OGH 10Os91/86

OGH10Os91/868.7.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Juli 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gumpinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Sabine F*** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Angeklagte gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. Mai 1986, GZ 5 Vr 3736/86-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Darauf wird die Angeklagte mit ihrer Berufung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem bekämpften Urteil wurde die Angeklagte Sabine F*** des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie

1. am 20.Juni und 2.Juli 1984 in Straß mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der Alois P*** KG dadurch, daß sie Bestellungen mit Karl H*** unterzeichnete und diesen unter Angabe des Geburtsdatums und der Adresse auch als Besteller ausgab, mithin durch Täuschung über Tatsachen, zur Übersendung von Waren im Wert von 43.300 S, somit zu einer Handlung verleitet, welche das genannte Unternehmen am Vermögen schädigte,

2. am 8.August 1985 in Wolfsberg Annemarie W*** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, daß sie vor Beamten des Gendarmeriepostenkommandos Wolfsberg behauptete, W*** habe die (oben bezeichneten) Bestellungen vorgenommen und die Unterschrift des Karl H*** gefälscht, sie mithin einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB falsch verdächtigt, wobei sie wußte, daß diese Verdächtigung falsch war. Die Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; gegen den Strafausspruch wendet sie sich mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kann schon im Hinblick auf die erhobene Verfahrensrüge (Z 4) Berechtigung nicht versagt werden. Das Erstgericht stützte sich im Urteil vorwiegend auf das als schlüssig, nachvollziehbar und richtig angesehene Gutachten des (Schrift-) Sachverständigen P*** (S 202) und gelangte, diesem folgend zur Feststellung, daß die in Rede stehenden Bestellungsschreiben von der Angeklagten geschrieben wurden und daß sowohl Annemarie W*** als auch Karl H*** als Urheber dieser Schreiben auszuschließen sind.

In der zur Urteilsfällung führenden Hauptverhandlung vom 13. Mai 1986 wurde im Anschluß an das mündliche Gutachten des genannten Sachverständigen vom Verteidiger der Angeklagten der Antrag gestellt, Elisabeth F*** als Zeugin darüber zu vernehmen, daß die Angeklagte im (gemeint: ab) Mai 1984 in deren Haus wohnhaft gewesen sei und ihre Mutter (Annemarie W***) nie mehr besucht habe sowie darüber, daß sie nie von der Alois P*** KG Waren erhalten habe sowie auch anderen Personen derartige Waren nicht habe zukommen lassen. Weiters wurde die Einvernahme des Peter W*** als Zeugen darüber beantragt, daß die gelieferten Waren nach einer Äußerung der Annemarie W*** im Besitz des Karl H*** sein sollten. Überdies wurde die Beischaffung des Aktes AZ 9 E Vr 144/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz zum Beweis dafür beantragt, daß Annemarie W*** 1983 oder 1984 Waren auf den Namen ihrer Tochter (der Angeklagten) bestellt habe. Zuletzt wurde auch die Bestellung eines weiteren Sachverständigen oder die Einholung eines ergänzenden Gutachtens nach Vornahme weiterer unter Aufsicht abgelegter Schriftproben der Annemarie W*** und unter Berücksichtigung eines Bestellschreibens vom 21.Februar 1984, das von der Genannten geschrieben worden sein solle, beantragt (S 194 f). Alle diese Beweisanträge wurden vom Erstgericht abgewiesen (S 196) und in der Begründung dazu ausgeführt, daß die Angeklagte in ihrer Vernehmung vor der Gendarmerie vom 8.August 1985 selbst eingeräumt hatte, auch nach ihrer Übersiedlung ihre Mutter Annemarie W*** mehrfach besucht zu haben; eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens und die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen erachtete das Schöffengericht als überflüssig, weil das Sachverständigengutachten "schlüssig und nachvollziehbar begründet" sei, der Sachverständige von sich aus ergänzende Schriftproben für die Erstellung des Gutachtens verlangt habe und (die Ausführungen des Sachverständigen) "keinen Zweifel an der Richtigkeit der im Gutachten ersichtlichen Tatsachen aufkommen lassen"; die Lieferung der bestellten Gegenstände sei - wie das Schöffengericht ausführt - nicht Gegenstand der Urteilsfindung, es handle sich hiebei "lediglich um die Tatsache der Bestellung unter fremdem Namen und die Absicht der Angeklagten"; im übrigen sei aus einer Postauskunft zu entnehmen, daß die Waren von Annemarie W*** übernommen wurden; die Beischaffung des Annemarie W*** betreffenden Strafaktes erübrige sich, "da hinsichtlich der Feststellung der Bestellung keinerlei Schlüsse zu ziehen sind". Mit der Abweisung der begehrten Beweisaufnahmen wurden Verfahrensgrundsätze hintangesetzt, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist. Die Beweisanträge des Verteidigers der Angeklagten stellen sich klar ersichtlich als prozeßordnungsgemäßer Versuch dar, durch weitere Beweisaufnahmen den Beweiswert des Sachverständigengutachtens, auf das sich das Erstgericht letztlich im Urteil mit besonderem Schwergewicht stützte, in Zweifel zu setzen. Dieses prozessuale Recht kann nicht mit der Begründung abgeschnitten werden, daß das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit dieses Gutachtens habe. Diese Begründung kommt einer vorgreifenden Beweiswürdigung und damit einer Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten gleich.

Zudem ist es auch verfehlt, die Frage, wem die gelieferten Gegenstände zukamen, nicht als "Gegenstand der Urteilsfindung" anzusehen. Gerade bei Vermögensdelikten - wie vorliegend einen Betrug - können in der Regel aus der Tatsache, wer aus der strafbaren Handlung profitierte, Indizien für die Täterschaft gewonnen werden. Der Antrag, zu diesem Beweisthema Zeugen zu vernehmen, durfte demnach nicht abgewiesen werden.

Aber auch der Antrag auf Ergänzung des Sachverständigengutachtens unter Einbeziehung (des beizuschaffenden Originals) einer Bestellung vom 21.Februar 1984 durfte ohne Verteidigungsrechte zu verletzen, nicht abgewiesen werden, denn gerade hiezu hatte auch der Sachverständige P*** sich geäußert, daß auf Grund der vorliegenden bloßen Kopie "schwer zu sagen" sei, ob Ähnlichkeiten (mit den verfahrensgegenständlichen Bestellungen) bestünden (S 194).

Letztlich war die Abweisung des Antrages auf Beischaffung eines Strafaktes, betreffend eine von Annemarie W*** unter fremdem Namen getätigte Warenbestellung verfehlt, wenn dabei die Begründung gewählt wurde, daß daraus "keinerlei Schlüsse zu ziehen" seien. Angesichts der (möglichen) Gleichartigkeit der Vorgangsweise könnten vielmehr im Rahmen einer auf vollständiger Beweisgrundlage vorgenommenen Beweiswürdigung aus dieser Ähnlichkeit sehr wohl Schlüsse gezogen werden.

Einzuräumen ist dem Zwischenerkenntnis des Erstgerichtes lediglich, daß angesichts der Verantwortung der Angeklagten über wiederholte Besuche bei ihrer Mutter auch nach dem Mai 1984 die Vernehmung der Elisabeth F*** (auch) über eine ununterbrochene Anwesenheit der Angeklagten im Haus der Elisabeth F*** nicht erforderlich gewesen wäre und daß die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen unterbleiben konnte, denn im Beweisantrag wird insoweit nicht einmal das Vorliegen einer der im § 126 Abs. 1 StPO bezeichneten Voraussetzungen behauptet.

Schon aus den bisher dargestellten Gründen war daher der bekämpfte Schuldspruch sofort bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe einzugehen.

Die Angeklagte war mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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