Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 7.472,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 679,30 USt, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 3.4.1978 bei der erstbeklagten Partei, deren persönlich haftende Gesellschafterin die Zweitbeklagte ist, als Verkäuferin beschäftigt. Sie wurde am 2.7.1985 entlassen. Die Klägerin begehrt an Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung die Zahlung von S 178.381,40 brutto sA. Sie behauptet, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen worden zu sein. Außerdem sei die Entlassung verspätet ausgesprochen worden.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, die Klägerin habe sich seit längerer Zeit gegen Kunden, die Zweitbeklagte und Arbeitskollegen unleidlich verhalten und sei deswegen ermahnt worden. Am 27.6.1985, dem (Donners-)Tag vor dem Beginn des Räumungsverkaufes, habe sie zu einer Kundin, die sich im Geschäft umgesehen habe, "in keppelnder und animoser Weise" gesagt: "schon wieder ein Kunde, der nicht lesen kann". Die Kundin habe sich wegen dieses Verhaltens der Klägerin bei einer anderen Angestellten beschwert. Außerdem habe die Klägerin wiederholt hinter dem Rücken der Zweitbeklagten Grimassen geschnitten und durch An-die-Stirn-tippen den "Vogel" gezeigt. Die Zweitbeklagte habe erst am Abend des folgenden Tages (28.6.1985) von diesen Vorfällen erfahren und am nächsten Tag, einem Samstag, ihren Ehemann Hans W***, der die Personalangelegenheiten der erstbeklagten Partei erledige, gebeten, sich darum zu kümmern. Hans W*** habe am Montag, den 1.7.1985 durch Nachforschungen den Sachverhalt überprüft und am 2.7.1985 die Entlassung ausgesprochen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es war der Ansicht, daß das Verhalten der Klägerin zwar ihre vorzeitige Entlassung gerechtfertigt hätte, die Entlassung jedoch verspätet ausgesprochen worden sei.
Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und gab der Berufung der beklagten Parteien auf der Grundlage teilweise geänderter und ergänzter Festellungen dahin Folge, daß es das Klagebegehren abwies. Die zweite Instanz ging insgesamt von folgenden Feststellungen aus:
Die Klägerin wurde erstmals im Jahre 1981 wegen eines schwerwiegenden Vorfalles ermahnt. Wegen ihres Verhaltens gegen Kunden wurde sie auch im Jahre 1985 durch die Zweitbeklagte, deren Ehemann Hans W*** und die Mitangestellte Gertrude H*** wiederholt verwarnt. Im April oder Mai 1985 weigerte sich die Klägerin, eine Kundin mit Kind zu bedienen, und ersuchte andere Angestellte der erstbeklagten Partei mit den Worten: "die Kundin mit dem Fratzen bedien' ich nicht", die Bedienung zu übernehmen. Von diesem Vorfall erfuhr die Zweitbeklagte vor der Entlassung nicht. Am 27.6.1985 bereiteten die Klägerin und ihre Arbeitskolleginnen das Schuhgeschäft der erstbeklagten Partei für den am 28.6.1985 beginnenden Ausverkauf vor, zu dem auch Einladungen verschickt worden waren. Gegen 12 Uhr kam eine Kundin mit einer solchen Einladung für den nächsten Tag und wollte die für den Ausverkauf bestimmte Ware besichtigen. Dies veranlaßte die Klägerin zu der Bemerkung: "Schon wieder eine, die nicht lesen kann". Es gelang der Angestellten Angelika K***, die erboste Kundin zu beruhigen. Angelika K*** schilderte diesen Vorfall der Angestellten Magdalena M***. Diese wollte davon der Zweitbeklagten schon am Morgen des 28.6.1985 Mitteilung machen, die Zweitbeklagte verwies sie jedoch wegen des Kundenandranges auf die Zeit nach Geschäftschluß. Am Abend dieses Tages erhielt die Zweitbeklagte vom Vorfall des Vortages Kenntnis. An diesem Tag erfuhr sie auch, daß die Klägerin sie vor längerer Zeit bei einem Verkaufsgespräch hinter ihrem Rücken durch Grimassenschneiden und An-die-Stirn-tippen verspottet hatte. Die Zweitbeklagte machte ihrem Mann Hans W*** von dem Vorfall vom 27.6.1985 am Samstag, den 29.6.1985 mittags Mitteilung. Hans W*** besorgt die Personalangelegenheiten der bei der erstbeklagten Partei beschäftigten Dienstnehmer, was diesen auch bekannt war. Sein Büro ist vom Schuhgeschäft der erstbeklagten Partei ca.2 km entfernt. Hans W*** vernahm am Montag, den 1.7.1985 die Angestellten Angelika K*** und Gertrude H*** und lud am 2.7.1985 nachmittags die Klägerin in sein Büro. Sie gab den Sachverhalt zu, worauf er sie entließ.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß das Verhalten der Klägerin ihre Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 dritter Fall AngG rechtfertige. Das Verhalten der Klägerin werde den Anforderungen an Höflichkeit und guten Umfangsformen, die an eine Verkäuferin in einem Schuhmodengeschäft der Wiener Innenstadt zu stellen seien, nicht gerecht. Da wiederholte Verwarnungen vergeblich gewesen seien, habe die erstbeklagte Partei nach dem Vorfall vom 27.6.1985 mit Recht befürchtet, daß ihre geschäftlichen Interessen durch das Verhalten der Klägerin gefährdet seien.
Die Entlassung sei aber auch rechtzeitig ausgesprochen worden. Die Zweitbeklagte habe von dem Vorfall vom 27.6.1985 erst am Abend des 28.6.1985 Kenntnis erhalten, so daß sie an diesem Tag nichts mehr zur Überprüfung des Sachverhaltes unternehmen konnte. Wegen des regen Geschäftsbetriebes am Samstag, den 29.6.1985 könne es der Zweitbeklagten auch nicht angelastet werden, ihren mit der Erledigung der Personalangelegenheiten befaßten Ehemann erst gegen Mittag von diesem Vorfall informiert zu haben. Hans W*** habe am folgenden Montag unverzüglich mit der Überprüfung der gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe begonnen und am Dienstag der Klägerin Gelegenheit gegeben, sich zu rechtfertigen. Die noch am selben Tag ausgesprochene Entlassung sei rechtzeitig erfolgt. Das Zuwarten mit der Entlassung habe den Interessen beider Parteien entsprochen. Dem Dienstgeber sei es nicht zu verwehren gewesen, sich zunächst ein eigenes Bild von dem Vorfall zu verschaffen, um nicht ohne entsprechende Kenntnis des Sachverhalts die Entlassung auf sein Risiko auszusprechen. Es liege aber auch im wohlverstandenen Interesse des Dienstnehmers, daß die Entlassung nicht leichtfertig ausgesprochen und ihm Gelegenheit gegeben werde, vorliegende Verdachtsmomente zu entkräften.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin ist der Ansicht, die erstbeklagte Partei habe den Ausspruch der Entlassung ohne hinreichenden Grund bis 2.7.1985 verzögert, weil sie schon am 28.6.1985 genaue Kenntnis vom Entlassungsgrund gehabt habe. Sie habe die Entlassung bewußt hinausgeschoben, um die Arbeitskraft der Klägerin während des Räumungsverkaufes weiter zu verwenden.
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.
Die vorzeitige Entlassung eines Dienstnehmers muß bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechtes unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern ausgesprochen werden. Der Dienstgeber darf mit der Ausübung des Entlassungsrechtes nicht wider Treu und Glauben so lange zuwarten, daß der Dienstnehmer aus seinem Zögern auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen könnte; der Dienstnehmer soll nicht ungebührlich lange über sein weiteres dienstrechtliches Schicksal im Unklaren gelassen werden (Arb 9.091 mwN, 9.424, 9.431, 9.856, 10.445; RdA 1984, 233;
4 Ob 84/84 [in RdW 1985, 255 nur auszugsweise veröffentlicht];
Kuderna, Entlassungsrecht 15 f, 25 ff; Martinek-Schwarz, AngG 6 588 ff; Adler-Höller in Klang 2 V 340; Mayer-Maly, Österreichisches Arbeitsrecht 142; Krejci in Rummel, ABGB, Rz 158 zu § 1162). Diesem Grundsatz liegt der Gedanke zugrunde, daß ein Dienstgeber, der eine ihm bekannt gewordene Verfehlung des Dienstnehmers nicht unverzüglich mit der Entlassung beantwortet, die Weiterbeschäftigung dieses Dienstnehmers offenbar nicht als unzumutbar ansieht (Arb 9.424; 9.564; RdA 1984, 233; Kuderna aaO 16). Der Grundsatz der unverzüglichen Geltendmachung von Entlassungsgründen darf aber nicht überspannt werden. Die Unterlassung der sofortigen Geltendmachung eines Entlassungsgrundes führt insbesondere dann nicht zum Verlust des Entlassungsrechts, wenn das Zögern des Dienstgebers in der Sachlage begründet war (Arb 9.424 mwN; ZAS 1978/3; JBl 1981, 161; RdA 1984, 233). Insbesondere muß der Dienstgeber einen Entlassungsgrund erst dann geltend machen, wenn ihm alle für die Beurteilung wesentlichen Einzelheiten der Handlung und der Person zur Kenntnis gekommen sind (Arb 9.424, 9.606; RdA 1984, 233). Undurchsichtige Sachverhalte verpflichten den Dienstgeber noch nicht zum unverzüglichen Ausspruch der Entlassung. Er hat allerdings die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Klärung des Vorfalles ohne unnötigen Verzug einzusetzen (vgl. Krejci in Rummel aaO Rz 160). Außerdem muß dem Arbeitgeber zwischen dem Bekanntwerden des Entlassungsgrundes und dem Ausspruch der Entlassung eine angemessene Überlegungsfrist gewährt und Gelegenheit gegeben werden, sich über die Rechtslage zu informieren (RdW 1985, 255; Krejci in Rummel aaO Rz 162). Von diesen Grundsätzen ausgehend ist der Ausspruch der Entlassung der Klägerin noch rechtzeitig erfolgt. Die Zweitbeklagte als persönlich haftende Gesellschafterin der erstbeklagten Partei erhielt von den Entlassungsgründen nicht unmittelbar, sondern durch Erzählungen einer Mitangestellten der Klägerin Kenntnis. Wenn sie auch aus dieser mittelbaren Quelle schon am Abend des 28.6.1985 (einem Freitag) von den Einzelheiten der vorgefallenen Entlassungsgründe erfuhr, muß ihr doch zugebilligt werden, daß sie vor einer Entscheidung über die daraus zu ziehenden Konsequenzen ihren Ehemann, der die Personalangelegenheiten des Unternehmens besorgte, informierte; sie hat das am nächsten Tag unmittelbar nach dem regen Geschäftsbetrieb während des Saisonschlußverkaufes getan - also ohne erhebliche Verzögerung. Der erstbeklagten Partei muß auch zugebilligt werden, daß sich der mit den Personalangelegenheiten des Unternehmens betraute Ehemann der Zweitbeklagten aus Gründen der Vorsicht nicht mit der mündlichen Mitteilung des Sachverhaltes durch eine Angestellte begnügte, sondern den nächstmöglichen Termin, der infolge des Wochenendes erst der Montag, der 1.7.1985 war, dazu benützte, um zwei Angestellte noch einmal zu dem Sachverhalt zu vernehmen und deren Aussagen protokollarisch festzuhalten. Die Revision geht selbst davon aus, daß sich Hans W*** dann noch mit RA Dr.S*** beriet. Da Hans W*** auch eine kurze Überlegungsfrist zuzubilligen ist, war es noch rechtzeitig, wenn er die Klägerin für den nächsten Tag in sein 2 km vom Geschäft entferntes Büro bestellte, ihr dort Gelegenheit gab, sich zu rechtfertigen, und erst anschließend die Entlassung aussprach. Auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Geltendmachung des Entlassungsrechtes konnte die Klägerin schon deshalb nicht schließen, weil sie nicht wissen konnte, ob und wann ihrem Dienstgeber die zur Entlassung führenden, aber erst kurz zurück liegenden Äußerungen zugetragen werden würden. Daß mit der Entlassung zugewartet worden sein, um die Arbeitsleistung der Klägerin noch während des Saisonschlußverkaufes nützen zu können, ist von den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt worden. Unter den gegebenen Umständen war somit ein Zuwarten mit der Entlassung durch dreieinhalb Tage, in die ein Wochenende fiel, sachlich begründet. Daß das Verhalten der Klägerin einen Entlassungsgrund bildete, bekämpft sie nicht mehr, so daß insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der zweiten Instanz verwiesen werden kann. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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