OGH 10Os124/86

OGH10Os124/8630.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.September 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred B*** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafachen Wien als Schöffengericht vom 9.Mai 1986, GZ 4 b Vr 11794/85-64, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Wolf, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Manfred B*** in Erledigung der eine Verurteilung wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 12. Oktober 1985 in Wien dem Rudolf M*** ein Messer mit 12,5 cm langer Klinge in den linken Oberbauch stieß, sohin mit einem solchen Mittel und auf solche Weise handelte, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist.

Die offensichtlich verfehlte Nichtannahme der Qualifikation nach § 84 Abs 1 StGB - die das Gericht lediglich mit der nicht bloß vorübergehenden Arbeitslosigkeit des M*** begründete, wobei es die jedenfalls gegebene Tatfolge seiner in der Anklageschrift als solcher qualifizierten an sich schweren Verletzung durch Eröffnung der Bauchhöhle (S 112) mit Stillschweigen überging - blieb seitens der Anklagebehörde unbekämpft.

Nach den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen begab sich der Angeklagte in einer Gastwirtschaft zu den in einen Streit verfangenen Zeugen Rudolf M*** und Melitta S*** (seiner Mutter). Darauf nahm M*** einen auf der Theke befindlichen (möglicherweise aus Glas hergestellten) Aschenbecher und hielt diesen in der erhobenen Hand gegen den Angeklagten gerichtet, was bei diesem den Eindruck erweckte, M*** wolle ihn mit dem Aschenbecher auf den Kopf schlagen. Der Angeklagte zog nun ein Fixiermesser aus der Hosentasche, öffnete es durch eine Schleuderbewegung, was wegen der schon schwachen Feder des Messers möglich war, und stach M*** in den linken Oberbauch. Dabei handelte er aus Zorn und mit Mißhandlungsvorsatz.

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf Ziffer 5, 9 lit. a, 9 lit. b und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in deren Ausführung er den Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB) für sich in Anspruch nimmt und daher seinen Freispruch oder allenfalls einen Schuldspruch bloß wegen fahrlässiger Körperverletzung infolge Notwehrüberschreitung (§ 3 Abs. 2 StGB) anstrebt.

Beides jedoch zu Unrecht.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsrüge (sachlich teils Z 9 lit. b, teils Z 10) geht insoweit ins Leere, als der Beschwerdeführer aufzeigen will, daß er sich in einer Notwehrsituation befunden habe. Denn das Schöffengericht, welches die Frage, ob M*** tatsächlich einen Angriff gegen den Angeklagten vor hatte, allerdings - sichtlich aus unrichtiger Rechtsansicht (vgl. dazu RZ 1984/71) - offen ließ (US 10), ging mit der Feststellung, ersterer habe gegen ihn einen Aschenbecher "zum Schlag erhoben", was bei ihm den Eindruck erweckt habe, jener wolle ihm damit auf den Kopf schlagen (US 5-7, 9), ohnedies immerhin vom Vorliegen einer zumindest vermeintlichen Notwehrlage aus und gelangte nur wegen des Fehlens der für die Annahme sowohl des Rechtsfertigungsgrundes der Notwehr als auch des Entschuldigungsumstandes der Putativnotwehr (§ 8 StGB) vorauszusetzenden (vgl. EvBl. 1984/152) weiteren Prämisse einer Tatbegehung in Ausübung notwendiger Verteidigung zum Schuldspruch. Insoweit aber ist dem Erstgericht - der dies bestreitenden Rechtsrüge zuwider - darin beizupflichten, daß im vorliegenden Fall eine derart aggressive Verteidigung wie die Zufügung eines lebensgefährlichen Bauchstiches keineswegs das allein geeignete (letzte) Mittel darstellte, den vom Beschwerdeführer erwarteten Angriff (vorbeugend) abzuwehren (vgl. EvBl. 1978/106 ua; Leukauf-Steininger, Komm. 2 RN 82 zu § 3); notwendig ist stets nur jene Verteidigung, die unter den verfügbaren Mitteln das schonendste darstellt, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff sofort und endgültig abzuwenden (vgl. Kienapfel, AT, Z 11, RN 13, 16). Dies traf, wie das Schöffengericht im Ergebnis zutreffend erkannte, für den hier zu beurteilenden Bauchstich keinesfalls zu. Zwar war der Angeklagte (entgegen einer im Anschluß an die ältere Judikatur vertretenen früheren Auffassung:

ÖJZ-LSK 1979/21, 19, 1976/18 und andere) nicht etwa wegen der Alkoholisierung des Angreifers zur tunlichsten Vermeidung einer Konfrontation geradezu zu einem Ausweichen verpflichtet (vgl. EvBl. 1986/42, 15, ÖJZ-LSK 1982/20 ua), doch wäre es gerade wegen der Notwendigkeit einer "blitzartigen" Abwehr gegen den erwarteten Schlag mit dem Aschenbecher - von der Befürchtung eines Wurfs ist im Urteil keine Rede - weitaus näher gelegen und ausreichend gewesen, anstatt eines Griffes in die Hosentasche, des Ziehens und des Öffnens des Messers, sowie des erst nunmehr folgenden Stichs gegen den Bauch des Angreifers sogleich die Quelle der (vermuteten) Gefahr durch eine Abwehr des Schlages im Weg des Erfassens oder Ablenkens der erhobenen Hand, allenfalls in Verbindung mit einer ausweichenden Körperbewegung (als geradezu natürlicher Reaktion) unmittelbar auszuschalten. Am Fehlen der Notwendigkeit der gewählten Verteidigung scheitert demnach sowohl eine Rechtfertigung der Tat durch Notwehr als auch deren Entschuldigung wegen Putativnotwehr und nicht etwa, worauf der Beschwerdeführer ohne urteilsmäßige Grundlage Bezug nimmt, an einer (von ihm bestrittenen) "Unangemessenheit" der Abwehr, die nur im Zusammenhang mit dem vorliegend gar nicht aktuellen Fall des Drohens eines bloß geringen Nachteils (§ 3 Abs. 1 zweiter Satz StGB) relevant wäre.

Soweit der Angeklagte indessen hilfsweise die Beurteilung seiner Tat als nur fahrlässige Körperverletzung (wegen fahrlässiger Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung) anstrebt, weicht er in einer bei der Darstellung einer Rechtsrüge unzulässigen Weise von den Urteilsfeststellungen ab. Diesen zufolge überschritt er nämlich die Grenzen der notwendigen Verteidigung aus Zorn, also aus einem sogenannten sthenischen Affekt (US 6 f, 10), wogegen die in § 3 Abs. 2 StGB vorgesehene (mildere) Beurteilung einer bloß fahrlässigen Notwehrüberschreitung voraussetzen würde, daß die Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken geschehen wäre. Die zuletzt zitierte Urteilsfeststellung wurde - entgegen der dagegen erhobenen Mängelrüge (Z 5) des Beschwerdeführers - vom Erstgericht im Rahmen der ihm oblegenen Beweiswürdigung im Einklang mit allgemeiner Lebenserfahrung ebenso wie mit den Denkgesetzen (und sohin mängelfrei) damit begründet, daß der Zorn des Angeklagten auf die vorangegangene Tätlichkeit des Rudolf M*** gegen seine Mutter (Melitta S***) sowie darauf zurückzuführen war, daß jener auch gegen ihn einen Aschenbecher zum Schlag gegen seinen Kopf erhob, wobei es - im Hinblick auf das psychiatrische Gutachten Dris. P*** (S 293 iVm S 14 in ON 27) aktengetreu - überdies darauf hinwies, daß ihm die (gewiß eher Zorn als Angst indizierende) Tathandlung durchaus nicht persönlichkeitsfremd war (US 6 f, 10). Davon aber, daß die Annahme von Zorn als Tatmotiv mit der Feststellung, daß er einen Schlag des M*** mit dem erhobenen Aschenbecher gegen seinen Kopf erwartete, im Widerspruch stünde, kann keine Rede sein.

Die Aussage der Zeugin S*** (S 291) schließlich wurde vom Schöffengericht nicht etwa, wie der Beschwerdeführer mißverstehend vermeint, zur Deckung der bekämpften Feststellung herangezogen, sondern vielmehr in Ansehung ihrer Bekundung, ihr Sohn habe aus Angst gehandelt, als unrichtig abgelehnt.

Ein formeller Begründungsmangel im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 5) haftet dem Urteil daher ebenfalls nicht an. Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 84 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 1/2 Jahren, wobei es die einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten als erschwerend, ein Tatsachengeständnis dagegen als mildernd wertete.

Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung des Strafausmaßes an.

Zwar ist dem Angeklagten beizupflichten, daß das der Tat vorausgehende Verhalten des Rudolf M*** eine gewisse Provokation darstellte und demnach auch als mildernd zu werten ist. Dem steht aber die schwere Verletzungsfolge gegenüber, die ihrerseits im Rahmen der allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung (§ 32 Abs. 3 StGB) zu berücksichtigen ist.

Insgesamt aber erscheint die vom Schöffengericht ausgemessene Freiheitsstrafe angesichts der Tatfolgen und der Persönlichkeit des in einschlägiger Richtung empfindlich vorbestraften Berufungswerbers nicht überhöht. Sie entspricht vielmehr durchaus der tat- und täterbezogenen Schuld (§ 32 StGB).

Auch der Berufung war somit ein Erfolg zu versagen.

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