OGH 7Ob646/86

OGH7Ob646/866.11.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Johann H***, Pensionist, 2.) Helene H***, Hausfrau, beide

Lienz, Prof. Plonerstraße 4 a, beide vertreten durch DDr. Jörg Horwath, Rechtsanwalt in Innsbruck, als Verfahrenshelfer, wider die beklagten Parteien 1.) Helmut D***, Elektromeister, 2.) Helena D***, Hausfrau, beide Lienz, Rosengasse 15, beide vertreten durch Dr. Michael Stern und DDr. Peter Stern, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 350.000,-- s.A. infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 22. Mai 1986, GZ. 2 R 386/85-47, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12. September 1985, GZ. 16 Cg 684/83-36, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagten waren Vormieter der von den Klägern am 27. Februar 1981 gemieteten, aus 4 Zimmern samt Nebenräumen bestehenden Wohnung im Hause Lienz, Rosengasse 17. Nach der schriftlichen Vereinbarung der Streitteile vom 18. Februar 1981 überließen die Beklagten den Klägern die in der Urkunde Beilage B aufgezählten Einrichtungsgegenstände gegen eine Ablösesumme von S 350.000. Die Kläger fechten diese Vereinbarung wegen Irreführung, Wucher und Verkürzung über die Hälfte an und begehren Rückzahlung des Ablösebetrages samt Anhang. Mit Eventualantrag verlangen sie die Rückzahlung von S 350.000, allenfalls von S 280.210 s.A. Zug um Zug gegen Rückstellung der Einrichtungsgegenstände.

Die Beklagten behaupten, daß der Ablösebetrag nicht nur für die Überlassung der Einrichtungsgegenstände, sondern auch als Abgeltung für die von ihnen vorgenommenen umfangreichen Investitionen im Werte von rund S 500.000 und für die Aufgabe ihrer Mietrechte vereinbart worden sei.

Das Erstgericht wies Haupt- und Eventualbegehren ab. Es ging hiebei davon aus, daß die Beklagten von den Klägern für die von ihnen vorgenommenen und den Klägern bezeichneten Investitionen in der Wohnung und für die Aufgabe der Mietrechte eine Ablöse verlangten. Die Beklagten wollten den Klägern aber auch die zurückgelassenen Möbel verkaufen. Insgesamt verlangten sie einen Betrag von S 350.000. Die Kläger waren damit einverstanden, wobei ihnen klar war, daß dieser Betrag nicht nur für die Einrichtungsgegenstände, sondern auch für die Investitionen und für die Aufgabe der Mietrechte zu bezahlen ist. Der Verkehrswert der den Klägern überlassenen Einrichtungsgegenstände betrug nur S 69.790. Das Erstgericht verneinte eine Irreführung, das Vorliegen von Wucher sowie eine Verkürzung über die Hälfte, weil die Kläger genaue Kenntnis davon gehabt hätten, daß die Ablöse nicht nur für die Möbel zu bezahlen sei. Ein Mißverhältnis zwischen dem Ablösebetrag und den insgesamt erhaltenen Gegenleistungen liege nicht vor und sei von den Klägern nicht einmal behauptet worden. Die Kläger hätten ihren Rückforderungsanspruch lediglich auf das Mißverhältnis zwischen dem Ablösebetrag und dem Wert der Einrichtungsgegenstände gestützt. Ein den Klägern allenfalls zustehender Rückforderungsanspruch nach den hier noch anzuwendenden Bestimmungen des § 17 MG sei verjährt. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es den Klägern S 350.000 zahlbar binnen 14 Tagen Zug um Zug gegen Rückgabe der im Urteilsspruch genannten Einrichtungsgegenstände zusprach. Das Berufungsgericht führte eine Beweiswiederholung durch und stellte abweichend vom Erstgericht fest, daß die Beklagten bei der Wohnungsbesichtigung am 10. Februar 1981 eine Ablöse der in der Wohnung befindlichen Möbel und sonstigen Einrichtungsgegenstände wünschten. Da die Kläger nicht die gesamten Einrichtungsgegenstände übernehmen wollten, einigten sich die Streitteile dahin, daß nur die in der später errichteten Urkunde Beilage B angeführten Möbel und Einrichtungsgegenstände von den Klägern übernommen werden. Der Erstbeklagte verlangte hiefür einen Kaufpreis von S 350.000 zuzüglich Umsatzsteuer. Die Bezahlung der Umsatzsteuer wurde vom Erstkläger jedoch abgelehnt. Die Streitteile einigten sich schließlich auf einen Kaufpreis von S 350.000. Die Vertragsurkunde Beilage B wurde erst am 18. Februar 1981 errichtet. Am gleichen Tag bezahlte auch der Erstkläger den Betrag bar. Nicht als erwiesen nahm das Berufungsgericht an, daß der Betrag von S 350.000 auch als Ablöse für Investitionen und für die Aufgabe der Mietrechte durch die Beklagten vereinbart wurde.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen bejahte das Berufungsgericht eine Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB, die die Kläger berechtige, die Aufhebung des Vertrages und die Wiederherstellung des vorigen Zustandes zu begehren. Die Beweislast für das Vorliegen einer vom Inhalt der Urkunde Beil. B abweichenden Vereinbarung treffe die Beklagten. Diese hätten diesen Beweis aber nicht erbracht.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise stellen die Beklagten einen Aufhebungsantrag. Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis im Sinne des Eventualantrages berechtigt.

Auszugehen ist davon, daß auch in Österreich die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises in Lehre und Rechtsprechung - wenn auch mit Einschränkungen - bejaht wird (Fasching LB Rdz 893 f.; EvBl 1983/120 mwN). Der Anscheinsbeweis findet insbesondere dort Anwendung, wo ein typischer Geschehensablauf oder typische Verhaltensweisen vorliegen (vgl. die bei Fasching aaO Rdz 894 und im Kommentar III 235 angeführten Beispiele). Sein Wesen besteht in der Berücksichtigung von Erfahrungssätzen. Insoweit kommt der Anscheinsbeweis auch im vorliegenden Fall in Betracht. Die auffallende Höhe eines als Ablöse deklarierten Entgeltes für die Überlassung von Einrichtungsgegenständen durchschnittlicher Qualität an den Nachmieter läßt nach den Erfahrungen den Schluß zu, daß damit nicht nur der Wert der Einrichtungsgegenstände abgegolten werden sollte. Erfahrungsgemäß werden solche Zahlungen für die Aufgabe des Mietgegenstandes durch den früheren Mieter oder zur Abgeltung seiner Investitionen verlangt und geleistet. Hier spricht dafür auch das Vorbringen der Kläger, wonach der Erstbeklagte immer wieder auf den Wert seiner Investitionen hingewiesen habe (AS 23). Der Anscheinsbeweis stellt eine Beweiserleichterung dar und führt zur Umkehr der Beweislast insofern, als der Gegner den Anschein durch den Nachweis einer anderen ebenso wahrscheinlichen Möglichkeit zu entkräften hat (7 Ob 60/83). Das Vorliegen einer solchen Möglichkeit gehört zur Beweiswürdigung und ist daher von den Tatsacheninstanzen zu entscheiden (EvBl 1983/120). Das Berufungsgericht hat zwar eine Beweiswiederholung durchgeführt, letztlich aber eine vom Ersturteil abweichende Entscheidung aufgrund der unrichtig gelösten Beweislastverteilung gefällt, indem es den Beklagten den strikten Beweis auferlegt hat (AS 242 2. Absatz). Die Frage der Beweislastverteilung gehört zur rechtlichen Beurteilung, ihre unrichtige Lösung konnte daher im Rahmen der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge wahrgenommen werden (7 Ob 59/82). Das Berufungsgericht wird daher (§ 496 Abs 3 ZPO) im fortgesetzten Verfahren die Frage des Gegenbeweises gegen den ersten Anschein, der hier, wie sich aus den obigen Darlegungen ergibt, den Klägern obliegt, mit den Parteien zu erörtern und allenfalls nach Beweisergänzung neuerlich zu entscheiden haben.

In der Sache selbst erübrigt sich eine Stellungnahme im

derzeitigen Verfahrensstadium.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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