OGH 7Ob645/86

OGH7Ob645/862.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als Richter in der Pflegschaftssache der mj.Sabine H***, geboren am 29.August 1966, infolge Revisionsrekurses des Vaters Adolf H***, Staplerfahrer, Wien 21.,

Justgasse 29/19/10, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 4.Juni 1986, GZ.44 R 3235/86-64, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 9.April 1986, GZ.2 P 266/80-61, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Erstgerichtes werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der am 29.8.1966 geborenen, geistig behinderten Sabine H***, deren Minderjährigkeit bis zur Vollendung des 21.Lebensjahres verlängert wurde (Beschluß vom 1.8.1985, ON 48), ist geschieden. Das Recht und die Pflicht auf Pflege und Erziehung, Verwaltung des Vermögens und Vertretung der Minderjährigen wurde der Mutter übertragen (Beschluß vom 5.4.1978, ON 8). Der vom Vater zu leistende Unterhaltsbeitrag wurde zuletzt (Beschluß vom 11.12.1984, ON 44) mit S 2.600 monatlich bestimmt. Der Vater stellte den Antrag, ihn von seiner Unterhaltsverpflichtung ab 1.9.1985 zu entheben (ON 45 und 50), da die minderjährige Sabine seit der Vollendung ihres 19.Lebensjahres Sozialhilfe beziehe.

Die Minderjährige beantragte durch ihre Mutter die Abweisung dieses Antrages. Es sei zwar richtig, daß ihr seit 1.9.1985 Sozialhilfe gewährt werde. Diese stelle jedoch kein einem Erwerbseinkommen gleichwertiges Einkommen dar. Sabine sei wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit nach wie vor nicht selbsterhaltungsfähig. Das Erstgericht gab dem Antrag statt und traf folgende Feststellungen:

Die minderjährige Sabine bezieht Sozialhilfe, deren Höhe im Jahre 1985 S 4.379 monatlich betragen hat und im Jahre 1986 S 4.532 monatlich beträgt. Die Minderjährige steht bei der "Jugend am Werk" in Beschäftigungstherapie und erhält dort ein monatliches Taschengeld von S 230.

Der Vater ist bei den Wiener Kabel- und Metallwerken beschäftigt. Sein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen betrug im Jahre 1985 S 12.191,22, im Jänner und Februar 1986 S 14.475. Er hat außer für die mj.Sabine noch für seine Ehegattin zu sorgen, die sich derzeit im Krankenstand befindet und ein Krankengeld von S 3.500 bis S 4.000 monatlich bezieht.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß die von der Minderjährigen bezogene Sozialhilfe die Durchschnittsbedarfssätze für Kinder gleicher Altersgruppen wie auch den vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeitrag übersteige, sodaß diese als selbsterhaltsfähig anzusehen sei.

Das Rekursgericht wies den Antrag ab. Der Bezug einer Sozialhilfeleistung führe auch bei ausreichendem Umfang nicht zur Selbsterhaltungsfähigkeit, sondern werde gerade wegen fehlender Selbsterhaltungsfähigkeit gewährt. Die in § 27 des Wiener Sozialhilfegesetzes - WSHG - normierte Legalzession bewirke den Forderungsübergang auf den Sozialhilfeträger, nicht aber das Erlöschen des Unterhaltsanspruches. Bei Bestehen einer Unterhaltspflicht habe die Sozialhilfe insoweit Vorschußcharakter und sei nicht als Eigeneinkommen des Kindes zu berücksichtigen. Dem Kind stehe wegen der angeordneten Legalzession auch nicht Sozialhilfe neben dem Unterhalt zu. Es sei nur insofern besser gestellt, als die Sozialleistung den Unterhaltsbeitrag übersteige. Der Vater bekämpft die Entscheidung des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs. Die Sozialhilfe werde unabhängig vom Unterhaltsanspruch der Minderjährigen gewährt. Sie sei daher als Eigeneinkommen auf den Unterhaltsanspruch anrechenbar. Die Minderjährige sei demnach bereits selbsterhaltungsfähig.

Rechtliche Beurteilung

Zu prüfen ist vorerst die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Sinne des § 14 Abs.2 AußStrG, durch den die Anfechtung von Entscheidungen der zweiten Instanz ausgeschlossen wird, soweit Verfahren und Entscheidung die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche zum Gegenstand haben.

Von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über den Enthebungsantrag des Vaters ist es, wie es sich im vorliegenden Fall mit der in § 27 des Wiener Sozialhilfegesetzes vorgesehenen Legalzession verhält. § 27 des WSHG bestimmt, daß dann, wenn der Empfänger der Hilfe Rechtsansprüche zur Deckung des Lebensbedarfes gegen einen Dritten hat, diese Ansprüche auf die Dauer der Hilfeleistung bis zur Höhe der aufgewendeten Kosten auf den Sozialhilfeträger übergehen, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat. Die zuletzt genannte Einschränkung ("...sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat...") hat das Rekursgericht bei seiner Entscheidung offensichtlich nicht beachtet, da es ausdrücklich ausführt, dem Kind stehe wegen der angeordneten Legalzession Sozialhilfe neben dem Unterhalt nicht zu, es sei nur insofern bessergestellt, als die Sozialleistung den Unterhaltsbeitrag übersteige. Für die Annahme aber, der Sozialhilfeträger habe dem Vater bereits die schriftliche Anzeige iS des § 27 WSHG erstattet, fehlt im bisher durchgeführten Verfahren jeder Anhaltspunkt. Die Frage, ob die Legalzession iS des § 27 WSHG vom Sozialhilfeträger (bereits) in Anspruch genommen wurde, die auch ohne Vorbringen der Parteien wegen des gemäß § 2 Abs.2 Z 5 AußStrG im außerstreitigen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes von Amts wegen zu klären ist, ist keine Frage der Unterhaltsbemessung im Sinne des Judikats 60, sondern eine solche des Anspruchsgrundes. Die Vorinstanzen haben hiezu keinerlei Erhebungen gepflogen und dementsprechend auch keine Feststellungen getroffen. Die angefochtene Entscheidung und jene des Erstgerichtes waren deshalb zur Verfahrensergänzung aufzuheben.

Sollte ein Übergang des Unterhaltsanspruches der Minderjährigen auf den Sozialhilfeträger (bereits) erfolgt sein, so wäre dem Rekursgericht darin beizupflichten, daß der Enthebungsantrag des Vaters abzuweisen ist. Dabei hätte allerdings die Minderjährige im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichtes keinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen ihres Vaters neben ihrem Anspruch auf Leistungen im Sinne des WSHG, soweit diese ihren Unterhaltsanspruch übersteigen. Die Unterhaltsleistungen wären vielmehr in diesem Umfang an den Sozialhilfeträger, nicht an die Minderjährige zu erbringen.

Sollte ein übergang des Unterhaltsanspruches der Minderjährigen auf den Sozialhilfeträger mangels schriftlicher Anzeige (noch) nicht erfolgt sein, wäre die Entscheidung über den Enthebungsantrag davon abhängig zu machen, ob der Unterhalt der Minderjährigen durch die ihr gewährte Sozialhilfe gedeckt ist. Hiebei handelt es sich um eine Bemessungsfrage; die Vorinstanzen haben zu dieser Frage bisher nicht Stellung genommen. Auch wenn allerdings der Unterhalt der Minderjährigen (bereits) durch die ihr zuerkannte Sozialhilfe gedeckt sein sollte (vgl. hiezu die in SZ 55/129 zitierte Rechtsprechung, wonach eine Person, deren Unterhaltsbedürfnisse auf Grund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt werden, schon deswegen keine Unterhaltsansprüche gegen einen zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen stellen kann, weil ihr ein Anspruch auf Doppelversorgung nicht zusteht), wäre eine gänzliche und endgültige Enthebung des Vaters von seiner Unterhaltsverpflichtung nicht möglich. In der Entscheidung müßte vielmehr zum Ausdruck kommen, daß eine solche Enthebung nur unter der Voraussetzung erfolgt, daß der Sozialhilfeträger die in § 27 WSHG normierte Legalzession nicht in Anspruch nimmt. Aus den dargelegten Gründen war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

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