OGH 6Ob687/86

OGH6Ob687/8611.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Jensik, Dr. Schobel und Dr. Schlosser als Richter in der Vormundschaftssache der minderjährigen Angelique O***, geboren 14. Dezember 1968, infolge Revisionsrekurses des B*** W***, vertreten durch das Amt der Wiener Landesregierung, Dienststelle für Zivil- und Strafrechtsangelegenheiten, 1082 Wien, Rathaus gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 1. Oktober 1986, GZ 44 R 3402/86-60, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 9. September 1985, GZ 3 P 148/85- 44, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, welche hinsichtlich der Teilabweisung des Antrages des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien als unangefochten unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien wurde die Vormundschaft über die mj. Kinder Angelique O*** zu 7 P 135/81 und Arne O*** zu 7 P 134/81 geführt.

Am 29. März 1983 beantragte das Bezirksjugendamt für den 20. Bezirk in Wien für die mj. Angelique O*** einen monatlichen Unterhaltsvorschuß von S 500,-, auszahlbar zu Handen der Mutter Irene S***, zu gewähren.

Mit Beschluß vom 21. April 1983, der dem Bezirksjugendamt am 3. Mai 1983 zugestellt wurde, übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien seine Zuständigkeit zur Besorgung der Vormundschaft über die mj. Angelique O*** zur Gänze an das Bezirksgericht Floridsdorf. Ein gleichartiger Beschluß betreffend den mj. Arne O*** erging am 20. Mai 1983.

Am 8. August 1983 übermittelte das Bezirksgericht Floridsdorf den Vormundschaftsakt betreffend die mj. Angelique wieder dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit dem Bemerken, daß der Akt nicht zur Weiterführung übernommen werde.

Hierauf bewilligte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit Beschluß vom 21. November 1983 für die mj. Angelique einen Unterhaltsvorschuß von S 500,- monatlich für die Zeit vom 1. April 1983 bis 31. März 1986. Dieser Beschluß wurde dem Bezirksjugendamt am 30. November 1983 und dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien am 28. November 1983 zugestellt.

Bereits am 25. November 1983 richtete das Bezirksjugendamt ein Schreiben an das Bezirksgericht Floridsdorf, welches dort am 7. Dezember 1983 einlangte und von dem offenbar eine Kopie dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien übermittelt wurde, die bei diesem am 21. Dezember 1983 einlangte. Darin teilte das Bezirksjugendamt mit, daß der Vater der "mj. O***-Kinder" am 4. Mai 1983 verstorben ist und der Antrag gestellt wird, das Bezirksjugendamt vom Amt des Einhebungskurators für die beiden Minderjährigen Arne und Angelique O*** zu entheben. Das Bezirksjugendamt nahm in seinem Schreiben Bezug auf die Sterbeurkunde des Standesamtes Wien-Hietzing Nr. 3303/83 und teilte auch mit, daß die Verlassenschaft zu 6 A 390/83 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien anhängig ist. Erst am 9. Februar 1984 faßte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den Beschluß, die gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Wirksamkeit vom 31. Mai 1983 einzustellen, und ersuchte den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, ab 1. Juni 1983 Unterhaltsvorschüsse nicht auszubezahlen. Dieser Beschluß wurde dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien am 15. Februar 1984 zugestellt. Dieser beantragte mit der mit "15.5.1983" datierten, beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien am 21. Mai 1985 eingelangten Eingabe, das Kind, den gesetzlichen Vertreter des Kindes und die Mutter zur Bezahlung des zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschusses von S 9.100,- (das sind die Beträge für die Zeit vom 1. Juni 1983 bis 29. Februar 1984 und aufgrund einer früheren Unterhaltsvorschußgewährung auch für die Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 31. Oktober 1982) zu verpflichten.

Das Erstgericht verpflichtete "das Bundesland Wien vertreten durch das Bezirksjugendamt für den 20. Bezirk" zur Rückzahlung des im Zeitraum vom 1. Juni 1983 bis 29. Februar 1984 zu Unrecht ausbezahlten Unterhaltsvorschusses von S 4.500,- und wies das Begehren, auch die mj. Angelique O*** und deren Mutter Irene S*** zur Rückzahlung zu verpflichten, zur Gänze, sowie das Begehren gegen das Bundesland Wien für die Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 31. Oktober 1982 ab. Es vertrat die Ansicht, da dem Jugendamt der Tod des Vaters der Kinder bereits am 25. August 1983 zur Kenntnis gelangt sei, hätte es seine Stellungnahme spätestens Ende August 1983 abgeben können. Bei rechtzeitiger Mitteilung hätte das Erstgericht den Unterhaltsvorschuß nur für die Zeit vom 1. April 1983 bis 31. Mai 1983 bewilligt, weshalb eine Verletzung der Mitteilungspflicht des Bezirksjugendamtes vorliege. Die Mutter habe dagegen vom Tod des Vaters keine Kenntnis gehabt und der Unterhaltsvorschuß sei gutgläubig verbraucht worden. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundeslandes Wien teilweise Folge und erkannte dieses nur schuldig, die in der Zeit vom 1. Juni 1983 bis 31. Dezember 1983 zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse von S 3.500,- der Republik Österreich zu Handen des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien zu ersetzen. Das noch nicht rechtskräftig abgewiesene Mehrbegehren für die Zeit vom 1. Jänner 1984 bis 29. Februar 1984 im Betrag vom S 1.000,- wies es ab. Es teilte die Ansicht des Erstgerichtes, daß das Bezirksjugendamt seiner Mitteilungspflicht nicht rechtzeitig nachgekommen sei, und führte aus: Der Rekurs sei nur insofern berechtigt, als die Fotokopie der Mitteilung des Bezirksjugendamtes über das Ableben des Unterhaltspflichtigen am 21. Dezember 1983 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eingelangt sei und dieses daher die Auszahlung der Vorschüsse für die Monate Jänner und Februar 1984

hätte verhindern können. Diesbezüglich sei die Verspätung der Mitteilung daher für die Auszahlung nicht kausal gewesen. Gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Bundeslandes Wien wegen offenbarer Gesetz- und Aktenwidrigkeit mit den Anträgen, die Auferlegung eines Rückersatzes von S 3.500,- zur Gänze aufzuheben, allenfalls den Vorinstanzen eine Verfahrensergänzung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Gemäß § 22 Abs 1 UVG haftet unter anderem der gesetzliche Vertreter des Kindes für zu Unrecht gewährte Unterhaltsvorschüsse, die vom Kind nicht hereingebracht werden können, jedoch nur, wenn er die Gewährung der Vorschüsse durch unrichtige Angaben in der Erklärung (§ 11 Abs 2) oder durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlaßt hat. Im vorliegenden Fall wird dem Bezirksjugendamt die Verletzung der Mitteilungspflicht, nämlich die verspätete Bekanntgabe des Todes des Vaters der Minderjährigen, vorgeworfen. Gemäß § 21 UVG hat unter anderem der gesetzliche Vertreter des Kindes dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Dem Revisionsrekurs kann zwar nicht beigepflichtet werden, sofern darauf verwiesen wird, daß dem Bezirksjugendamt das Ableben des Vaters der Minderjährigen erst am 25. August 1983 zur Kenntnis gelangt sei, und daher bis 25. August 1983 von einer Verletzung der Mitteilungspflicht nicht gesprochen werden könne. Da der Unterhaltsvorschuß nämlich erst mit Beschluß vom 21. November 1983 bewilligt wurde, wäre auch in diesem Fall die Verletzung der Mitteilungspflicht für die Zuerkennung des Unterhaltsvorschusses kausal gewesen. Die Vorinstanzen haben jedoch nicht beachtet, daß nach dem klaren Wortlaut des § 22 Abs 1 UVG die Gewährung der Vorschüsse durch die Verletzung der Mitteilungspflicht veranlaßt worden, diese Verletzung daher für die Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse kausal sein muß. Dazu bedarf es aber der Feststellung, wann die Vorschüsse ausbezahlt wurden. Eine solche Feststellung wäre hier deshalb erforderlich gewesen, weil die Mutter angab (S 103 d.A.), sie habe die gesamten Vorschüsse auf einmal ausbezahlt erhalten. Traf dies zu, dann konnte die Auszahlung frühestens am 1. Februar 1984 erfolgt sein, also lange nach dem Zeitpunkt, zu welchem auch dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Mitteilung des Bezirksjugendamtes zugekommen war, daß der Vater der Minderjährigen verstorben war. In einem solchen Fall wäre aber eine allenfalls grob fahrlässige verspätete Mitteilung des Bezirksjugendamtes für die Auszahlung nicht mehr kausal gewesen, wie das das Rekursgericht für die Monate Jänner und Februar 1984 richtigerweise bereits angenommen hat.

Die Vorinstanzen haben daher für die Beurteilung der Ersatzpflicht unbedingt erforderliche Feststellungen nicht getroffen, weshalb ihre Entscheidung auf offenbar gesetzwidriger Grundlage erflossen ist. In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben, soweit dem Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien stattgegeben worden war. Dem Erstgericht war eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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