OGH 10Os168/86

OGH10Os168/862.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Dezember 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sulzbacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard F*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 22. Oktober 1986, GZ 3 a Vr 2402/86-12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 21.September 1968 geborene, sohin zur Tatzeit jugendliche Angeklagte Gerhard F*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 (Abs. 1 und) Abs. 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 28.März 1986 in Bischofegg die Monika W*** (auch W***) fahrlässig am Körper schwer verletzt, indem er einem 4-jährigen Schäferrüden den Befehl erteilte: "Benno faß !" und dadurch bewirkte, daß der Hund Monika W*** schließlich anfiel, sie 11-mal biß und ihr dabei tiefgreifende Bißwunden am rechten Unterschenkel zufügte, die eine operative Wundexzision notwendig machten.

Dazu stellte das Erstgericht in tatsächlicher Hinsicht im wesentlichen folgendes fest:

Im Zuge einer kaum ernsthaften Auseinandersetzung (US 3) mit der 11-jährigen Monika W*** lief der Angeklagte dem Mädchen nach und rief gleichzeitig dem 4-jährigen Schäferrüden der Familie F*** namens Benno - der Hund hatte bis zu diesem Tag niemanden gebissen, war bisher vom jüngeren Bruder des Angeklagten erzogen, jedoch nicht abgerichtet worden - zu: "Benno faß !". Während der Angeklagte der Monika W*** nachlief, begleitete ihn der Hund zwar, befolgte den ihm erteilten Befehl jedoch nicht. Danach spielten das Mädchen und der Hund kurze Zeit, wobei Monika W*** das Tier streichelte. Als der Hund sie dabei anknurrte, verjagte der Angeklagte ihn in eine Hütte. In weiterer Folge kam es neuerlich dazu, daß der Angeklagte Monika W*** nachlief. Dies ereignete sich einige Minuten nach dem ersten Vorfall. Ohne daß es der Angeklagte merkte, war der Hund Benno plötzlich wieder zur Stelle und begann das Mädchen ohne Aufforderung des Angeklagten zu beißen (US 2 verso). Dieser Angriff wurde nicht durch ein vom Befehl des Angeklagten an den Hund unabhängiges Verhalten des Mädchens ausgelöst, sondern es handelte sich hiebei - nach Ansicht des Erstgerichtes - um eine (bloß) verzögerte Ausführung des (zuvor erteilten) Befehls (US 3 verso).

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Gründe der Z 4 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die schon aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund berechtigt ist.

In der Hauptverhandlung stellte der Verteidiger angesichts der im Beweisverfahren hervorgekommenen (und - wie erwähnt - sodann auch als erwiesen angenommenen) Umstände, daß (zum einen) der Hund nicht abgerichtet und (zum anderen) zwischen dem Befehl des Angeklagten und dem tatsächlichen Angriff des Hundes ein längerer Zeitraum verstrichen war und Monika W*** den Hund inzwischen wieder gestreichelt hatte, den Antrag auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fach der Zoologie zum Beweise dafür, daß der Angriff des Hundes Benno auf das Mädchen nicht auf den Befehl des Angeklagten zurückzuführen sei, sondern selbständig erfolgte, weil das Mädchen gelaufen sei und der Angeklagte ihm nachlief, sodaß kein Verschulden des Angeklagten vorliege (S 35).

Diesen Beweisantrag hat das Jugendschöffengericht mit der (im Urteil ergänzten) Begründung abgewiesen, daß die allgemeine Lebenserfahrung der Mitglieder des erkennenden Senates zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen ausreiche und es daher nicht der Beiziehung eines Sachverständigen bedürfe.

Zu Unrecht beruft es sich damit auf Notorietät des Verhaltens und der Reaktionen eines (nicht abgerichteten) Hundes in der konkreten Situation. Notorisch und daher keines Beweises bedürftig sind indes nur solche Tatsachen, die jedermann weiß oder deren Kenntnis von jedermann vorausgesetzt werden kann (EvBl. 1948/242). Dies trifft auf die vom Erstgericht bezogene Tatsache einer verzögerten Befehlsreaktion - und damit eines Kausalzusammenhanges zwischen Befehl und Angriff trotz des dazwischenliegenden Zeitraums und der zwischenzeitigen Ereignisse - nicht zu, da zur verläßlichen Beurteilung der Sachlage in diesem Belange eingehendere Erfahrungen und besondere Kenntnisse im Umgang mit Hunden notwendig sind, die nicht zum allgemeinen Erfahrungsschatz und Durchschnittswissen gehören. Ungeachtet allfälliger spezifischer Kenntnisse und Erfahrungen der Mitglieder des Jugendschöffensenates war das Gericht daher verpflichtet, zu der strittigen Frage des Ursachenzusammenhanges den beantragten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Zoologie (hier speziell der Kynologie) zu hören, weshalb das Verfahren mangelhaft (Z 4) geblieben ist. Da sich somit schon aus diesem Grunde zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten - nach Anhörung der Generalprokuratur - bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben und ein zweiter Rechtsgang anzuordnen (§ 285 e StPO). Eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen (Z 9 lit. a), das - abgesehen von den einen Kausalzusammenhang zwischen Befehl und Angriff in prozeßordnungswidriger Weise bestreitenden und schon darum unbeachtlichen Einwänden - Feststellungsmängel in Ansehung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit des Angeklagten bei Übernahme der Befehlsfunktion gegenüber dem Hund geltend macht, bedurfte es daher nicht. Bei neuerlicher Bejahung eines Ursachenzusammenhanges zwischen Befehl und Angriff wird jedoch das Erstgericht im Sinne der Beschwerdeausführungen festzustellen (und zu begründen) haben, warum der Angeklagte - trotz des oben aufgezeigten Fehlens einer allgemeinen Vorhersehbarkeit der bösartigen Reaktion des Hundes - auf Grund seiner persönlichen Fähigkeiten und Erfahrungen hätte erkennen können, daß ein nachträgliches Verjagen des Hundes in die Hütte allein nicht genügte, den dem Tier zuvor erteilten Angriffsbefehl zu widerrufen und er deshalb den Anforderungen der von ihm übernommenen Befehlsfunktion gegenüber dem Tier nicht gewachsen sein werde.

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