OGH 8Ob65/86

OGH8Ob65/864.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf S***, Angestellter, 4400 Steyr, Kammermayrstraße 14, vertreten durch Dr. Ronald Klimscha, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagten Parteien 1.) Karl M***, Fachlehrer, 4400 Steyr, Schlüsselhofgasse 56, und

2.) I***, Internationale Unfall- und Schadenversicherungs-AG, 1010 Wien, Tegetthoffstraße 7, beide vertreten durch Dr. Josef Lechner, Rechtsanwalt in Steyr, wegen S 30.429,-- s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 8. November 1985, GZ. 2 R 168/85-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 9. Mai 1985, GZ. 2 Cg 277/83-23, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 3.231,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 240,-- und die USt. von S 271,92) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 23.8.1982 ereignete sich in Steyr im Bereich der Kreuzung Bahnhofstraße-Kompaßgasse ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker seines PKWs Marke Renault 18 und der Erstbeklagte als Lenker und Halter seines PKWs Mazda 626 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges des Erstbeklagten. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt, der Erstbeklagte wurde leicht verletzt. Das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt.

Der Kläger begehrte von den Beklagten aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes Zahlung von S 33.205,-- s.A. Das Alleinverschulden an dem Verkehrsunfall treffe den Erstbeklagten, weil er den Vorrang des Klägers verletzt habe.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Den Kläger treffe das Alleinverschulden an dem Unfall. Der Erstbeklagte habe sich auf der Bahnhofstraße mit geringer Geschwindigkeit der Kreuzung genähert. Nachdem er das von rechts aus der Kompaßgasse einbiegende Fahrzeug des Klägers wahrgenommen hatte, habe er seinen PKW an der Kreuzung angehalten und dadurch den Vorrang des Klägers gewahrt. Der Kläger habe jedoch die Kurve so eng angeschnitten, daß er frontal auf den PKW des Erstbeklagten auffuhr. Gegen die Klageforderung werde der Schade des Erstbeklagten von S 43.779,-- aufrechnungsweise eingewendet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren - ausgehend vom Alleinverschulden des Klägers - zur Gänze ab. Es traf nachstehende Feststellungen:

Der Erstbeklagte fuhr auf der Bahnhofstraße zur Kreuzung mit der Kompaßgasse, welche etwa rechtwinkelig in diese einmündet. Die Kompaßgasse ist als Einbahn zur Bahnhofstraße geführt, welche durch das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" gemäß § 52 Z 23 StVO abgewertet ist.

Die Bahnhofstraße weist auf der Höhe der Unfallstelle eine asphaltierte Breite von 8,80 m auf. Im Anschluß an die asphaltierte Fahrbahn beginnt am gleichen Niveau eine mit kleinen Pflastersteinen ausgelegte und sich muldenförmig bis zu einer Tiefe von maximal 5 cm absenkende und dann wieder ansteigende Regenrinne, welche in weiterer Folge zu einem Kanalgitter führt. Unter Berücksichtigung dieser Regenrinne ergibt sich eine Fahrbahnbreite von 9,20 m. Auf der Bahnhofstraße waren in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen am rechten Fahrbahnrand Autos abgestellt, wobei der der Kreuzung am nächsten stehende PKW Fiat Ritmo etwa 1,70 m in die Fahrbahn der Bahnhofstraße ragte und etwa 6 m von der Fluchtlinie des linken Fahrbahnrandes der Kompaßgasse - gesehen in Fahrtrichtung des Klägers - entfernt war.

Der Kläger lenkte seinen PKW mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h auf der Kompaßgasse in der Mitte der dort zur Verfügung stehenden Fahrspur zur Kreuzung mit der Bahnhofstraße und bog in der Folge in diese kurvenschneidend nach links ein. Als der Kläger im Zuge des Einbiegens den PKW des Erstbeklagten sah, bremste er kurz, konnte jedoch die Kollision mit dem PKW des Erstbeklagten nicht vermeiden und stieß mit der linken vorderen Fahrzeugecke seines PKW an die Stirnseite des PKW des Erstbeklagten.

Die Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers betrug etwa 25 km/h. Ob der Erstbeklagte im Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden ist oder ob er noch eine Restgeschwindigkeit von 1-2 km/h innehatte, kann nicht mehr festgestellt werden. Er wäre jedoch maximal 10 cm über die Unfallposition hinaus weitergefahren und hätte jedenfalls vor dem Beginn des Einmündungsdeltas der Kompaßgasse anhalten können. Vom PKW des Erstbeklagten wurde eine Bremsspur rechts in der Länge von 2,5 m und eine Bremsspur links in der Länge von 2,8 m abgezeichnet, wobei zu Beginn der Spurenabzeichnung das linke vordere Rad in der Mitte der 8,8 m breiten bzw. 20 cm rechts der Mitte der 9,2 m breiten Fahrbahn war. In der Unfallsposition befand sich die vordere linke Fahrzeugecke des PKW des Erstbeklagten etwa 30 cm bzw. 50 cm rechts der gedachten Mitte der 8,8 m bzw. 9,2 m breiten Fahrbahn. Der Abstand der rechten vorderen Fahrzeugecke des PKW des Erstbeklagten zum an der rechten Seite abgestellten PKW Fiat Ritmo betrug in der Kollisionsposition etwa 1 m, wobei sich die Stirnseite rund 30 cm vor dessen Heck befand. Die Ausgangsgeschwindigkeit des PKW des Erstbeklagten zu Beginn der Spurenabzeichnung betrug 22 - maximal 25 km/h. Der PKW des Erstbeklagten wurde durch die Kollision um etwa 75 cm zurückverschoben.

Der PKW des Klägers befand sich in der Endlage nach der Kollision mit seinem linken vorderen Fahrzeugeck 4,2 m, mit seinem linken hinteren Eck 6,2 m vom rechten Fahrbahnrand der Bahnhofstraße entfernt. Die genaue Auslaufbewegung des PKW des Klägers kann nicht festgestellt werden, da der Kläger sofort nach der Kollision sein Fahrzeug nach links verschoben hat, um den Verkehr im Kreuzungsbereich nicht weiter zu behindern. Ebensowenig kann der Winkel, den der Kläger beim Anfahren der Unfallstelle einhielt, festgestellt werden.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß dem Erstbeklagten eine Vorrangverletzung nicht zur Last liege. Er habe als Wartepflichtiger sein Fahrzeug vor der verlängert gedachten, ihm zunächstliegenden Begrenzung der gesamten Kompaßgasse entweder bereits zum Stehen gebracht oder er wäre noch vorher zum Stillstand gekommen. Im Rahmen einer umfassenden rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes habe der Erstbeklagte auch nicht gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Hätte der Erstbeklagte einen geringeren Abstand zum rechten Fahrbahnrand eingehalten, so hätte sich sein Überblick über diese unübersichtliche Kreuzung keinesfalls vergrößert. Es hätte sich auch kein Vorteil bezüglich des Gesehenwerdens ergeben, sodaß die Verkehrssicherheit durch ein Fahren am äußerst rechten Fahrbahnrand nicht erhöht worden wäre. Hingegen hätte der Kläger vorschriftsmäßig nach § 13 Abs 1 StVO in weitem Bogen nach links in die Bahnhofstraße einbiegen müssen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es die restliche Klageforderung von S 30.429,-- mit S 15.214,50 als zu Recht, mit dem gleichen Betrag als nicht zu Recht bestehend erkannte, die Gegenforderung bis zur Höhe der Klageforderung als berechtigt erachtete und das Klagebegehren von S 30.429,-- s.A. abwies. Es sprach ergänzend aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei, damit an der Fallvergleichung eine richtige Konkretisierung der Rechtsprechung stattfinde. Rechtlich war es der Auffassung, daß der Vorrang - hier nach § 19 Abs 4 StVO - dem Vorrangberechtigten bis zum vollständigen Verlassen der bevorrangten Straße zustehe und daß daher der Wartepflichtige den Vorrang des abbiegenden Vorrangberechtigten so lange wahren müsse, bis dieser die bevorrangte Straße mit der ganzen Länge seines Fahrzeuges verlassen hat. Nach den Feststellungen und Lichtbildern habe sich das Fahrzeug des Erstbeklagten im Zeitpunkt des Zusammenstoßes mit der Front bereits am Beginn des Einmündungstrichters zur vorrangigen Kompaßgasse befunden, wobei zu berücksichtigen sei, daß dieses Fahrzeug durch den Zusammenstoß noch 75 cm zurückgeschoben wurde. Das Auto des Klägers sei praktisch noch zur Gänze in dem zum Kreuzungsbereich zu rechnenden Einmündungstrichter gewesen. Aus der Feststellung, daß die linke vordere Fahrzeugecke des PKWs des Klägers gegen die Stirnseite des PKWs des Erstbeklagten stieß, ergebe sich, daß der PKW des Klägers sich noch in einer Schrägstellung befand, der Kläger daher sein Einbiegemanöver noch nicht beendet hatte. Der Erstbeklagte habe damit seiner Verpflichtung, den aus der bevorrangten Kompaßgasse nach links einbiegenden Kläger, der sein Einbiegemanöver noch nicht abgeschlossen hatte, durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen weder zu unvermitteltem Bremsen, noch zum Ablenken seines Fahrzeuges zu nötigen (§ 19 Abs 7 StVO), nicht erfüllt und dadurch den dem Kläger gemäß § 19 Abs 4 StVO zukommenden Vorrang verletzt. Den Kläger treffe allerdings ein beträchtliches Mitverschulden, weil er die Kurve "geschnitten" und damit gegen die Schutzvorschrift des § 13 Abs 1 StVO verstoßen habe. Es sei daher eine Verschuldensteilung von 1 : 1 gerechtfertigt.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 bis 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Die Beklagten bekämpfen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Erstbeklagte den Vorrang des Klägers verletzt habe; der Unfall habe sich vielmehr im Begegnungsverkehr ereignet. Dem kann nicht gefolgt werden:

Nach ständiger Rechtsprechung steht der Vorrang, der sich auf die ganze Breite der bevorrangten Straße erstreckt (vgl. ZVR 1974/210 ua), dem Vorrangberechtigten bis zum vollständigen Verlassen der bevorrangten Straße zu. Der Wartepflichtige hat daher den Vorrang des nach links abbiegenden Vorrangberechtigten so lange zu wahren, bis dieser die bevorrangte Straße mit der ganzen Länge seines Fahrzeuges verlassen hat (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß 16 , 866, Rdz 303; Jagusch, Straßenverkehrsrecht 24 , 311, Rdz 29; BGH-NJW 1959, 638; ZVR 1980/210; ZVR 1984/136; 2 Ob 166/77 ua). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, der Skizze und den Lichtbildern hatte das Auto des Klägers bei der Kollision die Kreuzung nicht vollständig verlassen. Es befand sich - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte - in einer Schrägstellung und hatte sein Einbiegemanöver noch nicht beendet. Entgegen der Auffassung der Beklagten war daher im vorliegenden Fall sehr wohl eine Vorrangsituation gegeben. Der Vorrang geht auch durch ein vorschriftswidriges Verhalten des im Vorrang befindlichen Verkehrsteilnehmers nicht verloren (ZVR 1980/210 uza). Der Erstbeklagte hatte daher den Vorrang des Klägers zu beachten; er kann sich von dieser Verpflichtung nicht mit dem Hinweis darauf exculpieren, daß der Kläger unzulässigerweise in zu engem Bogen von der Kompaßgasse in die Bahnhofstraße einbog und selbst gegen § 13 Abs 1 StVO verstoßen hat.

Alle diese Grundsätze hat das Berufungsgericht richtig erkannt. Es ist dabei zur Gänze der ständigen Judikatur gefolgt. Unter diesen Umständen bestand kein Anlaß, die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zuzulassen. Das Revisionsgericht ist gemäß § 508 a ZPO an einen Ausspruch nach § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden. Das hat zur Folge, daß die Revision aufgrund der dargestellten Erwägungen als unzulässig zu erkennen und wie im Spruch zurückzuweisen war. Der Kläger hat in der Revisionsbeantwortung ausdrücklich die Zurückweisung der Revision beantragt, weil die zu lösende Frage ohnedies im Sinne der ständigen Judikatur entschieden wurde. Er hat die Revisionsbeantwortung erst erstattet, nachdem ihm die oben dargestellte Ergänzung (Berichtigung) des Urteilsspruches des Berufungsgerichtes zugestellt worden war. Dies ist als fristgerecht anzusehen, weil die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung begann (SZ 23/16 uza). Der genannte Grundsatz käme nur dann nicht zum Tragen, wenn die Berichtigung nebensächlicher Art gewesen wäre; dies kann aber hier nicht gesagt werden, weil durch die Ergänzung bzw. Berichtigung des Urteilsspruches im Sinne der Zulassung der Revision für den Kläger eine Situation eintrat, die er vor der Berichtigung nicht absehen konnte (vgl. SZ 54/104 ua). Dem Kläger waren daher die Kosten der Revisionsbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuzuerkennen.

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