Allgemeinen Krankenhauses Linz 67 Ampullen Heptadon und 12 Ampullen Morphium im Gesamtwert von 178 S gestohlen (1),

vom 16.Mai 1986 bis Anfang Juli 1986 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich mindestens 3 Briefchen Heroin und die zum Faktum 1 angeführten suchtgifthältigen Medikamente erworben und besessen sowie einige Ampullen solcher Medikamente der Martina R*** überlassen (2) und

am 2.Juli 1986 Gabriele W*** durch die gefährliche Drohung, er werde sie wegen des Medikamentendiebstahls bei der Polizei verpfeifen, zur Herausgabe von 100 S genötigt (3).

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf § 281 Abs. 1 Z. 4, 5, 9 lit. a und b StPO gestützt wird. Den Strafausspruch fechten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft an.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Mit der Verfahrensrüge (Z. 4) wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, daß trotz seines ausdrücklichen Antrags auf Vorführung der Gabriele W*** die Genannte niemals (gerichtlich) einvernommen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrunds setzt voraus, daß in der Hauptverhandlung, die mit Urteil beendet wurde, ein (der Ablehnung verfallener oder unerledigt gebliebener) Beweisantrag gestellt wurde. Ist die Hauptverhandlung gemäß § 276 a StPO neu durchgeführt worden, müssen in der neuerlichen Hauptverhandlung alle Beweisanträge (die in einer früheren Hauptverhandlung gestellt worden waren) wiederholt werden, um rechtswirksam zu bleiben (EvBl. 1953/340). Den Antrag auf Vorführung der Gabriele W*** hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 10.November 1986 gestellt (S. 219). In der gemäß § 276 a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung am 22.Dezember 1986 hat der Angeklagte diesen Antrag nicht wiederholt. Er ist demnach zur Geltendmachung der Verfahrensrüge nicht legitimiert.

Darüber hinaus ist aktenkundig, daß der genaue Aufenthaltsort der Zeugin W*** zur Zeit der Hauptverhandlung am 22. Dezember 1986 unbekannt war und ein polizeilicher Vorführversuch ergebnislos verlief; sonach handelt es sich um einen undurchführbaren Beweis, dessen Nichtaufnahme dem Gericht nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Überdies hat der Angeklagte ersichtlich auf die Einvernahme der Gabriele W*** verzichtet (S. 235). Auch die Mängelrüge (Z. 5) geht fehl. Den Schuldspruch im Faktum 1 stützte das Erstgericht auf die ihm glaubwürdig erscheinenden Angaben der Gabriele W*** vor der Polizei. Sofern der Nichtigkeitswerber darauf verweist, W*** sei niemals als Zeugin unter Wahrheitspflicht vernommen worden und der Zeuge L*** hätte bei der Vorweisung eines Lichtbilds des Angeklagten diesen nicht mit Bestimmtheit als Täter wiedererkannt, zeigt er in Wahrheit einen Begründungsmangel (siehe Z. 5) nicht auf, sondern ficht in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Schöffengerichts an. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde hat das Gericht die Aussagen der Zeugin R*** in der Hauptverhandlung nicht unberücksichtigt gelassen, sondern ihr die Glaubwürdigkeit versagt (S. 253 f.).

Das weitere Vorbringen in diesem Punkt der Nichtigkeitsbeschwerde (wörtlich: "Demnach ist davon auszugehen, daß der Ausspruch des Gerichtes über entscheidende Tatsachen undeutlich, unvollständig und mit sich selbst im Widerspruch ist. Es werden auch für die Verurteilung in den Punkten 1 und 3 nur völlig unzureichende Gründe angegeben. Auch sind zwischen den Angaben der Entscheidungsgründe über den Inhalt der bei den Akten befindlichen Aussagen und der Urteilsbegründung erhebliche Widersprüche") ist mangels Substantiierung eines technischen Begründungsfehlers (siehe abermals Z. 5) einer sachbezogenen Erörterung unzugänglich. Auch die Rechtsrüge, mit welcher der Beschwerdeführer darzutun versucht, sein Verhalten im Faktum 3 wäre nicht rechtswidrig, weil die Anwendung der Drohung als Mittel zum angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreite (Z. 9 lit. b), schlägt nicht durch. Zwar trifft zu, daß die Anzeige eines Diebstahls bei der Polizei nicht sittenwidrig ist. Der Rechtsmittelwerber verkennt aber, daß die Tat (§ 144 Abs. 1 StGB) nur dann nicht rechtswidrig ist, wenn der Täter ein Recht auf das geforderte Verhalten hat und die Zufügung des angedrohten Übels damit in einem sachlichen Konnex steht. Der Angeklagte hatte durchaus das Recht, Gabriele W*** wegen des Medikamentendiebstahls anzuzeigen; er hatte aber weder nach den Urteilsfeststellungen noch nach dem Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde ein Recht auf die von ihm geforderten 100 S, ferner ist die Drohung mit der Anzeige kein sittlich erlaubtes Mittel, um sich ohne Rechtsanspruch Geld zu verschaffen. Mit dem weiteren Hinweis, die Androhung einer Anzeige bei der Polizei wegen des Medikamentendiebstahls sei keine gefährliche Drohung, weil es gegen jede Logik sei, daß der Angeklagte (als Mittäter) seine Komplizin anzeige, wird neuerlich ein unzulässiger Angriff auf die schöffengerichtliche Beweiswürdigung unternommen, die auch in diesem Umfang (S. 257 unten) mit den Gesetzen logischen Denkens durchaus in Einklang steht.

Zu den Berufungen:

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 144 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine einjährige Freiheitsstrafe. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen zweier Vergehen mit einem Verbrechen, die mehrfache Deliktsqualifikation und den überaus raschen Rückfall, als mildernd hingegen das Teilgeständnis.

Zur Berufung des Angeklagten:

Dieser begehrt die Herabsetzung der Freiheitsstrafe, weil ihm weitere Milderungsgründe zugute kämen: Zum einen betrage der Schaden im Faktum 1 lediglich 178 S und im Faktum 3 nur 100 S, weiters sei der Unrechtsgehalt minimal, weil der Angeklagte die Tat (1) gemeinsam mit Gabriele W*** begangen habe, endlich sei die von ihm verschuldete Schädigung und Gefährdung nicht reiflich überlegt worden und letztlich habe er die Taten angesichts seines Drogenmißbrauchs in einem Stadium nahe der Zurechnungsunfähigkeit begangen.

Diese Berufung ist nicht begründet.

Daß der Angeklagte den Diebstahl in Gesellschaft mit Gabriele W*** begangen hat, vermindert den Unrechtsgehalt der Tat keineswegs, wird dadurch doch erst die Qualifikation nach § 127 Abs. 2 Z. 1 StGB begründet. Das geplante Vorgehen des Angeklagten im Faktum 1 läßt die Annahme, die Tat sei nicht reiflich überlegt worden, nicht zu. Angesichts der vielfachen Abstrafung des Angeklagten wegen Verstößen nach dem Suchtgiftgesetz ist ihm eine allfällige Sucht aus Anlaß für die verfahrensgegenständliche Straffälligkeit vorwerfbar und daher keinesfalls als Milderungsgrund anrechenbar.

Allerdings ist dem Angeklagten zuzugeben, daß der Vermögensschaden in den Fakten 1 und 3 gering ist. Dieser weitere Milderungsgrund begründet aber keine Herabsetzung des Strafmaßes, denn angesichts des schwer belasteten Vorlebens des Angeklagten und der durch die Anwendbarkeit des § 39 StGB (in bezug auf die Vorstrafen wegen Diebstahls) möglichen Freiheitsstrafe bis zu 7 1/2 Jahren erweist sich die vom Schöffengericht gefundene, bloß einjährige Freiheitsstrafe als äußerst maßvoll.

Zur Berufung der Staatsanwaltschaft:

Dieses Rechtsmittel wurde am 23.Dezember 1986 ohne ausdrückliche Bezeichnung der Beschwerdepunkte (§ 294 Abs. 2 StPO) angemeldet (ON. 60). Am 24.Februar 1987 übermittelte der Vorsitzende die Akten der Staatsanwaltschaft "zur Gegenausführung" (zu den vom Angeklagten ausgeführten Rechtsmitteln), wo sie am 25.Februar 1987 einlangten (S. 3 r verso). Am gleichen Tag retournierte die Staatsanwaltschaft die Akten dem Erstgericht mit dem Bemerken, daß auf eine Gegenausführung verzichtet werde (S. 3 s). Bis jetzt ist das Rechtsmittel von der Anklagebehörde nicht ausgeführt worden. Die Zustellung gerichtlicher Entscheidungen an die Staatsanwaltschaft geschieht durch Mitteilung der Urschrift (§ 78 StPO). Zwar bewirkt nicht jede Übermittlung der Akten an die Staatsanwaltschaft die Zustellung der im Akt erliegenden Urteilsausfertigung. Um die "Mitteilung" (§ 78 StPO) zu bewirken, müssen die Akten entweder ausdrücklich oder aber doch erkennbar zu dem Zweck übermittelt werden, der Staatsanwaltschaft die Urteilsausfertigung zur Kenntnis zu bringen (SSt. 27/28; EvBl. 1972/92). Die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft "zur Gegenausführung" zu Rechtsmitteln des Gegners bedingt Einsicht in diese Rechtsmittel. Diese ist aber nur sinnvoll bei gleichzeitiger Kenntnisnahme der Urteilsausfertigung. Sonach betrifft eine Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft "zur Gegenausführung" (§§ 285 Abs. 1, 294 Abs. 2 StPO) zugleich das Urteil. Der gegenständliche Vorgang schließt die Mitteilung der Urteilsurschrift an die Anklagebehörde (§ 78 StPO) denknotwendig ein. Auf den gegenständlichen Fall bezogen bedeutet dies, daß das Urteil der Staatsanwaltschaft am 25.Februar 1987 zugestellt worden ist. Mangels Ausführung innerhalb der im § 294 Abs. 2 StPO normierten Frist war auf die Berufung der Staatsanwaltschaft keine Rücksicht zu nehmen (§ 294 Abs. 4 StPO; 9 Os 104/67, 10 Os 51/81).

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