OGH 10Os33/87 (10Os34/87)

OGH10Os33/87 (10Os34/87)12.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Mai 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kleindienst-Passweg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Arthur G*** und Eckhart J*** wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über den Antrag der Angeklagten auf Erteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 29.September 1986, GZ 25 Vr 4776/84-60, über diese Rechtsmittel und über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das bezeichnete Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung wird bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Über die Berufungen wegen Strafe wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die durch die Nichtigkeitsbeschwerden verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem (auch andere Entscheidungen enthaltenden) angefochtenen Urteil wurden Arthur G*** und Eckhart J*** (I.) des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB sowie (ersterer zu II. und letzterer zu III.) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt; G*** wurde hiefür zu einer Zusatz-Freiheitsstrafe verurteilt, J*** zu einer Geldstrafe.

Nach dem Inhalt der Schuldsprüche haben sie in Lienz (zu I.) beide in der Zeit von Mitte August bis Ende September 1984 im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Manuela K*** wiederholt durch gefährliche Drohung mit einer auffallenden Verunstaltung, und zwar durch die Androhung, ihr das Gesicht zu zerschneiden, zur Ausübung der Prostitution und zur Verweigerung der Unterfertigung von Niederschriften (gemeint: einer Niederschrift) bei der Gendarmerie zu nötigen versucht; sowie (zu II. und III.) jeweils einen anderen am Körper verletzt, und zwar (zu II.) G*** am 30.Oktober 1984 Karl-Heinz V*** dadurch, daß er jenen packte und zu Boden riß, wobei der Genannte mit seinem rechten Fuß unter einen Heizkörper geriet und dadurch eine Prellung des rechten Vorfußes erlitt, und (zu III.) J*** am 8.November 1984 Renate B*** durch mehrere Schläge ins Gesicht, wodurch sie Kratzspuren sowie eine Schwellung der Lippe und der linken Gesichtshälfte davontrug.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen beider Angeklagten sind zwar nicht fristgerecht ausgeführt worden, doch war den Beschwerdeführern in Ansehung des jeweiligen Fristablaufs die (nach der Entdeckung des Fehlers rechtzeitig und unter Überreichung einer gemeinsamen Rechtsmittelausführung beantragte) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil sie durch ihr darauf abzielendes unbedenkliches Vorbringen in Verbindung mit eidesstättigen Erklärungen nachzuweisen vermochten, daß ihnen die Einhaltung der Ausführungsfrist insofern durch einen unabwendbaren Umstand ohne ihr oder ihres (gemeinsamen) Vertreters Verschulden unmöglich gemacht wurde, als durch ein Versehen einer ansonsten verläßlichen Konzipientin des Verteidigers eine Eintragung der Rechtsmittel in dessen Fristenvormerk unterblieben war (§ 364 StPO). Den auf § 281 Abs. 1 Z 4 und 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden kommt jedoch keine Berechtigung zu. Zum Faktum I. läßt die Mängelrüge (Z 5) gegen die Urteilsfeststellung des Inhalts, daß Manuela K*** von den Angeklagten für den Fall ihrer Weigerung, für letztere "auf den Strich zu gehen", und für den Fall der Unterfertigung eines (darauf bezogenen) Gendarmerie-Protokolls mit dem Zerschneiden ihres Gesichts bedroht wurde (US 8, 9), jegliche Substantiierung der Behauptung "eines inneren Widerspruchs bzw. eines Begründungsmangels und einer nicht unwesentlichen Aktenwidrigkeit" vermissen; insoweit ist sie demnach einer sachbezogenen Erörterung nicht zugänglich. Im Anschluß daran remonstrieren die Beschwerdeführer gegen jene Konstatierungen, wonach ihnen eine in der Zeit von Mitte August bis Ende September 1984 wiederholte Tatbegehung und "daraus resultierend" verschiedene Zielsetzungen zur Last fallen. Mit diesen Einwänden, bei denen sie ausschließlich auf die Angaben der Zeugin K*** vor dem Untersuchungsrichter (ON 7) abstellen, die das Erstgericht ohnehin (kritisch) in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat (US 17), setzen sie sich jedoch vollends über alle anderen Beweismittel hinweg, die es dabei zugrundelegte, wie vor allem über die Aussage der genannten Zeugin in der Hauptverhandlung (S 194 bis 196). In bezug auf den Tatzeitbeginn unterliegen sie zudem einem Fehlverständnis der von ihnen zitierten Passagen, weil Manuela K*** mit der Wendung "ca. zwei Wochen vorher, also Mitte September" (S 33) nicht auf den im Zusammenhang damit relevierten Anruf des Zweitangeklagten Bezug nahm, sondern vielmehr auf den unmittelbar zuvor (S 32) erwähnten Zeitpunkt der Aufnahme einer Niederschrift mit ihr (am 30.September 1984) bei der Gendarmerie (S 17 f.). Eine Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit oder Aktenwidrigkeit der Entscheidungsgründe vermögen sie solcherart nicht darzutun.

Den Umstand hinwieder, daß K*** und Cornelia M*** den ersten Vorschlag - von dem nicht festgestellt werden könne, ob er bereits eine Aufforderung gewesen sei - der Angeklagten, sie mögen der Prostitution nachgehen und den Erlös auf alle vier Personen aufteilen, nicht allzu ernst nahmen, hat das Schöffengericht ohnehin als erwiesen angenommen (US 8). Mit dem Versuch, aus der im wesentlichen dahingehenden Darstellung der Zeugin M*** beim Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung sowie aus der Bekundung der Zeugin K*** in dieser Verhandlung, sie habe die Drohungen des Zweitangeklagten weniger ernst genommen als jene des Erstangeklagten, die Schlußfolgerung abzuleiten, die Letztgenannte habe sämtliche inkriminierten Drohungen beider Beschwerdeführer überhaupt nicht ernst genommen, fechten diese nur im Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden unzulässigerweise die erstinstanzliche Beweiswürdigung an; ein innerer Widerspruch oder sonstige formelle Begründungsmängel des Urteils (Z 5) in Ansehung jener Konstatierung, wonach Manuela K*** auf Grund der ihnen angelasteten Nötigungsversuche zumindest für einige Zeit derart verunsichert war, daß sie es nicht wagte, allein aus dem Haus zu gehen, und auch einmal weinend zur Gendarmerie kam (US 9), werden auch damit nicht aufgezeigt.

Eine spezielle Erörterung der vom Zeugen F*** deponierten Wahrnehmung (S 122; ähnlich S 194) aber, er habe M*** und K*** nach ihrer Vorsprache am Gendarmerieposten zusammen mit beiden Angeklagten vor einem Gasthof stehen (oder: im Garten dieses Lokals sitzen) gesehen und den Eindruck gehabt, daß sie sich "ganz normal unterhalten" hätten (oder: in gemütlicher Runde zusammengesessen seien), war im hier aktuellen Zusammenhang - entgegen einem weiteren Beschwerdeeinwand (Z 5) - im Interesse einer gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO) durchaus entbehrlich, weil aus einem derartigen Kontakt logisch und empirisch triftige Argumente gegen die zuvor relevierte Feststellung nicht zu gewinnen gewesen wären.

Gleichermaßen hätte der vom Verteidiger unter Beweis gestellte Umstand, daß K*** erklärt habe, eine Anzeige gegen die Beschwerdeführer wegen Nötigung "keinesfalls zu wollen", für sich allein nach den Denkgesetzen und nach allgemeiner Lebenserfahrung einen (damit angestrebten) Schluß darauf, daß M*** und sie auf Grund der von ihr behaupteten Nötigungsversuche in der begründeten Besorgnis einer Realisierung der dabei geäußerten Drohungen durch jene gewesen seien (S 197), nicht gestattet; sonstige Gründe jedoch, aus denen die angebotenen Zeugen von den wahren psychischen Reaktionen der Genannten auf die von ihr bekundeten Drohungen der Angeklagten informiert gewesen sein könnten, sind mit dem in Rede stehenden Antrag nicht vorgebracht worden.

Abgesehen davon, daß es - worauf das Erstgericht bei der Ablehnung der beantragten Beweisaufnahme (S 197 f.) ersichtlich abstellte - zur Annahme eines Nötigungs-Versuchs (§ 15 zu § 105 Abs. 1 StGB) der wirklichen Erregung begründeter Besorgnisse beim Bedrohten in Ansehung einer Verwirklichung des ihm angedrohten Übels durch den Täter in rechtlicher Hinsicht gar nicht bedarf, sofern nur dessen Vorsatz (auch) darauf abzielt und die Drohung objektiv dazu geeignet ist, konnte mithin das Beweisthema nach Lage des Falles auch faktisch, wie etwa als Indiz für das ausnahmsweise Fehlen einer derartigen objektiven Eignung der hier aktuellen Drohungen, keine Bedeutung erlangen; durch das abweisende Zwischenerkenntnis sind demnach keine Verteidigungsrechte der Beschwerdeführer beeinträchtigt worden (Z 4).

Bei der im Rahmen der Schuldberufung der Sache nach erhobenen Rechtsrüge (Z 9 lit a) schließlich gehen die Angeklagten mit der Annahme, das Schöffengericht habe die inkriminierten Drohungen deshalb "als tatbestandserfüllend in das angefochtene Urteil einbezogen", weil es in einem späteren anonymen Telefonanruf bei K*** eine "zeitlich rückwirkende Bedrohung" erblickt habe, durch die beim Opfer mit Bezug auf die vorausgegangenen Drohungen erst nachträglich Furcht und Unruhe ausgelöst worden seien, nicht von den Urteilsfeststellungen aus, die auch in ihrem Sinnzusammenhang für einen so gelagerten Sachverhalt keinen Anhaltspunkt bieten (US 8/9, 12 bis 14). Dementsprechend sei nur zur Klarstellung vermerkt, daß selbst die Vollendung des Tatbestands der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB entgegen der Beschwerdeauffassung eine "Gleichzeitigkeit" im Verhältnis zwischen der Anwendung und der Wirksamkeit des Nötigungsmittels keineswegs voraussetzt, sofern nur der dazu erforderliche Kausalzusammenhang gegeben ist. Zum Faktum II. rügt der Angeklagte G*** unter dem Aspekt "eines Begründungsmangels bzw. einer Undeutlichkeit und Unvollständigkeit sowie Aktenwidrigkeit", daß das Erstgericht "weitgehende Widersprüche" in der Aussage des Zeugen V*** bezüglich der Entstehung von dessen Verletzung im Zug der tätlichen Auseinandersetzung zwischen ihnen vor dem Untersuchungsrichter (S 58) einerseits (vom Beschwerdeführer gepackt und herumgehoben, mit dem Fuß "in die Rippen des Heizkörpers" geraten) und in der Hauptverhandlung (S 166) anderseits (plötzlich auf dem Boden gelegen, mit dem Fuß "unter den Heizkörper" gekommen) "einer unrichtigen Beweiswürdigung unterzogen" habe. Mit diesem von ihm selbst als (im schöffengerichtlichen Rechtsmittelverfahren unzulässiger) Angriff gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung deklarierten Einwand bringt er dementsprechend der Sache nach keinen der nominell behaupteten formellen Begründungsmängel (Z 5) zur Darstellung, zumal das Schöffengericht auf die damit hervorgehobenen geringfügigen Divergenzen in der bezeichneten Zeugenaussage, die nach Lage des Falles keiner besonderen Erörterung bedurften, ihrem Inhalt nach in den Entscheidungsgründen ersichtlich ohnehin Bedacht nahm (US 14).

Zum Faktum III. hinwieder beschwert sich der Angeklagte J*** darüber (Z 4), daß das Erstgericht die von ihm beantragte Vernehmung seiner Mutter zum Beweis dafür, daß "die Zeugin B*** anläßlich des gegenständlichen Vorfalls die von ihr behauptete Verletzung nicht erlitten" habe, ablehnte (S 197 f.); im Hinblick darauf aber, daß Erna J*** seiner eigenen Verantwortung zufolge bei der inkriminierten Auseinandersetzung nicht selbst anwesend war (S 197) und daß besondere Gründe, aus denen sie die als erwiesen angenommenen (eher geringfügigen) Verletzungen der Genannten bei ihrem Zusammentreffen mit dieser nach einer in der Beschwerde relevierten Zeitspanne von vier Tagen noch hätte sehen müssen, wenn sie tatsächlich vorgelegen wären, im Antrag nicht vorgebracht wurden, sind durch dessen Abweisung keine Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers beeinträchtigt worden.

Auf jene Bekundungen des Zeugen S*** schließlich, wonach er entgegen den dahingehenden Angaben der Renate B*** den Angeklagten J*** nicht aufgefordert habe, "mit dem Schlagen aufzuhören" und wonach er an dieser auch keine Verletzung wahrgenommen habe (S 193), ist das Erstgericht - teils ausdrücklich, teils inhaltlich - ohnehin eingegangen (US 11/12, 14/15); von einer (der Sache nach geltend gemachten) Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5) kann daher insoweit gleichfalls keine Rede sein.

Die zum Teil offenbar unbegründeten und im übrigen nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden waren dementsprechend nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z 2 und Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO).

Ebenso war mit den Berufungen wegen Schuld vorzugehen, weil ein derartiges Rechtsmittel im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist (§§ 280, 283 Abs. 1 StPO).

Über die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen die Strafaussprüche dagegen wird gesondert bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu entscheiden sein (§ 296 Abs. 3 StPO).

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