OGH 11Os114/86

OGH11Os114/8614.8.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.August 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Weitzenböck als Schriftführer in der Strafsache gegen Georg S*** und Kurt S*** wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 (1. Fall) StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten Kurt S*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 17.April 1986, GZ 8 Vr 598/86-27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt bzw. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (in seinen den Angeklagten Georg S*** betreffenden Aussprüchen sowie im Schuldspruch zu I/1 betreffend Kurt S***) unberührt bleibt, im Schuldspruch des Kurt S*** wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs 1 StGB und demgemäß auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Anrechnung der Vorhaft) aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Kurt S*** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ua der am 11.Februar 1961 geborene beschäftigungslose Kurt S*** der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 (1. Fall) StGB (I/1 des Schuldspruches) und der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs 1 StGB (I/2 des Schuldspruches) schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 11. Februar 1986 in Graz den Wolf Dieter K*** dadurch vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht zu haben, daß er ihn aus einem Straßenbahnwagen stieß (I/2 des Urteilssatzes) und danach im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem Mitangeklagten Georg S*** den Wolf Dieter K***, der sich inzwischen als Polizeibeamter zu erkennen gegeben hatte, zu Boden gestoßen, am Hals erfaßt und gewürgt zu haben, um ihn so an einer Amtshandlung, nämlich der Feststellung der Identität der beiden Angeklagten, zu hindern (I/1 des Urteilssatzes).

Dieses Urteil wird vom Angeklagten S*** im Schuldspruch mit einer ausdrücklich auf die Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt.

Zutreffend macht nämlich der Beschwerdeführer einen

Feststellungsmangel zur subjektiven Tatseite des ihm angelasteten

Körperverletzungsdeliktes (Urteilsfaktum I/2) geltend. Diesbezüglich

ist den Urteilsgründen nur zu entnehmen, daß der Angeklagte S***

"durch das Schupfen des K*** .... bezweckte, .... K*** aus der

Straßenbahn zu werfen", wobei ".... damit zu rechnen ist, daß

jemand, der aus der Straßenbahn gestoßen wird, .... eine Verletzung

erleidet" (S 148 dA).

Diese Ausführungen vermögen bestenfalls die Überzeugung des Schöffengerichtes zum Ausdruck zu bringen, daß der Beschwerdeführer die Tatbestandsverwirklichung (Körperverletzung des K***) ernstlich für möglich hielt. Sie sagen aber nichts darüber aus, ob sich der Beschwerdeführer dennoch zur Tatausführung entschloß, weil er diesen nachteiligen Ereignisablauf hinzunehmen willens war (sich damit abfand), oder ob er (bloß) im - wenn auch

leichtfertigen - Vertrauen darauf handelte, den verpönten Erfolg nicht herbeizuführen. Nur im 1. Fall könnte ihm (bedingter) Vorsatz zugerechnet werden, während im 2. Fall subjektiv lediglich (bewußte) Fahrlässigkeit vorläge (siehe auch EvBl 1975/192 = JBl. 1975, 384 uva). Die Urteilsfeststellungen reichen demnach für die rechtliche Annahme einer bestimmten Schuldform nicht aus. Denn der Umstand, daß der Täter die Möglichkeit der Verwirklichung des Tatbildes ernst nimmt (= als naheliegend ansieht), kann gleichermaßen Ausgangspunkt für (bedingt) vorsätzliches, wie für (bewußt) fahrlässiges Handeln sein (EvBl 1975/282 ua).

Da sich infolge dieses Feststellungsmangels zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war das angefochtene Urteil in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde insoweit gemäß dem § 285 e StPO bereits in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben, wobei auf das übrige Beschwerdevorbringen zu diesem Anfechtungspunkt nicht mehr eingegangen zu werden braucht.

Wenn der Beschwerdeführer allerdings zum Urteilsfaktum I/1 weiters vorbringt, es sei dem Urteil nicht eindeutig zu entnehmen, welche Amtshandlung der Angeklagte zu verhindern versuchte, ist ihm zu erwidern, daß nach Spruch und Gründen der angefochtenen Entscheidung das Erstgericht unzweifelhaft eine auf Vereitelung der Feststellung der Identität der beiden Angeklagten gerichtete Absicht (vgl. "Ausweisleistung", S 142 und 146 dA) als erwiesen annahm, mag auch an einer anderen Stelle - offenbar versehentlich - von einer Festnahme die Rede sein (S 148 dA).

Die behauptete Undeutlichkeit liegt somit nicht vor. Die Rüge hinwieder, es seien die einzelnen Ausführungshandlungen zum Tatbestandsmerkmal der Gewalt den beiden Angeklagten widersprüchlich zugeordnet worden, betrifft angesichts des festgestellten bewußten und gewollten Zusammenwirkens der Täter keine entscheidende Tatsache.

Demnach liegt keiner der geltend gemachten formellen Nichtigkeitsgründe vor.

Soweit der Beschwerdeführer bemängelt, es fehle an Tatsachenfeststellungen, welche die (rechtliche) Annahme rechtfertigen könnten, der Angeklagte habe eine in einer Festnahme zu erblickende Amtshandlung verhindern wollen, setzt er sich - wie den vorstehenden Ausführungen zu entnehmen ist - über den wahren Urteilsinhalt hinweg. Solcherart gelangt aber eine materielle Urteilsnichtigkeit nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung. Mithin war die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie gegen den Schuldspruch wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gerichtet ist, teils gemäß dem § 285 d Abs 1 Z 2 StPO als offenbar unbegründet, teils nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle iVm dem § 285 a Z 2 StPO als nicht gesetzmäßig ausgeführt gleichfalls in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln und zurückzuweisen.

Mit seiner durch die Aufhebung des Urteils im Strafausspruch gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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