OGH 10Os19/86

OGH10Os19/8616.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.September 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael Jörg S*** wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Leoben vom 4.Novenber 1985, GZ 19 Vr 1224/84-93, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Allmer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem bekämpften Urteil wurde der Angeklagte Michael Jörg S*** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB schuldig erkannt.

Darnach liegt ihm zur Last, am 23.August 1984 in Stanz im Mürztal vorsätzlich seine Mutter Anna S*** durch Abgabe eines Schusses aus einem Revolver Taurus Brasil, Kaliber 38 Spezial, getötet und die Gisela K*** durch Abgabe zweier weiterer Schüsse aus dieser Waffe zu töten versucht zu haben. Die Geschwornen hatten die anklagekonform gestellten Hauptfragen I und II (nach Mord und Mordversuch) bejaht und die Zusatzfrage V (nach Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit) verneint; eine Beantwortung der Eventualfragen III und IV (nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge bei Anna S*** und mit schweren Dauerfolgen bei Gisela K***) war demgemäß unterblieben. Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf die Z 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) rügt der Beschwerdeführer das Unterbleiben von Eventualfragen in der Richtung des Totschlages nach § 76 StGB (im Fall Anna S***) und des versuchten Totschlages nach §§ 15, 76 StGB (im Fall Gisela K***); dies jedoch zu Unrecht.

Gemäß § 76 StGB ist wegen Totschlages (nur) zu bestrafen, wer sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen läßt, einen anderen zu töten.

Es bedarf somit nicht nur des Vorliegens einer heftigen Gemütsbewegung, diese muß vielmehr allgemein begreiflich sein, das heißt, der tiefgreifende und zur Tatzeit noch nicht abgeklungene Affekt des Täters muß derart entstanden sein, daß sich auch ein rechtstreuer Durchschnittsmensch vorstellen könnte, in der Situation des Täters (unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles) gleichfalls in eine solche Gemütsverfassung zu geraten. Zwar nicht die Tat, wohl aber die konkrete Gemütsbewegung des Täters in ihrer gesamten zum Zurückdrängen verstandesmäßiger Erwägungen und zur Überwindung starker sittlicher Hemmungen geeigneten Dimension, also einschließlich ihrer tatkausalen Heftigkeit, in Relation zu dem sie herbeiführenden Anlaß unterliegt rechtsethischer Bewertung und muß (auch) sittlich verständlich sein.

Sittlich verwerfliche Charaktereigenschaften oder Beweggründe können

jedenfalls keine Grundlage für eine allgemeine Begreiflichkeit der

heftigen Gemütsbewegung des Täters abgeben (Leukauf-Steininger Komm

zum StGB 2 RN 5 zu § 76; Kienapfel BT I 2 RN 26 bis 31 zu § 76;

Moos im WK Rz 29 f, 37 zu § 76; EvBl 1982/167 = ÖJZ-LSK 1982/86;

JBl 1986, 261; EvBl 1976/119 = RZ 1975/97 ua).

Gewiß waren nach den Verfahrensergebnissen, auf die sich der Beschwerdeführer bezieht, Indizien für einen Affektzustand, somit eine heftige Gemütsbewegung des Angeklagten gegeben; daß diese auch als allgemein begreiflich anzusehen wäre, war hingegen in keiner Weise indiziert.

In dieser Richtung bietet auch die Verantwortung des Angeklagten, auf die er sich in seiner Nichtigkeitsbeschwerde bezieht, keine Handhabe. Denn diese geht mit dem Vorbringen einer Erinnerungslosigkeit, eines Unvermögens, zu erklären, warum er die Tat, die über ihn "hereingebrochen" sei, begangen habe, und mit der Berufung auf einen "verstärkten Zuspruch zum Alkohol" (S 334 ff, 339, 367/II) insgesamt eindeutig in die Richtung einer Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB.

Ein wirtschaftlicher Niedergang (in den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten) und das Scheitern seiner Ehe betrifft überhaupt nur die Vorgeschichte. Aus der Aussage der Zeugin F*** hinwieder ist nichts über den konkreten Anlaß einer Erregung des Angeklagten zu entnehmen.

Das Gutachten des Sachverständigen Dr.Zigeuner, auf das sich der Angeklagte in der Nichtigkeitsbeschwerde gleichfalls beruft, bezeichnet als Ursache der Tat die aggressiven Züge des Angeklagten, die aus seinem Versagen an durchschnittlichen Lebensanforderungen resultierten, mithin eine verwerfliche Charaktereigenschaft (S 358/II), die im übrigen auch im Gutachten des Sachverständigen Dr.Mathiaschitz deutlich dargestellt wurde (S 361 ff, 365/II). Die Gesprächsablehnung durch die Mutter, auf die der Beschwerdeführer gleichfalls unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.Zigeuner verweist, hinwieder ist für sich allein kein allgemein begreiflicher Anlaß für die konkrete Heftigkeit der Erregung in einer Weise, daß sie zur Überwindung der sittlichen Hemmungen gegen tödliche Schüsse auf zwei nahestehende Menschen geeignet ist. Eine Fragestellung der relevierten Art unterblieb daher zu Recht. Eine unrichtige Rechtsbelehrung (Z 8) erblickt der Beschwerdeführer vorerst in der Ausführung des Schwurgerichtshofes, daß das Motiv des Täters für die Strafbarkeit grundsätzlich ohne Bedeutung sei, sondern nur für die Straffrage bedeutsam sein könne (Seite 407/II); der Beweggrund könne nach Meinung des Beschwerdeführers sehr wohl von Bedeutung sein, "insbesondere wenn man sich die Tatbildmerkmale des § 76 StGB vor Augen führt, wo Beweggründe, nämlich eine heftige Gemütsbewegung, sehr wohl eine Rolle für eine andere rechtliche Beurteilung der Tat spielen können". Dieser Einwand geht fehl. Denn eine Erregung ist kein Beweggrund (im Sinne eines Motivs), sondern nur ein Zustand, der die Aktivierung eines Motivs zum Tatentschluß allenfalls fördern mag. Außerdem waren, wenn - wie vorliegend - Fragen in der Richtung des (zum Teil versuchten) Totschlages nicht gestellt worden, auch keine Belehrungen hiezu zu erteilen (Mayerhofer/Rieder, StPO 2 , E 20 f zu § 345 Abs. 1 Z 8).

Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers liegt auch in jener Passage der Rechtsbelehrung, in der auf "gezielte Schüsse" verwiesen wird (S 411/II) keine Unrichtigkeit. Denn der Schwurgerichtshof brachte unmißverständlich zum Ausdruck, daß dieser Umstand bei der sorgfältigen Prüfung der Beweislage zwar "von großer Wichtigkeit" für die Beurteilung der subjektiven Tatseite scheine, nichtsdestoweniger aber hiefür nur ein neben den anderen Tatumständen heranzuziehendes Indiz darstellte. Damit wurde nur eine faktische Relevanz für die Annahme der Vorsatzart (Absicht) aufgezeigt, die in der Rechtsbelehrung an sich überflüssig ist. Es wäre dies vielmehr Aufgabe der gemäß § 323 Abs. 2 StPO abzuhaltenden Besprechung gewesen. Eine unrichtige Rechtsbelehrung wurde damit jedoch nicht erteilt. Außerdem war dieser Hinweis keineswegs zur Irreführung darüber geeignet, ob die Abgabe eines gezielten Schusses den Tatbestand des Mordes nach § 75 StGB oder jenem der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 StGB verwirklicht. Aus den angeführten Gründen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren.

Es wertete bei der Strafbemessung eine einschlägige Vorstrafe und den Umstand, daß durch die Tathandlungen des Angeklagten neben dem Tod einer Person noch die schwere Verletzung einer weiteren mit Dauerfolge zu beklagen ist, als erschwerend, dagegen ein Tatsachengeständnis des Angeklagten, den Umstand, daß eine Tat beim Versuch blieb und einen zwar die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten nicht ausschließenden, aber immerhin vorhandenen, aus familiären Umständen erwachsenen Erregungszustand als mildernd. Der Berufung des Angeklagten, mit der er eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt, kommt keine Berechtigung zu. Entgegen dem Vorbringen des Berufungswerbers kommt ihm der Milderungsgrund des § 34 Z 2 StGB nicht zustatten. Angesichts einer Vorstrafe wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung, deren Opfer gleichfalls eine dem Angeklagten nahestehende Person war, die ein Gespräch mit ihm abgelehnt hatte, kann weder von einem ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten gesprochen werden, noch davon, daß die (nunmehrigen) Taten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stünden.

Die Familienverhältnisse des Angeklagten wurden im Urteil des Geschwornengerichtes als Wurzel für den Erregungszustand ohnedies als mildernd berücksichtigt. Die sich auf solche Umstände stützenden Ausführungen in der Berufung vermögen keinen weiteren Milderungsgrund aufzuzeigen.

Die psychische Verfassung des Angeklagten, auf die verwiesen wird, kann keineswegs überbewertet werden. Bereits aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr.Zigeuner leuchtet nämlich hervor, daß die Verantwortung des Angeklagten einem Verdrängungsmechanismus entspricht und die Taten eine Entladung aufgestauter aggressiver Verhaltensweisen darstellten (Seite 357 f/II). Im Gutachten des Sachverständigen Dr.Mathiaschitz wird deutlich darauf hingewiesen, daß die Tathandlungen des Angeklagten der Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls nach einem jahrelangen auf Grund eigenen persönlichen Versagens verfehlten Leben als "Vergeltung" und "Denkzettel" ohne besondere Emotion, sondern eiskalt und sachlich verübt wurden (S 361 ff/II).

Auch dem ergänzenden Vorbringen im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung, wonach sich der Zustand des Tatopfers Gisela K*** zum Besseren gewendet habe, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Denn selbst zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung (im zweiten Verfahrensgang) vermochte sie sich nach der Aussage ihres behandelnden Arztes, des Zeugen Dr.K***, nur zur Not auf Krücken fortzubewegen (S 341/II), leidet nach der Bekanntgabe ihres Ehemannes (S 321/II) nach wie vor an nahezu unerträglichen Schmerzen, die schwerste Depressionen verursachen, und ist augenscheinlich durch die Taten des Angeklagten nachdrücklich psychisch beeinträchtigt (S 341/II).

Angesichts der vom Geschwornengericht durchaus zutreffend festgestellten und gewerteten Strafzumessungsgründe erscheint die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe keineswegs überhöht. Sie entspricht vielmehr der tat- und täterbezogenen Schuld. Auch der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

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