OGH 8Ob74/86

OGH8Ob74/8612.2.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* S* W* V*, vertreten durch Dr. Robert Mayrhofer, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Siegfried R*, vertreten durch Dr. Walter Brandt, Rechtsanwalt in Schärding, wegen S 101.979,- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9. Juni 1986, GZ 1 R 49/86‑39, womit infolge Berufung beider Teile das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 30. Oktober 1985, GZ 3 Cg 181/84-29, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00074.86.0212.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.577,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.920,- an Barauslagen und S 514,35 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 24. Mai 1981 ereignete sich gegen 5.40 Uhr auf der Innviertler Bundesstraße Nr 137 im Gemeindegebiet Grieskirchen (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem der Beklagte mit seinem Motorrad BMW (O 10.018) und Franz D* als Lenker des PKWs Opel Kadett (O 508.810) im Begegnungsverkehr beteiligt waren. Dabei wurden beide Fahrzeuglenker verletzt, am Motorrad des Beklagten entstand Totalschaden in der Höhe von S 60.000,-. Beide Fahrzeuge waren bei der klagenden Anstalt haftpflichtversichert. Mit Schreiben vom 27. 11. 1981 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, daß sie wegen Nichtbezahlung der Folgeprämie durch ihn trotz Nachfristsetzung leistungsfrei sei. Nach § 158 f VersVG sei sie berechtigt, vom Beklagten den Ersatz sämtlicher Zahlungen, die sie aus dem Schadensfall leisten mußte, zu verlangen. Die Klägerin hat Franz D* aus dem Titel des Schadenersatzes S 101.597,- bezahlt. Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten den Ersatz des Betrages von S 101.979,- s.A. Sie habe dem durch den Verkehrsunfall geschädigten Franz D* und dessen Gattin einen Entschädigungsbetrag von S 99.650,- sowie Franz D* an Kosten seiner Privatbeteiligung am Strafverfahren gegen den Beklagten einen Betrag von S 382,- ersetzen und für ein Sachverständigengutachten S 1.947,- bezahlen müssen. Da sie leistungsfrei sei und der Beklagte den Unfall verschuldet habe, sei der Beklagte verpflichtet, ihr sämtliche Zahlungen zu ersetzen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Da die Klägerin die Ansprüche Franz D* ohne Rücksprache mit ihm bereinigt habe, müsse sie sich dessen Mitverschulden am Unfall entgegenhalten lassen. Franz D* treffe ein Mitverschulden von 1/3, weil er bei einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h mit der rechten Fahrzeugkante einen Abstand von 1,94 m zum rechten Asphaltrand und mit der linken Fahrzeugkante bloß einen solchen von etwa 23 m zur gedachten Fahrbahnmitte eingehalten habe. Der Beklagte selbst sei bei dem Unfall derart schwer verletzt worden, daß ihm ein Schmerzengeld von S 500.000,- gebühre. Diese Ersatzforderung sowie den Schaden am Motorrad in der Höhe von S 90.000,- wendete er der Klagsforderung gegenüber aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht erkannte - von einer Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten des Beklagten ausgehend - die Klagsforderung mit S 76.484,25 als zu Recht bestehend und mit S 25.494,25 als nicht zu Recht bestehend, die Gegenforderung mit S 76.484,25 als zu Recht bestehend und wies daher das Klagebegehren zur Gänze ab. Es traf dabei über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Franz D* fuhr mit seinem PKW mit einer Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h bei dämmrigen Lichtverhältnissen von Ried kommend in Richtung Wels. In seiner Fahrtrichtung verlief die Bundesstraße in einer langgezogenen Linkskurve, die in der Folge in ein etwa 200 m langes, gerades Stück überging; anschließend folgte eine Rechtskurve. Von der Unfallsstelle aus gesehen bestand für Franz D* eine Sicht von mindestens 300 m. In der Gegenrichtung betrug die Sicht ohne Sichtbehinderung durch andere Fahrzeuge etwa 150 m. Bedingt durch den Kurvenverlauf brachte ein LKW für Fahrzeuge in beiden Richtungen eine deutliche Verschlechterung dieser Sicht. Die Asphaltfahrbahn der Bundesstraße war 7,6 m breit, die Breite zwischen den Randlinien betrug 7,2 m. In der Mitte der Fahrbahn war eine Leitlinie angebracht. An den asphaltierten Fahrbahnbelag schlossen beiderseits 20 cm breite Begrenzungen aus Pflastersteinen an. Rechts neben der Fahrbahn in Fahrtrichtung Franz D* befand sich ein Graben bzw. eine Böschung bis zu einer Tiefe von 0,5 m. In seiner Fahrtrichtung hatte die Fahrbahn ein Gefälle von 3 bis 4 %. Im Unfallsbereich kam Franz D* ein LKW entgegen, der seine Sicht auf den hinter dem LKW mit seinem Motorrad nachfahrenden Beklagten abdeckte. Der Beklagte setzte in der Folge zum Überholen des LKWs an und lenkte dabei sein Motorrad auf die linke Fahrbahnhälfte, wobei es unmittelbar darauf zum Zusammenstoß mit dem PKW kam. Der PKW hielt zu diesem Zeitpunkt mit der linken Fahrzeugbegrenzung zur gedachten Fahrbahnmitte einen Seitenabstand von 23 bis 28 cm ein. Der Abstand seiner rechten Fahrzeugbegrenzung zum rechten Fahrbahnrand betrug 1,93 m, der Abstand zur Randlinie 1,73 m. Der Anstoß des Motorrades erfolgte an der Frontseite des PKWs etwa 30 cm von der linken vorderen Fahrzeugecke entfernt. Der Beklagte hatte daher im Zeitpunkt des Zusammenstoßes die Fahrbahnmitte um etwa 55 cm überfahren. Das linke Lenkerende bzw. die linke Körperseite des Beklagten befand sich dabei mindestens 80 cm über der Fahrbahnmitte. Die Annäherung des Motorrades unmittelbar vor der Kollision erfolgte in einem Winkel von ca 20 bis 30 Grad zur Fahrbahnlängsachse. Daß Franz D* zum Einhalten des gewählten Seitenabstandes durch andere, am rechten Fahrbahnrand befindliche Straßenbenützer veranlaßt worden wäre, ist nicht feststellbar. Der Beklagte erlitt durch den Unfall - vom Erstgericht im einzelnen auch festgestellte - schwere Verletzungen mit Dauerfolgen (ua Doppelbildsehen, Gebrauchseinschränkung des linken Armes und Amputation des linken Oberschenkels).

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß den Beklagten ein Verschulden am Unfall treffe, weil er trotz Gegenverkehrs zum Überholen angesetzt habe. Aber auch Franz D* habe den Unfall mitverschuldet, weil er gegen § 7 Abs 1 und 2 StVO verstoßen habe. Im Hinblick auf den entgegenkommenden LKW wäre er verpflichtet gewesen, weiter rechts zu fahren. Hätte er nur einen Abstand von 1,4 m zur Randlinie eingehalten, wäre es nur zu einer Streifung mit erheblich geringeren Verletzungen des Beklagten gekommen. Unter diesen Umständen könne das Verschulden Franz D* nicht mehr vernachlässigt werden. Vielmehr sei eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Beklagten vorzunehmen gewesen. Da die beklagte Partei der Klägerin das Mitverschulden Franz D* entgegenhalten könne, bestehe die eingeklagte Forderung mit S 76.484,25 zu Recht. Im Hinblick auf die Verletzungen des Beklagten sei rechnungsmäßig ein Schmerzengeld von S 300.000,-

jedenfalls berechtigt. Zuzüglich des Fahrzeugschadens ergäbe sich unter Anrechnung des Mitverschuldens eine die berechtigte Klagsforderung übersteigende Gegenforderung, welche die beklagte Partei aufrechnungsweise geltend machen könne, weil die Klägerin auch die Haftpflichtversicherung Franz D* sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Beklagten sowie der Berufung der Klägerin in der Hauptsache nicht Folge, änderte jedoch das erstgerichtliche Urteil infolge Berufung der Klägerin im Kostenpunkt ab. Schließlich sprach es aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die vom Erstgericht getroffenen und infolge der vom Beklagten in seiner Berufung erhobenen Mängelrüge in einem Punkt als auf einem offenkundigen Übertragungs- oder Schreibfehler beruhend berichtigten Feststellungen als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und eines mängelfreien Verfahrens und legte diese seiner Entscheidung zugrunde. Außerdem traf es noch aufgrund des in der Berufungsverhandlung verlesenen Strafaktes ergänzende Feststellungen dahin, daß Franz D* mit Abblendlicht fuhr und der Beklagte sein Motorrad hinter einem von Martin M* gelenkten, 2,5 m breiten LKW, Mercedes 1013 lenkte, der in der Mitte seiner Fahrbahnhälfte mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 65 km/h fuhr.

Bei Erledigung der Rechtsrügen beider Parteien ging das Berufungsgericht davon aus, daß die von der Klägerin vorgenommene Zahlung von S 101.979,- und deren Leistungsfreiheit nach § 158 c VersVG nicht strittig sei. Da gemäß § 158 f VersVG die Forderung des Dritten gegen den Versicherungsnehmer auf den Versicherer übergehe, soweit dieser den Dritten nach § 158 c VersVG befriedige und der Versicherte, wenn der Versicherer - so wie hier - die Schadensregulierung ohne Zustimmung des Versicherten durchgeführt habe, gegenüber dem regreßberechtigten Versicherer alle Einwendungen aus dem Haftpflichtverhältnis gegen den Geschädigten zustehe, könne der Beklagte der Klägerin gegenüber daher einwenden, der Dritte (Franz D*) habe den Unfall mitverschuldet (VersR 1964, 78). Nur dieser Bereich sei im Berufungsverfahren strittig. Während der Beklagte meine, aufgrund der Umstände des Falles sei eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu seinen Lasten gerechtfertigt, vertrete die Klägerin die Ansicht, daß D* ein Mitverschulden nicht angelastet werden könne, weil Franz D* seine Fahrweise dem entgegenkommenden LKW angepaßt und er nicht habe erkennen können, daß der Beklagte zu überholen beabsichtige. Ausgehend von der für die gegenseitige Ersatzpflicht der Beteiligten und somit auch für das Ausmaß des Regreßanspruches der Klägerin maßgeblichen Grundsätze des § 11 Abs 1 EKHG sei in erster Linie das Verschulden der Beteiligten entscheidend. bei eindeutigem, schwerwiegenden Verschulden eines der Beteiligten komme es darauf an, ob nach den Umständen Anlaß bestehe, auch den anderen Beteiligten zum Schadensausgleich heranzuziehen (ZVR 1983/299; ZVR 1984/260 ua). Daß den Unfall in erster Linie der Beklagte verschuldet habe, bestreite er im Berufungsverfahren selbst nicht mehr. Ob Franz D* am Zustandekommen des Unfalls ein Verschulden anzulasten sei, sei nach den §§ 7 Abs 2, 10 Abs 1 Satz 1 StVO zu beurteilen. Die Verpflichtung, am rechten Fahrbahnrand zu fahren (§ 7 Abs 2 StVO), trete ein, wenn im Durchschnitt gesehen eine gefährliche Situation der vom Gesetz beispielsweise aufgezählten Art vorliege. Anderseits solle die Bestimmung des § 7 StVO die Flüssigkeit des Verkehrs nur so weit beschränken, wie dies im Interesse der Sicherheit erforderlich sei. Dies bedeute, daß auch größere Abstände zum rechten Fahrbahnrand hingenommen werden könnten, wenn sich daraus nur ein ausreichender Seitenabstand von der Fahrbahnmitte ergäbe, um den Gegenverkehr ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit zu ermöglichen. Das Ausmaß des zulässigen rechten Seitenabstandes richte sich nach der dem Fahrzeug zur Verfügung stehenden Fahrbahnbreite, dem Verlauf und der Beschaffenheit der Straße, den eingehaltenen Geschwindigkeiten und den gegebenen Verkehrsverhältnissen, also nach den Umständen des einzelnen Falles (ZVR 1978/255; ZVR 1982/77 uva), wobei ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich nur mit einem den Verkehrsvorschriften entsprechenden Gegenverkehr zu rechnen habe (ZVR 1979/243; ZVR 1982/77). Im vorliegenden Fall habe Franz D* mit seinem PKW eine Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h, der entgegenkommende LKW eine solche von 60 bis 65 km/h eingehalten. Der Seitenabstand des PKWs zur Fahrbahnmitte habe 23 bis 28 cm betragen. Gehe man davon aus, daß der LKW etwa in der Mitte seiner Fahrbahnhälfte gefahren sei, habe dessen Abstand zur Fahrbahnmitte etwa 0,55 m, der Seitenabstand der Fahrzeuge im Zeitpunkt der Begegnung somit 0,8 bis 0,9 m betragen. Berücksichtige man dazu, daß die Straße im Unfallsbereich eine, wenn auch leichte Links- und sodann eine Rechtskurve in Fahrtrichtung D* beschreibe, sodaß die Sicht für diesen 300 m, für einen entgegenkommenden Fahrzeuglenker 150 m betragen habe, so habe der PKW-Lenker bei den eingehaltenen Geschwindigkeiten der bestehenden Verkehrslage nicht Rechnung getragen. Er wäre verpflichtet gewesen, von vornherein entsprechend der Bestimmung des § 7 Abs 2 StVO weiter rechts zu fahren, weil er mit dem Entgegenkommen eines 2,5 m breiten Fahrzeuges habe rechnen müssen (ZVR 1981/262; ZVR 1964/65). Bei der Bestimmung des § 7 Abs 2 StVO handle es sich um eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB, welche dem Schutz des Gegenverkehrs dient (ZVR 1980/33; ZVR 1985/153). Da der Gegenverkehr generell geschützt werden solle, habe sich der Schutz nach dieser Bestimmung auch auf den Beklagten bezogen. Die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis nicht erbracht, daß der Unfall auch ohne Gesetzesverstoß mit den gleichen Folgen eingetreten wäre (SZ 51/109; ZVR 1983/213 uva). Wäre Franz D* mit dem PKW nur etwa 30 cm weiter rechts gefahren, wäre es nur zu einer Streifung mit dem vom Beklagten gelenkten Motorrad gekommen und die Unfallsfolgen wären erheblich geringer gewesen. Hingegen sei dem PKW-Lenker ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 20 Abs 1 StVO deshalb, weil er mit Abblendlicht eine Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h eingehalten habe, nicht vorzuwerfen, weil der Schutzzweck dieser Vorschrift nicht der sei, einen Unfall zu verhindern oder auch nur dessen Folgen geringer zu halten, der dadurch entstehe, daß ein entgegenkommendes Fahrzeug seine rechte Fahrbahnseite plötzlich verläßt, auf die linke Fahrbahnhälfte gerät und dort mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenstößt (vgl ZVR 1975/242). Franz D* falle daher im Sinne von Fahrlässigkeit ein Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 7 Abs 2, 10 Abs 1 Satz 1 StVO zur Last. Unter den gegebenen Umständen sei dieser Verstoß nach § 11 EKHG nicht zu vernachlässigen. Die in der Berufung der Klägerin angeführten Entscheidungen beträfen jeweils anders gelagerte Sachverhalte. Auch bei der mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Entscheidung ZVR 1982/77 habe der Abstand zwischen den einander begegnenden Fahrzeugen 1,2 bis 1,3 m betragen, den der Oberste Gerichtshof bei einer Summengeschwindigkeit von 145 km/h für ausreichend gehalten habe. Im vorliegenden Fall sei jedoch ein Seitenabstand bei höheren Geschwindigkeiten von nur 0,8 bis 0,9 m eingehalten worden. Berücksichtige man bei der Verschuldensabwägung den Grad der Fahrlässigkeit sowie die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Straßenverkehrs im allgemeinen und im konkreten Fall (ZVR 1983/235; ZVR 1984/31), dann sei in der vom Erstgericht vorgenommenen Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Beklagten kein Rechtsirrtum zu erblicken, weil die Sorglosigkeit des Motorradlenkers unter diesen Gesichtspunkten erheblich schwerer wiege als die Verletzung des Rechtsfahrgebotes durch Franz D*. Beiden Berufungen sei daher in der Hauptsache nicht Folge zu geben gewesen. Zur Begründung des auf § 500 Abs 3 ZPO gestützten Zulässigkeitsausspruches führte das Berufungsgericht aus, daß aus dem vorliegenden Unfall offenbar auch ein Rechtsstreit mit einem S 300.000,- übersteigenden Streitwert behänge und außerdem der Beurteilung der Frage, ob sich der Schutzzweck der §§ 7 Abs 2, 10 Abs 1 Satz 1 StVO auch auf Teilnehmer des Gegenverkehrs beziehe, die vorerst nicht wahrnehmbar seien und sodann unter Überfahren der Fahrbahnmitte verbotswidrig überholten, eine erhebliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme, für die dem Berufungsgericht eine eingehendere Rechtsprechung des Höchstgerichtes nicht zugänglich sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens, allenfalls unter Zugrundelegung einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 9 zu Lasten des Beklagten dahin abzuändern, daß ihr ein Betrag von S 55.781,10 zugesprochen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die vom Berufungsgericht angeführte erhebliche Rechtsfrage des materiellen Rechtes zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die Klägerin vertritt in ihrer Revision in erster Linie auch weiterhin den Standpunkt, den Lenker des PKWs träfe kein Mitverschulden an dem Unfall. Aufgrund der klaren Verschuldenslage fehlten auch die Voraussetzungen für einen Schadensausgleich nach § 11 EKHG. Dem kann nicht gefolgt werden.

Insoweit die Klägerin zur Stützung ihrer Rechtsansicht geltend macht, daß der von D* hier eingehaltene Seitenabstand doch ausreichend gewesen sei und sie auf die in ZVR 1978/255, ZVR 1979/57 und ZVR 1982/77 veröffentlichten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes verweist, übersieht sie vorerst, daß der von D* zur Fahrbahnmitte eingehaltene Abstand - nach der für diesen günstigeren, im Hinblick auf die diesbezüglich den Beklagten treffende Beweispflicht hier maßgeblichen Feststellung - bloß 28 cm betrug, der Seitenabstand des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges zum rechten Rand der Asphaltfahrbahn hingegen mehr als das Sechsfache. In dem der Entscheidung ZVR 1978/255 zugrunde liegenden Fall betrug der von dem dort beklagten, mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h fahrenden Fahrzeuglenker zur Mitte der dort ebenfalls 7,6 m breiten Fahrbahn eingehaltene Abstand 30 cm und wurde diese Fahrweise vom Obersten Gerichtshof als Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 2 StVO qualifiziert. Auch in der Entscheidung ZVR 1979/57 sprach der Oberste Gerichtshof aus, daß eine Fahrweise mit einem Abstand von 1,3 bis 1,5 m vom rechten Fahrbahnrand und von 80 cm von der Fahrbahnmitte auf einer 7,2 m breiten Straße nicht dem Gebot des § 7 Abs 2 StVO entspricht. Im Falle der in ZVR 1982/77 veröffentlichten Entscheidung hielt der beklagte PKW-Fahrer auf der ebenfalls 7,6 m breiten Straße bei einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h einen Seitenabstand zur Fahrbahnmitte von 55 bis 65 cm, zum entgegenkommenden LKW-Zug im Zeitpunkt der Begegnung einen solchen von 1,2 bis 1,3 m ein. Eine solche Fahrweise wurde vom Obersten Gerichtshof als zulässig erachtet. Aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt sich, daß der von D* gegenüber dem entgegenkommenden 2,5 m breiten in der Mitte seiner Fahrbahnhälfte fahrenden LKW bei Einhaltung der hier - zugunsten D*'s - für dessen Fahrzeug mit 90 km/h anzunehmenden Geschwindigkeit eingehaltene Seitenabstand bloß 83 cm betrug. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß das Ausmaß des zulässigen rechten Seitenabstandes sich nach der dem Fahrzeug zur Verfügung stehenden Fahrbahnbreite, dem Verlauf und der Beschaffenheit der Straße, den eingehaltenen Geschwindigkeiten und den gegebenen Verkehrsverhältnissen, also nach den Umständen des Einzelfalles richtet und die Verpflichtung, am rechten Fahrbahnrand zu fahren (§ 7 Abs 2 StVO), dann eintritt, wenn im Durchschnitt gesehen eine gefährliche Situation der vom Gesetz beispielsweise aufgezählten Art vorliegt. Unter Umständen sind also größere Abstände zum rechten Fahrbahnrand dann zu tolerieren, wenn sich daraus nur ein ausreichender Seitenabstand von der Fahrbahnmitte ergibt, um den Gegenverkehr ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit zu ermöglichen. Bei Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von etwa 90 km/h kann durch die Wahl eines Seitenabstandes zu einem - wie vom Berufungsgericht ergänzend festgestellt - mit ewa 60 bis 65 km/h entgegenkommenden LKW von 83 cm eine gefahrlose Abwicklung des Begegnungsverkehrs aber nicht garantiert werden. Die Vorinstanzen sind daher ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß D* bei dieser Sachlage der bestehenden Gefahrenlage durch seine Fahrweise doch nicht entsprechend Rechnung getragen und damit gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 2 StVO verstoßen hat.

Der Revisionswerberin kann aber auch darin nicht gefolgt werden, daß kein spezifischer Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Übertretung des Rechtsfahrgebotes durch D* und dem Unfall des Beklagten bestehe, weil dieses Gebot gegenüber einem hinter einem entgegenkommenden LKW verdeckt nachfahrenden Kraftfahrzeug nicht gelte. Richtig ist, daß aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jenen Schaden gehaftet wird, der vom Schutzzweck der Norm erfaßt wird. Der Schutzzweck der Norm ergibt sich - wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat - aufgrund teleologischer Interpretation aus ihrem Inhalt (ZVR 1979/254 und 283, 1980/45, 1984/214; 1985/9 ua). Daß es sich bei der Bestimmung des § 7 Abs 1 und 2 um Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB handelt, die dem Schutz des Begegnungsverkehrs dient, wird von der Revisionswerberin nicht bestritten. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings auch ausgesprochen, daß das gesetzliche Gebot des Rechtsfahrens den Zweck hat, allen möglichen Gefahren des Straßenverkehrs vorzubeugen (ZVR 1977/34, 1979/38) und auch der Abwehr der von rechts und links drohenden Gefahren und Nachteilen dient (ZVR 1974/260, 1976/166, 1970/190). Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits darauf hingewiesen, daß ein Kraftfahrer unter den Voraussetzungen des § 7 Abs 2 StVO schon bei Vorliegen einer abstrakt gefährlichen Situation - und nicht erst bei einer konkreten Gefahrenlage - diese Vorschrift einzuhalten hat (ZVR 1970/242, 1974/82). Da es im Nachfolgeverkehr bei Sichtbehinderungen, die von einem LKW - insbesondere so wie hier, mit höchstzulässiger Breite - verursacht werden, immer wieder vorkommt, daß nachfahrende Kfz-Lenker ihr Fahrzeug nach links auslenken, um die Zulässigkeit eines Überholmanövers beurteilen zu können, darf bei Gegenverkehr eine solche Möglichkeit nicht außer acht gelassen werden. Das bei Gegenverkehr zu beobachtende Gebot des § 7 Abs 2 StVO gilt somit auch zum Schutz von vorerst nicht sichtbaren, weil durch den Gegenverkehr verdeckt fahrenden Kraftfahrzeugen. Wenngleich es richtig ist, daß ein Verkehrsteilnehmer nur mit einem den Verkehrsvorschriften entsprechenden Gegenverkehr zu rechnen braucht (ZVR 1970/127, 1972/141, 1982/77), so ist - wie bereits dargetan - im Begegnungsverkehr doch in Betracht zu ziehen, daß Fahrzeuge im Nachfolgeverkehr zur Fahrbahnmitte hin auslenken und erst dadurch sichtbar werden. Von einer solchen Verkehrssituation ausgehend muß aber der von D* bei einer Fahrgeschwindigkeit von 90 km/h auf der ihm zur Verfügung stehenden befestigten Fahrbahn von ca. 3,80 m (bzw bis zur Randlinie von 3,60 m) eingehaltene Seitenabstand zur Fahrbahnmitte von bloß 28 cm als viel zu gering angesehen werden. Die Vorinstanzen sind daher mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß der D* zur Last zu legende Verstoß gegen die Bestimmung des § 7 Abs 2 StVO unter den gegebenen Umständen nicht vernachlässigt werden kann. Der in ZVR 1982/77 veröffentlichten Entscheidung liegt insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde, als der Seitenabstand zur Fahrbahnmitte doppelt so groß war wie im vorliegenden Fall und die vom beklagten Fahrzeuglenker dabei eingehaltene Geschwindigkeit um 10 km/h niedriger war als die von D* gefahrene. Aus dieser Entscheidung läßt sich somit für die Revisionswerberin nicht das von ihr in erster Linie gewünschte Ergebnis ableiten.

Schließlich vertritt die Klägerin noch den Standpunkt, die Vorinstanzen hätten jedenfalls die von D* zu tragende Verschuldensquote viel zu hoch bemessen; ihrer Ansicht nach wäre eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 9 zu Lasten des Beklagten angemessen. Auch hier kann der Klägerin nicht gefolgt werden. Bei der von den Vorinstanzen richtigerweise unter Berücksichtigung des Grades der Fahrlässigkeit der beiden Fahrzeuglenker sowie der Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Straßenverkehrs im allgemeinen und im konkreten Fall vorgenommenen Verschuldensabwägung darf vor allem nicht übersehen werden, daß im Verfahren überhaupt kein Grund hervorgekommen ist, der als Erklärung dafür hätte dienen können, warum D* bei einer derart breiten Fahrbahn, an die noch dazu ein 20 cm breiter Pflasterstreifen anschloß, einen Seitenabstand zum rechten Rand der Asphaltfahrbahn einhielt, der fast 7mal breiter war als der Sicherheitsabstand zur Fahrbahnmitte hin. Der Oberste Gerichtshof billigt daher die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensteilung.

Damit erweist sich aber die Revision als unberechtigt, weshalb ihr der Erfolg versagt werden mußte.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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