OGH 12Os74/86

OGH12Os74/8611.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof. Dr. Steininger, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Steinhauer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas G* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2, zweiter Fall, StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 26. März 1986, GZ 7 Vr 273/85‑58, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Gaigg, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00074.86.0911.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

I. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Punkt 1 des Urteilssatzes (wegen Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB) sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Andreas G* wird von der Anklage, er habe am 23. April 1985 in Wallern Richard G* durch die Äußerung, er erschieße ihn, er bringe ihn um, mit dem Tode gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, und er habe hiedurch das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Für das ihm nach dem Punkt 2 des erstinstanzlichen Schuldspruchs zur Last fallende Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und 2, zweiter Fall, StGB wird Andreas G* nach § 87 Abs. 2, zweiter Strafsatz, StGB zu einer Freiheitsstrafe von

vier Jahren

verurteilt.

II. Mit seiner den Punkt 1 des erstinstanzlichen Schuldspruchs betreffenden Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die zu I. getroffene Entscheidung verwiesen; im übrigen wird seine Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

III. Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas G* (zu 1.) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie (zu 2.) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung (mit Todesfolge) nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2, zweiter Fall, StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 23. April 1985 in W*

(1.) seinen Bruder Richard G* durch die Äußerungen, er erschieße ihn (und) er bringe ihn um, gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, und ihm sodann

(2.) durch einen Schuß mit einer Schrotflinte aus 3 bis 4 m Entfernung gegen den Bauch eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, die (am 23. Mai 1985) den Tod des Verletzten zur Folge hatte.

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Gründe der Z 5, 9 lit. a, 9 lit. b und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlaß dieser Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, daß das Urteil im Schuldspruch wegen Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) mit einer vom Angeklagten nicht geltend gemachten, sich zu seinem Nachteil auswirkenden materiellen Nichtigkeit im Sinn der Z 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO behaftet ist, die gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen aufzugreifen war (SSt. 51/35). Das Erstgericht hat übersehen, daß die nach § 107 (Abs. 1 oder) Abs. 2 StGB strafbare gefährliche Drohung gegen den Bruder des Angeklagten gerichtet und damit gemäß § 107 Abs. 4 StGB nur mit Ermächtigung des Bedrohten zu verfolgen war (Leukauf-Steininger Komm2 § 107 RN 20), eine solche nach der Aktenlage aber fehlt. Dieses im materiellen Strafrecht (§ 107 Abs. 4 StGB) statuierte Verfolgungshindernis begründet Nichtigkeit des Urteils gemäß § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO (vgl. ÖJZ-LSK 1976/134 uam) und hatte die Aufhebung des davon betroffenen (Teil‑)Schuldspruchs wegen Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) sowie den sofortigen Freispruch des Angeklagten Andreas G* vom bezüglichen Anklagepunkt zur Folge. Auf das (ausschließlich) andere Nichtigkeitsgründe relevierende Beschwerdevorbringen des Angeklagten gegen diesen Teil des Schuldspruchs war nicht mehr einzugehen. Zum Schuldspruch wegen Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung (Punkt 2 des Urteilssatzes) reklamiert der Angeklagte unter Anrufung der Z 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO den Rechtsfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB), allenfalls den Entschuldigungsgrund der Putativnotwehr (§ 8 erster Satz StGB); diese Einwände gehen indes fehl.

Nach den hier wesentlichen Urteilsfeststellungen hatte Richard G* in einer Buschenschenke mit dem Angeklagten eine zunächst verbale, dann in Tätlichkeiten ausartende Auseinandersetzung begonnen, in deren Verlauf der Angeklagte Andreas G* durch ein in der Hand des Richard G* zerbrechendes Weinglas an der Stirn verletzt wurde; in der Folge wartete Richard G* vor dem Wohnhaus des Angeklagten dessen Kommen ab und versetzte ihm mit den Worten „Na, bist schon da, glaubst, ich hab Angst vor dir, da hast noch eine“, einen Schlag gegen den Hinterkopf, wodurch der Angeklagte zu Boden stürzte. Hierauf begab sich der Angeklagte in sein Haus, lud seine doppelläufige Schrotflinte und trat damit wieder auf die Straße, um sich bei seinem Bruder mit der Waffe „Respekt zu verschaffen“ und ihn durch Zufügen einer Schußverletzung „zur Räson zu bringen“. Richard G*, der inzwischen weitergegangen war, drehte sich hierauf um und beide - der Angeklagte das Gewehr in Hüfthöhe haltend, Richard G* mit den Worten „Glaubst du, jetzt habe ich Angst vor deinem Gewehr“ - gingen (nunmehr) aufeinander zu. Als sie noch etwa 7 bis 8 m voneinander entfernt waren, sagte der Angeklagte: "Bleib stehen und erklär mir, was du von mir willst", worauf Richard G* erwiderte: „Glaubst, ich habe Angst vor dir; ich brich dich mitsamt dem Gewehr zusammen.“ Daraufhin schoß der Angeklagte aus einer Entfernung von zirka 3 bis 4 m gegen seinen Bruder und fügte ihm einen Schrotschuß in den Bauchraum zu, an dessen Folgen Richard G* einen Monat später starb (US 3 bis 7 = AS 43 bis 47/II).

Ausgehend von diesem Urteilssachverhalt ergibt sich in bezug auf das in Rede stehende Beschwerdevorbringen, daß der Angeklagte in Ausführung seines Entschlusses, seinem Bruder eine Schußverletzung zuzufügen, mit dem geladenen Gewehr vor sein Haus auf die Straße trat, als ein Angriff des Richard G* auf seine körperliche Unversehrtheit nicht (mehr) vorlag, weil der Genannte bereits im Begriff war, sich zu entfernen, womit sich aber - recht besehen - das Verhalten des Angeklagten, der in der Folge mit der Waffe auf seinen Bruder (jedenfalls) zuging, um ihm wie geplant eine Schußverletzung zuzufügen - das in der Nichtigkeitsbeschwerde bekämpfte (Strafzumessungs‑)Argument des Erstgerichts, der Angeklagte sei seinem Bruder „nachgegangen“ (US 16 = AS 56/II), kann hier durchaus außer Betracht bleiben -, seinerseits als ein von entsprechendem Angriffswillen getragener rechtswidriger, weil durch keine Notwehrlage gerechtfertigter Angriff gegen seinen Bruder darstellte, der nunmehr Richard G* (grundsätzlich) zur Notwehr berechtigte; kann doch bei einem abgeschlossenen Angriff auch der (ursprüngliche) Angreifer sehr wohl nachfolgend selbst in eine Notwehrsituation geraten (SSt. 48/82). Wenngleich in einem solchen Fall eines schuldhaft - jedoch nicht geradezu im Sinne einer „Absichtsprovokation“ nur um der Abwehr willen (vgl. SSt. 51/58) - provozierten Angriffs an die Erforderlichkeit der Verteidigung strengere Anforderungen gestellt werden als bei der Abwehr eines unprovozierten Angriffs (SSt. 49/39; JBl. 1982, 101; ÖJZ-LSK 1983/19), hat Richard G* das darnach gerechtfertigte Maß der Verteidigung dadurch, daß er dem Angeklagten mit Tätlichkeiten drohend entgegentrat, nicht überschritten, sodaß auch unter diesem Gesichtspunkt für den Angeklagten nichts zu gewinnen ist.

Schon mangels einer für ihn vorgelegenen Notwehrsituation im Zeitpunkt der Tat kommt daher dem Angeklagten in bezug auf die tödliche Schußverletzung seines Bruders Richard G* der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB) nicht zustatten. Putativnotwehr hinwieder würde die irrtümliche Annahme eines zur Notwehr berechtigenden Sachverhalts durch den Angeklagten voraussetzen (§ 8 erster Satz StGB). Eine solche Verkennung der tatsächlichen Situation durch den Angeklagten - etwa infolge des von ihm behaupteten Angstzustands - läßt sich aber weder dem Urteilssachverhalt entnehmen noch finden sich objektive Hinweise in dieser Richtung im Akteninhalt, sodaß auch von einem Feststellungsmangel diesbezüglich keine Rede sein kann. Eine Urteilsnichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO ist daher hinsichtlich des Schuldspruchfaktums 2 in keiner Richtung gegeben.

Soweit die Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) hier noch zu erörtern ist, wendet sie sich gegen die vom Erstgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen einer außerordentlichen Strafmilderung angestellte Rückfallsprognose (§ 41 StGB). Dieses Vorbringen berührt aber keine im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens entscheidungswichtige Tatsache. Die Nichtanwendung des § 41 StGB ist vielmehr nur mit Berufung zu bekämpfen (ÖJZ‑LSK 1977/7), weshalb insoweit keine prozeßordnungsgemäße Ausführung eines Nichtigkeitsgrundes vorliegt.

Im meritorisch zu behandelnden Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Andreas G* sohin zu verwerfen.

Bei der durch die Teilaufhebung des Urteils notwendig gewordenen Neubemessung der Freiheitsstrafe war erschwerend, daß der Getötete vor seinem Tode einen Monat hindurch in einen äußerst qualvollen Zustand versetzt worden war, mildernd hingegen waren der bisher ordentliche Lebenswandel, das umfassende reumütige Geständnis, das bei der gegebenen Beweislage auch wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, die auf eine Kriegsverwundung zurückzuführende traumatische Hirnverletzung, welche eine verminderte Belastbarkeit des Angeklagten zur Folge hatte, sowie die Provokation durch den Getöteten. Diese Milderungsgründe, insbesondere diese Besonderheit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und das seine Überführung ermöglichende Geständnis überwiegen den einzig vorhandenen Erschwerungsgrund dem Gewichte nach beträchtlich. Da die Zukunftsprognose des Angeklagten im Hinblick auf sein bisher strafloses Vorleben und seine soziale Integration günstig ist, erachtet der Oberste Gerichtshof die Voraussetzungen für die Anwendung des § 41 StGB für gegeben.

Die aus dem Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe trägt den im § 32 StGB normierten allgemeinen Grundsätzen für die Strafbemessung Rechnung, wird dem von der Schuld des Angeklagten erfaßten tatsächlichen Unrechtsgehalt der Tat gerecht und nimmt auch auf die Täterpersönlichkeit des Angeklagten gebührend Bedacht. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

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