OGH 8Ob15/87

OGH8Ob15/876.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich L***, Angestellter, Landsham, Gruber Straße 3, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Günther Moshammer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien

  1. 1.) Monika P***-M***, Hausfrau, Maria Wörth 28, und
  2. 2.) Edeltraud P***-M***, Hausfrau, Klagenfurt,

    Beethovenstraße 54, beide vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag und Dr. Wilhelm Dieter Eckhart, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen S 145.606,74 s.A. infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 8. Oktober 1986, GZ 4 R 142/86-15, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 10.Juni 1986, GZ 17 Cg 423/85-10, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst in Abänderung der Punkte 1 bis 3 des Urteiles des Erstgerichtes dahin erkannt, daß die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

Die Klageforderung besteht mit S 64.214,87 zu Recht, im übrigen nicht zu Recht.

Die Gegenforderung besteht mit S 17.674,-- zu Recht, im übrigen nicht zu Recht.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger S 46.540,87 samt 4 % Zinsen seit 18.10.1985 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren von S 99.065,87 samt 4 % Zinsen seit 18.10.1985 wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten an Kosten des Verfahrens erster Instanz S 7.770,17 (darin an Barauslagen S 666,67 und an Umsatzsteuer S 645,77), an Kosten des Verfahrens zweiter Instanz S 4.638,32 (darin an Barauslagen S 1.846,15 und an Umsatzsteuer S 253,83) und an Kosten des Verfahrens dritter Instanz S 1.436,22 (darin an Umsatzsteuer S 130,56) je zur Hälfte binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 4.9.1985 kam es in Krumpendorf auf der Moosburger Landesstraße auf Höhe der Einfahrt zum Parkplatz des Restaurants P*** zu einem Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW Mercedes 200, Type 123, deutsches Kennzeichen EBE-YH 70 und dem Wohnwagenanhänger Type Wilk Sport 370, Kennzeichen EBE-U 355 einerseits und die Erstbeklagte mit dem PKW der Zweitbeklagten, Mercedes 230, pol. Kennzeichen K 6.685 andererseits, beteiligt waren. Der Kläger lenkte seinen PKW mit angehängtem Wohnwagen aus dem Parkplatz vor dem Gasthaus P*** in die Moosburger Landesstraße, um diese - links einbiegend - weiter zu befahren. Die Erstbeklagte kam von der Bundesstraße und bog nach rechts in die unübersichtliche Einmündung der vorerwähnten Landesstraße ein. Sie stieß nach kurzer Strecke mit der linken vorderen Ecke gegen den quer auf der Fahrbahn der Landesstraße befindlichen Zugwagen. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Bezahlung von S 145.606,74 s.A. an Schadenersatz. Die Erstbeklagte habe den Unfall allein verschuldet, weil sie mit einer unzulässigen Geschwindigkeit von 40 km/h sich gerade umdrehend völlig ungebremst in den Zugwagen des Klägers hineingefahren sei.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Den Unfall habe der Kläger allein verschuldet. Die Erstbeklagte habe ihr Einbiegemanöver nur mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h vorgenommen. Der Kläger sei mit seinem PKW bei erstem Sichtkontakt noch im Bereiche der östlichen Fluchtlinie der Moosburger Straße gestanden. Die Erstbeklagte habe angenommen, daß der Kläger ihren Vorrang beachten werde. Unmittelbar darauf sei er jedoch in die Moosburger Landesstraße eingefahren. Der Kläger hätte sich unter Berücksichtigung der Länge des Wohnwagengespannes und der ungünstigen Sichtverhältnisse eines Einweisers bedienen müssen. Aufrechnungsweise werde ein Schade von S 35.348,-- eingewendet. Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit S 128.429,74 als zu Recht, die Gegenforderung nicht als zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren mit S 128.429,74 s.A. statt. Das Mehrbegehren wies es ab. Es stellte fest, daß das von der Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug bei einer gegenseitigen Sicht von 20 m und einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h noch außerhalb der Sicht des Klägers war, als dieser begann, in die Landesstraße einzufahren. Das Alleinverschulden treffe die Erstbeklagte, die aus Unachtsamkeit reaktionslos gegen dessen Fahrzeug fuhr; eine Vorrangverletzung durch den Kläger liege nicht vor, weil der Vorrang nur gegenüber wahrnehmbaren bevorrangten Verkehrsteilnehmern verletzt werden könne; ein Einweiser sei nicht zu verlangen, weil der Kläger darauf vertrauen konnte, daß sich ein allfälliger Querverkehr vorschriftsmäßig verhalten werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil (ausgenommen den das Mehrbegehren abweisenden Teil) auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach wegen des Vorliegens einer als vereinzelt bezeichneten gegensätzlichen Entscheidung aus, daß das Verfahren erster Instanz erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses fortzusetzen sei. Rechtlich verwies es zunächst darauf, daß das Erstgericht zu Unrecht die Erstbeklagte nicht als Partei vernommen habe und dies im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben werde. Sollte es bei der bisherigen Feststellung verbleiben, daß die Erstbeklagte die Kurve mit 40 km/h befuhr und ohne Reaktion gegen das Fahrzeug des Klägers stieß, träfe sie ein in Unachtsamkeit liegendes Verschulden an der Unfallsverursachung, weil der Unfall diesfalls bei zu fordernder Aufmerksamkeit für sie vermeidbar gewesen wäre. Es stehe aber schon jetzt fest, daß für den wartepflichtigen Kläger ungünstige Sichtverhältnisse bestanden (20 m) und er eine überlange Blockierung der zu überfahrenden Fahrbahnhälfte zu berücksichtigen hatte (6 Sekunden). Bei solchen Verhältnissen habe sich der Wartepflichtige zunächst in die bevorrangte Verkehrsfläche hineinzutasten, um einerseits die Sichtweite zu vergrößern und andererseits allfälligem Querverkehr die frühestmögliche Sicht auf die Front seines Fahrzeuges und die Möglichkeit des Ausweichens, Anhaltens oder der Abgabe eines Warnzeichens zu verschaffen. Während dieses Vortastens sei bei Auftauchen eines bevorrangten Verkehrsteilnehmers die Weiterfahrt abzubrechen. Sind die Sichtverhältnisse so ungünstig, daß durch Vortasten die eigene und die Sicht allfälliger Bevorrangter nicht oder nur unwesentlich erweitert werden kann, dann versage diese Methode der Vorrangberücksichtigung. Es sei dann, wenn es sich um eine Grundstücksausfahrt handelt, gemäß § 13 Abs 3 StVO allenfalls ein Einweiser beizuziehen. Die Pflicht zur Einweisung könne entgegen der vereinzelt gebliebenen Entscheidung ZVR 1981/247 allerdings nicht mit dem Vertrauen des Wartepflichtigen in die Einhaltung der Sichtgeschwindigkeit durch den Bevorrangten abgelehnt werden. Dem stünden zahlreiche in ZVR 1981/270 mit weiteren Nachweisen abgedruckte gegenteilige Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes gegenüber, die eine Einweisung schon verlangen, wenn die Einhaltung bloß der zulässigen Ortsgebietsgeschwindigkeit schon zu einem nicht oder kaum mehr vermeidbaren Anstoß führen würde. War daher an der vorliegenden Einmündung bei Einhaltung der Ortsgebietsgeschwindigkeit von 50 km/h oder der noch mühelos zu bewältigenden Kurvengeschwindigkeit durch die Erstbeklagte ein Anstoß nicht oder kaum mehr vermeidbar, so sei auch im Hinblick auf die lange andauernde Blockierung der Fahrbahn durch den Wohnwagenzug ein Einweiser beizuziehen gewesen. Sollte sich ermitteln lassen, daß die Erstbeklagte die Änderung ihrer Fahrtrichtung nicht anzeigte, könnte dies allenfalls dahin berücksichtigt werden, daß die unterlassene Beiziehung eines Einweisers dem Kläger nicht vorgeworfen werden könnte.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil insoweit zu bestätigen. Die Beklagten beantragen in der Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist teilweise berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat sich der Wartepflichtige dann, wenn ungünstige Sichtverhältnisse bestehen, zunächst in die Vorrangstraße vorsichtig vorzutasten, um die vorhandene Sicht bestmöglich auszunützen (ZVR 1975/177, ZVR 1979/297 ua). Während dieses Vortastens ist im Fall des Auftauchens eines vorrangberechtigten Fahrzeuges das beabsichtigte Einbiegen oder Kreuzen noch abzubrechen. Ist kein vorrangberechtigtes Fahrzeug zu erkennen, dann hat der Wartepflichtige die vorrangige Verkehrsfläche zügig zu überqueren. Wenn beim Einfahren aus einer Verkehrsfläche iS des § 19 Abs 6 StVO die Sichtverhältnisse so schlecht sind, daß auch ein Vortasten unmöglich ist, dann ist ein Einweiser beizuziehen (ZVR 1979/297). Die Bestimmung des § 13 Abs 3 StVO über die Beiziehung eines Einweisers bei der Ausfahrt von einem Grundstück ist für extreme Fälle gedacht, in welchen nach den Umständen des Einzelfalles damit gerechnet werden muß, daß ein anderer Verkehrsteilnehmer selbst bei vorschriftsmäßiger Fahrweise nur schwer oder überhaupt nicht mehr einen Zusammenstoß mit dem für ihn plötzlich auftauchenden Fahrzeug verhindern kann (ZVR 1975/180; ZVR 1981/270; vgl. auch ZVR 1969/259). Ein solcher Fall liegt hier eindeutig vor:

Nach den getroffenen Feststellungen hat ein von der Bundesstraße in die Moosburger Landesstraße einbiegender Verkehrsteilnehmer bloß eine Sicht von ungefähr 20 m auf einen aus der Ausfahrt des Gasthauses P*** kommenden PKW. Demgemäß hat der Sachverständige errechnet, daß die Erstbeklagte dann, wenn sie sich bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h sogleich zum Bremsen entschlossen hätte, gerade noch (bei einer angenommenen Bremsverzögerung von 7,5 m/sec 2 ) vor dem Wohnwagenzug des Klägers (innerhalb 19,3 m) hätte anhalten können. Dabei hätte es sich aber jedenfalls um eine Notbremsung mit all ihren Risken gehandelt. Der Auftrag des Berufungsgerichtes an das Erstgericht, erst im fortgesetzten Verfahren zu ermitteln, ob die Beiziehung eines Einweisers erforderlich war, ist daher überflüssig, weil dies schon aufgrund der getroffenen Feststellungen zu bejahen ist. Der zentrale Gedanke für die Beiziehung eines Einweisers ist das Erfordernis der Verkehrssicherheit (vgl. auch 8 Ob 71/84 ua); dieser Grundsatz kommt in der Fassung des § 13 Abs 3 StVO "wenn es die Verkehrssicherheit erfordert" klar zum Ausdruck. Wird im vorliegenden Fall berücksichtigt, daß der Kläger mit seinem langen und umständlich zu handhabenden Wohnwagenzug selbst bei geschicktester Fahrweise durch mehrere Sekunden die Moosburger Landesstraße und damit auch die in diese einmündende Bundesstraße auf die dargestellte Weise blockierte, erweist sich die Beiziehung eines Einweisers für dessen äußerst gefährliches und risikoreiches Einfahrmanöver unbedingt erforderlich, um der gebotenen Verkehrssicherheit zu genügen. Einer Auseinandersetzung mit der vom Berufungsgericht als divergierend bezeichneten Entscheidung ZVR 1981/247 bedarf es nicht, weil auch unter Zugrundelegung der darin zum Ausdruck gebrachten Anschauung im vorliegenden konkreten Fall ebenfalls die Beiziehung eines Einweisers erforderlich ist, da - worauf die zitierte Entscheidung unter anderem abstellt - das selbständige Ausfahren des Klägers unter den gegebenen Umständen mit einer eminenten Unfallsgefahr verbunden war.

Dem dargestellten Verschulden des Klägers an dem Verkehrsunfall steht das Verschulden der Erstbeklagten gegenüber, das darin bestand, daß sie den Wohnwagen verspätet bemerkte und ungebremst in diesen hineinfuhr. Der Schuldvorwurf wäre nicht geringer, wenn sie nur - wie von ihr behauptet - eine Geschwindigkeit von 20 km/h eingehalten hätte. Es bedarf daher - worauf der Kläger in seinem Rekurs zutreffend verweist - auch nicht mehr der Einvernahme der Erstbeklagten, um in der Sache selbst entscheiden zu können: Das Verschulden beider Fahrzeuglenker erscheint unter den gegebenen Umständen gleich hoch, sodaß mit einer Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 vorzugehen ist.

Danach ist unter Zugrundelegung des festgestellten Schadens des Klägers von S 128.429,74 und der Gegenforderung der Beklagten von S 35.348 wie im Spruch unter Bedachtnahme auf § 519 Abs 2 ZPO in der Sache selbst zu erkennen.

Bei den Kostenaussprüchen war auf den überwiegenden Abwehrerfolg der Beklagten gemäß §§ 43 Abs 1, 50 ZPO entsprechend Bedacht zu nehmen.

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