OGH 11Os153/86 (11Os154/86)

OGH11Os153/86 (11Os154/86)28.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Oktober 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bittmann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Wilfried M*** wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs. 1 und 2, Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1 und 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck vom 17.Mai 1985 und vom 2. Mai 1986, GZ 22 Vr 4.391/83-27,33, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Tschulik, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Beschlüsse des Vorsitzenden des Schöffengerichtes des Landesgerichtes Innsbruck vom 17.Mai 1985 und 2.Mai 1986, GZ 22 Vr 4.391/83-27,33, verletzen das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 13 Abs. 3, 410 Abs. 1 und 270 Abs. 2 Z 5 StPO.

Diese Beschlüsse werden aufgehoben und es wird dem Landesgericht Innsbruck aufgetragen, über die Anträge gemäß dem § 410 StPO durch einen Dreirichtersenat einen begründeten Beschluß zu fassen.

Text

Gründe:

Aus dem Akt AZ 22 Vr 4.391/83 des Landesgerichtes Innsbruck ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengerichtes vom 29.Februar 1984, GZ 22 Vr 4.391/83-18, wurde der am 24.Februar 1961 geborene beschäftigungslose Wilfried M*** des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1 und 2 StGB, sowie des Vergehens der Begünstigung nach dem § 299 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu zwanzig Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Laut Punkt 1 des Schuldspruchs lag ihm zur Last, am 28.Mai 1983 in Innsbruck in Gesellschaft der gesondert verfolgten Wolfgang M*** und Karl Heinz N*** als Beteiligter (§ 12 StGB) einen Fernseher, ein Videogerät, ein Netzgerät, eine Videokamera, 125 Videofilme und 9.690 S Bargeld (Gesamtwert der Diebsbeute 293.990 S) dem Hubert E*** durch Einbruch in Geschäftsräumlichkeiten und Aufbrechen von Behältnissen mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Der Verurteilte verbüßte die genannte Strafe in der Zeit vom 17. September 1984 bis 17.Mai 1986 (ON 24); im Anschluß daran verbüßt er zwei weitere Freiheitsstrafen in der Dauer von drei Monaten und zweieinhalb Jahren, wobei das urteilsmäßige Strafende auf den 24. Februar 1989 fällt (ON 34).

Am 8.Mai 1985 stellte Wilfried M*** einen Antrag auf Strafmilderung gemäß dem § 410 StPO, weil seiner Behauptung nach durch die kriminalpolizeilichen Ermittlungen hervorgekommen sei, daß es sich bei 80 % der im Besitz des Hubert E*** befindlichen Videofilme um sogenannte Raubkopien handle, somit auch die von ihm gestohlenen Videofilme nicht mit dem vollen Kaufpreis bewertet werden könnten. Diesen Antrag wies der Vorsitzende des Schöffengerichtes mit Beschluß vom 17.Mai 1985 ohne aktenmäßig ersichtliche Erhebungen mit der Begründung zurück, daß "keine berücksichtigungswürdigen zu einer milderen Verurteilung führenden Gründe vorliegen" (ON 27). In der Folge begehrte der Verurteilte die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, die mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. April 1986 für nicht statthaft erklärt wurde. Das Gericht ging davon aus, daß sich nach den Ergebnissen des Verfahrens gegen die Mittäter Wolfgang M*** und Karl Heinz N*** (AZ 22 Vr 2.477/83 des Landesgerichtes Innsbruck und 4 Bs 5/86 des Oberlandesgerichtes Innsbruck) 21 der 30 sichergestellten Videokassetten als Raubkopien herausstellten, deren Neuwert nicht ermittelt werden könne. Unter der Annahme, daß lediglich 9 Stück Videokassetten Originalkassetten, die restlichen 116 Stück jedoch Raubkopien wären, ergäbe sich ein Gesamtwert der Diebsbeute von mindestens 105.360 S, sodaß selbst bei der für den Verurteilten günstigsten Variante die Qualifikation nach dem § 128 Abs. 2 StGB bestehen bliebe und die Tat nicht unter ein milderes Strafgesetz fiele (ON 30). Der gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde des Verurteilten gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 17.Juni 1986, AZ 4 Bs 308/86, nicht Folge (ON 38).

Im Hinblick darauf, daß nach der Beschlußfassung vom 17.Mai 1985 hervorgekommen war, daß der Gesamtwert der Beute möglicherweise nur 105.360 S und nicht, wie im Urteil angenommen, 293.990 S beträgt, regte die Staatsanwaltschaft Innsbruck nunmehr ein Vorgehen gemäß dem § 410 StPO an (ON 32). Hierauf faßte der Vorsitzende des Schöffensenates am 2.Mai 1986 (abermals) den Beschluß, daß ein Antrag auf angemessene Milderung der Strafe an den Gerichtshof zweiter Instanz nicht gestellt werde. Zur Begründung dieser Entscheidung führte er lediglich aus, daß "keine Gründe" vorliegen, "einen Antrag auf Strafmilderung zu stellen" (ON 33).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck vom 17.Mai 1985 (ON 27) und vom 2.Mai 1986 (ON 33) stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.

1. Gemäß dem § 13 Abs. 3 StPO entscheidet der Gerichtshof erster Instanz in allen Fällen, in denen außerhalb der Hauptverhandlung ein Beschluß zu fassen ist, durch einen Senat von drei Richtern, sofern nicht die Entscheidung ausdrücklich dem Vorsitzenden allein übertragen ist. Nach dem § 410 Abs. 1 StPO hat der Gerichtshof erster Instanz über eine Antragstellung auf Strafmilderung an den Gerichtshof zweiter Instanz und demgemäß auch über die Ablehnung eines auf Strafmilderung gerichteten Gesuchs oder Antrags des Verurteilten zu entscheiden. Das Landesgericht Innsbruck hätte daher über einen Antrag auf angemessene Milderung der über Wilfried M*** verhängten Strafe an das Oberlandesgericht Innsbruck in einem gemäß dem § 13 Abs. 3 StPO zusammengesetzten Drei-Richter-Senat in nichtöffentlicher Sitzung beschlußmäßig befinden müssen.

2. In analoger Anwendung des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO müssen Beschlüsse ohne Rücksicht auf ihre Anfechtbarkeit begründet werden; dies auch dann, wenn ihnen - wie bei Beschlüssen über eine nachträgliche Strafmilderung - richterliches Ermessen zugrundeliegt, wenn also eine positive Ermessensentscheidung getroffen wird (vgl. SSt. 34/47). Bei Entscheidung über eine Antragstellung gemäß dem § 410 StPO hat daher der Gerichtshof erster Instanz darüber abzusprechen, ob den vom Verurteilten oder von der Staatsanwaltschaft ins Treffen geführten Umständen die Eigenschaft eines nach eingetretener Rechtskraft des Strafurteils hervorgekommenen Milderungsgrundes im Sinn der zitierten Gesetzesstelle zukommt und ob diese mildernden Umstände, sofern sie schon vor der Urteilsfällung vorgelegen hätten, eine mildere Bemessung der Strafe herbeigeführt haben würden. Die Ablehnung einer solchen Antragstellung mit dem lapidaren Hinweis auf das Nichtvorliegen von (berücksichtigungswürdigen) Gründen entspricht als bloße Leerformel nicht den Voraussetzungen einer ausreichenden Begründung im Sinn des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO (SSt. 34/47). Mit Rücksicht auf die vorgebrachten, die Schadensberechnung tangierenden und damit für die Strafbemessung relevanten Umstände (§ 32 Abs. 3 StGB) ist nicht auszuschließen, daß sich die aufgezeigten formellen Gesetzesverletzungen auch materiell zum Nachteil des Verurteilten auswirkten, zumal auch eine nachträgliche Strafherabsetzung im Hinblick auf die Anordnung des § 46 Abs. 3 StGB auf die Berechnung der Gesamtdauer der nacheinander zu vollziehenden Freiheitsstrafen durchschlagen würde.

Es war daher der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß stattzugeben.

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