OGH 14Ob195/86

OGH14Ob195/8616.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Stefan Seper und Dr. Willibald Aistleitner, als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Paula S***, Pensionistin, St. Stefan, Kleinedling 152, vertreten durch Alois Stemberger, Landessekretär der Gewerkschaft Textil, Bekleidung, Leder in Klagenfurt, Bahnhofstraße 44, dieser vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag und Dr. Wilhelm Dieter Eckhart, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei G*** Herrenschuhfabrik Peter und Bernd V*** KG, Wolfsberg, Lagerstraße 234, vertreten durch Dr. Erich Zeiner, Dr. Hans Georg Zeiner und Dr. Norbert Pirker, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 24.471,09 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 9. April 1986, GZ. 3 Cg 10/85-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wolfsberg vom 21. November 1984, GZ. Cr 5/84-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 450 bestimmten Kosten (Barauslagen) des Berufungsverfahrens sowie die mit S 3.199,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 480 an Barauslagen und S 247,20 an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei, ihrer ehemaligen Arbeitgeberin, die Zahlung eines der Höhe nach außer Streit stehenden Betrages von S 24.471,09 brutto sA an Differenz zwischen der auf der Basis von vier Monatsentgelten erhaltenen und der ihr nach ihrer Meinung zustehenden Abfertigung von sechs Monatsentgelten. Zur Begründung führt sie aus, sie sei bei der beklagten Partei vom 15. November 1970 bis 20. Juni 1983 als Schuharbeiterin beschäftigt gewesen. Auf der Grundlage dieser Dienstzeit habe sie von der beklagten Partei die Abfertigung bekommen. Sie sei jedoch überdies vom 22. Juli 1968 bis 14. November 1970 bei der Firma A*** und unmittelbar vorher seit 6. Mai 1968 bei der Firma S*** ebenfalls als Schuharbeiterin beschäftigt gewesen und von der Firma A*** unter Anrechnung ihrer bei der Firma S*** zurückgelegten Dienstzeit übernommen worden. Anläßlich der Übernahme der A*** durch die beklagte Partei sei am 15. November 1970 mit der beklagten Partei vereinbart worden, daß diese die Klägerin zu den gleichen Bedingungen unter Anrechnung der Vordienstzeiten weiterbeschäftigen werde. In dieser Vereinbarung seien alle damals bestehenden dienstzeitabhängigen Ansprüche aufgezählt worden, wie Urlaubszuschuß, Weihnachtsremuneration, Krankengeldanspruch, Kündigungsfristen und Urlaub. Hingegen seien Abfertigung und Entgeltfortzahlung bei Krankheit nur deshalb nicht angeführt worden, weil solche Bestimmungen zu jenem Zeitpunkt für Arbeiter nicht galten. Die Anrechnungsbestimmung habe sich aber auf alle dienstzeitabhängigen Ansprüche bezogen und müsse nunmehr auch auf die Abfertigung angewendet werden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Anrechnungsvereinbarung habe sich ausschließlich auf die darin genannten Ansprüche bezogen. Hätte damals bereits ein Anspruch auf Abfertigung für Arbeiter bestanden, so hätte die beklagte Partei diese Ansprüche nicht übernommen. Sie habe nur die Aktivposten der A*** übernommen. Dieses Unternehmen habe jenen Angestellten, die damals einen Anspruch auf Abfertigung bereits hatten, die Abfertigung gezahlt; für die anderen Angestellten habe sie die Rückstellungsbeträge an die beklagte Partei abgeführt. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Entscheidend sei, ob die übereinstimmende Parteienabsicht auf die Einbeziehung von Abfertigungsansprüchen in die in der Vereinbarung aufgezählten Entgeltansprüche gerichtet gewesen sei. Eine solche Absicht habe aber nicht bestanden, weil die beklagte Partei nicht einmal bereit gewesen sei, die Abfertigungsansprüche der wenigen Angestellten zu übernehmen; umsoweniger sei sie bereit gewesen, allfällige "versteckte" Abfertigungsansprüche von 173 Arbeitern zu übernehmen. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne der Klage ab. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und legte seiner Entscheidung folgenden wesentlichen - teils außeq Streit stehenden, teils festgestellten - Sachverhalt zugrunde:

Die beklagte Partei wurde etwa im Jahr 1965 von einer in Kärnten bestehenden Gesellschaft für Industrieansiedlungen darauf aufmerksam gemacht, daß in Wolfsberg die illiquide Firma A*** Schuhfabriksgesellschaft mbH zu günstigeren Bedingungen übernommen werden könnte, als in der Steiermark eine Betriebsgründung möglich wäre. Die beklagte Partei erklärte sich schließlich dazu bereit, falls ihr in Kärnten die gleichen Bedingungen geboten würden, die ihr die Steiermärkische Landesregierung zugesagt habe, und wenn die Arbeitnehmer der A*** zur Weiterarbeit bei der beklagten Partei bereit wären. Prof. Franz Josef B***, der Vertreter der genannten Gesellschaft, berichtete der beklagten Partei nach mehreren Gesprächen, die unter Beiziehung der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer mit der Belegschaft der A*** stattgefunden hatten, die Arbeitnehmer dieses Unternehmens wären zur Weiterarbeit bereit, wenn alle ihre bisherigen Rechte von der beklagten Partei übernommen würden. Es sollten vor allem auch die Vordienstzeiten bei der Firma S*** angerechnet werden. Die beklagte Partei war nur schwer zum Erwerb der A*** zu überzeugen; sie sollte nur geringste Belastungen übernehmen.

Die Klägerin war vom 13. Mai 1968 bis 21. Juli 1968 als Schuharbeiterin bei der Firma S*** beschäftigt; sie wurde mit 22. Juli 1968 von der A*** als Schuharbeiterin übernommen. Mit der am 15. November 1970 erfolgten Übernahme der A*** durch die beklagte Partei wurde auch die Klägerin als Schuharbeiterin von der beklagten Partei übernommen. An diesem Tag wurde zwischen ihr einerseits sowie der A*** und der beklagten Partei andererseits folgende schriftliche Vereinbarung getroffen:

"1. Das Dienstverhältnis der Frau S*** Paula mit der A*** wird einvernehmlich per 15. November 1970 gelöst.

2. Frau S*** Paula erklärt, alle ihr zustehenden Zahlungen seitens der A*** sowie den ihr zustehenden Urlaub erhalten zu haben und keine wie immer gearteten Ansprüche gegen die A*** zu stellen.

3. Die Firma G*** erklärt, Frau S*** Paula zu den gleichen Bedingungen und Kündigungsfristen, die für sie bei der A*** gemäß Kollektivvertrag für die Österreichische Schuhindustrie gegolten haben, weiter zu beschäftigen, und Vordienstjahre für die dem Dienstnehmer nach dem 15. November 1970 zustehenden Urlaubsgeld-, Weihnachtsgeld- und Krankengeldansprüche anzurechnen. Desgleichen gelangen die Vordienstjahre für die Bemessung des Urlaubs zur Anrechnung.

4. Frau S*** Paula erklärt sich hiemit einverstanden." Die in Punkt 3. dieser Vereinbarung aufgezählten Ansprüche sind alle jene Ansprüche der Arbeiter der beklagten Partei, die von der Beschäftigungsdauer abhängig waren und den Arbeitern nach der damals geltenden Rechtslage zustanden.

Die beklagte Partei erwarb nur das Anlagevermögen der A***. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, daß die beklagte Partei keine versteckten Verbindlichkeiten übernimmt. Vor Übernahme der A*** und vor dem Abschluß der vorerwähnten Vereinbarung stellte der den Besprechungen im Betrieb beigezogene Gewerkschaftssekretär S*** aus den Gesetzen und dem Kollektivvertrag fest, daß die Ansprüche auf Weihnachts-, Urlaubs- und Krankengeld sowie die Kündigungsfristen von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängig seien. Diese Ansprüche sollten in die Einzelvereinbarungen aufgenommen werden. Über die nach der damaligen Rechtslage nicht bestehenden Ansprüche auf Abfertigung für Arbeiter wurde nicht gesprochen. Wer den Inhalt der Einzelvereinbarungen formuliert hat und ob zwischen der beklagten Partei und den Arbeitnehmern Gespräche stattfanden, kann nicht festgestellt werden. Die beklagte Partei wollte nur für die oben genannten Ansprüche die Vordienstzeiten anrechnen, für andere Ansprüche hingegen nicht. Daß diese Absicht den Arbeitern der A*** bekannt geworden wäre, kann nicht festgestellt werden.

Auf Grund der zwischen der A*** und der beklagten Partei getroffenen Vereinbarung sollte A*** alle Abfertigungsansprüche der Angestellten erfüllen. Für bestehende Anwartschaften auf Abfertigung sollte ein Rückstellungsbetrag an die beklagte Partei überwiesen werden. Der Vertragswille dieser beiden Unternehmen war darauf gerichtet, daß die beklagte Partei weder durch bereits entstandene noch durch nicht entstandene Abfertigungsansprüche belastet werde. A*** hat in der Folge die sich für sie aus dieser Vereinbarung ergebenden Verpflichtungen erfüllt. Weder dem Gewerkschaftssekretär S*** noch der Klägerin ist diese Vereinbarung betreffend die Angestellten bekannt geworden. Das gleiche gilt für die Vereinbarung, wonach die beklagte Partei nur Aktivposten der A*** übernehmen sollte. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß eine ganz allgemeine Zusicherung der Anrechnung von Vordienstzeiten für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gelte, auch für solche, die erst auf Grund einer nach der Vereinbarung eingetretenen Änderung der materiellen Rechtslage entstanden sind. Eine derartige allgemeine Zusicherung liege hier zwar nicht vor, doch seien die in der Vereinbarung mit der Klägerin genannten Ansprüche alle dienstzeitabhängigen Ansprüche der Arbeiter der beklagten Partei gewesen, die diesen nach der damaligen Rechtslage zustanden. Da von der Arbeitnehmervertretung verlangt worden sei, daß alle dienstzeitabhängigen Ansprüche der Arbeiter von der beklagten Partei übernommen werden sollten, und diese Ansprüche dann aus dem Gesetz und dem Kollektivvertrag festgestellt worden seien, hätten die Arbeiter und damit auch die Klägerin gemäß dem § 914 ABGB davon ausgehen dürfen, daß sie bei der beklagten Partei nicht schlechter gestellt würden als bei Fortdauer ihres Arbeitsverhältnisses mit der A***. Die ihnen nicht bekannt gewordene gegenteilige Absicht der beklagten Partei sei nach den Auslegungsgrundsätzen des § 914 ABGB unerheblich. Die Änderung der Gesetzeslage (Inkrafttreten des Arbeiter-Abfertigungsgesetzes 1979) treffe die beklagte Partei, weil diese Änderung infolge der bekannten Entwicklung des Arbeitsrechts voraussehbar gewesen sei. Die Gesetzesänderung bedeute somit nicht den Wegfall einer Voraussetzung für die Gültigkeit der Vereinbarung. Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit einem auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils zielenden Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Erfolgt die Anrechnung von Vordienstzeiten ohne näheren Hinweis auf die Art der dienstzeitabhängigen Ansprüche, für welche die Anrechnung gelten soll, dann gilt sie mangels Einschränkung der Wirkung einer solchen Anrechnung auf bestimmte Ansprüche für alle dienstzeitabhängigen Ansprüche (Martinek - Schwarz, AngG 6 451; Arb. 9520, 10.139 mwH, ua).

Im vorliegenden Fall haben die Parteien, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, eine solche allgemeine Anrechnung, also eine Anrechnung ohne Anführung bestimmter dienstzeitabhängiger Ansprüche, nicht vereinbart. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts kann aber aus dem Umstand, daß die Parteien alle dienstzeitabhängigen Asprüche, welche den Arbeitern der beklagten Partei im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung zustanden, in der Vereinbarung anführten, nicht der zwingende Schluß gezogen werden, sie hätten damit eine allgemeine, uneingeschränkte Anrechnung aller dienstzeitabhängigen Ansprüche in Gegenwart und Zukunft vereinbart (vgl. Arb 9423). Die wörtliche Auslegung der Vereinbarung führt zu dem Ergebnis, daß die Vordienstzeit nur auf die darin genannten Ansprüche angerechnet werden sollte, nicht aber auch auf andere, allenfalls in der Zukunft geschaffene Ansprüche.

Eine vom Wortlaut abweichende, die Ansprüche erweiternde übereinstimmende Absicht der Parteien hätte von der eine solche Absicht behauptenden Klägerin bewiesen werden müssen; keinesfalls ist hingegen die beklagte Partei dafür beweispflichtig, daß die Parteien nur die sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung ohnehin ergebende Einschränkung auf die darin genannten Ansprüche vereinbaren wollten.

Eine übereinstimmende, vom Wortlaut abweichende Absicht der Parteien wurde aber nicht festgestellt. Die beklagte Partei wollte vielmehr nur für die in der genannten Vereinbarung aufgezählten Ansprüche die Vordienstzeiten anrechnen, für andere Ansprüche hingegen nicht. Ob der Klägerin diese Absicht bekannt geworden ist, ist nicht entscheidungswesentlich, weil die für eine übereinstimmende abweichende Parteienabsicht im oben dargelegten Sinn erforderliche Willensübereinstimmung jedenfalls nicht zustandekam. Gerade der festgestellte Umstand, daß der die Interessen der Belegschaft vertretene Gewerkschaftssekretär durch Studium der geltenden Rechtslage feststellt, welche Ansprüche von der Dauer der zurückgelegten Dienstzeit abhängig waren, zeigt, daß nur diese Ansprüche, die dann in die Vereinbarung aufgenommen wurden, Gegenstand einer Anrechnung sein sollten. Ebensowenig steht fest, daß die beklagte Partei den Erklärungen oder dem Erklärungsverhalten der Klägerin oder des die Interessen der Belegschaft vertretenden Gewerkschaftssekretärs hätte entnehmen können, sie strebe eine uneingeschränkte, ganz allgemeine Anrechnung der Vordienstzeiten im eingangs erwähnten Sinn an. Daß die Arbeitnehmer und damit auch die Klägerin durch die Übernahme nicht schlechter gestellt sein wollten als bei Fortdauer ihrer Arbeitsverhältnisse mit der A***, vermag an der in der Vereinbarung der Klägerin durch Aufzählung der Ansprüche vorgenommenen Beschränkung auf diese Ansprüche nichts zu ändern. Wollte man der Auffassung der Klägerin folgen, müßte in derartigen Fällen einer Aufzählung von Ansprüchen, für welche Vordienstzeitenanrechnungen gelten sollen, überdies noch vereinbart werden, daß diese Anrechnungen für Ansprüche, die durch eine Änderung der materiellen Rechtslage neu geschaffen werden, keine Geltung haben sollen. Die Beschränkung auf einzelne Ansprüche, wie sie hier geschehen ist, läßt aber mangels anderer berücksichtigungswürdiger Umstände eine solche zusätzliche Vereinbarung gerade dann überflüssig erscheinen, wenn die Aufzählung alle jene Ansprüche nennt, die im Zeitpunkt der Vereinbarung einen Bestandteil der materiellen Rechtsordnung bilden.

Da sich die Anrechnung somit auf den Abfertigungsanspruch nicht erstreckt, stand der Klägerin nur der erfüllte Abfertigungsanspruch im Ausmaß vou vier Monatsentgelten zu.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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