OGH 6Ob586/87

OGH6Ob586/877.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theresia M***, Pensionistin, 1090 Wien, Frankgasse 4/5, vertreten durch Dr. Karl Böck und Dr. Ewald Weiss, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Mehmed E***, Kaufmann, 1040 Wien, Wiedner Gürtel 46a, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 14. Jänner 1987, GZ 48 R 560/86-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29.September 1986, GZ 45 C 589/85-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.020,16 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 274,56 Umsatzsteuer) und die mit S 3.312,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 164,80 Umsatzsteuer und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 15.6.1985 verstorbene Dr. Josef B*** war grundbücherlicher Miteigentümer des Hauses Wien 4, Wiedner Gürtel 46a. Mit diesem Miteigentumsanteil ist das Wohnungseigentum an der Wohnung top Nr.8 verbunden. Dr. Josef B*** räumte mit Vertrag vom 25.1.1983 der Klägerin, seiner langjährigen Ordinationshilfe, das lebenslängliche und unentgeltliche Fruchtgenußrecht an seinen Liegenschaftsanteilen und der damit verbundenen Eigentumswohnung ein, und zwar beginnend mit 1.11.1984. Dieser Vertrag wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29.3.1983 verbüchert. Die Wohnung war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Fruchtgenußvertrages an den türkischen Staatsbürger Kazif T*** vermietet. Dieser räumte nach einvernehmlicher Auflösung des Mietvertrages die Wohnung Ende Oktober 1984. Dr. Josef B*** vermietete die Wohnung im Oktober 1984 an den Beklagten, wobei als Beginn des Mietverhältnisses der 1.November 1984 vereinbart wurde. Der Vertragsabschluß erfolgte mündlich. Über den der Klägerin zustehenden Fruchtgenuß wurde bei Vertragsabschluß nichts gesprochen. Es wurde auch keine Befristung des Mietvertrages vereinbart. Der Beklagte überwies von Anfang an den Mietzins auf ein Konto, das ihm Dr. Josef B*** bekanntgegeben hatte. Die Klägerin erhielt niemals einen Mietzins vom Beklagten. Der Beklagte zahlte auch die Telefon-, Gas- und Stromrechnungen immer im Namen des Dr. Josef B*** ein. Die Klägerin kümmerte sich zu Lebzeiten des Dr. Josef B*** um die Wohnung nicht, da sie zu dieser Zeit noch bei Dr. Josef B*** in dessen Ordination wohnen konnte. Sie erfuhr erst im April oder Mai 1985, daß der Beklagte in der Wohnung wohnt. Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr die Wohnung geräumt zu übergeben. Sie vertrat die Auffassung, Dr. Josef B*** habe die Wohnung ohne Wissen der Klägerin und im Widerspruch zu dem eingeräumten Fruchtgenußrecht an den Beklagten vermietet. Dr. Josef B*** sei zu der Vermietung nicht mehr berechtigt gewesen. Der Beklagte könne sich im Hinblick auf die Verbücherung des Fruchtgenußrechtes nicht auf den guten Glauben berufen.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen und wendete ein, zwischen den Streitteilen sei konkludent ein Mietverhältnis zustandegekommen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat auf Grund des von ihm festgestellten, eingangs wiedergebebenen Sachverhaltes die Rechtsansicht, Dr. Josef B*** habe nach Abschluß des Fruchtgenußvertrages für die Zeit ab 1.11.1984 nicht mehr über die Wohnung verfügen können, weshalb die Vermietung an den Beklagten wirkungslos sei. Dieser könne sich im Hinblick auf die Verbücherung des Fruchtgenußrechtes auch nicht auf den guten Glauben berufen. Ein konkludenter Abschluß eines Mietvertrages zwischen den Streitteilen liege nicht vor.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sprach ferner aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, Dr.Josef B*** sei im Oktober 1984 auf Grund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis noch berechtigt gewesen, die Wohnung auch über den 1.11.1984 hinaus zu vermieten. Der zwischen dem Wohnungseigentümer und dem Beklagten zustandegekommene Mietvertrag sei daher rechtsgültig und könne von der Klägerin bei Eigenbedarf nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs 2 Z 8 MRG aufgekündigt werden.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil - soweit überblickbar - bisher noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes darüber besteht, ob der Wohnungseigentümer nach Abschluß des Vertrages über die Einräumung des Fruchtgenußrechtes an einen Dritten und der Verbücherung dieses Vertrages, aber noch vor Beginn der Wirksamkeit des Fruchtgenußrechtes, die Wohnung beginnend mit dem Tag, an dem das Fruchtgenußrecht wirksam wird, vermieten darf.

Sie ist auch berechtigt.

Es ist davon auszugehen, daß Dr. Josef B*** mit der Klägerin bereits am 25.1.1983 einen Vertrag über die Einräumung des Fruchtgenußrechtes an der Eigentumswohnung abgeschlossen hat, dieser Vertrag am 29.3.1983 verbüchert wurde, das Fruchtgenußrecht der Klägerin nach dem Inhalt des Vertrages aber erst mit 1.11.1984 wirksam werden sollte. Es ist zwar richtig, daß der Bestandvertrag als Konsensualvertrag bereits durch die Willenseinigung über den Bestandgegenstand und den Bestandzins zunstandekommt (MietSlg 26.077, 27.141 ua), der Fruchtnießer in den Bestandvertrag eintritt (SZ 43/83 ua) und nach herrschender Lehre und Rechtsprechung (Petrasch in Rummel ABGB I Rz 2 zu § 519; Klang in Klang2 II 588; MietSlg 19.119, 30.235 ua) auch vom Fruchtnießer geschlossene Bestandverträge von der Rückstellung der Sache unberührt bleiben. Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch dadurch, daß das Bestandverhältnis erst nach Wirksamwerden des Fruchtgenußrechtes beginnen sollte. Es kann dahingestellt bleiben, ob Dr. Josef B*** nach Abschluß des Vertrages über die Einräumung des Fruchtgenußrechtes noch berechtigt gewesen wäre, unbefristete über den 31.10.1984 hinausreichende Mietverträge abzuschließen. Keineswegs war er aber berechtigt, Mietverträge abzuschließen, deren Wirksamkeit erst mit 1.11.1984 eintreten sollte, das Bestandverhältnis also zu einem Zeitpunkt beginnen sollte, in welchem das Fruchtgenußrecht an der Eigentumswohnung bereits der Klägerin zukam. Denn damit verfügte er über die Nutzung der Wohnung für eine Zeit, zu der das ausschließliche Nutzungsrecht der Klägerin zustand. Daß Dr. Josef B*** seinen Miteigentumsanteil hätte veräußern oder belasten dürfen, ändert daran nichts, denn durch eine solche Veräußerung oder Belastung würde in die Nutzung der Fruchtnießerin nicht eingegriffen. Es kann entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht gesagt werden, daß im Oktober 1984 nur Dr. Josef B*** zum Abschluß eines Mietvertrages berechtigt gewesen sei. Vielmehr hätte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits den Mietvertrag - wenn auch erst mit dem Beginn des Bestandverhältnisses ab 1.11.1984 - abschließen können.

Da somit Dr. Josef B*** zum Abchluß des Mietvertrages nicht berechtigt war und sich der Beklagte wegen der bereits lange vor dem Abschluß des Mietvertrages erfolgten Einverleibung des Fruchtgenußrechtes im Grundbuch auch nicht auf den guten Glauben berufen kann, benützt der Beklagte die Wohnung ohne gültigen Rechtstitel.

Daß aber zwischen den Streitteilen schlüssig ein Bestandvertrag zustande gekommen wäre, ist schon deshalb zu verneinen, weil die Klägerin erst im April oder Mai 1985 erfuhr, daß der Beklagte in der Wohnung wohnt, sie niemals einen Mietzins in Empfang genommen und den Beklagten nach Kenntnis von den tatsächlichen Verhältnissen zur Räumung der Wohnung aufgefordert hat.

In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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