OGH 13Os116/86

OGH13Os116/8618.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.September 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Täuber als Schriftführers in der Strafsache gegen Johann W*** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach §§ 297 Abs. 1 und 15 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Ried im Innkreis als Schöffengerichts vom 16. Juli 1986, GZ. 7 Vr 1147/85-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Der Gemeindebedienstete Johann W*** wurde des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Verleumdung nach §§ 297 Abs. 1 und 15 StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er zwischen 6. Juli 1984 und Mitte 1985 in Friedburg-Lengau durch die in diversen Schreiben an das Gendarmeriepostenkommando Friedburg-Lengau erhobene Behauptung, Georg Z*** habe seine Gattin Elisabeth

Z*** ermordet, den Leichnam sodann mit einer Schubkarre transportiert und anschließend aufgehängt, um einen Selbstmord vorzutäuschen, Georg Z*** wiederholt wegen des Verbrechens des Mords nach § 75 StGB. teils falsch verdächtigt und teils falsch zu verdächtigen getrachtet, wobei er wußte, daß die Verdächtigung falsch war.

Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 4 und 5 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an.

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge (Z. 4) zufolge wurden durch die Ablehnung folgender Beweisanträge Verteidigungsrechte beeinträchtigt:

Beischaffung der Tagesberichte, die der Angeklagte an das Gemeindeamt Lengau erstattet hat (siehe auch Seite 106), sowie Einholung von Schriftproben der umliegenden Nachbarn des Georg Z*** und Einholung eines weiteren graphologischen

Gutachtens, "basierend auf diesen Ergebnissen", unter Beiziehung eines weiteren Sachverständigen zum Beweis dafür, daß der Angeklagte nicht der Schreiber der (prozeß-)gegenständlichen Briefe ist bzw. diese durch einen anderen Nachbarn verfaßt wurden; ferner auch zum Beweis dafür, daß die im Gutachten der Sachverständigen Dr. Margit H***-L*** aufgezeigten Schriftmerkmale nicht so ungewöhnlich sind, daß auf Grund der vorhandenen Schriftproben mit Sicherheit auf die Täterschaft des Angeklagten geschlossen werden kann (S. 114, 115).

Das Gericht wies die Beweisanträge "wegen hinlänglicher Klärung der Sach- und Rechtslage und aus den im Urteil genannten Gründen" ab (S. 116). Darnach sei das Gutachten der Sachverständigen Dr. H***-L*** so überzeugend und schlüssig, daß die Einholung eines weiteren Gutachtens entbehrlich sei. Auch die Beischaffung von Schriften, die der Angeklagte "vor diesem Vorfall" in Ausübung seines Dienstes verfaßt hatte, könne unterbleiben, weil dieser bereits in diesem Verfahren wiederholt und ausführlich Schriftproben abgegeben habe, die eine zweifelsfreie Klärung des gegenständlichen Sachverhalts mitermöglicht hätten. Gleiches gelte für die Untersuchung der Handschriften der (weiteren) Nachbarn des Georg Z***, zumal die Briefpassage, wonach der Briefschreiber den Mord "von oben her" gesehen habe, (für die Beweisführung) völlig wertlos sei, weil auch der sonstige Briefinhalt erfunden sei und daher aus dieser Briefstelle Rückschlüsse darauf, daß der Briefschreiber ein Nachbar des Georg Z*** sei, nicht zu ziehen seien (S. 124, 125).

Das Schöffengericht hat den Schuldspruch darauf gegründet, daß der Angeklagte eine zweite ergänzende Schriftprobe vor der Gendarmerie mit der Begründung verweigerte, die Tat nicht begangen zu haben, daß er anläßlich einer Schriftprobe unter der Anleitung der beigezogenen Gutachterin "offenbar bewußt den Anordnungen der Sachverständigen, das Schriftbild entsprechend zu verändern, nicht Folge geleistet hat" und schließlich auf das überzeugende Gutachten der Sachverständigen Dr. H***-L***, die mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" (Seite 59: "mit ziemlicher Sicherheit", Seite 112: "daß die Wahrscheinlichkeit ... an Sicherheit herangeht") den Angeklagten als Briefschreiber identifizieren konnte (S. 122, 123). Hingegen konnte sich das Gericht weder auf ein Geständnis (S. 122) noch auf ein (vernünftiges) Motiv (S. 125) des Angeklagten stützen. Schon die Verfahrensrüge schlägt durch.

Die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens lassen eine mathematisch exakte Beweisführung vor Gericht gewiß nur dort zu, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden der Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung (etwa Berechnungen und Konstruktionspläne) zugänglich ist; ansonst muß dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag aber eine höchste, auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, jene Überzeugung, die ihrerseits zufolge § 258 Abs. 2 StPO. die ausschließliche Grundlage der richterlichen Tatsachenentscheidung sein darf (SSt. 45/23 und viele andere, zuletzt 13 Os 42/86). Grundsätzlich vermögen daher die angeführten, wenn auch nicht übereinstimmenden gutächtlichen Äußerungen hinsichtlich der Identifizierung des Angeklagten als Verfasser der inkriminierten Briefe einen von der Überzeugung des Gerichts getragenen Schuldspruch zu begründen.

Sieht man vom dem Verhalten des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit den ihm im Zug des Verfahrens abverlangten Schriftproben ab, so erweist sich indes das Schriftgutachten als die alleinige Grundlage des Schuldspruchs. Erwägt man nun die mangelnde Bereitschaft des Angeklagten bei der Herstellung der Vergleichsschriften (siehe im Gutachten: dessen "beachtlichen Widerstand"; "die Vergleichs-Schriften sind dementsprechend nicht optimal, die Untersuchung dadurch erschwert"; S. 37 in Verbindung mit S. 111), so kann dem auf die Beischaffung eines unbefangenen Vergleichsmaterials abzielenden Beweisantrag die Berechtigung nicht abgesprochen werden, weil damit für die hier allein entscheidende und, wie erwähnt, derzeit mit nicht ganz übereinstimmenden Schlußfolgerungen belastete Begutachtung eine breitere Basis gewonnen würde. Es ist daher keineswegs von der Hand zu weisen, daß die in der Abweisung des Antrags auf Beischaffung des Schriftmaterials gelegene Formverletzung auf die Entscheidung einen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte (§ 281 Abs. 3 StPO.).

Wenn dazu in einem Fall wie diesem, wo die Entscheidung des Gerichts mangels anderer Beweismittel wesentlich von der Beurteilung des Beweiswerts der dem Sachverständigen vorliegenden Verfahrensergebnisse abhängt (wozu auch das primär vom Gutachter gewürdigte Verhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Abnahme von Schriftproben zählt), so ist die im § 118 Abs. 2 StPO. vorgesehene vorsorgliche Kontrolle des Gutachtens durch einen zweiten Sachverständigen notwendig (Mayerhofer-Rieder 2 , § 118 StPO. Nr. 69).

Es war daher, ohne daß es eines Eingehens auf das übrige Beschwerdevorbringen bedurfte, schon in nichtöffentlicher Beratung (§ 285 e StPO.) der diesen formellen Nichtigkeitsgrund (Z. 4) relevierenden Beschwerde des Angeklagten Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der logischen Vollständigkeit halber sei zu der die Entscheidungsgründe offenbar wesentlich tragenden Stelle im Gutachten Seite 59 angemerkt, daß es einen Begriff der "ziemlichen" Sicherheit nicht gibt. Die Ausschließlichkeit des Begriffs "sicher" gestattet lediglich eine, wie im Urteil richtig formuliert (S. 123), "an Sicherheit grenzende" oder heranreichende "Wahrscheinlichkeit" (siehe RiZ. 1977 S. 151 rechts oben).

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