OGH 14Ob132/86 (14Ob133/86)

OGH14Ob132/86 (14Ob133/86)16.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Robert Müller und Dr. Gerald Mezricky als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) mj. Andreas S***, Kfz-Lehrling, Baden, Isabellastraße 2, vertreten durch die Mutter Waltraud S***, ebendort wohnhaft, diese vertreten durch Dr. Viktor Wolczik und Dr. Alexander Knotek, Rechtsanwälte in Baden, 2.) mj. Christian D***, Hilfsarbeiter, Berndorf, Dr. Pötchergasse 2/2/3/11, vertreten durch die Mutter Brigitte D***, ebendort wohnhaft, diese vertreten durch Dr. Günther Csar, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Josef R***, Automechanikermeister, Tribuswinkel, Bründelgasse 37, vertreten durch Dr. Peter Smetana, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Feststellung und Zahlung von S 6.380,-- sA bzw. S 26.452,07, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 20. Februar 1986, GZ. 4 Cg 14/85-12, womit infolge Berufungen der beklagten Partei gegen die Urteile des Arbeitsgerichtes Wiener Neustadt vom 23. April 1985, GZ. Cr 20/85-4, und vom 4. März 1985, Cr 260/84-4, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Keiner der beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.737,09 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 339,74 Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu 3/10 (Erstkläger) bzw. 7/10 (Zweitkläger) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beide Kläger behaupten, vom Beklagten, ihrem Lehrberechtigten, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein. Der gegen sie erhobene Vorwurf des Diebstahls einer Spraydose (Erstkläger) und einer Zündkerze (Zweitkläger) sei nicht berechtigt. Sie begehren die Feststellung des aufrechten Bestehens ihres Lehrverhältnisses bis zum Zeitpunkt des Eingehens eines neuen Lehr- bzw. Arbeitsverhältnisses und die Zahlung der Lehrlingsentschädigung bis zu diesem näher bezeichneten Zeitpunkt in der Höhe von S 6.380,-- bzw. S 26.452,07, jeweils sA.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Die Entlassung sei gerechtfertigt, weil der Erstkläger aus dem Besitze des Beklagten eine Spraydose und der Zweitkläger eine Zündkerze gestohlen hätten. Beide Kläger hätten die Diebstähle zugegeben. Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt. Es nahm die behaupteten Diebstähle nicht als erwiesen an und gelangte daher zu der Auffassung, die Entlassungen seien unberechtigt erfolgt. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es die Klagebegehren bis auf den von ihm bestätigten Zuspruch eines auf aliquote Sonderzahlungen entfallenden Teilbetrages von S 892,31 sA an den Zweitkläger im klagsabweisenden Sinn abänderte. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs.1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende für das Revisionsverfahren wesentliche Feststellungen:

Das Lehrverhältnis des Erstklägers begann am 20.8.1984, jenes des Zweitklägers am 27.8.1984. In der Zeit der Beschäftigung der Kläger fiel dem Beklagten ein ungewöhnlich großer Schwund an Werkzeugen und Kleinmaterial auf. Da ungeachtet eines vom Beklagten mit seinen Mitarbeitern geführten Gespräches weiterhin Material abhanden kam und eine Nachschau des Beklagten im Hause der ihm bekannten Eltern des (dritten) Lehrlings Karl N*** kein Diebsgut zutage brachte, richtete sich der Verdacht auf die beiden Kläger, mit deren Arbeitsleistung der Beklagte an sich zufrieden war. Ende September 1984 machte der Erstkläger zu Karl N*** die Bemerkung, er werde eine Spraydose "mitgehen lassen". Am 4.11.1984 fand der Beklagte in einem Kasten der Garderobe zwei Spraydosen. Da er den Erstkläger, den er an einem Sonntag auf dem Betriebsgelände gesehen hatte, verdächtigte, die beiden Dosen zum Mitnehmen im Kasten deponiert zu haben, rief er ihn ins Büro. Er stellte die beiden Spraydosen vor dem Erstkläger auf den Tisch und fragte ihn, wieviele Spraydosen er schon gestohlen habe. Der Erstkläger antwortete: "Nur eine". Der Beklagte holte daraufhin den Lehrling Karl N*** und forderte den Erstkläger auf, vor seinem Kollegen das Geständnis zu wiederholen. Der Erstkläger gab den Diebstahl daraufhin neuerlich zu. Der Beklagte verständigte sodann den Vater des Erstklägers und sprach in dessen Anwesenheit die Entlassung des Erstklägers aus. Als dieser den Betrieb verließ, machte er die Bemerkung: "Wie komme ich wegen einer Kleinigkeit dazu, und Christian (gemeint der Zweitkläger) hat die Kerzen". Nach der Mittagspause ersuchte der Beklagte seinen Sohn, sich im Nebenzimmer des Büros aufzuhalten, um das folgende Gespräch mitanzuhören. Dann holte er den Zweitkläger in das Büro und sagte zu ihm, er wolle wissen, wieviele Kerzen er gestohlen habe. Der Zweitkläger antwortete: "Nur eine, und zwar aus der gelben Schachtel". Der Beklagte verständigte hierauf die Eltern des Zweitklägers und sprach vor diesen dessen Entlassung aus. Der Erstkläger hatte in der Zeit zwischen dem 20.8. und dem (14.11.1984, richtig:) 4.11.1984 eine Lackspraydose im Wert von S 70,-- gestohlen, der Zweitkläger in der Zeit vom 27.8. bis 4.11.1984 eine Zündkerze im Wert von S 40,--. Der Beklagte wiederholte die Entlassungserklärungen mit Schreiben vom 5.11.1984. Danach stellte er keinen außergewöhnlichen Werkzeug- bzw. Materialschwund mehr fest. Er nahm in der Folge wieder zwei Lehrlinge auf. Der Erstkläger trat am 20.1.1985 in ein neues Lehrverhältnis, der Zweitkläger am 5.8.1985 in ein Arbeitsverhältnis ein. Die Entgeltansprüche des Erstklägers betragen für die Zeit von der Entlassung bis 20.1.1985 S 6.380,--, jene des Zweitklägers für die Zeit bis 5.8.1985 S 26.323,07.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, die Entlassung sei trotz des verhältnismäßig geringen Wertes der gestohlenen Sachen gerechtfertigt. Ein Dienstnehmerdiebstahl zerstöre das notwendige Vertrauensverhältnis.

Gegen diese Entscheidung richten sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Revisionen der Kläger mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt. Der Beklagte beantragt, den Revisionen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Keine der beiden Revisionen ist berechtigt.

Gemäß dem § 15 Abs.3 lit.a BAG kann ein Lehrverhältnis vorzeitig aufgelöst werden, wenn sich der Lehrling eines Diebstahls schuldig macht. Da bei beiden Klägern ein Diebstahl zum Nachteil ihres Lehrberechtigten feststeht, ist nur die in den Revisionen relevierte Frage von Bedeutung, ob die Entlassung trotz des verhältnismäßig geringen Wertes der gestohlenen Sachen gerechtfertigt ist. Grundsätzlich kommt es bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit einer auf einen Diebstahl gestützten Entlassung auf den Wert des Deliktsobjekts nicht an. Nach Lage der Umstände des Einzelfalles kann aber bei einer nahezu wertlosen Sache das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers (Lehrlings) fehlen und die Entlassung daher ungerechtfertigt sein (Kuderna, Das Entlassungsrecht, 62 f; Arb 7824). Für das Fehlen dieser Unzumutbarkeit können im besonderen die Schuldintensität, die näheren Umstände, unter denen die Tat begangen wurde, wie etwa eine Zwangslage oder eine Anstiftung, der Kontrast zu dem sonstigen Verhalten des Arbeitnehmers oder dessen Alter und Einsichtsfähigkeit von Bedeutung sein (Kuderna, DRdA 1967,229). Mag der Wert der dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer gestohlenen Sache auch gering sein, so erkennt der Arbeitgeber doch, daß es der Arbeitnehmer mit fremdem Eigentum nicht genau nimmt, und er gerät in Sorge um sein Eigentum, zumal dessen Schutz in vielen Fällen nur sehr beschränkt möglich ist (Arb.8227). Ein Diebstahl führt daher in der Regel zur Vertrauensunwürdigkeit des betreffenden Arbeitnehmers, zumal dieser im allgemeinen einen nur wenig beschränkten Zugang zur Vermögenssphäre seines Arbeitgebers besitzt (vgl. Tomandl, ZAS 1966,140).

Im vorliegenden Fall könnte nur das Alter der Kläger von etwa 16 Jahren und 15 1/2 Jahren dafür sprechen, daß dem Beklagten die Weiterbeschäftigung allenfalls zumutbar gewesen wäre. Konkrete Umstände, welche die Einsichtsfähigkeit der Kläger einschränken, wurden aber weder behauptet noch festgestellt. Dazu kommt, daß die Kläger zwar die Diebstähle zunächst zugegeben haben, daß sie aber, nachdem sich ihre Eltern beim Beklagten eingefunden hatten, die Diebstähle und das Geständnis wieder abstritten, sodaß nicht mit Grund anzunehmen war, sie würden das Unrechtmäßige ihrer Tat einsehen und sich künftig wohlverhalten. Ein Kontrast zu ihrem bisherigen Verhalten liegt ebenfalls nicht auf der Hand, weil das Lehrverhältnis bei beiden Klägern erst kurz vorher begonnen hatte. Irgendwelche anderen persönlichen Entschuldigungsumstände wie Anstiftung, Zwangslage oder verminderte Schuldintensität liegen gleichfalls nicht vor, sodaß dem Beklagten die Weiterbeschäftigung trotz des verhältnismäßig geringen Wertes der gestohlenen Sachen tatsächlich nicht zumutbar war. Daß die Staatsanwaltschaft die Anzeige gegen die beiden Kläger gemäß dem § 90 Abs.1 StPO abgelegt hat, ist für die Beurteilung des Vorliegens dieses Entlassungsgrundes ohne Bedeutung.

Die Entlassung der Kläger erweist sich sohin auf der Grundlage der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Feststellungen als gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41, 46 und 50 ZPO begründet. Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung war nur eine Revisionsbeantwortung notwendig (§ 22 RATV).

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