OGH 11Os15/87

OGH11Os15/8731.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 31.März 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Siegfried Wendelin H*** wegen des Vergehens nach dem § 16 Suchtgiftgesetz über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 5. Juni 1986, AZ 31 Bl 133/86, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 5. Juni 1986, AZ 31 Bl 133/86, verletzt durch den in seinen Entscheidungsgründen enthaltenen Ausspruch, der Angeklagte Siegfried Wendelin H*** habe den bestehenden Vorschriften zuwider nur eine geringe Menge Suchtgift zum eigenen Gebrauch erworben oder besessen, das Gesetz in der Bestimmung des § 17 Abs. 1 SGG.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 21.Februar 1986, GZ 18 U 1.907/85-35, wurde ua der am 29.Juni 1955 geborene Aushilfskellner Siegfried Wendelin H*** des Vergehens des unberechtigten Erwerbes, Besitzes und der versuchten Weitergabe von Suchtgift nach den §§ 16, Abs. 1, 4., 5. und 6. Fall, SGG, 15 StGB schuldig erkannt und (unter Vorhaftanrechnung) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verurteilt. Gemäß dem § 16 Abs. 3 SGG wurde auf Einziehung des den Gegenstand der strafbaren Handlung bildenden Suchtgifts erkannt.

Weder Siegfried Wendelin H*** noch die Staatsanwaltschaft meldeten gegen dieses Urteil innerhalb der hiefür offenstehenden dreitägigen Frist (§ 466 Abs. 1 StPO) ein Rechtsmittel an. Die wegen Vergehens nach dem § 16 Abs. 1, 4., 5. und 6. Fall, SGG zu einer - bedingt nachgesehenen - Geldstrafe verurteilte (Mit-) Beschuldigte Monika B*** hatte bereits in der Hauptverhandlung einen Rechtsmittelverzicht abgegeben. Da die Schuldsprüche zudem auf einem umfassenden und durch die übrigen Ergebnisse der Hauptverhandlung unterstützten Geständnis der beiden Beschuldigten beruhten, wurden das Verhandlungsprotokoll und die Ausfertigung des Urteils zunächst durch einen Vermerk gemäß dem § 458 Abs. 2 StPO ersetzt. Erst am 25.Februar 1986 ergriff Siegfried Wendelin H*** das Rechtsmittel der vollen Berufung. Darauf wurden gemäß dem § 595 Abs. 1 Geo (vgl. auch JABl. Nr. 24/1977) das Urteil sowie - ohne daß dies geboten gewesen wäre (vgl. SSt. 42/16) - auch das Protokoll über die Hauptverhandlung ausgefertigt. Das Erstgericht ließ dem Berufungswerber sodann eine Urteilsausfertigung zur Ausführung der (verspätet) angemeldeten Berufung zustellen und legte den Akt nach fristgemäßem Einlangen der Berufungsschrift (§ 467 Abs. 1 StPO) dem Landesgericht Linz als Berufungsgericht vor. Aus Anlaß der verspäteten Berufung hob das Landesgericht Linz das angefochtene Urteil mit Entscheidung vom 5.Juni 1986, AZ 31 Bl 133/86, auf und verwies die Strafsache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Nach den hier wesentlichen Feststellungen des erstgerichtlichen Urteils gab Monika B*** (von einer gewissen Ulrike K*** erworbene) 50 Gramm Haschisch an Siegfried Wendelin H*** weiter. Zwischen beiden wurde eine Teilung dieser Haschischmenge vereinbart, zu der es jedoch nicht mehr kam, weil das Suchtgift im Verlauf kriminalpolizeilicher Ermittlungen bei einer Hausdurchsuchung am 24.August 1985 in der Wohnung des H*** sichergestellt werden konnte.

Im Gegensatz zum Erstgericht, welches das bloße Aufbewahren des übernommenen Haschisch zum Zweck einer späteren Teilung als versuchte (Suchtgift-) Weitergabe wertete, vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, daß Siegfried Wendelin H*** insoweit noch keine im Sinn des § 15 Abs. 2 StGB ausführungsnahe Versuchshandlung verantworte und daß zudem die Herausgabe von Suchtgift an einen Mitgewahrsamsinhaber (hier: Monika B***, die den Gewahrsam nicht aufgegeben hatte) keine "Überlassung" gemäß dem § 16 Abs. 1, 6. Fall, SGG sei. Da Siegfried Wendelin H*** ausschließlich deshalb angezeigt sei, weil er den bestehenden Vorschriften zuwider eine geringe Menge von Suchtgift zum eigenen Gebrauch erworben und besessen habe, wäre - so meint das Berufungsgericht - gemäß den §§ 17 ff SGG vorzugehen gewesen. Das zitierte Urteil des Berufungsgerichtes steht insofern nicht mit dem Gesetz in Einklang, als es auf Grund der vom Bezirksgericht Linz getroffenen Feststellungen von der Begehung einer nach dem § 16 Abs. 1, 4. und 5. Fall, SGG strafbaren Handlung in bezug auf eine geringe Suchtgiftmenge ausgeht.

Rechtliche Beurteilung

Eine "geringe Menge" Suchtgift im Sinn des § 17 Abs. 1 und Abs. 2 SGG muß nämlich deutlich unter der für den § 12 Abs. 1 SGG maßgebenden Grenzmenge liegen. Sie darf ferner das Ausmaß des seinerzeit im § 9 a SGG aF vorgesehen gewesenen Wochenvorrates nicht erreichen. Innerhalb dieser Größenordnung sind auch die Verhältnisse des Täters, insbesondere der Grad seiner Abhängigkeit vom betreffenden Suchtmittel, zu berücksichtigen (vgl. EvBl. 1982/110 = ÖJZ-LSK 1982/67): Bei Auslegung des - für die Annahme des bedingt temporären sachlichen Strafausschließungsgrundes (vgl. ÖJZ-LSK 1976/99) nach dem § 17 SGG entscheidenden - normativen Begriffes der geringen Menge ist demnach einerseits von der Grenzmenge des § 12 Abs. 1 SGG auszugehen, von der sich die geringe Menge deutlich unterscheiden muß; anderseits ist hier ein subjektiver Maßstab anzulegen.

Durch die Suchtgiftgesetznovelle 1985, BGBl. Nr. 184, trat insofern eine Änderung ein, als der § 12 Abs. 1 SGG nunmehr auf eine "große" Suchtgiftmenge abstellt, und der beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz eingerichtete Beirat zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Alkohol und anderer Suchtmittel aus Anlaß dieser Gesetzesnovellierung zum Begriff der geringen und der großen (Suchtgift-) Menge gutächtlich eine Anhebung der betreffenden Werte empfahl. Danach soll bei der Beurteilung der geringen Menge vor allem die mehr oder weniger vorhandene Abhängigkeit von bzw. Gewöhnung an Suchtgift maßgebend sein, ferner je nach Einzelfall von der Einzeldosis oder von der Tagesdosis bei "Ungewöhnten" oder "Gewöhnten" ausgegangen werden, und es sollen bei Substanzen, die - wie Tetrahydrocannabinol (THC) - keine körperliche, sondern gegebenenfalls eine psychische Abhängigkeit hervorrufen, die auf der Grundlage von Erfahrungswerten angegebenen Mengenbereiche Berücksichtigung finden (vgl. Erlaß des Bundesministeriums für Justiz vom 27.Juni 1985, JABl. Nr. 28, betreffend Suchtgiftgesetznovelle 1985; Foregger-Litzka, SGG 2 , Anm. IV zu § 12 SGG, Anm. VI zu § 17 SGG sowie S 100 f, 108 ff; Kodek, SGG, 49 ff, 83). Bei Haschisch bestimmen sich Grenzwert und geringe Menge nach dem im Cannabiskraut, Cannabisharz oder Cannabiskonzentrat enthaltenen Gehalt des psychoaktiven Wirkstoffs THC. Selbst wenn man den Empfehlungen des Beirats im Fall des hier bedeutsamen Suchtgiftes uneingeschränkt folgt, darf im Bereich der geringen Menge dieser psychotropen Substanz ein (Grenz-) Wert von 2 Gramm THC (Reinsubstanz) keinesfalls überschritten sein: Um annehmen zu können, der Angeklagte Siegfried Wendelin H*** habe eine bloß geringe Suchtgiftmenge erworben und besessen, wie dies eine vorläufige Zurücklegung der Anzeige nach dem § 17 Abs. 1 SGG ua voraussetzen würde, hätte also das Berufungsgericht zunächst (nach entsprechender Beweiswiederholung oder Beweisergänzung) den THC-Gehalt der sichergestellten Droge und den Grad der Gewöhnung des Angeklagten an dieses Suchtgift feststellen müssen. Nach dem - in den Urteilen des Erstgerichtes und des Berufungsgerichtes unberücksichtigt gebliebenen - Befund und Gutachten der Kriminaltechnischen Zentralstelle des Bundesministeriums für Inneres betrug aber der THC-Gehalt des bei Siegfried Wendelin H*** sichergestellten Suchtgifts durchschnittlich 15,9 %, sodaß sich für insgesamt 49 Gramm Cannabisharz ein Mittelwert von 7,79 Gramm THC ergibt (vgl. S 239, 241 des Bezugsaktes). Selbst bei Zugrundelegung der für Siegfried Wendelin H*** bestimmten (halben - s.S 280 des Bezugsaktes) Menge und eines hohen Grades der Gewöhnung des Angeklagten an das Suchtgift wäre damit jener für THC gültige Maximalwert überschritten, der noch in den Bereich der geringen Menge fallen könnte.

Dem in den Entscheidungsgründen des Urteils des Landesgerichtes Linz enthaltenen Ausspruch, es habe sich bei dem von Siegfried Wendelin H*** erworbenen und besessenen Haschisch um eine geringe Menge gehandelt, haften sohin Feststellungsmängel an, welche auf einer unrichtigen Gesetzesanwendung beruhen. Im Hinblick auf die (zu weite) Auslegung des Begriffs "geringe Menge" und auf die Aufhebung des Schuldspruchs im Berufungsverfahren gereicht allerdings die Gesetzesverletzung dem Angeklagten zum Vorteil, sodaß es mit ihrer Feststellung das Bewenden hat. Daraus ergibt sich für das Erstgericht die Konsequenz, auf Grund der Bindung an die - wenn auch verfehlte - Rechtsansicht des Berufungsgerichtes (§§ 293 Abs. 2, 447 Abs. 1 StPO) nunmehr im Verfahren gegen Siegfried Wendelin H*** wegen des § 16 SGG zunächst gemäß dem § 19 (§ 17 Abs. 1) SGG - wie vom Berufungsgericht gefordert - vorgehen zu müssen.

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