OGH 10Os3/87

OGH10Os3/8724.2.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.Februar 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schopper als Schriftführer in der Strafsache gegen Richard B*** wegen des Verbrechens des versuchten Totschlags nach §§ 15, 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Staatsanwaltschaft sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Krems a. d. Donau vom 20.Oktober 1986, GZ 10 b Vr 442/86-29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Müller, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Der Berufung des Angeklagten wird nicht Folge gegeben. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die durch seine Rechtsmittel verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Richard B*** des Verbrechens des versuchten Totschlags nach §§ 15, 76 StGB schuldig erkannt, weil er am 12.Mai 1986 im Bereich der Ortsriede Lorwand im Gemeindegebiet von Fels am Wagram in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, nämlich deshalb, weil sein Bruder Erich B*** ihn wegen seines häufigen Alkoholkonsums und seiner mangelnden Arbeitsleistung tadelte, sich dazu hat hinreißen lassen zu versuchen, seinen Bruder Erich B*** dadurch vorsätzlich zu töten, daß er mit einem Flobertgewehr einen Schuß gegen dessen Brust abgab, wodurch dieser eine Verletzung an sich schweren Grades, nämlich einen Lungendurchschuß, erlitt.

Die Geschwornen verneinten die anklagekonforme Hauptfrage (Nr. 1) nach versuchtem Mord und bejahten die Eventualfrage 1 (Nr. 2) nach versuchtem Totschlag, weshalb weitere Eventualfragen in Richtung absichtlicher schwerer Körperverletzung (Nr. 3), schwerer Körperverletzung (Nr. 4) und gefährlicher Drohung sowie fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (Nr. 5 a und b) unbeantwortet blieben. Eine Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (Nr. 6) und eine Eventualfrage nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (Nr. 7) wurden verneint.

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft bekämpfen den Schuldspruch mit Nichtigkeitsbeschwerden, welche von beiden auf den Nichtigkeitsgrund nach Z 12 und vom Angeklagten auch auf den nach Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO gestützt werden. Keiner der beiden Nichtigkeitsbeschwerden kommt jedoch Berechtigung zu. Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) wird vom Angeklagten darin ersehen, daß der Schwurgerichtshof trotz seines eine lediglich fahrlässige Schußabgabe betreffenden Vorbringens den Geschwornen keine gesonderte Eventualfrage in Richtung fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 Abs. 1 und 4 erster Deliktsfall StGB) vorgelegt habe, sondern vielmehr die bezügliche Frage - welche allerdings (richtig gesehen) in Richtung fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 zweiter Fall StGB zielte - in der Eventualfrage 4 (laufende Nr. 5) zu Unrecht mit einer Frage nach gefährlicher Drohung verbunden habe, sodaß die Aufmerksamkeit der Geschwornen zu wenig auf seine Behauptung einer ungewollten Auslösung des Schusses gelenkt worden sei. Die Gestaltung des Fragenschemas ist jedoch durch § 317 Abs. 2 StPO der Beurteilung des Schwurgerichtshofes überlassen, der insbesondere darüber zu befinden hat, welche Tatsachen in einer Frage zusammenzufassen oder zum Gegenstand besonderer Fragen zu machen sind. Von einem Verstoß gegen Vorschriften der §§ 312 bis 317 StPO durch eine Verbindung von Fakten enthielt und die vom Angeklagten in seiner Verantwortung behauptete Fallgestaltung durchaus erfaßte, weder einen Zweifel an der Tragweite der entsprechenden Fragestellung aufkommen, noch lag darin ein Hindernis für eine eindeutige und erschöpfende Antwort der übrigens auch über die Zulässigkeit einschränkender Bejahungen (§§ 330 Abs. 2 StPO) ausdrücklich belehrten (s.S 1 der Rechtsbelehrung) Geschwornen.

Rechtliche Beurteilung

Demgemäß war die in der Beschwerde

angestrebte - getrennte - Fragestellung nicht geboten. Aus welchem Grund die in Rede stehende Frage nach dem ersten Fall des § 88 (Abs. 1 und) Abs. 4 StGB zu stellen gewesen sein sollte (und nicht nach jenem gemäß § 88 Abs. 1 und Abs. 4 zweitem Fall StGB), ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen; dieses unsubstanziierte Vorbringen entzieht sich daher einer inhaltlichen Erwiderung.

Nicht gesetzmäßig ausgeführt ist der auf Z 12 des § 345 Abs. 1 StPO gestützte Einwand, Akteninhalt und Beweisverfahren hätten bloß eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung zugelassen. Denn damit geht der Beschwerdeführer nicht vom Wahrspruch der Geschwornen aus, sodaß er den angerufenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund solcherart nicht zur prozeßordnungsmäßigen Darstellung bringt (Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , ENr. 8 zu § 345 Z 12).

Aber auch die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der unter Heranziehung der Z 12 des § 345 Abs. 1 StPO eine rechtliche Beurteilung der Tat als versuchter Mord angestrebt wird, ist nicht zielführend. Die Anklagebehörde leitet nämlich jene Wertung, mit der sie eine allgemeine Begreiflichkeit der festgestellten heftigen Gemütsbewegung, welche den Angeklagten zum Tatentschluß hingerissen hat, für nicht gegeben hält, nicht aus dem insoweit allein maßgeblichen Wahrspruch - der in der Beschwerde überhaupt unerwähnt bleibt - ab, sondern aus einer zusammenfassenden und die erstgerichtlichen Strafzumessungsüberlegungen einbeziehenden Würdigung von Verfahrensergebnissen. Solcherart wird aber in Wirklichkeit gar kein Rechtsirrtum bei der Subsumtion des im Wahrspruch umschriebenen Sachverhaltes behauptet, die gesetzmäßige Ausführung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes also verfehlt. Dem Standpunkt, daß die Beweisergebnisse auf eine allgemeine Begreiflichkeit des Affekts gar nicht hindeuten und demnach der Privilegierungstatbestand des (versuchten) Totschlags in Wahrheit nicht verwirklicht worden sein könne, hätte die Staatsanwaltschaft in prozeßordnungsmäßiger Weise nur durch einen rechtzeitigen Widerspruch gegen die bezügliche Eventualfrage und durch eine folgende Anfechtung dieser Fragestellung zum Durchbruch verhelfen können (§ 345 Abs. 1 Z 6 und Abs. 4 StPO), was jedoch versäumt wurde. Angesichts der Beschränkung des Obersten Gerichtshofs auf die Behandlung der von der Staatsanwaltschaft geltend gemachten Gründe (§ 290 Abs. 1 StPO; siehe SSt. 51/35) aber muß unberücksichtigt bleiben, daß der nach dem Gesagten maßgebende Wahrspruch die allgemeine Begreiflichkeit des Affekts des Angeklagten aus Umständen ableitet, in welchen diese Annahme tatsächlich keine Deckung findet. Denn um von einer solchen - allgemeinen - Begreiflichkeit ausgehen zu können, müßte der konkrete psychische Ausnahmezustand des Angeklagten (einschließlich der tatkausalen Heftigkeit) unter Berücksichtigung seines Anlasses bei rechtsethischer Bewertung für jedermann verständlich sein (EvBl. 1982/167). Davon indessen kann gewiß nicht gesprochen werden, wenn die Ursache - im Sinne des Verdikts - bloß darin lag, daß Erich B*** den Angeklagten "wegen seines häufigen Alkoholkonsums und seiner mangelnden Arbeitsleistung tadelte". Ob allerdings anläßlich dieser Formulierung der betreffenden Frage die vom Gesetz für Schuldfragen in Richtung Totschlag prinzipiell nicht geforderte Konkretisierung jener Umstände, aus denen gegebenenfalls eine Tatbegehung in allgemein begreiflicher heftiger Gemütsbewegung abgeleitet werden sollte, mit der bei einer dennoch unternommenen Beschreibung der maßgeblichen Tatsachen gebotenen Vollständigkeit erfolgte (EvBl. 1985/134), hat ebenfalls mangels einer auf den Wahrspruch abzielenden Anfechtung auf sich zu beruhen.

Den Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft war daher ein Erfolg zu versagen. Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 76 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung die schwere Verletzung des Opfers als erschwerend, dagegen den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, dessen leichte Verstandesschwäche und den Umstand, daß die Tat beim Versuch blieb, als mildernd.

Gegen den Strafausspruch haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung erhoben. Die Anklagebehörde führt in ihrer Berufung lediglich aus, es sei "bei der anzuwendenden Strafdrohung, insbesondere von 10 bis zu 20 Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe, für den Fall der Subsumierung der Tat unter § 75 StGB die verhängte sechsjährige Freiheitsstrafe unangemessen" und stellt "daher" den Antrag, "in Stattgebung der Berufung die über Richard B*** verhängte Freiheitsstrafe schuldangemessen zu erhöhen".

Damit aber wird eine Berufung wegen Strafe gar nicht ausgeführt, sondern der Sache nach allein auf die dem Obersten Gerichtshof ohnedies für den Fall des mit der Nichtigkeitsbeschwerde der Anklagebehörde angestrebten Erfolges, nämlich einer Verurteilung wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB, obliegende Strafneubemessung verwiesen (§ 288 Abs. 2 Z 3 erster Fall StPO).

Die Ausführung einer Berufung wegen Strafe hingegen setzt das Festhalten am erstgerichtlichen Schuldspruch voraus (§ 295 Abs. 1 StPO). Ausführungen auf dieser gesetzlichen Grundlage enthält die Rechtsmittelschrift der Anklagebehörde jedoch überhaupt nicht und auch ihr Rechtsmittelantrag wird lediglich aus den verfehlten Ausführungen auf der Basis des mit der Nichtigkeitsbeschwerde angestrebten Erfolges abgeleitet. Es liegt demnach eine Berufungsausführung, die einer meritorischen Erledigung zugänglich wäre, in Wahrheit überhaupt nicht vor. Da zudem die Anmeldung der Berufung durch die Anklagebehörde keine deutliche und bestimmte Bezeichnung der Punkte des angefochtenen Urteils enthält, gegen die sie sich richtet, mußte sie daher zurückgewiesen werden (§§ 294 Abs. 2 und 4, 296 Abs. 2 StPO).

Der Berufung des Angeklagten hingegen, der eine Herabsetzung des Strafmaßes unter Anwendung des § 41 StGB anstrebt, kommt keine Berechtigung zu.

Da die Tat beim Versuch geblieben ist, ist der Eintritt einer schweren Verletzung des Opfers sehr wohl als erschwerend zu werten, wäre doch auch der Fall denkbar, daß bei einer Versuchstat jeglicher Erfolg ausbleibt.

Von einer Unbesonnenheit, die der Berufungswerber für sich reklamiert, kann angesichts des Umstandes, daß er nach der Zurechtweisung durch seinen Bruder eine Strecke von drei bis vier Kilometer zurücklegte, um das Gewehr zu holen, und danach denselben Weg zum Tatort wieder zurückging, überhaupt keine Rede sein. Eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung war schon für die Verurteilung (bloß) wegen versuchten Totschlages nach §§ 15, 76 StGB bestimmend; sie bildet daher keinen zusätzlichen Milderungsgrund.

Der Angeklagte vermag somit keinen weiteren, ihm zugutekommenden Milderungsgrund aufzuzeigen. Die Strafzumessungsgründe wurden vielmehr vom Geschwornengericht vollständig und zutreffend festgestellt.

Angesichts dieser Strafzumessungsgründe erscheint die vom Geschwornengericht ausgemessene Freiheitsstrafe zumindst keineswegs überhöht, weshalb der Berufung des Angeklagten bei der dargelegten Sachlage nicht nähergetreten werden konnte.

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