OGH 9Os30/87

OGH9Os30/876.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Mai 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kleindienst-Passweg als Schriftführer, in der Strafsache gegen Limeiem S*** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft sowie des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 9. Dezember 1986, GZ 20 p Vr 8998/85-100, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Doczekal, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen. Der Berufung des Angeklagten wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens über seine Rechtsmittel zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der tunesische Staatsbürger Limeiem S*** (zu A/) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB und (zu B/) des Verbrechens des Raubes nach § 142 (Abs. 1) StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien nachgenannten Personen dadurch, daß er ihnen Betäubungsmittel einflößte, sohin mit Gewalt gegen ihre Person, wobei die Gewaltanwendung zumindest in einem Fall eine schwere Körperverletzung des Opfers zur Folge hatte, fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

A/ in der Nacht vom 2. auf den 3.August 1985 dem Richard S***, indem er ihm mehrere Tabletten des Schlafmittels Rohypnol in ein Weinglas gab, worauf der Genannte in benommenem Zustand in seiner Wohnung mehrfach stürzte und sich dabei Abschürfungen im Gesicht, Blutergüsse an den Augenlidern beidseits, einen Bluterguß hinter dem rechten Ohr, einen Schädelbruch, einen Bluterguß zwischen den Hirnhäuten im rechten Scheitelhinterhauptsbereich und Stauchungen des Stirnhirns sowie einen irreparablen Ausfall des linksseitigen Gesichtsfeldes, mithin an sich schwere Verletzungen, verbunden mit einer Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit von mehr als 24-tägiger Dauer zuzog, einen Aktenkoffer (mit zahlreichen Geschäftsunterlagen), einen Schlüsselbund, einen goldenen Ehering, eine goldene Halskette mit Kreuz im Wert von ca. 5.000 S sowie 700 S, 100 sFr, 10 DM und 110.000 Lire Bargeld;

B/ am 31.August 1985 dem Alfred G***, nachdem er ihn durch Eingabe mehrerer Schlafmittel betäubt hatte, 2.000 S Bargeld, eine Armbanduhr "Mirexal", silberne Manschettenknöpfe, einen Faltkoffer, eine schwarze Reisetasche, einen Herrenanzug, einen Herrenpullover, ein Herrenhemd, drei Ölbilder, eine Reiseschreibmaschine "Hermes", ein Schachspiel, eine Schachtel mit Uhrmacherschraubenziehern, eine optische Brille mit Goldfassung, eine Plastikgeldbörse, eine Rokokofigur im Wert von ca. 10.000 S, acht flache Porzellanteller, eine Stereokompaktanlage "Toshibe" und mehrere Schallplatten. Die Geschwornen hatten die beiden anklagekonform gestellten Hauptfragen (fortlaufende Zahlen 1 und 4) jeweils stimmeneinhellig bejaht, wobei sie allerdings im ersten Fall (Hauptfrage 1) von der Möglichkeit der teilweisen Bejahung der Frage (§ 330 Abs. 2 StPO) durch den Zusatz "Mit Einschränkung der Dauerfolgen" Gebrauch machten und damit zum Ausdruck brachten, daß dem Angeklagten die Herbeiführung einer schweren Dauerfolge (§ 85 StGB) und demnach die Qualifikation des § 143 vierter Fall StGB nicht zuzurechnen ist. Dieses Urteil bekämpfen sowohl der Angeklagte als

auch - allerdings nur in bezug auf den Schuldspruch zu Punkt A/ des Urteilssatzes - die Staatsanwaltschaft mit Nichtigkeitsbeschwerden; ersterer macht die Gründe der Z 5, 8, 9 und 12 des § 345 Abs. 1 StPO, letztere jene der Z 9 und 12 der zitierten Gesetzesstelle geltend.

Beiden Rechtsmitteln kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Als Verfahrensmangel (Z 5) rügt der Angeklagte die Abweisung seines Beweisantrages auf Vernehmung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der islamischen Religionslehre, allenfalls eines Ethnosoziologen, zum Beweis dafür, daß Homosexualität nach islamischem Recht ein streng verpöntes Verbrechen sei und es der arabischen Mentalität entspreche, wenn der Angeklagte jemanden "bestrafen" wolle, der ihn homosexuell belästige (S 350 iVm S 260); dies jedoch zu Unrecht.

Denn das angegebene Beweisthema betrifft lediglich das (angebliche) Tatmotiv, nicht aber einen für die Entscheidung über die Schuld oder den anzuwendenden Strafsatz erheblichen Umstand, weshalb die begehrte Beweisaufnahme ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten unterbleiben konnte.

Ebenso unbegründet ist auch die weitere Rüge des Angeklagten (Z 8), der Schwurgerichtshof habe den Geschwornen insofern eine unrichtige, weil unvollständige Rechtsbelehrung erteilt, als "bei der Erläuterung (der) für die Zurechnung der Verletzung notwendigen Fahrlässigkeit nicht ausreichend auf die Adäquanztheorie bzw. Voraussehbarkeit der Verletzung hingewiesen wurde". Wird doch in der Rechtsbelehrung (S 3) diesbezüglich ausgeführt, daß der Täter für besondere Folgen seiner Tat, an die das Gesetz eine strengere Strafe knüpft, grundsätzlich nur dann einzustehen hat, "wenn diese innerhalb des von ihm eingegangenen Gefahrenrisikos gelegen sind und nicht bloß infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung für ihn nicht vorhersehbarer Umstände" eingetreten sind. Damit wurde den Laienrichtern aber in zutreffender, ausreichender und allgemein verständlicher Weise verdeutlicht, daß der Täter nur für "adäquate" Folgen seiner Tat haftet, nicht jedoch für "atypische", nicht vorhersehbare Erfolge (vgl. SSt. 53/43; EvBl. 1985/133; ÖJZ-LSK 1984/170 ua). Daß die Geschwornen diese Belehrung auch richtig verstanden haben, zeigt die einschränkende Bejahung der Hauptfrage 1 (vgl. auch die bezüglichen Ausführungen in der Niederschrift der Geschwornen). Von einer der Unrichtigkeit gleichkommenden Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung in bezug auf die Voraussetzungen (objektiver) Zurechnung besonderer Tatfolgen kann somit keine Rede sein.

Entgegen den Beschwerdeausführungen sowohl des Angeklagten als auch des öffentlichen Anklägers haftet dem Wahrspruch (zur Hauptfrage 1) im gegebenen Zusammenhang auch keine Nichtigkeit nach der Z 9 des § 345 Abs. 1 SPO an. Mängel des Wahrspruchs müssen aus dem Inhalt desselben abgeleitet werden. Dessen Vergleich mit vermeintlichen oder tatsächlichen Verfahrensergebnissen oder mit der gemäß § 331 Abs. 3 StPO verfaßten Niederschrift entspricht nicht der gesetzmäßigen Darstellung des in Rede stehenden Nichtigkeitsgrundes. Daher gehen alle auf die Gutachten der beigezogenen Sachverständigen gestützten Hinweise des Angeklagten auf eine Atypizität der Wirkung des von ihm verwendeten Betäubungsmittels auf den Zeugen Richard S*** bzw. die gegenteiligen Behauptungen der Staatsanwaltschaft von vornherein ins Leere. Dem Wahrspruch selbst aber sind Undeutlichkeiten, innere Widersprüche oder (von den Beschwerdeführern gar nicht reklamierte) Unvollständigkeiten, die zur Einleitung eines Moniturverfahrens (§ 332 Abs. 4 StPO) Anlaß bieten hätten können, nicht zu entnehmen. Aus dem Wahrspruch ergibt sich vielmehr (im übrigen übereinstimmend mit der vom Obmann der Geschwornen verfaßten Niederschrift), daß die Geschwornen die Hauptfrage 1 sowohl in Ansehung des Grundtatbestandes des Raubes als auch des Qualifikationsmerkmales der schweren Verletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) des Opfers bejahten, die in diese Frage aufgenommene (§ 317 Abs. 2 StPO) weitere (uneigentliche) Zusatzfrage nach dem strafsatzändernden Umstand einer Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) hingegen in der nach dem Gesetz (330 Abs. 2 StPO) zulässigen Form der Beifügung einer Beschränkung (vgl. hiezu EvBl. 1965/176) verneinten, womit ihm aber eine Undeutlichkeit nicht anhaftet. Da ferner nach den Gesetzen logischen Denkens nicht auszuschließen ist, daß ein in der Hauptfrage enthaltenes Tatsachensubstrat, das einem im Gesetz namentlich angeführten Erschwerungs- oder Milderungsumstand entspricht, zwar unter dem Aspekt der schweren Verletzung bejaht, unter jenem der Dauerfolgen jedoch verneint wird - etwa weil wohl erstere, nicht aber letztere (objektiv und/oder subjektiv) vorhersehbar war -, liegt auch ein innerer Widerspruch des Wahrspruchs nicht vor. Die für die Beantwortung der Fragen maßgeblichen, in der erwähnten Niederschrift festgehaltenen Erwägungen der Geschwornen, auf die insbesondere die Staatsanwaltschaft zurückgreift, sind nicht Gegenstand des Verdikts; sie können daher weder im Rahmen der Z 9 des § 345 Abs. 1 StPO noch eines anderen Nichtigkeitsgrundes erörtert bzw. angefochten werden (Mayerhofer-Rieder StPO 2 ENr. 11 zu § 331), sodaß die darauf bezugnehmenden Beschwerdeeinwände der gesetzmäßigen Ausführung entbehren. Das gilt gleichermaßen für die Rechtsrügen (Z 12), weil beide Beschwerdeführer nicht von dem durch den Wahrspruch vorgegebenen Sachverhalt ausgehen.

Übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur waren somit beide Nichtigkeitsbeschwerden zu verwerfen. Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 (acht) Jahren. Dabei wertete es als erschwerend die Tatwiederholung, als mildernd hingegen den bisherigen untadeligen Wandel des Angeklagten und die teilweise Zustandebringung der Raubbeute.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen diesen Strafausspruch Berufung angemeldet (S 377), dieses Rechtsmittel in der Folge jedoch nicht ausgeführt. Da es an einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung der Zielrichtung der Berufung fehlt, war diese gemäß § 294 Abs. 4, 296 Abs. 2 StPO zurückzuweisen.

Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung die Herabsetzung der Strafe, allenfalls unter Anwendung des § 41 StGB, an; dies zu Unrecht.

Zu den vom Erstgericht im übrigen zutreffend festgestellten besonderen Strafzumessungsgründen kommt als weiterer Erschwerungsgrund hinzu, daß der Angeklagte jeweils heimtückisch gehandelt hat (§ 33 Z 6 StGB), während die von der Berufung reklamierten zusätzlichen Milderungsgründe nicht gegeben sind. Angesichts der Schwere der personalen Täterschuld und des Unrechtsgehaltes der Taten erweist sich das in erster Instanz gefundene Strafmaß im unteren Bereich der (von fünf bis zu fünfzehn Jahren reichenden) gesetzlichen Strafdrohung des § 143 erster Satz StGB als nicht überhöht, weshalb dem Begehren um Strafreduzierung nicht nähergetreten werden konnte.

Es war sohin insgesamt spruchgemäß zu erkennen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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