OGH 8Ob512/87

OGH8Ob512/8726.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hugo L***, 6060 Hall i.T., Landesnervenkrankenhaus, vertreten durch den Sachwalter Josef L***, 6830 Rankweil, Montfortstraße 26, dieser vertreten durch Dr. Manfred Puchner, Rechtsanwalt in Feldkirch, als Verfahrenshilfe-Anwalt, wider die beklagte Partei L*** T***, vertreten durch DDr. Armin Santner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Bezahlung von Pflegegebühren (Streitinteresse S 554.798,- s.A.), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 5. November 1986, GZ 5 R 266/86-26, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12.Februar 1986, GZ 15 Cg 638/84-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 16.023,15 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 1.456,65) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19.1.1925 geborene Kläger wurde wegen Geisteskrankheit voll entmündigt. Er ist seit 20.11.1952 - also seit mehr als 30 Jahren - im Landesnervenkrankenhaus Hall i.T. untergebracht. Sachwalter des Klägers ist sein Bruder Josef L***. Die Pflegschaft ist beim

Bezirksgericht Feldkirch unter SW 30/84 anhängig. Zur Geltendmachung der unten näher dargestellten Ansprüche bewilligte das Pflegschaftsgericht dem Kläger die Verfahrenshilfe. Es veranlaßte auch die Bestellung eines Verfahrenshilfe-Anwaltes durch den Ausschuß der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer.

Der Kläger begehrte, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, "ab 1.1.1982 die Pflegegebühren für den Kläger an das Nervenkrankenhaus Hall zuzüglich Stufenzinsen zu bezahlen, und zwar mit dem Differenzbetrag zwischen seiner anteiligen Pension im Ausmaß von 80 % und dem jeweils gültigen täglichen Pflegesatz". Die bis 31.12.1981 aufgelaufenen Pflegegebühren seien vom Sachwalter aus der Pension und dem nun aufgebrauchten Vermögen bestritten worden. Zur Deckung der Pflegegebühren stünden 80 % der Pension zur Verfügung, der Rest sei Taschengeld. Da der Kläger weiterhin pflegebedürftig sei und auch Hilfe und Wartung benötige, falle er unter die der beklagten Partei obliegende Sozialhilfe. Derzeit betrage der für den Kläger zu leistende Tagessatz S 500,-- bzw. S 550,--. Per 30.11.1984 betrage die Differenz zwischen den für den Kläger seit 1.1.1982 angefallenen Pflegegebühren und 80 % der ihm zukommenden Pension S 554.798,--.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete insbesondere die Unzulässigkeit des Rechtsweges und die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ein. Die Tätigkeit der beklagten Partei auf dem Gebiet der Sozialhilfe sei der Hoheitsverwaltung zuzuordnen. Soweit nach dem Tiroler Sozialhilfegesetz Leistungen der beklagten Partei als Trägerin von Privatrechten zu erbringen seien, bestehe auf sie kein Rechtsanspruch. Da sich der ordentliche Wohnsitz des Klägers von dem in Rankweil gelegenen Wohnsitz seines Sachwalters ableite, müsse sich der Kläger mit allfälligen Ansprüchen auf Sozialhilfe an das hiefür zuständige Land Vorarlberg wenden. Da der Kläger den Anteil an Pflegegebühren, deren Ersatz er von der beklagten Partei fordere, noch nicht geleistet habe, mangle seiner Forderung auch die Fälligkeit. Rechtsträger des Landesnervenkrankenhauses Hall i.T. sei die beklagte Partei selbst; sollte wider Erwarten die Forderung des Klägers zu Recht bestehen, werde gegen sie der Anspruch der Beklagten auf Leistung von Pflegegebühren aufrechnungsweise geltend gemacht. Im übrigen mangle dem Klagebegehren die Schlüssigkeit. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:

Der Kläger war zuletzt in seinem Elternhaus in Rankweil Nr.531 wohnhaft. Mit dem Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 22.6.1953 wurde er wegen Schizophrenie entmündigt. Zum Kurator wurde zunächst der Vater Oskar L*** und nach dessen Tod der Bruder Josef L*** bestellt. Josef L*** hat seinen Wohnsitz in Rankweil, Montfortstraße 26. Der Kläger wird seit 1952 im Landesnervenkrankenhaus Hall i.T. stationär behandelt. Er bezieht eine Pension der Österreichischen Bundesbahnen. Von den Pensionsbezügen verbleiben ihm 20 %; die restlichen Bezüge werden zur Abdeckung der Pflegegebühren im genannten Krankenhaus verwendet; allerdings wird damit nicht das Auslangen gefunden. Sowohl die beklagte Partei, das L*** T***, als auch das L*** V*** haben es abgelehnt, die nicht durch die Pensionsbezüge des Klägers gedeckten Pflegekosten im Rahmen der Sozialhilfe zu übernehmen. Das L*** V*** stellte sich auf den Standpunkt, daß der Kläger seit 30 Jahren im Landesnervenkrankenhaus Hall i.T. untergebracht sei und daher zur Leistung von Sozialhilfe die beklagte Partei zuständig wäre. Diese wiederum vertritt den Standpunkt, daß sich die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers nach dem Wohnsitz des Hilfsbedürftigen richte; da der Kläger keinen eigenen Wohnsitz begründen könne, hänge sein Wohnsitz vom Wohnsitz seines Sachwalters ab; der Kläger habe im übrigen nach den gesetzlichen Bestimmungen gegenüber der beklagten Partei keinen Rechtsanspruch auf die Gewährung von Sozialhilfe. Die dargelegten Rechtsstandpunkte wurden sowohl von der beklagten Partei als auch vom L*** V*** im Korrespondenzweg vertreten; ein Bescheid wurde bisher nicht erlassen.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß der Kläger nach den Bestimmungen des Tiroler Sozialhilfegesetzes vom 23.10.1973 keinen Rechtsanspruch auf die Leistung von Sozialhilfe durch die beklagte Partei habe, weshalb das Klagebegehren abzuweisen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteigt. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß die Gewährung der Hilfe für pflegebedürftige Personen, die vorbeugende Gesundheitshilfe und die Hilfe zur Überbrückung außergewöhnlicher Notstände nach § 5 Abs 10 des Tiroler SozialhilfeG LGBl.1973/105 der beklagten Partei als Träger von Privatrechten obliege. Auf solche Leistungen, die das Land erbringe, bestehe jedoch nach § 5 Abs 12 des Tiroler Sozialhilfegesetzes kein Rechtsanspruch. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen lägen nicht vor. Der Kläger habe seinen selbständigen allgemeinen Gerichtsstand in Tirol und leite diesen daher nicht vom Sachwalter ab. Das Klagebegehren sei zwar unbestimmt, da aber für den Kläger ohnedies kein Rechtsanspruch bestehe, sei eine allfällige Verbesserung des Klagebegehrens nicht mehr relevant.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Angeregt wird weiters, das Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs 10 und 12 des Tiroler Sozialhilfegesetzes zu unterbrechen. Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger baut seine Rechtsrüge im wesentlichen darauf auf, daß er die Bestimmung des § 5 Abs 10 und Abs 12 des Tiroler Sozialhilfegesetzes als verfassungsrechtlich bedenklich und gleichheitswidrig bezeichnet. Sein Standpunkt sei insbesondere deshalb fundiert, weil nach § 4 des Tiroler Sozialhilfegesetzes zur Sicherung des Lebensunterhaltes wohl ein Rechtsanspruch bestehe, nicht aber für die Hilfe für pflegebedürftige Personen nach § 5 Abs 1 lit d und Abs 5 des Tiroler Sozialhilfegesetzes. Letztere Hilfe müsse aber gleich geregelt sein wie erstere Sicherung des Lebensunterhaltes. Dem ist zu erwidern:

Nach § 1 Abs 1 Tiroler SozialhilfeG wird unter Sozialhilfe die staatliche Hilfe zur Führung eines menschenwürdigen Lebens verstanden. § 3 Tiroler SozialhilfeG unterscheidet unter anderem in lit a die Hilfe für Sicherung des Lebensunterhaltes und unter lit b die Hilfe in besonderen Lebenslagen. Der im § 4 Abs 1 Tiroler SozialhilfeG umschriebene Lebensunterhalt, der im wesentlichen den Aufwand für gewöhnliche Bedürfnisse, wie Unterkunft, Nahrung und dgl. umfaßt, ist nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle im Verwaltungsweg durchzusetzen. Die sogenannte Hilfe für pflegebedürftige Personen nach § 5 Abs 1 lit d und Abs 5 Tiroler SozialhilfeG gewährt das Land gemäß § 5 Abs 10 dieses Gesetzes jedoch nur als Träger von Privatrechten. Nach Abs 12 der genannten Bestimmung besteht auf diese Leistungen kein Rechtsanspruch.

Wie schon das Berufungsgericht klar herausarbeitete, unterscheidet der Gesetzgeber damit bewußt zwischen den verschiedenen Inhalten der Leistungsverpflichtungen des Landes. Die Sozialhilfe, die durch den Grundsatz der Subsidiarität gekennzeichnet ist (Schäfer in Krejci, Probleme der Fürsorge und Sozialhilfe im Wohlfahrtsstaat, 3; Drapalik in Krejci aaO 70, 78) und nur dort eingreift, wo ein sozialer Mindeststandard auch durch Sozialversicherungsleistungen nicht gedeckt ist (1 Ob 772/83 ua), erfordert ihrem Wesen nach eine weitgehende Freiheit der Verwaltung, dort zu helfen, wo zu helfen ist (Berchtold, Verfassungsrechtliche Fragen des österreichischen Sozialhilferechtes in Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht, Verlag Braumüller, Wien 1974, 43, 46). Der Intensitätsgrad der gesetzlichen Bindung bei dieser Verwaltungsmaterie kann daher schon aus der Problemstellung her nicht überall gleich sein (Berchtold aaO, 47).

Der im Art.7 B-VG verankerte Gleichheitsgrundsatz verpflichtet aber den Gesetzgeber bloß, an gleiche Tatbestände die gleichen Rechtsfolgen zu knüpfen. Dieser Grundsatz verbietet demnach wohl willkürliche Differenzierungen, läßt aber unterschiedliche Regelungen dort zu, wo sie durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen sachlich gerechtfertigt sind (VfSlg.7947, 7786, 4392 uva; SZ 49/101; EvBl 1982/107; ArbSlg.10.221; Walter-Mayer, Bundesverfassungsrecht 3 , 342 ff). Hiebei ist es zulässig, von einer durchschnittlichen Betrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen. Auch wenn sich Härtefälle ergeben könnten und das Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, hat dies noch keinen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot zur Folge (SozM I D 823; VfSlg.5318; 1 Ob 548/79; ArbSlg.10.221 ua). Unter diesen der Lehre und Rechtsprechung entsprechenden Gesichtspunkten betrachtet, ist das Argument des Berufungsgerichtes nicht von der Hand zu weisen, daß nach dem in Rede stehenden Tiroler SozialhilfeG nur dann für Leistungen kein Rechtsanspruch eingeräumt wurde, wenn die im § 4 als Lebensunterhalt umschriebenen gewöhnlichen Bedürfnisse bereits gesichert sind. Es bedeutet daher keine unzulässige unsachliche Differenzierung, wenn für die primären allgemein menschlichen Bedürfnisse des Lebensunterhaltes in einem weiteren Maße gesorgt erscheint, als für die zwar ebenfalls wichtigen aber nur in besonderen Lebenslagen zu gewährenden und demnach unter Berücksichtigung der verschiedensten Umstände des Einzelfalls gerechte und richtige Hilfe in besonderen Lebenslagen. Nur wenn das aus dem Gleichheitsgebot resultierende Sachlichkeitsgebot verletzt wäre, wenn also etwa sachlich nicht begründete Differenzierungen die Folge einer gesetzlichen Regelung wären (VfSlg.8457; JBl 1982, 606 ua), käme den Ausführungen des Klägers Berechtigung zu und wäre seiner Anregung auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Tiroler SozialhilfeG in den dargelegten Belangen zu entsprechen. Dies ist aber hier nicht der Fall. Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Auf die vom Berufungsgericht weiters angeschnittenen Fragen der Unbestimmtheit des Klagebegehrens ist aufgrund der dargelegten Beurteilung der von der Revision vorgebrachten Argumente nicht mehr einzugehen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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