OGH 11Os138/86

OGH11Os138/8615.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. September 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kastner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Wolfgang H***, AZ 16 Vr 999/86-23 des Landesgerichtes St. Pölten, wegen des Verbrechens des Amtsmißbrauches nach dem § 302 Abs. 1 StGB über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 25. Juli 1986, AZ 24 Ns 797/86, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben, der Antrag der Staatsanwaltschaft Wien auf Zuweisung der Strafsache gemäß dem § 62 StPO an das Kreisgericht St. Pölten abgewiesen und dem Oberlandesgericht Wien aufgetragen, über den der Sache nach als Ablehnungsantrag zu wertenden Antrag der Staatsanwaltschaft Wien nach allfälliger Verfahrensergänzung nach dem § 74 StPO zu entscheiden.

Text

Gründe:

Gegen den (derzeit suspendierten) Richter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien Dr. Wolfgang H*** erhob die Staatsanwaltschaft Wien am 9. Mai 1986 zu 27 St 14.902/86-8 Anklage wegen des Verbrechens des Amtsmißbrauches nach dem § 302 Abs. 1 StGB mit dem Vorwurf, er habe am 7. März 1986 in Wien seine Befugnisse als Richter zum Schaden des Bundes dadurch wissentlich mißbraucht, daß er sich unter Umgehung des zuständigen Untersuchungsrichters einen Häftling zur Vernehmung vorführen ließ, um ihn privat zu befragen (ON 18). Diese Anklage erwuchs am 14. Mai 1986 infolge Verzichts auf einen Einspruch in Rechtskraft (S 3 h). Nach Übermittlung des Aktes an den Vorsitzenden beantragte die Staatsanwaltschaft Wien am 19. Juni 1986 die Vorlage des Aktes an das Oberlandesgericht Wien und stellte den Antrag, "gemäß § 62 StPO den Akt an das Kreisgericht St. Pölten zu delegieren, da die Durchführung der Hauptverhandlung an jenem Gerichtshof, wo der Angeklagte Richter ist, dem Ansehen der Justiz abträglich sein könnte" (S 3 j). Zu diesem Antrag gab der Angeklagte mündlich zunächst keine Stellungnahme ab (ON 19), beantragte jedoch mit dem am 2. Juli 1986 bei Gericht eingelangten Schriftsatz, der Delegierung nicht stattzugeben und die Strafsache einem Vorsitzenden zuzuteilen, der sich nicht für befangen hält (ON 21).

In der Zwischenzeit hatte sich der nach der Geschäftsverteilung zuständige Vorsitzende (ebenso wie während der Voruntersuchung mehrere Untersuchungsrichter) für befangen erklärt, sodaß die Strafsache einem anderen Vorsitzenden zur weiteren Erledigung zugeteilt werden mußte (ON 3, 18 a sowie die in ON 4 des Aktes 24 Ns 797/86 des Oberlandesgerichtes Wien erliegenden Ablichtungen der Jv-Akten).

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Oberlandesgericht Wien die Strafsache dem Kreis(jetzt: Landes-) gericht St. Pölten im wesentlichen mit der Begründung zu, daß die Durchführung des Verfahrens bei dem Gerichtshof, bei dem der Angeklagte als Richter ernannt ist und bis zuletzt tätig war, dem Ansehen der Justiz abträglich wäre, insbesondere müsse auch dem Schein einer Parteilichkeit entgegengetreten werden; eine Entscheidung nach dem § 74 StPO komme nicht in Frage, weil sich nicht alle Richter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien befangen erklärten. Der dagegen erhobenen Beschwerde kommt - entgegen der Meinung der Generalprokuratur - insoweit Berechtigung zu, als das Vorliegen eines Delegierungsgrundes negiert wird.

Rechtliche Beurteilung

Davon ausgehend, daß jede Delegierung den Gerichtsstand verändert, sind die Bestimmungen der §§ 62, 63 StPO - angesichts des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG) - streng auszulegen: Neben den "Rücksichten der öffentlichen Sicherheit" können nur solche Gründe als "wichtig" und damit einen derartigen Eingriff rechtfertigend qualifiziert werden, die in ihrer Bedeutung - sei es für die öffentliche Ordnung oder zum Schutz der Interessen des Angeklagten - ähnlich schwer wiegen (Mayerhofer-Rieder 2 E 3 bis 5 zu § 62 StPO).

Derartige Gründe nannte weder die Staatsanwaltschaft, noch sind solche der bekämpften Entscheidung zu entnehmen. Das Oberlandesgericht brachte - im Einklang mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft - lediglich zum Ausdruck, daß es dem Ansehen der Justiz schaden würde, wenn auch nur der Anschein entstünde, es könnten in die Entscheidung sachfremde Erwägungen einfließen. Das läuft aber auf die Befürchtung hinaus, volle Unbefangenheit könnte auch bei jenen Richtern nicht gegeben sein, die sich subjektiv nicht für befangen erachten und daher auch keine entsprechende Anzeige erstatteten (§ 72 StPO).

Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertigen aber Befangenheitsüberlegungen keine Delegierung. Vielmehr sind alle mit Befangenheit zusammenhängenden Verfahrenshandlungen abschließend in den §§ 72 bis 74 a StPO geregelt (Mayerhofer-Rieder 2 , E 12, 13 zu § 62 StPO). Eingaben, die inhaltlich die Befangenheit einzelner oder aller Richter eines Gerichtes behaupten, sind demnach (auch) als Ablehnungsanträge zu behandeln; dies selbst dann, wenn sie formell nur eine Delegierung reklamieren (§ 183 Abs. 1 GeO). Demnach sind sie in dem für Ablehnungen vorgesehenen Verfahren zu prüfen, wobei es - entgegen der Meinung des Oberlandesgerichtes Wien - nicht erforderlich ist, daß sich die angesprochenen Richter auch tatsächlich für befangen erklären; es ist ihnen lediglich Gelegenheit zur Äußerung einzuräumen (§ 183 Abs. 3 GeO), um den entscheidungsbefugten richterlichen Organen (Vorsteher oder Präsidenten oder Senat des Gerichtes) ausreichende Beurteilungsgrundlagen zu geben. Es steht außer Zweifel, daß Befangenheitsanträgen - etwa aus bestimmten, (auch) an den von der rechtstreuen Bevölkerung an die Unparteilichkeit der Gerichte gestellten Erfordernissen zu messenden Gründen - auch dann stattgegeben werden kann, wenn der einzelne Richter seine Objektivität nicht in Zweifel zieht. Eine gegenteilige Auffassung hätte ja zur Folge, daß ein Richter gegen seinen Willen nie mit Erfolg abgelehnt werden könnte.

Es war daher verfehlt, den Bedenken gegen die Unparteilichkeit aller Richter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien durch einen Delegierungsbeschluß Rechnung zu tragen. Es wird aber - nach Prüfung, ob das vorgeschriebene Verfahren nach dem § 183 GeO eingehalten wurde - eine Entscheidung nach dem § 74 StPO zu fällen sein (vgl. auch 11 Nds 97/86 und 24 Ns 1030/86 des Oberlandesgerichtes Wien).

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