OGH 3Ob555/86

OGH3Ob555/862.7.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Pflegschaftssache für die Kinder

1) mj. Thomas K***, geboren 7. Juli 1976, und 2) mj. Angelika K***, geboren 24. Juni 1980, wohnhaft bei der Mutter Mag. Barbara K***, Apothekerin, 6094 Axams, Schäufele 3, infolge Revisionsrekurses der Mutter Mag. Barbara K***, Apothekerin, 6094 Axams, Schäufele 3, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 7. Februar 1986, GZ 2 b R 22/86-48, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 10. Dezember 1985, GZ 3 P 254/84-41, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der beiden ehelichen Kinder 1.) Thomas K***, geboren 7.7.1976 und 2.) Angelika K***, geboren 24.6.1980, wurden nach Ausspruch der Scheidung der Ehe ihrer Eltern (Scheidungsurteil vom 17.1.1985) der Mutter zugewiesen (ON 19).

Das Besuchsrecht hatten die Eltern zunächst mehr oder weniger einvernehmlich festgelegt, wobei die Kinder den Vater im allgemeinen jedes zweite Wochenende von Samstag abends bis Sonntag abends besuchten.

Im Sommer bzw. Herbst 1985 kam es vor allem im Zusammenhang mit der Erstattung einer Strafanzeige des Vaters gegen die Mutter und ihren jetzigen Lebensgefährten jedoch zu Spannungen. Der Vater beantragte am 25.9.1985, ihm jedes zweite Wochenende ein Besuchsrecht von Samstag 14 h bis Sonntag 19 h und für insgesamt 3 Urlaubswochen pro Kalenderjahr einzuräumen. Am 20.11.1985 stellte er den Antrag, ihm bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Besuchsrecht jedes zweite Wochenende ein vorläufiges Besuchsrecht einzuräumen.

Die Mutter sprach sich gegen ein Besuchsrecht aus, zumindest so lange, bis eine neuerliche Untersuchung der Kinder durch den Sachverständigen für Kinderpsychologie stattgefunden habe. Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf Einräumung eines einstweiligen Besuchsrechtes ab.

Infolge der vom Vater erstatteten Strafanzeige habe bei der Mutter eine Hausdurchsuchung stattgefunden und die Mutter sei für eine Woche in Untersuchungshaft gewesen. Die Kinder hätten gewußt, daß die Strafanzeige vom Vater erstattet worden sei. Dies habe besonders bei Thomas zu starken Störungen geführt, er sei unruhig geworden und habe kein Vertrauen mehr zu seiner Mutter. Dazu kämen schulische Probleme. Das vom Vater bewohnte Haus sei im Zusammenhang mit dem erwähnten Strafverfahren von unbekannten Tätern mit Schimpfwörtern beschmiert worden, welche Vorgänge Thomas nicht verborgen blieben. Da beide Kinder nun etwas zu Ruhe kommen sollten und zu befürchten sei, daß sie bei einem Besuch des Vaters diesem Fragen stellen könnten, sei eine konkrete Gefährdung des Kindeswohles gegeben, das gegen die Gewährung eines vorläufigen Besuchsrechtes spreche.

Das Gericht zweiter Instanz änderte den Beschluß des Erstgerichtes teilweise dahin ab, daß dem Vater bis zur endgültigen Entscheidung über das Besuchsrecht ein vorläufiges Besuchsrecht an jedem zweiten Sonntag in der Zeit von 9 Uhr bis 19 Uhr eingeräumt und nur das Mehrbegehren des Vaters abgewiesen wurde. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß die Voraussetzungen für eine gänzliche Entziehung des Besuchsrechtes nicht vorlägen. Im seinerzeit eingeholten Gutachten des Sachverständigen vom 4.4.1985 werde die Einräumung eines 14-tägigen Besuchsrechtes empfohlen. Gerade der Umstand des eingeleiteten Strafverfahrens lasse es nicht geboten erscheinen, den Kontakt der Kinder zum Vater gänzlich zu unterbinden, weil es sonst zu einer Entfremdung komme. Um aber den derzeitigen Spannungen Rechnung zu tragen, sollten vorerst keine Übernachtungen beim Vater stattfinden. Gegen diesen Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wendet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, ihn im Sinne einer Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes abzuändern. Die Mutter verweist unter anderem auf das zwischenzeitig eingelangte Gutachten des Sachverständigen, der momentan die Einräumung eines Besuchsrechtes ablehne, sowie auf die Einbringung einer Klage des Vaters auf Bestreitung der ehelichen Geburt von Angelika.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Ohne Zweifel stellt das Recht eines Elternteiles auf persönlichen Verkehr mit seinem Kind ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung dar (EFSlg. 43.216, 45.716) und soll vor allem dazu beitragen, die Beziehungen zwischen dem Elternteil und dem Kind aufrecht zu erhalten und eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern (EFSlg. 43.217, 45.718). Gemäß § 148 Abs 1 ABGB ist bei einer Entscheidung über ein Besuchsrecht in erster Linie auf das Wohl des Kindes Bedacht zu nehmen (EFSlg. 43.222, 45.720). Eine gänzliche Versagung des persönlichen Verkehrs kommt nur aus besonders schwerwiegenden Gründen in Betracht (EFSlg. 45.770 u.a.), wobei im Gesetz insbesondere der Fall genannt wird, daß die Beziehungen des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es aufwächst, unerträglich gestört würden.

Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist jedoch erst bei der noch ausstehenden endgültigen Entscheidung über das vom Vater beantragte Besuchsrecht nach Erörterung des mittlerweile eingelangten Sachverständigengutachtens und Anhörung des inzwischen 10 Jahre alt gewordenen Thomas (§ 148 Abs 1 ABGB) zu klären. Jetzt geht es nur darum, ob unbedingt schon sofort, also vor dem Vorliegen entsprechend umfassender und vollständiger Verfahrensergebnisse, ein dringendes Bedürfnis nach einer der endgültigen Regelung unter Umständen widersprechenden vorläufigen Besuchsregelung besteht. Ein solches Bedürfnis ist im vorliegenden Fall nach Ansicht des erkennenden Senates aus folgenden Gründen nicht gegeben:

Es haben nun faktisch doch schon einige Zeit lang keine Besuche stattgefunden. Nach der Aktenlage haben sich daraus keine Nachteile für die beiden Kinder ergeben, es ist im Gegenteil von einer gewissen Beruhigung der Lage und einem derzeit eher vorhandenen Einverständnis der beiden Kinder mit dem momentanen besuchslosen Zustand die Rede (vgl. AS 141 und 199). Auch der Vater hat sich in den letzten Monaten nicht besonders um eine Verbesserung der Kontakte zu den Kindern bemüht (siehe die Ausführungen der Sachverständigen bezüglich der dem Vater nahegelegten Übersendung einer Karte, auf der dann offenbar nur seine Telefonnummer und die Aufforderung enthalten waren, der Bub möge den Vater anrufen). Es besteht daher keine zwingende Notwendigkeit, der endgültigen Regelung vorzugreifen (vgl. in anderem Zusammenhang Entscheidungen wie EFSlg. 45.906).

Die Entscheidung der zweiten Instanz basiert noch auf dem inzwischen überholten früheren Gutachten der Sachverständigen. Der Grundsatz der Bedachtnahme auf das Kindeswohl erfordert es aber, daß der Oberste Gerichtshof auch alle während des Verfahrens eingetretenen Entwicklungen voll zu berücksichtigen hat (EFSlg. 45.904). Nach dem jetzt gegebenen Verfahrensstand gibt es aber doch gewisse Anhaltspunkte dafür, daß ein Zuwarten bis zur Entscheidung über den Antrag ON 30 auch bei positiver Erledigung (und damit Neubeginn der Besuchskontakte) aus guten Gründen vertretbar ist, während es für den immerhin möglichen Fall einer - die baldmögliche Entscheidung darüber obliegt dem Erstgericht - einer derzeitigen Ablehnung eines Besuchsrechtes nicht besonders nützlich sein kann, wenn zuvor im Rahmen eines vorläufigen Besuchsrechtes einige Besuche erzwungen werden; denn gerade die ersten Besuche werden nach der (jetzt schon faktisch) langen Pause eher problematisch sein.

Der Beschluß der zweiten Instanz war daher im Sinne einer Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes abzuändern.

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