OGH 10Os5/87

OGH10Os5/8717.2.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Februar 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sulzbacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Ursula G*** wegen Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 128 Abs 1 Z 4 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die (wegen des Ausspruchs über die Strafe erhobene) Berufung der Angeklagten sowie deren (angemeldete) Berufung "wegen Schuld" gegen das gemäß §§ 13 Abs 2, 46 Abs 4 JGG ergangene Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 17.September 1986, GZ 3 a Vr 1066/86-32, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Gehart, und des Verteidigers Dr. Kozak, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Die (angemeldete) Berufung "wegen Schuld" wird zurückgewiesen. Der Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe) wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem sogleich in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 7.September 1983, GZ 3 a Vr 528/83-18, wurde die am 12.Mai 1967 geborene, damals also noch jugendliche Angeklagte Ursula G*** des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 128 Abs 1 Z 4 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat sie am 8.März 1983 in Wien in Gesellschaft mit der abgesondert verfolgten Erwachsenen Johanna S*** als Beteiligter (§ 12 StGB) der Herta K*** fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 S übersteigenden Wert, nämlich zwei Kleider im Wert von 2.360 S und 1.990 S sowie eine Damenhose im Wert von 1.890 S mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Gemäß § 13 Abs 1 JGG wurden der Ausspruch und die Vollstreckung der Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben. In der Folge wurde Ursula G*** mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 14.März 1984, GZ 23 U 40/84-6, des Vergehens nach § 36 Abs 1 lit b WaffG schuldig erkannt, weil sie vom 12. bis 15.September 1983 ein Springmesser unbefugt besessen hat, wobei abermals § 13 Abs 1 JGG angewendet wurde. Schließlich wurde über die Genannte, die mittlerweile das 18. Lebensjahr vollendet hatte, mit Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 20.Mai 1986, GZ 2 U 490/86-12, wegen Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen, verhängt, weil sie zwischen Oktober 1985 und 11.November 1985, sohin innerhalb der ihr mit dem eingangs erwähnten Urteil gewährten Probezeit, einen fremden Pfandschein über Schmuckstücke im Darlehenswert von 1.500 S, der ohne ihr Zutun in ihren Gewahrsam geraten war, sich mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung zugeeignet hat.

Aus Anlaß dieser Verurteilung beantragte die Staatsanwaltschaft am 8.September 1986, sohin am Tage nach Ablauf der der Angeklagten mit dem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 7.September 1983 bestimmten Probezeit, die nachträgliche Festsetzung der Strafe zu jenem Schuldspruch (§§ 13 Abs 2, 46 Abs 4 JGG).

In Stattgebung dieses Antrags verhängte der Jugendgerichtshof Wien als Schöffengericht mit dem nunmehr angefochtenen (zweiten) Urteil über Ursula G*** nach §§ 37, 128 Abs 1 StGB und § 11 JGG sowie gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 20.Mai 1986 eine zusätzliche Geldstrafe von 40 Tagessätzen in der Höhe von je 20 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft die Angeklagte zunächst mit einer auf die Gründe der Z 1 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch unberechtigt ist. Die Verfahrensrüge (Z 1) wird von der Beschwerdeführerin darauf gestützt, daß dem (über den Straffestsetzungsantrag) erkennenden Senat ein anderer beisitzender (Berufs-)Richter und andere Schöffen angehört haben als jenem, der (mit dem ersten Urteil) über die Anklage erkannt hatte. Von der Annahme ausgehend, daß die (nunmehrige) mündliche Verhandlung gemäß § 46 Abs 4 JGG und die (seinerzeitige) Hauptverhandlung über die Anklage als Einheit anzusehen seien, vermeint sie, daß deshalb nicht alle Richter, die jetzt die Strafe festgesetzt haben, "der ganzen Verhandlung beiwohnten" (Z 1 zweiter Fall). Der Sache nach macht sie damit indessen - weil die solcherart relevierte Nichtigkeitssanktion nur auf die Nichtteilnahme von Richtern eines gehörig besetzten Gerichtes an der ganzen Verhandlung gemünzt ist - den primären Nichtigkeitsgrund einer (in der Beschwerde auch ausdrücklich behaupteten) nicht gehörigen Besetzung des Gerichtshofes (Z 1 erster Fall) geltend. In beiden Richtungen hin geht die Rüge fehl. Aus den Bestimmungen des § 46 Abs 4 und Abs 5 JGG, wonach über den Straffestsetzungsantrag des Staatsanwaltes "das Gericht, das über die Anklage in erster Instanz erkannt hat, nach mündlicher Verhandlung durch Urteil" entscheidet und gegen einen Strafausspruch dieser Art beiden Teilen "dieselben Rechtsmittel" zustehen, "die sie hätten ergreifen können, wenn der Ausspruch schon im ersten Urteil enthalten gewesen wäre", kann entgegen der Beschwerdeausffassung keineswegs abgeleitet werden, daß das darnach zuständige Gericht in derselben persönlichen Zusammensetzung zu entscheiden hätte wie jener Spruchkörper, der das Schuld-Urteil gefällt hat. Mit dieser Annahme unterliegt die Beschwerdeführerin wohl in erster Linie einem terminologischen Mißverständnis: sofern in Verfahrensvorschriften, mit welchen die mannigfachen Kompetenzen im Verlaufe eines Strafverfahrens geregelt werden, vom "Untersuchungsrichter", vom "Vorsitzenden", vom "Gericht" oder vom "Gerichtshof" die Rede ist, sind damit ausnahmslos die durch die sachlichen, örtlichen und funktionellen Zuständigkeitsnormen determinierten Organe, niemals aber die deren Funktionen ausübenden Amtsträger gemeint.

Ganz allgemein ist das schon im Hinblick darauf augenscheinlich, daß die personelle Besetzung der verschiedenen Organe (in Ansehung sowohl der Berufsrichter als auch der Laienrichter) naturgemäß einem mehr oder weniger häufigen Wechsel unterliegt, sodaß es in der überwiegenden Anzahl der Fälle gar nicht möglich wäre, daß die im Laufe eines Strafverfahrens einem bestimmten Organ kompetenzmäßig zugeordneten Entscheidungen jeweils von denselben Amtsträgern getroffen werden. Gerade darauf beruht ja die Verpflichtung des Gerichtes, die Hauptverhandlung (auch dann) zu wiederholen, wenn sich nach einer Vertagung seine Zusammensetzung geändert hat (§ 276 a zweiter Fall StPO), weil nur so gewährleistet ist, daß einem neu hinzugekommenen Richter die bisher mit dem Vorteil der Unmittelbarkeit erarbeiteten Entscheidungsgrundlagen aus eigener Wahrnehmung bekannt werden. Ein derartiger Informationsmangel kommt aber im Verfahren nach § 46 Abs 4 JGG mit Bezug auf die dem Schuldspruch vorausgegangene Hauptverhandlung nicht in Betracht, weil der die Schuldfrage betreffende Verfahrensabschnitt zu dieser Zeit bereits rechtskräftig abgeschlossen ist und die nachträgliche Straffestsetzung demgemäß auf dem bereits vorliegenden Schuldurteil aufbauen muß, ohne daß die nunmehr die Strafe festsetzenden Richter dabei genötigt wären, den inneren Überzeugungsprozeß, der seinerzeit zur Bejahung der Schuldfrage geführt hat, selbst unmittelbar nachzuvollziehen.

Auch davon, daß die über den Straffestsetzungsantrag abzuführende mündliche Verhandlung und die dem Schuldspruch vorausgegangene Hauptverhandlung als prozessuale Einheit anzusehen seien, kann dementsprechend im gegebenen Zusammenhang keine Rede sein.

Aus alledem ergibt sich zum einen, daß eine - von der Beschwerdeführerin aus § 281 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StPO (in Verbindung mit der auch im Weg einer Analogie nicht behebbaren Unanwendbarkeit des § 276 a StPO auf eine derartige Fallkonstellation) abgeleitete - zwingende Besetzungsvorschrift dahin, daß im Verfahren nach § 46 Abs 4 JGG dieselben Amtsträger zu entscheiden hätten, die das Schuldurteil gefällt haben, nicht existiert (Z 1 erster Fall); und zum anderen, daß die zur Entscheidung über den Straffestsetzungsantrag zuständigen Richter nicht auch schon an der dem Schuldspruch vorausgegangenen Hauptverhandlung teilgenommen haben müssen (Z 1 zweiter Fall). Unbegründet ist schließlich auch die Rechtsrüge (Z 9 lit b), mit der die Beschwerdeführerin vermeint, die Strafe habe deshalb nicht mehr verhängt werden dürfen, weil die Staatsanwaltschaft ihren dahin zielenden Antrag erst (einen Tag) nach Ablauf der Probezeit gestellt hat.

Denn innerhalb der Probezeit muß sich nur gezeigt haben, daß die Besserung des Rechtsbrechers sonst (nämlich ohne einen Strafausspruch und dessen Vollstreckung) nicht erreicht werden kann (§ 13 Abs 2 erster Satz JGG). Damit ist aber nicht mehr gesagt, als daß der dafür maßgebliche Grund innerhalb der Probezeit manifest geworden sein muß; der deshalb die nachträgliche Straffestsetzung und Vollziehung der Strafe einleitende Antrag des Staatsanwaltes (§ 46 Abs 4 erster Satz JGG) hingegen ist an keine Frist gebunden, soferne er nur ermöglicht, daß der nachträgliche Strafausspruch selbst bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem Ende der Probezeit (§ 13 Abs 2 zweiter Satz JGG) oder, falls der Verurteilte schon vor dem Ablauf der Probezeit wegen einer anderen strafbaren Handlung verfolgt wird, auch noch binnen sechs Wochen nach rechtskräftiger Beendigung jenes Strafverfahrens (§ 13 Abs 2 dritter Satz JGG) vorgenommen wird. Die hier aktuelle erste Frist wurde, wie der Vollständigkeit halber vermerkt sei, jedenfalls eingehalten. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Gleichzeitig war auch die (bloß) angemeldete Berufung der Angeklagten "wegen Schuld" (S 120) schon deshalb (nämlich abgesehen von der bereits eingetretenen Rechtskraft des Schuldspruchs) zurückzuweisen, weil gegen Urteile von Kollegialgerichten ein derartiges Rechtsmittel nicht vorgesehen ist (§ 283 Abs 1 StPO). Die Notwendigkeit einer nachträglichen Straffestsetzung an sich begründete das Jugendschöffengericht damit, daß Ursula G*** innerhalb der Probezeit einschlägig straffällig geworden ist (Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 20.Mai 1986). Bei der Bemessung der (bereits oben erwähnten) zusätzlichen Geldstrafe übernahm es die schon anläßlich des Schuldausspruches ermittelten Milderungsgründe des bisher untadeligen Wandels, des Teilgeständnisses, der objektiven Schadensgutmachung und der mindergünstigen Erziehungsverhältnisse, denen kein Erschwerungsumstand gegenüberstand. Bei der Festsetzung der Höhe des Tagessatzes ging das Erstgericht von monatlichen Einkünften der Angeklagten von 4.500 S aus.

Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung strebt Ursula G*** in erster Linie die Abweisung des Antrages der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Straffestsetzung an. In eventu beantragt sie, von der Verhängung einer Zusatzstrafe abzusehen oder zumindest die zusätzliche Geldstrafe auf 20 Tagessätze zu ermäßigen. Die Berufung ist in keiner Richtung begründet.

Schon prozessual (im Rahmen einer Berufungsausführung) verfehlt ist der Einwand, die für die Straffestsetzung maßgebliche - durch ein mit Vermerk gemäß § 458 Abs 2 StPO beurkundetes Urteil rechtskräftig festgestellte - Anlaßtat sei mangels Bereicherungsmöglichkeit nicht tatbestandsmäßig im Sinn des § 134 Abs 1 StGB. Im übrigen übersieht die Beschwerdeführerin, daß bei Unterschlagung eines Pfandscheines die unrechtmäßige Bereicherung mit der Differenz zwischen dem Wert der Pfandsache und den für deren Auslösung notwendigen (regelmäßig geringeren) Aufwendundungen anzusetzen ist (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar 2 , § 128 RN 27). Darauf hinwieder, daß das Gericht erst unmittelbar vor Ablauf der Probezeit von der neuen Straftat Kenntnis erlangt hat, kommt es bei der Strafbemessung nicht an. Allenfalls könnte dafür der Umstand von Bedeutung sein, daß das die Notwendigkeit einer nachträglichen Straffestsetzung erweisende Verhalten des Rechtsbrechers erst am Ende der Probezeit gesetzt worden ist; davon kann aber angesichts der bereits nach Ablauf des zweiten Bewährungsjahres gelegenen Tatzeit keine Rede sein.

Überhaupt unmaßgeblich für die Strafbemessung sind schließlich auch tilgungsrechtliche Erwägungen, wobei hinzugefügt sei, daß - der Auffassung der Berufungswerberin zuwider - im vorliegenden Fall eine Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister ohnedies schon deshalb besteht, weil die Verurteilung (zu einer Geldstrafe) nur wegen einer Jugendstraftat erfolgt ist (§ 6 Abs 1 und Abs 2 lit b aE TilgG).

Im übrigen ist den Erwägungen des Jugendschöffengerichtes zur Notwendigkeit der Festsetzung der Strafe an sich und zu deren Höhe durchaus beizupflichten, weshalb auch der Berufung der Angeklagten ein Erfolg nicht beschieden sein konnte.

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