OGH 12Os14/87

OGH12Os14/8726.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.März 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Lindner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ratibor J*** wegen der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 (Abs. 1 und) Abs. 4 (Punkt 1) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 13.Oktober 1986, GZ 25 Vr 1770/86-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Dr. Stöger, des Angeklagten Ratibor J*** und des Verteidigers Dr. Gussenbauer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Ratibor J*** wird von der Anklage, er habe am 12.Mai 1986 in Innsbruck

1. dem Christian O*** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 erster Fall StGB), nämlich eine schräggestellte vier Zentimeter lange Stichwunde oberhalb des Schambogens dadurch absichtlich zugefügt, daß er ihm mit einem Küchenmesser wuchtig in den Unterbauch stieß;

2. Manfred H*** durch Versetzen eines Messerstiches gegen den linken Oberarm, wodurch dieser eine zwei Zentimeter lange Schnittwunde erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt; er habe hiedurch begangen

zu 1.: das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB;

zu 2.: das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ratibor J***, ein jugoslawischer Staatsbürger, der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 (Abs. 1 und) Abs. 4 StGB (Punkt 1.) und nach § 88 Abs.1 StGB (Punkt 2.) schuldig erkannt und hiefür zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt. Ihm liegt zur Last, am 12. Mai 1986 in Innsbruck in Abwehr eines gegen ihn gerichteten (rechtswidrigen) tätlichen Angriffes des Christian H*** und des Manfred H*** das Maß der gerechtfertigten Verteidigung dadurch überschritten zu haben, daß er mit einem etwa 30 cm langen Küchenmesser

1. dem Christian H*** eine 4 cm lange Stichwunde oberhalb des Schambogens, somit eine dem Grade nach noch leichte Verletzung, die aber eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsstörung und Berufsunfähigkeit zur Folge hatte, und

2. dem Manfred H*** eine dem Grade nach leichte Verletzung, nämlich eine 2 cm lange Schnittwunde am linken Oberarm, zufügte. Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte in der Nacht zum 12.Mai 1986 (kurz nach Mitternacht) in Begleitung des 62-jährigen Rentners Andreas E*** das Gasthaus "Rosengarten" in der Claudiastraße in Innsbruck verlassen. Schon im Gasthaus war er von drei jungen Burschen, und zwar Christian H***, Manfred H*** und Robert Walter M*** belästigt worden. H*** und H*** folgten dem Angeklagten vom Lokal auf die Straße und holten ihn dort ein. Sie ließen die Aufforderung des Andreas E*** zu verschwinden unbeachtet und gingen mit geballten Fäusten auf den Angeklagten los, um auf ihn einzuschlagen. Der Angeklagte flüchtete vor den beiden Angreifern, zog aber zugleich ein Küchenmesser, das er damals bei sich hatte. H*** und H*** verfolgten den flüchtenden Angeklagten über eine Strecke von etwa 100 m, holten ihn ein und schlugen ihn zu Boden. Im Zuge von nicht gezielten Abwehrbewegungen (Herumschlagen) mit dem in seiner rechten Hand befindlichen Messer, mit dem er sich gegen die Schläge der beiden Angreifer zur Wehr setzte, fügte er H*** und H*** die vorerwähnten Verletzungen zu. Dem Angeklagten gelang es sodann, seine Flucht fortzusetzen.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht als eine auf einem asthenischen Affekt (Furcht) beruhende Notwehrüberschreitung. Es nahm eine Notwehrsituation als gegeben an, vermeinte aber, es hätte ausgereicht, daß sich der Angeklagte mit dem Messer in der Hand den beiden Angreifern entgegenstellt, um sie von weiteren Tätlichkeiten abzuhalten. Durch das Umsichschlagen mit dem Messer habe er aus Furcht das Maß der gerechtfertigten Verteidigung überschritten und die den beiden Angreifern zugefügten Verletzungen strafrechtlich als Fahrlässigkeitstat zu verantworten.

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner auf die Z 9 lit a des § 281 Abs.1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde hält der Angeklagte die Annahme einer Notwehrüberschreitung für rechtlich verfehlt.

Dem ist beizupflichten.

In der für den Angeklagten vorgelegenen Notwehrsituation durfte er sich zur Abwehr des Angriffs der notwendigen Verteidigung bedienen (§ 3 Abs. 1, erster Sstz StGB).

Notwendig i.S. des § 3 Abs. 1 StGB ist jene Verteidigungshandlung, die aus der Situation des Angegriffenen ("ex ante") gesehen, wenngleich unter Beachtung objektiver Kriterien gerade so weit in die Rechtsgüter des Angreifers eingreift, damit der Angriff verläßlich abgewehrt werden kann; das Maß der Abwehr bestimmt sich regelmäßig nach der Art, der Wucht und der Intensität des abzuwehrenden Angriffs, nach der Gefährlichkeit des Angreifers und nach den zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl Steininger, Die Notwehr in der neueren Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 1980, S 230). Nach der Lage des Falles kann - entgegen der Ansicht des Erstgerichts - im Verhalten des Angeklagten eine dieses Maß überschreitende Reaktion nicht erblickt werden. Der Angeklagte stand zwei Angreifern gegenüber, die bereits zuvor mit geballten Fäusten auf ihn losgegangen waren, um ihn zu schlagen; er hatte vergeblich versucht, sich der drohenden Konfrontation durch Flucht zu entziehen. Bei der in der Folge gegebenen Situation - er war von H*** und H*** eingeholt und zu Boden geschlagen worden - ist unter dem Aspekt der Verläßlichkeit, d.h. Wirksamkeit der Abwehrhandlung in der Verwendung eines Messers in der oben festgestellten Weise eine Notwehrüberschreitung nicht anzunehmen. Der vom Erstgericht erhobenen Forderung, ein zulässiges Abwehrmittel (stets) nur graduell abgestuft einzusetzen (nämlich sich den Angreifern mit dem Messer in der Hand - bloß - entgegenzustellen, um sie von weiteren Tätlichkeiten abzuhalten), kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden, zumal der Angeklagte einerseits gezwungen war, innerhalb weniger Sekunden das in der gegebenen Situation erforderliche Maß der Verteidigung abzuschätzen und andererseits unzureichende Abwehrhandlungen nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, die Angriffslust solcher Personen nur noch zu steigern und die für den Angegriffenen bestehende Gefahrenlage zu verschärfen (so bereits SSt 43/50). Liegt aber eine Notwehrüberschreitung durch den Angeklagten gar nicht vor, kommt eine strafrechtliche Haftung für die im Zuge der notwendigen Abwehr des rechtswidrigen Angriffes zugefügten Verletzungen unter dem Gesichtspunkt einer auf Fahrlässigkeit beruhenden Notwehrüberschreitung nicht in Betracht.

Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ratibor J*** Folge zu geben.

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