Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Vaters aufgetragen.
Text
Begründung
Der am 30.10.1969 geborene Boban J*** ist ein eheliches Kind des Radislav und der Evica J***. Eltern und Kind sind jugoslawische Staatsangehörige. Die Ehe der Eltern wurde mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Pozarevac vom 22.5.1984, P 578/83, geschieden. Mit diesem Urteil wurde der mj. Boban zur Pflege, Aufsicht und Erziehung der Mutter zugesprochen; der Vater wurde verpflichtet, zum Unterhalt des Kindes ab 22.5.1984 monatlich 3000,- Dinar zu bezahlen. Beide Eltern leben und arbeiten nunmehr in Wien. Der mj. Boban hielt sich bis März 1985 in Jugoslawien bei seinem Großvater auf. Seither lebt er (mit den noch anzuführenden Unterbrechungen) bei seiner Mutter in Wien. Er ist Schüler des Schulzentrums der Arbeiteruniversität "Novi Beograd" in Wien und besuchte hier im Schuljahr 1985/86 die 9.Klasse Hauptschule. Die Ferienzeit vom 15.9. bis 3.11.1985 verbrachte er ebenso in Jugoslawien wie die Zeit vom 15.1. bis 22.3.1986 und die Schulferien im Jahr 1986.
Das zum besonderen Sachwalter bestellte Bezirksjugendamt für den
3. Bezirk beantragte übereinstimmend mit der Mutter die Erhöhung der dem Vater obliegenden monatlichen Unterhaltsleistung auf S 3000,-. Der Vater sprach sich dagegen aus.
Das Erstgericht verhielt den Vater ab 20.3.1986 antragsgemäß zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeträge von S 3.000,-. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß der mj. Boban seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wien habe. Im Hinblick auf den Aufenthalt der Beteiligten in Österreich sei materiell österreichisches Recht anzuwenden. Im Sinne des § 140 ABGB habe der Vater die ihm auferlegte angemessene Unterhaltsleistung zu erbringen. Dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Unterhaltserhöhungsantrag zurückwies.
Das Rekursgericht führte im wesentlichen aus, gemäß § 110 JN sei in Pflegschaftssachen die inländische Gerichtsbarkeit unter anderem dann gegeben, wenn der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder, soweit es um dringende Maßnahmen gehe, zumindest seinen Aufenthalt im Inland habe; handle es sich um einen ausländischen Minderjährigen, könne das Gericht von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens absehen, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen des Minderjährigen ausreichend gewahrt würden. Bei Beurteilung der Frage, ob eine im Ausland getroffene Maßnahme ausreichend sei, komme es darauf an, ob diese Verfügung für den inländischen Rechtsbereich entsprechende Wirkungen entfalten könne. Im Hinblick auf das Übereinkommen vom 10.10.1961 zwischen der Republik Österreich und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltstiteln, BGBl.1962/310, sei davon auszugehen, daß die Entscheidung des Kreisgerichtes Pozarevac in Österreich vollstreckbar sei. Die Heimatbehörde des Minderjährigen habe in dieser Entscheidung ihre Jurisdiktion hinsichtlich des gesamten Komplexes von Pflege, Erziehung und Unterhaltsregelung in Anspruch genommen; es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, daß nunmehr im Falle eines Unterhaltserhöhungsantrages keine ausreichenden Maßnahmen des jugoslawischen Gerichtes zu erwarten wären. Wenn aber davon ausgegangen werden könne, daß durch die zu erwartenden Maßnahmen der ausländischen Behörde die Rechte und Interessen des Minderjährigen ausreichend gewahrt würden, bestehe keine Notwendigkeit für die Inanspruchnahme der inländischen Gerichtsbarkeit. Der Antrag auf Unterhaltserhöhung sei somit mangels Vorliegens inländischer Gerichtsbarkeit zurückzuweisen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des besonderen Sachwalters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Bestätigung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern; in eventu wird (erkennbar) ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist im Ergebnis berechtigt.
Durch die nunmehrige Fassung des § 110 Abs 1 Z 2 JN ist klargestellt, daß die inländische Gerichtsbarkeit für die Besorgung der Geschäfte, die nach den Bestimmungen über die Rechte zwischen Eltern und minderjährigen Kindern dem Gericht obliegen, ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit gegeben ist, wenn der Minderjährige im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder, soweit es um dringende Maßnahmen geht, zumindest seinen Aufenthalt hat. Die angestrebte Erhöhung des Unterhaltsanspruches des ausländischen Minderjährigen gehört zu den im § 109 Abs 1 JN genannten Angelegenheiten und unterliegt daher grundsätzlich der inländischen Gerichtsbarkeit, solange der Minderjährige im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine Befassung der Behörden (Gerichte) des Heimatstaates ist nur mehr insoweit von Bedeutung, als das österreichische Gericht nach § 110 Abs 2 JN von der Einleitung oder Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens absehen kann, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen des Minderjährigen ausreichend gewahrt werden. Ob diese Voraussetzung dafür vorliegt, daß trotz Bestehens der inländischen Gerichtsbarkeit ein Verfahren nicht eingeleitet oder nicht fortgeführt wird, ist vom Ermessen des inländischen Gerichtes abhängig, das sich nur am Wohl des Kindes zu orientieren hat und daher nur dann ein Absehen von der Verfahrensführung zuläßt, wenn gesichert ist, daß die Rechte und Interessen des Kindes durch die Behörden seines Heimatstaates ausreichend gewahrt werden (3 Ob 582/83; 3 Ob 513,514/85). Der vom Rekursgericht vertretenen Ansicht, die Voraussetzungen des § 110 Abs 2 JN seien gegeben, kann nicht beigetreten werden. Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich eindeutig, daß der mj. Boban seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, weil er hier nicht nur den weitaus überwiegenden Teil des Jahres verbringt, sondern auch eine Schule besucht. Der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt unter diesen Umständen jedenfalls in Österreich.
Hat dieser Minderjährige aber in Österreich seinen ständigen Aufenthalt, dann kann wegen der nach § 110 Abs 1 Z 2 JN bestehenden inländischen Gerichtsbarkeit grundsätzlich das österreichische Gericht angerufen werden, das über Anträge in den im § 109 Abs 1 JN bezeichneten Angelegenheiten zu entscheiden hat, es sei denn, die Behörden des Heimatstaates hätten darüber bereits in einer die Rechte und Interessen des Kindes wahrenden Weise Maßnahmen getroffen oder solche Maßnahmen seien zu erwarten.
Die zu treffende Entscheidung über den vorliegenden Unterhaltserhöhungsantrag durch das inländische Gericht könnte in diesem Sinne nur dann unterbleiben, wenn darüber ein Verfahren im Heimatstaat anhängig und dort eine die Rechte des Minderjährigen ausreichend sichernde Maßnahme zu erwarten wäre. Dabei ist einerseits zu beachten, daß die Unterhaltsansprüche des Kindes, solange es seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, zufolge Art.1 Abs 1 des Übereinkommens vom 24.10.1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht, BGBl.1961/293, nach österreichischem materiellen Recht zu beurteilen sind, auch wenn das Kind selbst nicht einem Vertragsstaat angehört (Scheucher in ZfRV 1963,83; Kropholler in ZfRV 1968,305 FN 21; Böhm in ZfRV 1971,50). Andererseits wird die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche dann, wenn auch der Unterhaltsschuldner im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, durch eine inländische Entscheidung eindeutig gefördert; die Rechte des Kindes können auch dadurch nicht ausreichend gewahrt sein, daß die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche im Heimatstaat längere Zeit in Anspruch nimmt und sodann auf Grund eines ausländischen Titels im Inland Exekution geführt werden muß (3 Ob 513,514/85).
Zu Unrecht hat unter diesen Umständen das Rekursgericht im vorliegenden Fall das Vorliegen der im § 110 Abs 2 JN normierten Voraussetzungen angenommen. Vor den Behörden des Heimatstaates des Minderjährigen ist nämlich weder ein Verfahren über eine Erhöhung der dem Vater obliegenden Unterhaltsleistung anhängig gemacht worden noch ist vor allem wegen der aufgezeigten Erschwernisse der Fällung und Durchsetzung einer diesbezüglichen Entscheidung durch die Heimatbehörde zu erwarten, daß in einem vor dieser erst einzuleitenden Verfahren die Rechte und Interessen des Minderjährigen in gleicher Weise wie durch das inländische Pflegschaftsgericht ausreichend und rechtzeitig gewahrt werden können.
Der angefochtene Beschluß war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses des besonderen Sachwalters aufzuheben. Das Rekursgericht, das eine Sachentscheidung wegen der Annahme des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit abgelehnt hat, wird diese zu treffen und eine sachliche Überprüfung des Beschlusses des Erstgerichtes vorzunehmen haben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)