OGH 9Os84/86

OGH9Os84/8617.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.September 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes HONProf. Dr. Steininger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Weitzenböck als Schriftführer in der Strafsache gegen Peter P*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Leoben vom 18.März 1986, GZ 11 Vr 194/86-129, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Gehart, und des Verteidigers Dr. Portschy, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der am 30.März 1965 geborene Peter P*** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 21.November 1984 in Mürzzuschlag Johanna G*** nach einem Schlag gegen das linke Auge und nach heftigem Würgen durch Versetzen von fünf Stichen mit einem Küchenmesser gegen die linke Halsseite vorsätzlich getötet.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus den Z 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht begründet. In seiner Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Antrages (vgl. Bd. III S 146 und 357) auf Beiziehung je eines zweiten gerichtsmedizinischen und psychiatrischen Sachverständigen.

Die Rüge geht fehl.

Sein Begehren, einen zweiten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Gerichtsmedizin beizuziehen, hatte der Beschwerdeführer damit begründet, "daß im Hinblick auf die festgestellten objektiven Spuren an der Oberbekleidung des Peter P*** Blutspuren des Opfers gewesen sein müßten, wenn er tatsächlich als Täter in Frage kommt, da sich aus dem schriftlichen Gutachten des beigezogenen Sachverständigen, das er im Anblick des Tatortes ausführte, ergibt, daß der Täter mit Sicherheit derartige Blutspuren tragen müßte, die insbesondere an der Oberbekleidung und an den Beinen bis in Kniehöhe gereicht haben könnten". In der Folge erweiterte er seinen Antrag dahin, daß der zweite medizinische Sachverständige auch dafür geführt werde, "daß die Haltbarkeit und Erkennbarkeit von Blutspuren zumindest über mehrere Wochen, insbesondere auf Schuhwerk, gegeben ist und auch an der Innenseite der (Autotür-)Schnalle, wo kaum oder nur geringfügige witterungsbedingte Einwirkungen vorliegen". Der Schwurgerichtshof lehnte dieses Beweisbegehren ab und begründete seine Entscheidung damit, daß die den gerichtsmedizinischen Sachverständigen betreffenden Fragen vom vernommenen Experten schlüssig, vollständig und widerspruchslos beantwortet worden seien (Bd. III S 358).

Dem ist mit der Ergänzung beizutreten, daß der Gerichtsmediziner Dr. L*** die von ihm im Vorverfahren gemachten Angaben in Ansehung der Frage, inwieweit die Bekleidung des Täters nach den Umständen Blutspuren aufweisen müsse (Bd. I S 55), in der Hauptverhandlung (Bd. III S 131 f, 138 f, 345 ff) in durchaus einleuchtender Weise relativierte, dem Rechtsmittelvorbringen zuwider also kein bei der Vernehmung des genannten Sachverständigen in der Hauptverhandlung ungeklärt gebliebener Widerspruch zwischen dessen erstem und dem späteren Gutachten besteht. Es liegen demnach die in der Strafprozeßordnung (§§ 118, 125, 126 Abs 1) normierten Voraussetzungen für die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen nicht vor; diese wurden vielmehr bei Stellung des Beweisantrages - der auf die peniblen Ausführungen des Mediziners zum fraglichen Sachkomplex (vgl. insbes. Bd. III S 131 f und 347) überhaupt nicht eingeht - nicht einmal behauptet.

Analoges gilt für den weiteren Antrag, betreffend die Haltbarkeit und Erkennbarkeit von Blutspuren auf Schuhwerk und (Autotür-)Schnalle (Bd. III S 357). Denn auch hier wird nicht einmal der Versuch unternommen, im Antrag Widersprüche oder Mängel im Befund und/oder Gutachten des beigezogenen Gerichtsarztes im Sinne der §§ 125, 126 StPO aufzuzeigen bzw. darzutun, aus welchen Gründen angenommen werden könne, daß trotz der diesbezüglich eindeutigen Angaben des Dr. L*** (vgl. Bd. III S 134, insbes. 346) ein anderer Sachverständiger zu einem abweichenden Ergebnis gelangen könnte.

Die in der Beschwerde nachgetragenen Erwägungen können auf sich beruhen, weil für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses durch den Obersten Gerichtshof nur jene tatsächlichen Anführungen maßgeblich sein können, die dem erkennendee Gericht bei Fällung des Ablehnungsbeschlusses vorgelegen sind (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO 2 § 281 Z 4 Nr. 40 f).

Die Zuziehung eines zweiten medizinischen Sachverständigen wurde aber auch dadurch nicht indiziert, daß Dr. L*** nach dem Vortrag seines Gutachtens auf (amtswegig gefaßten) Beschluß des Schwurgerichtshofes als Zeuge über seine Wahrnehmungen bei der ersten Einvernahme des (damals geständig gewesenen) Angeklagten durch den Untersuchungsrichter mit anschließender Tatrekonstruktion am 24.November 1984 vernommen wurde (Bd. III S 348). Denn wenngleich Sachverständige im Prozeß grundsätzlich nicht zugleich auch als Zeugen fungieren sollen, ist eine derartige Doppelfunktion nach der Strafprozeßordnung an sich nicht ausgeschlossen (vgl. Roeder, Lehrbuch 2 145) und wird, falls die Einvernahme eines Sachverständigen als Zeuge erforderlich ist, die Zuziehung eines anderen Experten nur dann indiziert sein, wenn jener über Sachverhaltswahrnehmungen berichten soll, die er außerhalb des betreffenden Verfahrens tätigte. Dies trifft aber vorliegend nicht zu, weil Dr. L*** über seine Wahrnehmungen bei der ersten Einvernahme des Angeklagten durch den Untersuchungsrichter und mithin über Umstände gehört wurde, die insgesamt seine Befundaufnahme betrafen, der Sache nach die Zeugenaussage also lediglich eine Ergänzung des Befundes zum Ziel und Inhalt hatte. Der Antrag auf Beiziehung eines zweiten psychiatrischen Sachverständigen wurde vom Verteidiger damit begründet (siehe Bd. III S 146 f, 357), daß "in Anbetracht der Schwierigkeit und zweifellos gegebenen psychischen Belastung des Angeklagten vom Beginn seiner Festhaltung bis zur tatsächlichen Untersuchung und lediglich einer Untersuchung von vier Sitzungen gerade auf diesem Sachgebiet keineswegs zweifelsfrei die Wissenschaft so weit fortgeschritten ist, daß derartige, wie heute vom Sachverständigen gezogene Schlüsse zulässig sind".

Damit werden gleichfalls Gründe im Sinne der §§ 118, 125, 126 StPO, welche die Zuziehung eines zweiten Experten erforderlich machten, nicht dargetan, wobei zur Frage der "Schwierigkeit der Begutachtung" im Sinne der erstangeführten Gesetzesstelle vermerkt sei, daß eine solche nur dann gegeben ist, wenn der Sachverständige die ihm vom Gericht vorgelegten Sachfragen entweder gar nicht oder doch nicht mit Bestimmtheit zu beantworten vermag (siehe Mayerhofer-Rieder StPO 2 § 118 Nr. 68). wovon vorliegend keine Rede sein kann.

Soweit auch in diesem Punkt versucht wird, Gründe für die begehrte Beweisaufnahme in der Beschwerde nachzutragen, kann auf das oben hiezu Gesagte verwiesen werden.

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) erblickt der Beschwerdeführer im Unterbleiben "mehrerer Hauptfragen oder Eventualfragen", und zwar nach Totschlag (§ 76 StGB) und nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs 1 und 2 StGB).

Auch insoweit ist er nicht im Recht.

Da er sich in der Hauptverhandlung nicht schuldig bekannte und jegliche Tätlichkeiten gegen Johanna G*** in Abrede stellte, sein Vorbringen also von vornherein keine Eventualfragen hinsichtlich hypothetischer Subsumtionsmöglichkeiten indizierte (vgl. Mayerhofer-Rieder aaO § 314 Nr. 23 und 24) - daß zusätzliche Hauptfragen bei der gegebenen Sachlage aus formalen Gründen nicht in Betracht kamen, muß nach dem Wortlaut des § 314 StPO nicht weiter erläutert werden - könnten, abstrakt gesehen, nur die auf das Geständnis des Angeklagten vor dem Untersuchungsrichter bezugnehmenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Z*** als "Vorbringen" gewertet werden, das Eventualfragen der gewünschten Art erforderlich machte.

Die Beschwerde hebt hier insbesondere jene Passage im Gutachten des Psychiaters hervor, in der er im Rahmen der hypothetischen Tatrekonstruktion ausführte, der Tötungsentschluß sei "wie der Blitz" über den Täter hereingebrochen. Wenn dies zutreffe - so meint die Beschwerde - widerspreche es den Erfahrungen des alltäglichen Lebens, daß ein Täter unter solchen Umständen klaren Gedankens seine Absicht verfolgen könne.

Dem genügt es in Ansehung des Tatbestandes nach § 76 StGB zu erwidern, daß vorliegend die zur Privilegierung der vorsätzlichen Tötung nach der genannten Gesetzesstelle erforderliche allgemeine Begreiflichkeit des behaupteten Affekts auszuschließen ist. Müßte doch, um eine solche annehmen zu können, der konkrete psychische Ausnahmezustand unter Berücksichtigung seines Anlasses bei rechtsethischer Bewertung für jedermann verständlich sein (EvBl 1982/167), wovon aber vorliegend gewiß nicht gesprochen werden kann; hat doch der Angeklagte zum unmittelbaren Anlaß der Affektsituation selbst in einer Weise beigetragen, welche die Vorstellung ausschließt, daß ein rechtstreuer Durchschnittsmensch überhaupt in diese Lage geraten könnte (10 Os 168/83). Denn es liegt außerhalb des Vorstellungsbereiches eines mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen, auf die - wenn auch vielleicht als unangebracht empfundene - Zurückweisung seitens einer fremden Person, deren Wohnung man für sie unvermutet betreten hatte, mit einem heftigen Faustschlag ins Gesicht und auf die dadurch ausgelösten Hilferufe mit einem intensiven Würgeakt zu reagieren, wie der Angeklagte dies nach seiner Verantwortung im Vorverfahren - die der Psychiater seinen hypothetischen Überlegungen zugrunde legte - getan hatte.

Nicht indiziert war aber auch eine Eventualfrage nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge, weil es - der Beschwerde zuwider - keineswegs "den Erfahrungen des täglichen Lebens entspricht", daß ein Tötungsvorsatz bei Handlungen im Affekt ausgeschlossen sei (vgl. ÖJZ-LSK 1976/361), sonst aber kein Vorbringen in der Hauptverhandlung dafür spricht, daß der Angeklagte der Frau die tödlichen Messerstiche in der Absicht, ihr eine schwere Körperverletzung zuzufügen, nicht aber mit dem Vorsatz, sie zu töten, zugefügt haben könnte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zur Gänze zu verwerfen. Bei der Strafbemessung wertete das Geschwornengericht als erschwerend die für das Opfer grausame und brutale Tatausführung, als mildernd den bisherigen untadeligen Lebenwandel des Angeklagten, den Umstand, daß er die Tat nach Vollendung des achtzehnten, aber vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres begangen hatte sowie seine verminderte affektive Ansprechbarkeit bei Begehung des Deliktes in seiner letzten Phase und verhängte über ihn gemäß §§ 36, 75 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vierzehn Jahren. Mit ihren Berufungen streben die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung, der Angeklagte hingegen eine Reduzierung des Strafausmaßes an.

Keines der beiden Rechtsmittel ist begründet.

Der Meinung der Anklagebehörde zuwider kann § 34 Z 1 StGB auch neben § 36 StGB angewendet werden (vgl. Mayerhofer-Rieder, StGB 2 § 34 Nr. 3 a) und wurde mithin dem Angeklagten das Alter unter einundzwanzig Jahren im Tatzeitpunkt zu Recht als mildernd zugute gehalten. Andererseits vermag auch der Angeklagte keine zusätzlichen Milderungsumstände von nennenswerter Bedeutung ins Treffen zu führen. Geht man aber von den erstinstanzlich festgehaltenen Strafzumessungstatsachen aus und legt man namentlich der bisherigen Unbescholtenheit des Angeklagten die gebührende Bedeutung bei, dann erweist sich die vom Geschwornengericht geschöpfte Unrechtsfolge als durchaus tatschuldadäquat und damit keiner Korrektur bedürftig. Es mußte daher beiden Berufungen ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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