Spruch:
Den Rekursen der beklagten Partei und des auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten wird teilweise Folge gegeben. Soweit das Urteil des Erstgerichtes im Umfang der Abweisung des Leistungsbegehrens von S 790.573,30 samt Anhang aufgehoben wurde, wird der angefochtene Beschluß, der im übrigen bestätigt wird, dahin abgeändert, daß er als Teilurteil zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien den Betrag von S 790.573,30 samt 4 % Zinsen aus S 773.183,-- vom 8.12.1982 bis 8.5.1983 und aus S 790.573,30 seit 9.5.1983 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen."
Die Entscheidung über die Prozeßkosten und die Kosten der Rechtsmittelverfahren bleibt der Endentscheidung vorbehalten. Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei wird, soweit sie sich gegen den Rekurs der beklagten Partei richtet, zurückgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerinnen sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft mit dem Haus Gleisdorf, Mühlgasse 59. Die beklagte Partei begann im Jahre 1982 im Raume Gleisdorf mit Kanalbauarbeiten. Sie beauftragte mit der Durchführung dieser Arbeiten in dem Abschnitt, in dem sich das Haus der Klägerinnen befindet, die Firma Erhard M*** Baugesellschaft mbH (im folgenden: Firma Erhard M***). Wegen der schlechten Bodenverhältnisse auf der ursprünglich vorgesehenen Trasse kam es zu einer Abänderung der Planung. Aus diesem Anlaß trafen die Streitteile am 12.5.1982 eine Vereinbarung, wonach die Klägerinnen die Zustimmung zur Verlegung des Kanals auf ihrem Grundstück erteilten, die beklagte Partei sich dafür aber ihnen gegenüber verpflichtete, den kompletten Hausanschluß samt Dach- und Oberflächenentwässerung herzustellen. Im Zuge der Bauarbeiten am Kanal traten am 2.9.1982 erste Risse am Haus der Klägerinnen auf. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Bauarbeiten östlich des Hauses im Bereich des Schachtes C 8, der sich nach dem Plan im Gutachten ON 28 letztes Blatt bereits auf dem Grundstück der Klägerinnen befindet, durchgeführt. Die Bauarbeiten am Kanal wurden auch noch zwischen den Schächten C 8 und C 9 fortgesetzt. Am Haus der Klägerinnen traten durch den Kanalbau Schäden in der Höhe des restlichen Leistungsbegehrens auf; diese Schäden sind nicht auf die Herstellung des Hauskanals, sondern auf den entlang der nördlichen Giebelfront vorbeiführenden Hauptsammler zurückzuführen. Diese Schäden sind von der bauausführenden Firma Erhard M*** verursacht und verschuldet worden (Zugeständnis der beklagten Partei ON 3, 2.Seite). Die klagende Partei begehrte den Zuspruch des Betrages von S 795.890,30 samt Anhang und die Feststellung, die beklagte Partei hafte den Klägerinnen für alle künftigen Schäden aus dem Schadensereignis. Sie stützten ihr Begehren auf Eigenverschulden der beklagten Partei, auf Verschulden der Firma Erhard M*** als Erfüllungsgehilfen der beklagten Partei, auf die Bestimmung des § 1315 ABGB und auf die Haftung der beklagten Partei aus dem Nachbarrecht.
Die beklagte Partei bestritt diesen Anspruch.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, die Schäden seien vornehmlich bereits zu einem Zeitpunkt ausgelöst worden, als die Bauarbeiten im Bereich des Schachtes C 8 noch nicht das Haus der Klägerinnen erreicht hatten. Die Haftung nach § 1313 a ABGB sei daher zu verneinen.
Das Berufungsgericht hob über Berufung der Klägerinnen das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen nach § 1313 a ABGB greife nur Platz, wenn der Gehilfe mit Willen des Schuldners im Rahmen der dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit tätig werde und wenn es sich um einen Schaden handle, der durch den Gehilfen bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zugefügt worden sei. Die Haftung nach § 1313 a ABGB setze einen Zusammenhang des schadensursächlichen Gehilfenverhaltens mit der vom Haftenden geschuldeten Leistung voraus. Zwischen den Streitteilen sei ein zweiseitig verbindliches Rechtsgeschäft zustande gekommen, durch das für beide Teile Rechte und Pflichten entstanden seien. Die Leistungen der beiden Parteien stünden zueinander in einem Austauschverhältnis. Es könne keine Rede davon sein, daß sich die vertraglichen Beziehungen zwischen den Streitteilen nur auf die Errichtung des Hauskanals beschränkten und sich die beklagte Partei bereit erklärt hätte, dies für die Klägerinnen gratis durchzuführen. Die in Rede stehenden Schäden an der Liegenschaft der Klägerinnen seien vielmehr im Zusammenhang mit den Arbeiten bei der Ziehung des Hauptkanals, wozu die beklagte Partei aufgrund der Vereinbarung mit den Klägerinnen berechtigt gewesen sei, entstanden. Mit der Ausübung eines Rechtes werde zugleich auch die Erfüllung der damit verbundenen Sorgfaltspflichten übertragen. Die beklagte Partei habe daher alle Vorkehrungen treffen müssen, um Schäden an der Liegenschaft der Klägerinnen im Zuge der Bauführung zu verhindern. Voraussetzung für die Haftung der beklagten Partei wäre, daß die Firma Erhard M*** mit Willen der beklagten Partei tätig geworden sei und die beklagte Partei eine Einwirkungsmöglichkeit gehabt hätte. Dazu fehlten aber konkrete Feststellungen. Das Erstgericht werde auch zu prüfen haben, ob die Firma Erhard M***, nachdem sie andere Bodenverhältnisse als in der Ausschreibung angenommen festgestellt hatte, die beklagte Partei verständigt und diese nichts unternommen habe. Aufgabe des Erstgerichtes wäre es auch gewesen, im Rahmen der materiellen Anleitungspflicht konkrete Tatsachenbehauptungen der klagenden Partei zu einer Haftung der beklagten Partei nach § 1315 ABGB zu produzieren. Da die Klägerinnen ihr Klagebegehren auch auf nachbarrechtliche Bestimmungen gegründet hätten, hätte das Erstgericht weiters die Pflicht gehabt, die Klägerinnen darauf hinzuweisen, daß ihr Vorbringen unzureichend sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei und des auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten ist, was das Leistungsbegehren betrifft - allerdings nicht in ihrem Sinn - teilweise berechtigt. Dem Urteil des Erstgerichtes läßt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, ob es davon ausging, Ursache der Schäden am Haus der Klägerinnen seien Aushubarbeiten auf dem Grund der Klägerinnen oder auf dem östlich des Grundstückes der Klägerinnen gelegenen Grundstück gewesen. Einerseits stellte es fest, die Schäden zeigten sich erstmals, als die Aushubarbeiten den Bereich des Schachtes C 8 erreicht hatten, welcher Schacht auf dem Grundstück der Klägerinnen liegen dürfte. Andererseits verneint es in seiner rechtlichen Beurteilung die Haftung nach § 1313 a ABGB, weil die Schäden vornehmlich zu einem Zeitpunkt aufgetreten seien, als die Bauarbeiten noch östlich der Liegenschaft der Klägerinnen stattgefunden hätten. In beiden Fällen ist aber die Haftung der beklagten Partei zu bejahen.
Zwischen den Streitteilen bestand eine vertragliche Vereinbarung, daß - in Abänderung der ursprünglichen Planung - der Sammelkanal von der beklagten Partei auf dem Grundstück der Klägerinnen verlegt werden durfte, die beklagte Partei aber dafür den Hausanschluß herzustellen hatte. Leistung im Sinn des § 1313 a ABGB ist nicht nur die Erfüllung der vertraglichen Hauptleistung. Unter Leistung wird auch die Erfüllung aller vertraglichen Pflichten, die sich aus dem jeweiligen konkreten Pflichtenkreis eines Vertragspartners nach Art und Inhalt des Schuldverhältnisses ergeben, verstanden. Zu den sich aus der Übung des redlichen Verkehrs ergebenden Nebenpflichten zählen insbesondere Schutz- und Sorgfaltspflichten zugunsten des Vertragspartners. Vom Vertragspartner wird ein entsprechendes Maß an Aufmerksamkeit, Überlegung und Rücksichtnahme bei jedem Verhalten verlangt, das mit der Durchführung des Vertragsverhältnisses in einem mehr oder minder engen Zusammenhang steht (SZ 54/179; SZ 52/15 ua). Verpflichteten sich die Klägerinnen gegenüber der beklagten Partei, die Errichtung eines Sammelkanals auf ihrem Grundstück zu dulden, gewährten sie der beklagten Partei ein Recht, das im allgemeinen Gegenstand eines Dienstbarkeitsbestellungsvertrages bildet (vgl. MietSlg 34.052). Die beklagte Partei hatte sich den Klägerinnen gegenüber derart zu verhalten, daß deren Rechtsgüter nicht verletzt werden. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Verhältnissen mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (JBl 1986,789; SZ 55/123 mwN). Übte die beklagte Partei ihr Recht, den Kanal auf dem Grundstück der Klägerinnen zu errichten, durch die Firma Erhard M*** aus, besteht ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verfolgung ihrer Interessen und dem der Klägerin geschuldeten Verhalten, sodaß sie für das Verschulden der Firma M*** als ihres Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313 a ABGB haftet (Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 10 zu § 1313 a; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 337). Die Haftung nach § 1313 a ABGB wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Gehilfe aufgrund seiner sachlichen Kenntnis selbständig arbeitet und der Schuldner tatsächlich nicht in der Lage ist, ihm nähere Anweisungen zu geben. Entscheidend ist nur, daß der Gehilfe für den Schuldner tätig wird und dieser die Befugnis hat, dem Gehilfen Weisungen zu erteilen (vgl. JBl 1986, 789; Koziol aaO 341). Dies war aufgrund des zwischen der beklagten Partei und der Firma M*** bestehenden Vertragsverhältnisses der Fall, sodaß es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes weiterer Feststellungen nicht bedarf. Die Haftung der beklagten Partei wäre aber auch dann zu bejahen, wenn Schadensursache nicht die Herstellung des Aushubes auf dem Grund der Klägerinnen, sondern auf einem östlich davon gelegenen Nachbargrundstück gewesen wäre. Auf eine Haftung der beklagten Partei aus dem Nachbarrecht, die nur in Betracht kommt, wenn vertragliche oder öffentlich-rechtliche Beziehungen zwischen den Streitteilen nicht bestehen (SZ 56/94), beriefen sich die Klägerinnen entgegen den Rekursausführungen ausdrücklich aufgrund des von ihnen dargelegten Sachverhaltes. Eine
solche - verschuldensunabhängige - Gefährdungshaftung der beklagten Parteien wäre auch zu bejahen.
Nach § 364 b ABGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, daß der Boden oder das Gebäude des Nachbarn die erforderliche Stütze verliert. Der Abwehranspruch richtet sich dabei nicht nur gegen den Eigentümer des Grundstückes, sondern gegen jeden, der die Beeinträchtigung durch eine wenn auch behördlich genehmigte Anlage herbeiführt, der also das Grundstück für eigene Zwecke benützt und dadurch Störungen hervorruft (SZ 53/11 mwN; Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rdz 5 zu § 364; Koziol aaO 320), so insbesondere gegen einen Rechtsträger, der Kanalbaumaßnahmen durchführen läßt (SZ 47/140). Wohl gewährt § 364 b ABGB in erster Linie einen Unterlassungsanspruch. Ein sich aus der Gefährdung ergebender verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch besteht aber dann, wenn dem Bauführer eine Baubewilligung erteilt wurde. In diesem Fall hält die Baubehörde die Durchführung des Tiefbaues technisch für ausreichend; die Bauführung hat damit einen so hohen Anschein der Gefahrlosigkeit und Rechtmäßigkeit, daß der Nachbar seinen Anspruch, die Vertiefung zu unterlassen, in aller Regel nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg geltend machen könnte. Wird erst während des Baues die Gefährlichkeit der Vertiefung erkennbar, dann wäre dem Nachbarn mit der Wiederaufschüttung der Vertiefung allein im Regelfall nicht mehr geholfen. Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß die auch bloß baubehördliche Bewilligung die gleiche tatsächliche Wirkung hat, die im § 364 a ABGB einer behördlich genehmigten Anlage zuerkannt wird: Der Grundnachbar hat die scheinbar gefahrlose Vertiefung hinzunehmen, bis sich die allenfalls doch unvermeidbare Schädigung zeigt (MietSlg 36.021; SZ 51/47; SZ 48/61; Koziol aaO 317; Spielbüchler aaO Rdz 6 zu § 364 b). Einer Bewilligung der Baubehörde bedürfen nach § 57 Abs 1 lit g der Steiermärkischen Bauordnung 1968 bauliche Anlagen größeren Umfanges unter der Erde, insbesondere Kanalanlagen. Es wurde zwar keine Feststellung getroffen, ob die beklagte Partei den Kanalbau aufgrund einer rechtskräftigen Baubewilligung durchführte. Sollte sie aber die Einholung der Baugenehmigung unterlassen haben, haftete sie aufgrund eigenen Verschuldens. Die Bestimmungen der §§ 57 ff Steiermärkische Bauordnung 1968 sind Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB (SZ 24/5; 1 Ob 25/86; Koziol aaO 107; Reischauer aaO Rdz 4 zu § 1311; vgl. SZ 34/39). Den Schädiger trifft bei Übertretung des Schutzgesetzes die Beweislast, daß er das Schutzgesetz nicht unverschuldet übertreten hat (SZ 57/16 mwN). Einen solchen Beweis trat die beklagte Partei nicht an. Da die Haftung dem Grunde nach zu bejahen ist und die Höhe des Schadens feststeht, ist das restliche Leistungsbegehren im Sinne der Stattgebung spruchreif. In diesem Umfang ist der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes als Teilurteil abzuändern.
Zum Feststellungsbegehren unterließ das Erstgericht, von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht ausgehend, die Prüfung, ob das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben ist. Darauf wird sich das fortgesetzte Verfahren zu beschränken haben.
Die Entscheidung über die Prozeßkosten und die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 392 Abs 2, 52 Abs 2 ZPO. Die Rekursbeantwortung der Klägerinnen ist insoweit verspätet, als sie sich gegen den Rekurs der beklagten Partei richtete. In diesem Umfang ist sie zurückzuweisen.
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