OGH 14Ob155/86

OGH14Ob155/8621.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer

Hon.Prof. Dr. Gottfried Winkler und Hon.Prof. Dr. Hanns Waas als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Harald R***, Angestellter, Wien 11., Muhrhoferweg 15/9/8/44, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Joachim S***, Kaufmann, Wienerherberg, Industriegelände 1, vertreten durch Dr. Horst Hoskovec, Rechtsanwalt in Wien, wegen restl. S 47.066,11 sA (Revisionsstreitwert S 36.182,53), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 12.Juni 1986, GZ 44 Cg 35/86-69, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 6.September 1985, GZ 8 Cr 91/84-62, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird im Umfang der Teilabänderung (Abweisung eines Mehrbegehrens von S 36.182,53 sA) sowie im Kostenpunkt aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur Verfahrensergänzung und Fällung einer neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt vom Beklagten, seinem ehemaligen Arbeitgeber, mit der allein noch verfahrensgegenständlichen Behauptung, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein, die Zahlung eines Betrages von S 36.182,53 sA an Kündigungsentschädigung, Abfertigung und anteiligen Sonderzahlungen. Über die weiters geltend gemachten Entgeltansprüche wurde bereits rechtskräftig entschieden. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; die Entlassung sei gerechtfertigt, weil der Kläger die (im Betrieb mitarbeitende) Ehegattin des Beklagten erheblich beleidigt habe. Der Kläger bestritt jede Ehrenbeleidigung und wandte (in der Berufungsbeantwortung ON 65) Verwirkung eines allenfalls bestehenden Entlassungsrechtes mit der Begründung ein, zwischen der behaupteten Äußerung und dem am 31.7.1981 zur Post gegebenen Entlassungsschreiben liege ein so langer Zeitraum, daß dem Beklagten eine Weiterbeschäftigung des Klägers hätte zugemutet werden können. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang der entlassungsabhängigen Ansprüche statt. Es traf folgende noch wesentliche Feststellungen:

Der Kläger arbeitete als Angestellter im Lager des Beklagten, wo ein bei Lagerarbeiten nicht unüblicher derber Umgangston herrschte. Als der Kläger "einmal" sowohl vom Beklagten als auch von dessen damaliger Lebensgefährtin und nunmehrigen Ehegattin widersprechende Aufträge erhielt, sagte er in einem in Anwesenheit seines Arbeitskollegen Heinrich P*** mit einer im Büro des Betriebes des Beklagten beschäftigten Arbeitskollegin geführten Telefongespräches, die Lebensgefährtin sei ein Trampel, teppert und eine Nobelhure. Am 23.7.1981 erhob der Beklagte gegen Heinrich P*** Vorwürfe wegen Unstimmigkeiten zwischen den Aufzeichnungen über eine Lieferung und deren Durchführung. Als er dem Angestellten mit ernsten Konsequenzen drohte, erzählte dieser dem Beklagten unter anderem, der Kläger habe die Ehefrau des Beklagten anläßlich eines von ihr erteilten Auftrages in ihrer Abwesenheit mit den oben erwähnten Worten beschimpft. Der Beklagte gab das mit 28.7.1981 datierte Entlassungsschreiben am 31.7.1981, einem Dienstag, und zwar während des am 22.7.1981 angetretenen Urlaubs des Klägers, zur Post. Das Erstgericht hielt die Entlassung für ungerechtfertigt, weil die Beschimpfungen im Kollegenkreis und nicht gegenüber betriebsfremden Personen erfolgt seien.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren im Umfang des auf die Entlassung entfallenden Betrages von S 36.182,53 sA abwies. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs.1 Z 3 ArbGG neu durch und hielt die in der Berufung erfolgte Bekämpfung dreier näher angeführter Feststellungen (davon betraf nur eine die Entlassung) für unberechtigt, ohne selbst ausdrücklich Feststellungen zu treffen. Es vertrat die Rechtsauffassung, die Beschimpfungen hätten nicht den Charakter einer bloßen Unmutsäußerung gehabt und seien auch nicht etwa nur im unmittelbaren, inneren Mitarbeiterkreis erfolgt. Die Entlassung sei daher berechtigt.

Gegen diesen Teil der Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, dem Klagebegehren in diesem Umfang stattzugeben.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Dem Revisionswerber ist zwar einzuräumen, daß das Berufungsgericht nicht ausdrücklich Feststellungen getroffen hat, wie dies im Hinblick auf den Neuverhandlungsgrundsatz des § 25 Abs.1 Z.3 ArbGG notwendig gewesen wäre. Den Entscheidungsgründen kann aber immerhin gerade noch entnommen werden, daß es von den gleichen Feststellungen wie das Erstgericht ausgehen wollte, sodaß diese als vom Berufungsgericht getroffen angesehen werden können. Dem Revisionswerber kann auch in seiner Auffassung nicht gefolgt werden, die festgestellten Beschimpfungen der damaligen Lebensgefährtin des Beklagten rechtfertigten im Hinblick auf den Umgangston im Betrieb und die Äußerung im Kollegenkreis nicht die Entlassung. Wenn auch der Umgangston im Lager des Betriebes des Beklagten derb war, so wurde doch weder behauptet noch festgestellt, daß derartige Beschimpfungen zwischen Arbeitskollegen, insbesondere weiblichen Arbeitskollegen gegenüber, oder im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer üblich gewesen seien. Daß die festgestellten Schimpfwörter ihrer Art nach geeignet sind, in erheblichem Maße ehrverletzend zu wirken, und nicht vergleichsweise geringfügigen Charakter haben, wird selbst in der Revision nicht bestritten. Auch für die Annahme einer gerechtfertigten Entrüstung über ein unmittelbar vorausgegangenes Verhalten der Lebensgefährtin des Beklagten bieten die Feststellungen keinen Anhaltspunkt. Die widersprechenden Aufträge allein vermochten derartig Beschimpfungen keinesfalls zu entschuldigen. Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß es sich bei den Schimpfwörtern nicht etwa um bloße Unmutsäußerungen im Kollegenkreis handelte, zumal der Kläger die Äußerungen in einem mit einer im Büro beschäftigten Angestellten des Beklagten geführten Telefongespräch machte. Ein tatbestandsmäßiger Entlassungsgrund im Sinne des § 27 Z 6 AngG (falls der Kläger Arbeiter gewesen sein wollte, im Sinne des insoweit inhaltsgleichen zweiten Tatbestandes des § 82 lit.g GewO) liegt daher vor. Dem Revisionswerber ist jedoch zuzustimmen,daß Feststellungsmängel vorliegen, welche eine Entscheidung über den die Entlassung betreffenden Teil der Klagsforderung noch nicht erlauben. Das Berufungsgericht ist nämlich auf die vom Kläger behauptete Verwirkung des Entlassungsrechtes des Beklagten nicht eingegangen und hat - ebenso wie das Erstgericht - keine Feststellungen über den Zeitpunkt getroffen, zu dem die Schimpfwörter gefallen sind. Derartige Feststellungen sind aber notwendig, um die Frage der Verwirkung beurteilen zu können.

Das Berufungsgericht übersieht, daß das Entlassungsrecht des Arbeitgebers unter bestimmten Umständen auch unabhängig vom Willen des Arbeitgebers und von dessen Kenntnis vom Entlassungsgrund untergehen kann. Eine solche Verwirkung tritt ein, wenn der Arbeitgeber, weil er vom Entlassungsgrund keine Kenntnis hat, eine gewisse Zeit hindurch eine Entlassung nicht ausgesprochen hat, der Entlassungsgrund aber inzwischen soviel an Bedeutung verloren hat, daß die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber nicht mehr unzumutbar ist, und der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben mit dem Ausspruch der Entlassung auch nicht mehr zu rechnen braucht. Die Beurteilung des Eintrittes einer solchen Verwirkung ist nach den Umständen des einzelnen Falles vorzunehmen. Hiebei ist zu beachten, ob der Arbeitnehmer mit einer Entlassung nach Treu und Glauben nicht mehr rechnen muß, ob eine dennoch vorgenommene Entlassung mit Rücksicht auf die verflossene Zeit für ihn eine unbillige Härte bedeutet und ob der Entlassungsgrund inzwischen soviel an Bedeutung verloren hat, daß eine Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Hiebei kommt es auch auf die Bedeutung und den Grad der Verfehlung an; bei verhältnismäßig geringfügigen Verfehlungen wird die Verwirkung früher eintreten als bei schwerwiegenden Verfehlungen (Kuderna, Das Entlassungsrecht, 28 f mwH; 4 Ob 6/82 ua.).

Da hier nicht einmal ein ungefährer Zeitpunkt, zu dem die Schimpfwörter gefallen sind, feststeht, muß das Berufungsurteil im Umfang der die Entlassung betreffenden Ansprüche aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und Fällung einer neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte