OGH 11Os27/87

OGH11Os27/8714.4.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.April 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hazbi A*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Linz vom 12.Jänner 1987, GZ 21 Vr 1.430/86-73, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Hauptmann, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Lichtl zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der am 19.Februar 1942 geborene Hazbi A*** des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und des Vergehens nach dem § 36 Abs. 1 Z 1 WaffG (Punkt 2 des Urteilssatzes; zur Zitierweise der gesetzlichen Bestimmung siehe die Wiederverlautbarung des Waffengesetzes in BGBl. Nr. 443/1986) schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, 1/ am 10.Juni 1986 in Wilhering Roswitha B***, Franz A*** und Hildegard K*** dadurch vorsätzlich getötet zu haben, daß er aus einer Entfernung von weniger als 2 Metern Pistolenschüsse auf sie abgab, wobei er auf ihre Köpfe zielte;

2/ vom Sommer 1985 bis 10.Juni 1986 in Linz, Leonding und Wilhering eine Faustfeuerwaffe, nämlich eine Pistole Marke FN 8482 a, Kal. 7,65 mm, unbefugt besessen und am 10.Juni 1986 geführt zu haben. Die Geschwornen hatten die anklagekonformen Hauptfragen (Nr. 1 und Nr. 2) bejaht und demgemäß die - für den Fall der Verneinung der auf Mord lautenden Schuldfrage gestellte - Eventualfrage (Nr. 3) in Richtung Totschlag unbeantwortet gelassen. Eine Zusatzfrage (Nr. 4) nach Zurechnungsunfähigkeit zufolge eines im § 11 StGB bezeichneten Zustandes anläßlich der am 10.Juni 1986 verübten Taten war von den Geschwornen verneint worden.

Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf die Z 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welche sich der Sache nach allein gegen den Schuldspruch wegen Mordes richtet. Überdies ficht er den Strafausspruch mit Berufung an. Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung im Sinn des erstgenannten Nichtigkeitsgrundes rügt der Beschwerdeführer zunächst, daß für die in Realkonkurrenz begangenen drei Tötungsdelikte nur eine gemeinsame Hauptfrage nach Mord und eine gemeinsame Eventualfrage nach Totschlag gestellt wurde. Die Geschwornen hätten also keine Möglichkeit gehabt, für jedes Tatopfer gesondert eine Mordtat oder Totschlag zu bejahen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Beschwerdestandpunkt, der auch in den hiezu zitierten, andere Problembereiche betreffenden (Vor-) Entscheidungen keine Stütze findet, wird eine zusammenfassende Fragestellung weder vom Gesetz verboten, noch von der Judikatur generell abgelehnt. Nach dem § 317 Abs. 2 StPO bleibt es nämlich der Beurteilung durch den Schwurgerichtshof im einzelnen Fall überlassen, inwieweit Tatsachen in einer Frage zusammenzufassen oder zum Gegenstand besonderer Fragen zu machen sind. Diese Befugnis ist nicht unbegrenzt, weil sie nur unter Wahrung des Zweckes der Fragestellung, den Laienrichtern eine wahrspruchsmäßige unproblematische Erfassung aller aktuellen Sachverhaltsvarianten zu ermöglichen, ausgeübt werden darf. Daher soll die Verbindung mehrerer Fakten in einer Frage dann unterbleiben, wenn dadurch die vollständige Prüfung und erschöpfende Beurteilung des Sachverhaltes vereitelt oder die Gefahr einer unsachgemäßen pauschalen Beurteilung ohne sorgfältige Prüfung der Schuld im Einzelfall geschaffen wird (siehe hiezu Mayerhofer-Rieder, StPO 2 ENr. 5 ff zu § 317). Ein derartiger Mangel könnte sich allerdings nur aus dem Entscheidungsgegenstand und dem Fragenprogramm selbst ergeben, niemals jedoch aus der gemäß dem § 331 Abs. 3 StPO abgefaßten Niederschrift, welche nach ständiger Rechtsprechung keine Grundlage für die Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes bildet; auf die vom Beschwerdeführer versuchte inhaltliche Auslegung der dort angegebenen Erwägungen der Geschwornen war darum mangels Relevanz für das Rechtsmittelverfahren nicht einzugehen.

Vorliegend kann nicht gesagt werden, daß die Zusammenfassung der drei Tötungsdelikte in jeweils einer Frage den Geschwornen nahegelegt habe, eine gesonderte Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen jeder einzelnen Tat zu unterlassen. Seinem Substrat nach beschränkt sich der Beschwerdeeinwand auf die Darlegung der abstrakten Möglichkeit einer von der Fragenkumulierung ausgehenden Erschwernis bei Differenzierung der Taten nach Mord und Totschlag. Diese denkbare Behinderung wurde jedoch schon durch Belehrung der Geschwornen über die Zulässigkeit teilweiser Bejahung von Fragen zur Gänze ausgeräumt, ohne daß die entsprechenden Ausführungen - wie es der Angeklagte mit einer im Sachzusammenhang stehenden Rüge behauptet - in einem der Unrichtigkeit nach der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO gleichkommenden Maße unvollständig oder undeutlich wären.

Aus dem Unterbleiben ausdrücklicher Hervorhebung, daß im Weg einer teilweisen Bejahung der Schuldfragen Nr. 1 und Nr. 3 nach Mord und Totschlag eine unterschiedliche Beurteilung der insgesamt drei Tötungsdelikte ermöglicht werde, ergibt sich nämlich keineswegs eine inhaltliche Unrichtigkeit der Belehrung. Ferner wurden die Geschwornen weder über die bestehende gesetzliche Regelung im unklaren gelassen, noch in irreführender Weise bloß über die Zulässigkeit der Eliminierung einzelner Tatumstände informiert:

Bereits in den allgemeinen Hinweisen und Richtlinien für die Geschwornen, die im Beratungszimmer aufliegen (§ 325 Abs. 2 StPO), ist die Belehrung über die teilweise Fragenbejahung enthalten, welche außerdem noch oberhalb der Antwortspalte des in Heranziehung des StPO-Form. 15 erstellten Fragenprogramms hervorgehoben wird. Unter diesen Voraussetzungen kommt der vom Beschwerdeführer angeführten Passage der Rechtsbelehrung, worin von der Nichtannahme in der Frage enthaltener Tatumstände die Rede ist, keineswegs einschränkender und die Negierung einzelner Taten ausschließender Sinngehalt zu. Ebensowenig macht die - sich an dieser Stelle findende - wörtliche Wiedergabe eines die einschlägige Regelung enthaltenden Gesetzestextes (§ 330 Abs. 2 letzter Satz StPO) die Belehrung unrichtig.

Als weitere Mängel der Fragestellung im Sinn der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO rügt der Beschwerdeführer Verstöße gegen die Vorschriften der §§ 313 und 314 StPO, weil zur Ermordung des Franz A*** auch Fragen nach Handeln in tatsächlicher oder vermeintlicher Notwehr sowie nach fahrlässiger Tötung im Rahmen eines Notwehrexzesses erforderlich gewesen wären. Das in diesem Zusammenhang bezeichnete Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung indiziert eine derartige Beurteilung aber nicht, womit es schon an einer Grundvoraussetzung der angestrebten Erweiterung des Fragenschemas fehlt:

Vorerst muß dem Beschwerdeführer erwidert werden, daß die von ihm ins Treffen geführten Teile seiner Verantwortung, er habe Angst gehabt und an eine Verteidigung gegen eine von A*** angekündigte Messerattacke gedacht, sich nicht auf das eigentliche Tatgeschehen beziehen, sondern Erklärungen darstellen, die - unter Widerruf früherer Aussagen über einen vorgefaßten

Tötungsentschluß - lediglich zur Frage abgegeben wurden, aus welchem Grund er sich damals vor dem neuerlichen Betreten des Hauses mit einer Pistole bewaffnet hatte. Demnach betrifft dieses Vorbringen bloß das Motiv für die Mitnahme einer Schußwaffe, das für die allein maßgebliche Beurteilung der konkreten objektiven und subjektiven Umstände des späteren Waffengebrauches unerheblich bleiben muß. Die schließlich vom Beschwerdeführer herangezogenen Angaben über den unmittelbaren Tatverlauf vermögen die Annahme einer Notwehrsituation oder einer Putativnotwehr ebenfalls nicht zu decken: Vor dem Untersuchungsrichter hatte der Angeklagte am 13. Juni 1986 erklärt, keine Erinnerung an die fraglichen Vorgänge zu haben (Band I, ON 7, S 29 f); bei einer späteren Vernehmung am 1. Juli 1986 hatte er deponiert, auf den in zwei bis drei Meter Entfernung stehenden Franz A*** geschossen zu haben, welcher nicht auf ihn zugekommen sei und bei dem er auch kein Messer gesehen habe (Band I, ON 7, S 31 a). In der Hauptverhandlung gab der Angeklagte schließlich an, er habe die drei ums Leben gekommenen Personen - vor allem Franz A*** - nur erschrecken und nicht töten wollen. Dem zusammengefaßten Sinngehalt dieser Verantwortung zufolge vermochte er sich daran zu erinnern, zuerst auf A***, der - am Küchentisch sitzend - aufsprang und Anstalten traf, ein auf dem Tisch liegendes Messer zu ergreifen, geschossen zu haben. Bei der Schußabgabe sei er sehr nervös gewesen und habe nichts gesehen; er könne deshalb nicht sagen, ob A*** schon ein Messer in der Hand hatte (Band II, ON 72, S 29 f). Grund für die Schüsse sei gewesen, daß A*** "zum Messer gesprungen" sei und er (Angeklagter) selbst schon "durchgedreht" habe (Band II, ON 72, S 32).

In keiner der Verantwortungen kommt eine konkrete Vorstellung des Angeklagten von einem gegen ihn geführten Angriff zum Ausdruck. Aus diesen Schilderungen kann sich also auch nicht ergeben, daß die tödlichen Schüsse nur eine notwendige Verteidigungsmaßnahme bildeten, um eine gegenwärtige oder unmittelbar drohende Attacke auf die körperliche Unversehrtheit (des Angeklagten) abzuwehren. Selbst wenn man den vom Angeklagten in der Hauptverhandlung behaupteten Geschehnisablauf als erwiesen ansähe, könnte bei objektiver Betrachtung von einem in der fraglichen Phase gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff schon deshalb nicht gesprochen werden, weil sich Franz A*** in relativ eingeengter Position hinter einem Tisch befand (Band I, S 325, 329 und 351 in der Tatbestandsmappe; Band II, ON 72, S 35) und nicht geradewegs auf den Abgeklagten hätte zugehen können, abgesehen von der offenen Frage, wie weit ein allenfalls angestrebter Griff nach einem Messer gediehen war bzw. überhaupt eine Körperverletzung vorbereiten sollte. Unter diesen Begleitumständen wären die Gefahr eines Angriffes des A*** und die Notwendigkeit einer abwehrenden Reaktion noch keineswegs eindeutig gewesen, Notwehrhandlungen des Angeklagten mithin nicht in Betracht gekommen (siehe hiezu Nowakowski im WK Rz. 15 zu § 3). Die abschließend vom Beschwerdeführer betonte Schlußfolgerung des Sachverständigen für gerichtliche Medizin, daß Franz A*** (schon) vom ersten Schuß getroffen wurde, als er (erst) im Begriff war, aus der Sitzposition aufzustehen, spricht ebenfalls eher gegen den behaupteten Abwehrcharakter des Schusses und ist jedenfalls nicht geeignet, einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff des Getöteten auf ein notwehrfähiges Gut zu indizieren.

Somit kann das in Rede stehende Tatsachenvorbringen insgesamt auch in der von der Beschwerde angestrebten Deutung nur dahin verstanden werden, daß der Angeklagte zwar bei der Abgabe der Schüsse auf Franz A*** die Befürchtung hegte, jener könnte eine Attacke mit einem Messer unternehmen, ohne daß die Situation tatsächlich schon bis zu einem solchen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff im Sinn des § 3 Abs. 1 StGB gediehen war. Aus diesen Prämissen läßt sich aber mangels Gegenwärtigkeit des befürchteten Angriffs weder eine wirkliche noch eine vermeintliche Notwehrsituation ableiten, sodaß die vom Beschwerdeführer vermißte Fragestellung zu Recht unterlassen wurde.

Als nicht zielführend erweist sich letztlich auch der verbleibende Einwand einer Unrichtigkeit der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander (§ 345 Abs. 1 Z 8 StPO in Verbindung mit § 321 Abs. 2 StPO). Es trifft nämlich nicht zu, daß die Geschwornen im allgemeinen Teil der Rechtsbelehrung dahin instruiert worden wären, sich nach Beantwortung der Hauptfragen (auch im verneinenden Sinn) auf jeden Fall mit der Zusatzfrage wegen Zurechnungsunfähigkeit zu befassen, sodaß die Eventualfrage Nr. 3 nach Totschlag überhaupt nicht oder nur unter Mißachtung der Belehrungsausführungen über die Beantwortungsreihenfolge hätte zum Zug kommen können. Vielmehr übergeht der Angeklagte bei seinem Vorbringen den in den betreffenden Ausführungen enthaltenen Satz: "Bei Verneinung der Hauptfrage I ist die Eventualfrage zu beantworten" (Band II, ON 72, S 71, 9. und 10.Zeile). Demnach versagt die Rüge allein schon deshalb, weil der Rechtsbelehrung eine Aussage unterstellt wird, die sie in Wahrheit nicht enthält.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten gemäß dem § 75 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von sechzehn Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung die Tötung von drei Personen und das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen als erschwerend und zog das Geständnis des Tatsächlichen, die Unbescholtenheit des Angeklagten und den Umstand, daß er aus einem anderen Kulturkreis und aus einer anderen Vorstellungswelt (Mazedonien) stammt, ferner die Provokation durch die drei später Getöteten und die dadurch entstandene heftige Gemütserregung sowie den längeren Spannungszustand (in dem sich der Angeklagte vor der Tat befunden hatte), seinen Schädelstreifschuß, durch welchen er sich einen Dauerschaden zufügte, und schließlich den Umstand, daß er ein sehr fleißiger Arbeiter war, als mildernd in Betracht.

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe unter Anwendung des § 41 StGB.

Auch der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Die Strafzumessungsgründe wurden in erster Instanz - wie der Berufungswerber selbst einräumen muß - vollständig erfaßt. Entgegen der Auffassung des Rechtsmittelwerbers wurde den Milderungsumständen auch hinreichend Rechnung getragen. Der besonders hohe Unrechtsgehalt der Tat, durch die drei Menschen ihr Leben verloren, verbietet eine noch weitergehende Mäßigung der Strafe. Somit mußte auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

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