Spruch:
In der Strafsache gegen Rainer Gustav Z***, AZ 30 E Vr 1150/86 des Landesgerichtes Linz verletzt das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 28.August 1986, 8 Bs 253/86, das Gesetz in der Bestimmung des § 269 Abs. 1 StGB.
Text
Gründe:
Mit Urteil eines Einzelrichters des Landesgerichtes Linz vom 4.Juni 1986, GZ 30 E Vr 1150/86-6, wurde Rainer Gustav Z*** des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 18.April 1986 in Linz dadurch, daß er mit Händen und Füßen gegen (Polizei-)Inspektor Josef S*** und drei weitere Beamte schlug, versuchte, Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme und seinem Abtransport in den Arrestantenwagen zu hindern.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen nahm der Angeklagte am 18. April 1986 an einer nicht angemeldeten Gegendemonstration im Bahnhofsgebäude des Hauptbahnhofes Linz teil. Nachdem er der polizeilichen Aufforderung, das Gebäude zu verlassen, keine Folge geleistet hatte, wurde daher - wie auch bei anderen Demonstranten - seine Festnahme ausgesprochen. Er leistete dagegen passiven Widerstand, indem er mit Händen und Füßen die Gitterstäbe eines Stiegengeländers umklammerte. Darauf lösten ihm zwei Polizeibeamte mit Körperkraft die Hände vom Geländer. Als sie dann versuchten, ihn vom Geländer wegzuziehen und auch seine Füße von diesem zu lösen, begann der Angeklagte um sich zu schlagen, um die Beamten solcherart an seiner Festnahme zu hindern. Zur Überwindung dieses, nach der Beurteilung des Erstgerichtes nunmehr aktiven Widerstandes des Angeklagten waren vier Polizeibeamte notwendig, die ihn schließlich in das Wachzimmer trugen.
Der gegen dieses Urteil ergriffenen Berufung des Angeklagten gab das Oberlandesgericht Linz mit Entscheidung vom 28.August 1986, AZ 8 Bs 253/86 (ON 11), Folge, hob das angefochtene Urteil als nichtig auf und erkannte in der Sache selbst, indem es den Angeklagten von der gegen ihn erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freisprach. Das Oberlandesgericht verwies darauf, daß die Individualisierung der Tat des Angeklagten im Urteilstenor und ihre Konkretisierung in den Gründen insofern widersprüchlich seien, als der Angeklagte nach dem Tenor "gegen Polizeibeamte", nach den Gründen "um sich" geschlagen habe. Im Hinblick auf die in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen sei die verfehlte Fassung des Urteilsspruchs aber ohne Bedeutung. Aus den Entscheidungsgründen ergebe sich nämlich eindeutig und im Einklang mit den Verfahrensergebnisse, "daß der Angeklagte lediglich um sich schlug, während ihm die Polizeibeamten die Füße vom Geländer lösen wollten, um ihn abzutransportieren". Durch ein lediglich passives Verhalten werde der strafrechtliche Gewaltbegriff des § 269 StGB nicht verwirklicht. Da der Angeklagte weder auf Polizeibeamte eingeschlagen noch sich losgerissen habe, sondern sich durch bloßes Umsichschlagen dem Zugriff der Polizisten entziehen wollte, habe er nicht Gewalt gegen Polizeibeamte angewendet, sondern rein passiven Widerstand geübt.
Rechtliche Beurteilung
Das Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Linz vom 28.August 1986, AZ 8 Bs 253/86, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Das Berufungsgericht verkennt das Wesen eines (bloß) passiven Widerstandes, der allerdings keine Anwendung von Gewalt darstellt und darum für die Verwirklichung des Tatbestands des § 269 Abs. 1 StGB nicht genügt. Von einem solchen kann nämlich nur dann gesprochen werden, wenn sich der Täter darauf beschränkt, sich selbst zum Hindernis zu machen (vgl. Kienapfel BT I 2 § 105 RN 21), indem er seiner Festnahme und Fortschaffung lediglich das Gewicht seines Körpers entgegensetzt und allein durch passives Verhalten (wie etwa Verharren in einer bestimmten Position, Zubodenlegen udgl.; vgl. hiezu Leukauf-Steininger Komm. 2 § 269 RN 12, Liebscher im Wr.Komm. § 269 Rz. 45 und Mayerhofer-Rieder StGB 2 ENr. 5 zu § 269) zu erkennen gibt, daß er die an ihn gerichtete behördliche Aufforderung nicht zu befolgen gewillt ist.
Solange der Angeklagte trotz Aufforderung durch die einschreitenden Polizeibeamten, das Gebäude zu verlassen, sitzen blieb, ja auch noch, als er nach seiner Festnahme sich am Geländer festhielt und solcherart seine Fortschaffung hinderte, leistete er bloß passiven Widerstand im dargelegten Sinn und übte sohin keine Gewalt gegen die Polizeibeamten. Sobald er aber um sich schlug, leistete er - schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch - aktiven Widerstand, indem er gegen die Beamten physische Kraft in einer an sich zur Überwindung der Gegenwirkung geeigneten Intensität entfaltete, wie dies für den Begriff der Gewalt charakteristisch ist. Nicht entscheidend ist dabei, ob er gezielt gegen einen bestimmten Beamten schlug oder ungezielt umsichschlug und dadurch jeden der intervenierenden Polizisten der Gefahr aussetzte, im Zuge der Durchführung der Amtshandlung von seinen Schlägen getroffen zu werden. Wird doch Gewalt im Sinn des § 269 Abs. 1 StGB auch durch Umsichschlagen geübt, wenn die Schläge entweder den Beamten treffen oder ihn von einer (weiteren) Annäherung abhalten muß. Daß aber die vom Angeklagten angewendete Gewalt den Zweck verfolgte, die Polizeibeamten an der gegen den Angeklagten im Gange befindlichen Amtshandlung (Festnahme und Abtransport in den Arrest) zu hindern, liegt auf der Hand.
Das zitierte Erkenntnis des Berufungsgerichtes verletzt daher das Gesetz in der Bestimmung des § 269 Abs. 1 StGB. Da sich die Gesetzesverletzung zum Vorteil des (freigesprochenen) Angeklagten auswirkte, muß es bei ihrer Feststellung sein Bewenden haben. Auf Grund der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu erkennen.
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