European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00076.86.1119.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die Klägerin ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 2.489,70 (darin keine Barauslagen und S 226,34 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 4.491,12 (darin S 1.500,-- Barauslagen und S 271,92 USt.) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand dieses Rechtsstreites sind Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 23. 9. 1984 in Egg auf der Pfisterstraße zugetragen hat. Albert H* stieß dabei als Lenker des PKWs der Klägerin, Kennzeichen Nr. V * mit dem entgegenkommenden, vom Erstbeklagten gelenkten PKW, Kennzeichen Nr. V *, für welches Fahrzeug zum Unfallszeitpunkt bei der Zweitbeklagten eine Haftpflichtversicherung bestand, zusammen. Am Fahrzeug der Klägerin entstand dabei ein Sachschaden in Höhe von S 32.028,--. Darüber hinaus erwuchsen ihr unfallskausale Unkosten in Höhe von S 300,--.
Die Klägerin begehrte von den Beklagten unter Anrechnung eines anerkannten Mitverschuldens von 50 % den Ersatz ihres halben Schadens in Höhe von S 16.164,--. Sie behauptete, beide Fahrzeuglenker hätten das auf der Pfisterstraße bestehende Fahrverbot mißachtet. Albert H* hätte jedoch sofort bei erster gegenseitiger Sicht sein Fahrzeug angehalten, was dem Erstbeklagten auf Grund seiner überhöhten Geschwindigkeit nicht möglich gewesen sei. Es treffe daher den Erstbeklagten ein 50 %-iges Mitverschulden.
Die Beklagten sind dem Klagebegehren mit der Einwendung entgegengetreten, daß für den Erstbeklagten kein Fahrverbot bestanden habe und dieser auch auf halbe Sicht gefahren sei. Nur Albert H* habe ein Fahrverbot mißachtet und darüber hinaus eine erhöhte Geschwindigkeit eingehalten, weshalb ihn das alleinige Verschulden an diesem Unfall treffe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Infolge Berufung der Klägerin änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes im Sinne des Zuspruches von S 16.164,-- s. A. an die Klägerin ab. Es sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteiles.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO) und auch berechtigt.
Das Erstgericht ging im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Die Pfisterstraße ist asphaltiert. Sie vermittelt insgesamt 4 Häusern samt Garagen die Zufahrt. Für beide Fahrtrichtungen besteht ein Fahrverbot für zweispurige Fahrzeuge, wobei Anrainer- und Zustellverkehr von diesem Verbot - es fehlt eine entsprechende Zusatztafel - nicht ausgenommen sind. Im Unfallsbereich besteht für einen Begegnungsverkehr auf ca. 30 m erste gegenseitige Sicht. Zur Unfallszeit war die Asphaltfahrbahn naß. Es fehlte damals die Fahrverbotstafel für den Fahrzeugverkehr in Fahrtrichtung des Erstbeklagten. Der Erstbeklagte wußte von dem für seine Fahrtrichtung bestehenden Fahrverbot nicht. Beide Fahrzeuglenker hielten bei erster gegenseitiger Sicht Geschwindigkeiten von ca. 25 km/h ein und reagierten mit Vollbremsungen. Trotzdem kam es in der Folge bei einer Überdeckung der beiden Fahrzeuge von mindestens ca. 0,4 m zu einer Kollision. Beide Fahrzeuge wurden durch die Kollision abgestoppt, aber nicht verschoben. Für die erste gegenseitige Sicht auf ca. 30 m, und eine Sekunde Reaktionszeit war bei einem Fahren auf halbe Sicht auf der nassen Asphaltfahrbahn für Albert H* (Bremsverzögerung 8 m/sec 2 bei einer Steigung von ca. 9 %) eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von ca. 30 km/h und für den Erstbeklagten (Bremsverzögerung ca. 6 m/sec 2 bei einem Gefälle von ca. 9 %) eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von ca. 28 km/h zulässig. Der PKW der Klägerin, Peugeot 504 und der PKW des Erstbeklagten, Ford Escort, sind je ca. 1,6 m breit. Wie groß der jeweils rechte Seitenabstand der beiden Fahrzeuge bei der Kollision war, ob beide Fahrzeuglenker bei erster gegenseitiger Sicht unverzüglich (binnen 1 Sekunde Reaktionszeit) reagierten und wieviele Meter nach erster gegenseitiger Sicht für die beiden Fahrzeuglenker sich die Kollision ereignete, konnte auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht geklärt werden.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens sei für beide Fahrzeuglenker ein zu großer rechter Seitenabstand, eine überhöhte Geschwindigkeit und eine verzögerte Reaktion nicht nachweisbar und daher insofern ein Fehlverhalten nicht gegeben. Beide Fahrzeuglenker hätten jedoch die Pfisterstraße trotz des für sie bestehenden Fahrverbotes für zweispurige Fahrzeuge mit PKWs befahren und daher dieses Fahrverbot übertreten. Die Mißachtung dieses Fahrverbotes könne allerdings nur dem Albert H* als Lenker des Peugeot 504 als Verschulden angelastet werden. Für den Erstbeklagten sei dies nicht möglich, da für ihn damals die Fahrverbotstafel nicht vorhanden gewesen und er daher von diesem Fahrverbot unverschuldet keine Kenntnis gehabt hätte. Da somit nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens lediglich ein Verschulden beim Fahrzeuglenker Albert H* gegeben sei, bestehe für den Erstbeklagten weder als Lenker gemäß dem § 1304 ABGB, noch als Halter gemäß dem § 11 EKHG eine Haftung für den Schaden der Klägerin.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, gelangte jedoch zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Die Mißachtung des Fahrverbotes durch den Lenker des PKWs der Klägerin stehe in keinem spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhang zu dem eingetretenen Schaden. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei davon auszugehen, daß für beide Fahrtrichtungen ein Fahrverbot gemäß § 52 lit a Z 6a StVO bestanden habe. Bei dieser Bestimmung handle es sich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB. Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB seien abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt seien, die Mitglieder eines bestimmten Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung hafte jemand, der ein Schutzgesetz übertreten, nur für jene Schäden, die die Schutznorm verhüten wollte. Der Normzweck sei dabei stets in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Einerseits müsse die Norm gerade den Schutz des Geschädigten bezwecken, andererseits müsse auch die Art des Schadens vom Normzweck erfaßt sein. In diesem Sinn habe daher das Gericht das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte und auch der Geschädigte zum Kreis der nach dem Normzweck geschützten Personen zählte. Im vorliegenden Fall habe für die Pfisterstraße in beiden Fahrtrichtungen ein Fahrverbot für mehrspurige Kraftfahrzeuge gemäß § 52 lit a Z 6a StVO bestanden, von dem auch der Anrainer- und Zustellverkehr nicht ausgenommen war. Das Fahrverbot habe somit keine Einschränkung des mehrspurigen Kraftfahrzeugverkehrs, sondern dessen gänzlichen Ausschluß bezweckt. Es könne daher nicht gesagt werden, daß der Zweck dieses Fahrverbotes der Sicherheit und dem Schutz eines, wenn auch nur beschränkt zur Benützung der Straße berechtigten, mehrspurigen Kraftfahrzeugverkehres zu dienen bestimmt gewesen sei. Daraus ergebe sich aber, daß der Erstbeklagte, der, auch wenn ihm dies subjektiv nicht als Verschulden anzulasten sei, objektiv doch gleichfalls gegen das Fahrverbot nach § 52 lit a Z 6a StVO verstoßen habe, nicht zu jenem Personenkreis zählte, zu dessen Schutz die Norm dienen sollte. Damit fehle es aber an einem spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhang, weshalb die Übertretung des Fahrverbotes durch den Lenker des Fahrzeuges der Klägerin kein haftungsbegründendes Verschulden darstelle. Da somit mangels eines spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhanges die Mißachtung des Fahrverbotes durch den Lenker des PKWs der Klägerin keine Haftung der Klägerin zu begründen vermöge und ein sonstiges Verschulden des Lenkers des PKWs der Klägerin ebensowenig feststehe wie ein solches des Erstbeklagten, seien, nachdem die von den unfallsbeteiligten Fahrzeugen ausgehende gewöhnliche Betriebsgefahr als gleich groß einzustufen sei, die beteiligten Fahrzeughalter gemäß § 11 Abs 1 EKHG zur gleichteiligen Schadenstragung heranzuziehen.
In der Revision bekämpfen die Beklagten die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Mißachtung des Fahrverbotes durch den Lenker des PKWs der Klägerin stehe in keinem spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem eingetretenen Schaden, der Geschädigte habe nicht zum Kreis der nach dem Normzweck geschützten Personen gehört. In Anbetracht der geringen Fahrbahnbreite sei es der Zweck des Fahrverbotes gewesen, ganz allgemein Gefahren hintanzuhalten, die durch mehrspurige Kraftfahrzeuge hervorgerufen oder vergrößert werden könnten.
Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu. Bei der Vorschrift des § 52 lit a Z 6a StVO handelt es sich um eine Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB (ZVR 1985/39 ua.). Schutzgesetze im Sinn des § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (vgl. Brunner, Die Zurechnung der Schadenersatzpflicht bei Verletzung eines "Schutzgesetzes" gemäß § 1311 ABGB, ÖJZ 1972,116; Müller, Straßenverkehrsrecht 22 I 450; Soergel-Siebert, Anm 334 zu § 823 Abs 2 BGB). Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung haftet aber jemand, der ein Schutzgesetz übertritt, nur für jene Schäden, die die Schutznorm verhüten wollte (vgl. Brunner aaO 117; Wolff in Klang VI, 83; Gschnitzer, Schuldrecht besonderer Teil und Schadenersatz, 172; ZVR 1972/64, 1966/244 ua.). Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (vgl. Brunner aaO. 117, ZVR 1980/45, ZVR 1984/214 ua.). Wie der Oberste Gerichtshof in der letztgenannten Entscheidung bezüglich des Fahrverbotes für Lastkraftfahrzeuge (§ 52 lit a Z 7a StVO) ausgesprochen hat, diene dieses Fahrverbot dem Schutz vor allen Gefahren, die durch das Befahren der Verkehrsfläche mit Lastkraftfahrzeugen verursacht oder erhöht werden könnten. Damit sei aber auch die Ermöglichung eines gefahrlosen Begegnungsverkehrs auf einer nur 3,6 m breiten Fahrbahn vom Schutzzweck der Norm erfaßt. Gleiches hat aber auch im vorliegenden Fall für den Schutzzweck der Bestimmung des § 52 lit a Z 6a StVO zu gelten. Mit Rücksicht auf die Einschränkung der Fahrbahnbreite im Unfallbereich bis auf 3,6 m, müssen vom Schutzzweck alle Gefahren als umfaßt gelten, die durch das Befahren der Pfisterstraße mit allen Kraftfahrzeugen außer einspurigen Motorrädern verursacht oder erhöht werden. Hiebei kommen insbesondere die Gefahren in Betracht, die durch die Breite der vom Verbot umfaßten Kraftfahrzeuge beim Begegnungsverkehr bewirkt werden können. Damit muß aber auch der Erstbeklagte dem Kreis derjenigen Personen zugezählt werden, deren Schutz das gegenständliche Fahrverbot bezweckt. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum etwa ein Fuhrwerk in der gleichen Breite wie der PKW des Erstbeklagten vom Schutzzweck umfaßt sein sollte, nicht aber der genannte PKW. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ist daher der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung des Fahrverbotes nach § 52 lit a Z 6a StVO durch den Lenker des PKWs der Klägerin und dem eingetretenen Schaden zu bejahen. Damit ist zwar dem Lenker des PKWs der Klägerin ein Verschulden durch Übertretung des Fahrverbotes anzulasten, nicht hingegen dem Erstbeklagten, dem die objektive Übertretung des Fahrverbotes mangels einer Fahrverbotstafel in seiner Fahrtrichtung subjektiv nicht als Verschulden zuzurechnen ist (vgl. ZVR 1974/87 ua.) und dem nach den Beweisergebnissen die Klägerin auch kein anderes verschuldetes Fehlverhalten nachzuweisen vermochte. Ohne Rechtsirrtum hat daher das Erstgericht eine Haftung der Beklagten für den Schaden der Klägerin, sei es nach § 1304 ABGB, sei es nach § 11 EKGH, verneint.
Der Revision war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)