OGH 12Os167/86

OGH12Os167/8618.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kral, Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr.Hörburger und Dr.Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Aumann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann S*** wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18.September 1986, GZ 6 a Vr 8309/86-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in den Schuldspruchfakten II und III unberührt bleibt, im Schuldspruchfaktum I wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann S*** I. des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB, II. des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs. 1, 128 Abs. 1 Z 4 StGB und III. des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB schuldig gesprochen.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichts zu Punkt I des Schuldspruches stellte der Angeklagte am 29. November 1985 seine Subuntermieterin Gertrud G*** zur Rede, weil sie erst gegen 22,10 Uhr nach Hause gekommen war und wollte von ihr wissen, mit wem sie zusammen war. G*** antwortete, daß ihm das alles nichts angeht. Der eifersüchtige Angeklagte versetzte der Zeugin G*** einen Stoß, schrie auf das Mädchen ein und schlug ihr mit voller Wucht mit der Hand zweimal ins Gesicht, wodurch sie eine Schädelprellung mit leichter Schwellung auf beiden Wangen und der rechten Schläfe sowie Kopfschmerzen erlitt. G***, die durch die wuchtigen Schläge vollkommen verängstigt war und zu zittern begann, versuchte den Angeklagten zu beruhigen, was ihr jedoch nicht gelang. Der Angeklagte gab ihr gegenüber zu verstehen, da für ihn ohnehin schon alles zu Ende sei, sie könne ihn ruhig anzeigen, doch er möchte vorher noch einmal von ihr geliebt werden. Weiters fragte er sie, ob sie es lieber sähe, daß er sich ein Messer in den Bauch renne und dann das Blut herumspritzt. Gertrud G*** befand sich durch die Schläge und durch die Worte des aggressiven Angeklagten in einem Zustand panischer Angst. Ihre Widerstandsfähigkeit war vollkommen gebrochen und sie wußte auch, daß eine Fluchtmöglichkeit für sie nicht bestand, da der Angeklagte die Wohnungstür verschlossen hatte und sie es nicht wagte, einen Schlüssel aus ihrem Zimmer zu holen. Sohin äußerte dann der Angeklagte, daß er mit ihr ins Bett gehen will und sie sich ausziehen soll. Das Mädchen, das keine Gegenwehr mehr wagte, da sie Angst vor weiteren Schlägen hatte, kam dem Befehl des Angeklagten nach, zog sich aus und legte sich in das Bett. Sie mußte widerstrebend zulassen, daß der Angeklagte an ihr den außerehelichen Beischlaf durchführte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil wird vom Angeklagten mit Nichtigkeitsbeschwerde, der Strafausspruch mit Berufung angefochten. Die Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich ausschließlich gegen das Schuldspruchfaktum I wegen Nötigung zum Beischlaf und wird auf die Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützt. Im Ergebnis zutreffend rügt der Angeklagte als Feststellungsmangel (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO), daß dem Urteil nicht zu entnehmen ist, ob der Angeklagte der Zeugin die wuchtigen Schläge ins Gesicht bereits mit dem Vorsatz versetzte, sie zum außerehelichen Beischlaf zu nötigen, oder ob er ihr diese Schläge ohne einen darauf abzielenden Vorsatz aus Zorn über ihre Antwort gab, daß es ihm nichts anginge, mit wem sie zusammen war (US 5 und 6). Nur im ersten Fall käme das Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB, allenfalls sogar, wenn durch die Gewalt oder Drohung die Zeugin widerstandsunfähig gemacht wurde, Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB in Frage. Falls der Angeklagte aber im Zeitpunkt der Gewalteinwirkung nicht vorhatte, die Zeugin zum Beischlaf zu nötigen, wären die Tatbilder der genannten Verbrechen nicht erfüllt, denn sowohl nach § 201 Abs. 1 StGB als auch nach § 202 Abs. 1 StGB ist erforderlich, daß der Täter bereits bei der Nötigung bzw. Herbeiführung der Widerstandsunfähigkeit den Vorsatz auf geschlechtlichen Mißbrauch des Opfers hatte. Wenn der Täter jedoch erst nach der Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB), nach einem ca. eine Stunde dauernden Gespräch (US 10), bloß die Situation ausnützte, und die verängstigte und resignierende Zeugin, falls deren Widerstandsfähigkeit völlig gebrochen gewesen sein sollte, zum außerehelichen Beischlaf mißbrauchte, wäre ein solcher Sachverhalt als das Verbrechen der Schändung nach § 205 Abs. 1 StGB zu beurteilen (vgl. Leukauf-Steininger Komm. 2 § 205 Abs. 1 RN 5, Pallin im Wr. Kommentar § 201 RN 26).

Das Urteil leidet somit an Feststellungsmängel, die eine eindeutige rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst nicht ermöglichen. Es war somit der auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a (richtig Z 10) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten bereits in einer nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285 e StPO sofort Folge zu geben, das Urteil im Schuldspruchfaktum I und in der rechtlichen Beurteilung dieser Tat als das Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB, somit aber auch im Strafausspruch aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf die geltend gemachten Begründungsmängel bedurfte, und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen. Im fortgesetzten Verfahren wird zu prüfen und gegebenenfalls mit mängelfreier Begründung festzustellen sein, ob bei Gertrud G*** ein Zustand eintrat, in welchem sie aus psychischen und physischen Gründen zu weiterem Widerstand außerstande war oder ob ihr ein solcher Widerstand nicht mehr zugemutet werden konnte. Widerstandsunfähigkeit - auf deren Herbeiführung beim Tatbestand der Notzucht auch der Täterwillen gerichtet sein müßte - verlangt eine Lage extremer Hilflosigkeit, in der für das Opfer weiterer Widerstand unmöglich, aussichtslos oder nicht mehr zumutbar ist, wobei ein strenger Maßstab angelegt werden muß (Leukauf-Steininger aaO § 201 RN 8, Pallin aaO, § 201 RN 15-22, § 205 RN 14, 15). Schließlich wird - insbesonders im Fall eines Schuldspruchs nach § 201 Abs. 1 StGB - das Verbot der reformatio in peius (§§ 290 Abs. 2, 293 Abs. 3 StPO) zu beachten sein (EvBl. 1986/89).

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