Spruch:
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 5. Mai 1983 nachmittags fiel von der zur Brenner-Autobahn gehörigen Obernberger Brücke ein Betonbrocken in die Tiefe und traf den unterhalb dieser Brücke befindlichen, am 22. Juli 1971 geborenen Kläger am Kopf. Der Kläger erlitt dadurch eine schwere Schädelimpressionsfraktur mit Verletzung der darunterliegenden Hirnabschnitte und nachfolgendem Hirnödem mit leichter sekundärer Hirnstammkompression. Es handelte sich um eine anfänglich lebensbedrohende Verletzung. Der Kläger wurde an der Universitätsklinik in Innsbruck operativ versorgt. Im Bereich des kalottendicken Imprimates befand sich eine 4 cm klaffende Wunde. Es erfolgte eine neurochirurgische Imprimathebung vom Bohrloch aus. Bis 6. Mai 1983 befand sich der Kläger in Intensivpflege, anschließend bis Ende Mai 1983 in stationärer Krankenhausbehandlung. Der postoperative Verlauf war komplikationsfrei. Anfänglich bestanden neurologische Ausfälle (insbesondere Lähmungserscheinungen an beiden Beinen), die sich aber in der Folge rückbildeten. Der Kläger mußte sich nach der Entlassung aus der stationären Behandlung einer mehrmaligen neurochirurgischen und auch hausärztlichen Nachbehandlung unterziehen. Ab Ende Juni 1983 kann er wieder die Schule besuchen. Die Schädelfraktur ist bis auf eine daumenkuppengroße Delle in Form einer schwachen Stelle an der Scheitelhöhe abgeheilt. Im Bereich dieser schwachen Stelle ist der Schädelknochen noch nicht zusammengewachsen. Diese Lücke bedingt vermehrte Empfindlichkeit; sie liegt in einer ungünstigen Situation, weil unterhalb der Lücke der Sinus, eine große verletzungsanfällige Gefäßbahn, vorbeiführt. Sollte sich die Lücke nicht von selbst schließen, so könnte sie nach Abschluß des knöchernen Wachstums durch eine Knochendeckelplastik kleinen Ausmaßes geschlossen werden. Dem Kläger verblieb nach diesem Unfall eine mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin bestehende leicht- bis mittelgradige spastische Parapese der Beine und eine geringgradige psychoorganische Veränderung im Sinne einer Affektlabilität. Die neurologischen Ausfälle des Klägers bewirken in ihrer Gesamtheit eine Teilinvalidität von derzeit 30 %. Die weiteren Folgen der Verletzung des Klägers aus diesem Unfall sind derzeit nicht verläßlich abschätzbar. Aufgrund der unfallsbedingten Verletzungen erlitt der Kläger vom Unfallstag bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz (9. Juli 1985) jeweils komprimiert betrachtet drei Tage Schmerzen schweren Grades, zehn Tage mittelstarke Schmerzen und 50 Tage leichtgradige Schmerzen. Sollte der derzeitige Zustand des Klägers in Zukunft im wesentlichen unverändert bleiben, sind im Jahr mit weiteren ca. zehn Tagen leichtgradigen Schmerzen, insbesondere in Form von Kopfschmerzen, zu rechnen.
Im Revisionsstadium ist nur mehr die Höhe des Teilschmerzengeldes strittig. Der Kläger begehrte für die Abgeltung aller Schmerzen und Beschwerden bis zum Tage des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (9. Juli 1985) den Betrag von S 300.000. Das Erstgericht sprach einen Schmerzengeldbetrag von S 75.000 zu. Das Mehrbegehren von S 225.000 wies es ab. Nach Art der Verletzungen des Klägers und der bis zum Schluß der Verhandlung aufgetretenen Folgen erscheine ein Schmerzengeld von S 75.000 angemessen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei, in der auch noch der Grund des Anspruches bekämpft worden war, nicht, der Berufung des Klägers, der die vollständige Stattgebung des Klagebegehrens anstrebte, teilweise Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es dem Kläger ein Schmerzengeld von S 200.000 zuerkannte. Berücksichtige man den außerordentlich schweren, lebensbedrohenden Charakter der vom Kläger erlittenen Verletzungen, den am Kläger vorgenommenen schweren operativen Eingriff, den stationären Krankenhausaufenthalt bis Ende Mai 1983, die neurologischen, wenngleich in der Folge deutlich rückgebildeten Ausfälle und die verbliebene Teilinvalidität von derzeit 30 %, die auch zu einer psychischen Belastung führenden Dauerschäden sowie die bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz erlittenen Schmerzen und Beschwerden, so erscheine ein Teilschmerzengeld von S 200.000 angemessen.
Rechtliche Beurteilung
Beide Teile erheben Revision. Der Kläger strebt den Zuspruch eines weiteren Schmerzengeldes von S 100.000, die beklagte Partei die Bemessung des Schmerzengeldes in der Höhe von S 75.000 an. Die Revisionen sind gemäß § 502 Abs 4 Z 2 ZPO zulässig, sie sind aber nicht berechtigt.
Die Revision der beklagten Partei übersieht, daß die Dauer und Schwere der mit der Verletzung verbundenen Schmerzen nur ein Kriterium für die Ausmittlung des angemessenen Schmerzengeldes ist. Ebenso zu berücksichtigen sind aber die Schwere der Verletzung selbst, die Dauer der Gesundheitsstörung, das Vorliegen von Dauerfolgen sowie alle mit der Verletzung verbundenen psychischen Beeinträchtigungen (ZVR 1985/107 uva.). Gerade bei Schädel- und Gehirnverletzungen hat nicht die Dauer und Intensität der körperlichen Schmerzen, sondern die Schwere der erlittenen Verletzung im Vordergrund der Betrachtung zu stehen (2 Ob 102/81; 2 Ob 90/72). Es trifft auch nicht zu, daß ein Teil der beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen nur nach § 1326 ABGB abgegolten werden könnte. Nach § 1326 ABGB sollen materielle Nachteile der Verunstaltung ersetzt werden. Durch die Verurteilung bedingte seelische Beeinträchtigungen sind aber bei der Bemessung des Schmerzengeldes zu berücksichtigen (ZVR 1982/392; ZVR 1972/82 ua.). Ist schon bei der Beurteilung körperlicher Schmerzen eine Summierung sogenannter Tagessätze für die Beurteilung der Angemessenheit des zuzusprechenden Schmerzengeldes nicht ausschlaggebend, kann umso weniger die Berücksichtigung psychischer Unlustgefühle durch Zuschläge zu solchen Tagessätzen erfolgen (ZVR 1980/234). Ausgehend von diesen Erwägungen kann dem Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung, der Unfallsfolgen, der bestehenden Teilinvalidität, die sich auch auf die Freizeitgestaltung des Klägers auswirkt, und der Befürchtungen, die Lähmung könnte als Dauerfolge bleiben, sowie der weiter bestehenden Angst, bei Notwendigkeit einer Operation seien weitere Beeinträchtigungen noch nicht abzusehen, darin gefolgt werden, daß ein Betrag von S 200.000 an Schmerzengeld angemessen ist. Der Zuspruch eines höheren Schmerzengeldes, wie ihn die Revision des Klägers anstrebt, erscheint nicht angebracht, zumal der Beurteilung nur die vom 5. Mai 1983 bis 9. Juli 1985, nicht aber auch zukünftige Beeinträchtigungen zugrundeliegen.
Soweit die Revision der beklagten Partei auch die Kostenentscheidung des Berufungsgerichtes bekämpft, ist dies gemäß § 528 Abs 1 Z 2 ZPO unzulässig.
Den Revisionen ist der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 43 Abs 1 und 2, 50 ZPO.
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