OGH 12Os153/86

OGH12Os153/864.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Dezember 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger sowie Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sulzbacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Peter A*** wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 18.Juli 1986, GZ 29 Vr 1355/85- 32, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Rzeszut, sowie des Verteidigers Dr. Proksch, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter A*** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er in Edling unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, Taten begangen hat, die ihm im Falle seiner Zurechnungsfähigkeit als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (Faktenkomplex I./) bzw. als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (Faktenkomplex II./) zuzurechnen gewesen wären und zum Teil (§ 107 Abs 2 StGB) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind. Laut Urteilsspruch hat Peter A*** I./ Theresia A*** und Gerlinde A*** mit dem Tode gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen:

1./ am 7. und 12.April 1985 durch die Äußerungen, er werde sie erschlagen, umbringen, abstechen;

2./ am 22.Mai 1985 durch die Äußerung, er werde sie umbringen, wobei er ein 15 cm langes Tafelmesser gegen sie zückte;

3./ am 23.Mai 1985 durch die Ankündigung, daß er Theresia A*** nun umbringen und Gerlinde A*** "blindmachen" werde, wobei er Theresia A*** die Spitze eines 20 cm langen Messers am Hals ansetzte;

II./ Theresia A*** am Körper verletzt:

1./ am 7.April 1985 durch Würgen, wobei die Tat Würgemale und länger andauernde Atembeschwerden;

2./ am 12.April 1985 durch Erfassen am rechten Oberarm, wobei die Tat starke Blutergüsse;

3./ am 22.Mai 1985 durch Würgen, wobei die Tat Schmerzen und länger dauernde Atembeschwerden;

4./ am 23.Mai 1985 durch Ansetzen eines Messers am Hals, wobei die Tat eine Rötung und Zerrung am Hals zur Folge hatte. Dieses Urteil bekämpft der Betroffene Peter A*** mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 9 lit b und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund rügt der Beschwerdeführer zunächst die Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 18.Juli 1986 gestellten Antrages auf Einholung eines Fakultätsgutachtens zur Frage seiner Zurechnungsunfähigkeit im Tatzeitpunkt als entscheidungswesentliche Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte, weil ihm die Möglichkeit verwehrt worden sei, die seiner Meinung nach divergierenden Gutachten der Sachverständigen Dr. Otto S*** bzw. Dr. Richard Z*** einer entsprechend autorisierten Überprüfung zuzuführen (S 156 f.).

Rechtliche Beurteilung

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider waren die Voraussetzungen für die Einholung des beantragten Fakultätsgutachtens (§ 126 Abs 1 und 2 StPO) im konkreten Fall nicht gegeben: Davon, daß die beiden gerichtspsychiatrischen Sachverständigen die Frage der Zurechnungsunfähigkeit des Betroffenen im Tatzeitpunkt in einer nach den Denkgesetzen miteinander unvereinbaren Weise beantwortet haben, kann vorliegend keine Rede sein. Hat doch der Sachverständige Dr. S*** (sowohl in seinem schriftlichen Gutachten ON 15 dA - vgl. S 63 und 65 - als auch mündlich in der Hauptverhandlung - S 134, 152 f.) eine tataktuelle Zurechnungsunfähigkeit des (zweimal in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesenen) Betroffenen unter Hinweis auf dessen chronische paranoide Psychose bejaht, während der zweite dem Verfahren beigezogene Sachverständige Dr. Z*** zu der dem Parallelgutachten keineswegs widersprechenden Beurteilung gelangte, eine den Grad der Zurechnungsunfähigkeit erreichende psychische Erkrankung für den Tatzeitpunkt nicht ausschließen zu können (vgl. S 131 und 155). Da mithin die Gutachten beider Sachverständigen die vom Beschwerdeführer ersichtlich bekämpfte Urteilsannahme einer krankheitsbedingten Aufhebung seiner Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt stützen und der Beschwerdeführer solcherart im Sinne der Begründung des gerügten Zwischenerkenntnisses den Nachweis einander widersprechender gutächtlicher Aussagen schuldig bleibt, bestand kein Anlaß, das begehrte Fakultätsgutachten einzuholen. Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers wurden jedenfalls durch die Ablehnung dieser beantragten Beweisaufnahme nicht verletzt. Der Verfahrensrüge muß aber auch der Erfolg versagt bleiben, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Dr. Cheik B*** richtet. Der mit dem bezüglichen Beweisantrag angestrebte Nachweis, daß Peter A*** am 23.Mai 1985 nicht gegen seine Mutter tätlich vorgegangen ist und keine Verletzungsfolge, insbesondere kein roter Fleck festgestellt werden konnte (S 156), war nämlich vorweg nicht geeignet, die dem Gericht durch die Gesamtheit der ihm vorgelegenen Verfahrensergebnisse vermittelte Sach- und Beweislage maßgebend zu verändern. Da Dr. B*** nicht Tatzeuge der dem Betroffenen angelasteten Tätlichkeiten am Vormittag des 23.Mai 1985 war, sondern am gleichen Tage um 12,45 Uhr Theresia A*** untersucht hat, wobei er eine "Zerrung der HWS" sowie "Bewegungsschmerz" konstatierte (siehe die unjournalisiert im Akt erliegende Verletzungsanzeige vom 23.Mai 1985), hätte es bereits anläßlich der Antragstellung der Anführung besonderer Gründe bedurft, warum aus der beantragten Beweisaufnahme das vom Beschwerdeführer angestrebte Ergebnis hätte erwartet werden können, zumal erfahrungsgemäß Haematome in aller Regel nicht unmittelbar nach der Gewalteinwirkung auf den Körper, sondern meist erst Stunden später sichtbar werden. Demnach wäre die Einvernahme des Zeugen Dr. B*** auch von vornherein ungeeignet, die vom Erstgericht den Zeuginnen Theresia und Gerlinde A***

zuerkannte Glaubwürdigkeit zu erschüttern.

Soweit sich der Beschwerdeführer im Rahmen der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützten Rechtsrüge darauf beschränkt, die - wie dargelegt durch die Gutachten beider gerichtspsychiatrischer Sachverständigen gedeckte - Konstatierung einer krankheitsbedingten Aufhebung seiner Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt als unrichtige Lösung der Frage nach dem Vorliegen des bezüglichen Schuldausschließungsgrundes hinzustellen, bringt er den angerufenen Nichtigkeitsgrund mangels Festhaltens am Urteilssachverhalt nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung.

Schließlich ist der Beschwerdeführer auch nicht im Recht, wenn er aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO das Unterbleiben eines Ausspruchs über die Anrechnung der Vorhaft gemäß § 38 StGB rügt, setzt ein solcher Ausspruch doch gemäß § 429 Abs 6 StPO in Verbindung mit § 434 StPO regelmäßig ein Strafurteil, in dem Freiheits- und/oder Geldstrafen verhängt wurden, voraus. Im vorliegend aktuellen Fall einer - auf unbestimmte Zeit, ohne zeitliche Begrenzung erfolgenden - Unterbringung des Täters in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB hat demnach mangels eines Strafausspruchs die Anrechnung einer Vorhaft (bzw. der Zeit der vorläufigen Anhaltung in einer Anstalt gemäß § 429 Abs 4 StPO) zu unterbleiben (vgl. EvBl 1980/82). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Auch die Berufung des Betroffenen, mit der er die vom Erstgericht erstellte Gefährlichkeitsprognose bekämpft, ist unbegründet. Daß er seit mehr als einem Jahr faktisch ohne psychiatrische Behandlung im landesgerichtlichen Gefangenenhaus angehalten werde, ohne daß es zu irgendwelchen Vorfällen oder Schwierigkeiten gekommen wäre (und deshalb die ungünstige Prognose widerlegt erscheine), stellt eine aktenwidrige Behauptung des Berufungswerbers dar, denn über Anordnung des Untersuchungsrichters vom 17.Oktober 1985 (ON 17) wurde Peter A*** am 18.Oktober 1985 in die psychiatrische Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt eingewiesen (ON 17 a). Sofern jedoch der Betroffene auf den Wortlaut des in der Hauptverhandlung am 18.Juli 1986 erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Dr. S*** verweist, nach dem "ähnliche mit schweren Folgen bedrohte Handlungen auch künftighin mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden müsen" und damit anzweifelt, daß dieses Gutachten Grundlage für die Urteilsannahme, er werde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch künftighin Aggressionshandlungen gegen Mutter und Schwester setzen, sein könne, ist er nicht im Recht. Im Hinblick auf die gutächtlichen Ausführungen "daß beim Beschuldigten mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß er auch künftig ähnliche Aggressionshandlungen ..... setzen wird" (Sachverständiger Dr. S***, S 65), "nach dem Ergebnis des MMP I Saarbrücken ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß der Betroffene auch in Zukunft gegen seine Familienangehörigen ..... aggressiv vorgeht" (Sachverständiger Dr. Z***, S 117), "mit großer Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, daß der Angeklagte auch in Zukunft eine kritische und feindselige Einstellung zu seinen Familienangehörigen haben wird" (Sachverständiger Dr. Z***, S 132), "was die Prognose anlangt, so ist diese äußerst ungünstig zu stellen ..." (Sachverständiger Dr. S***, S 134), "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist auch in Zukunft zu befürchten, daß vor allem im Familienverband gegen die Mutter schwere mit Strafe bedrohte Delikte gesetzt werden ...." (Sachverständiger Dr. Z***, S 156), darf die Formulierung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. S*** in der Hauptverhandlung vom 18.Juli 1986 ("... bin ich der Meinung, daß ähnliche mit schweren Folgen bedrohte Handlungen auch künftighin mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden müssen ...", S 153), wonach also nur mit gewöhnlicher und nicht mit großer Wahrscheinlichkeit neuerliche Delinquenz des Berufungswerbers zu befürchten wäre, nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit den vorhin zitierten Erwägungen Dris. S*** beurteilt werden, zumal auch dieser Sachverständige im eben zum Teil zitierten Gutachten ausgeführt hat, sein früheres Gutachten ON 15, in welchem er mit sehr großer Wahrscheinlichkeit neuerliche Deliktsbegehungen prognostizierte, vollinhaltlich aufrecht zu erhalten und im zuletzt genannten Gutachten keinerlei Einschränkungen im Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose machte.

So gesehen erweist sich die Annahme des Schöffengerichtes, es sei mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß der Betroffene auch künftighin gegen seine Mutter und Schwester Aggressionshandlungen setzen werde, welche ähnliche oder noch schwerere Straftaten zur Folge haben, als durchaus zutreffend, so daß auch der Berufung ein Erfolg versagt werden mußte.

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