OGH 7Ob20/86

OGH7Ob20/8619.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marika S***, Kaufmann, Linz,

Lessingstraße 2, vertreten durch Dr. Hannes Pflaum und Dr. Herwig Hauser, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei I*** U***- und S***-AG, Wien 1.,

Tegetthoffstraße 7-9, vertreten durch Dr. Theodor Schütz, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 77.400,-- s.A. infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 6.Februar 1986, GZ 3 R 284/85-15, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3.Juli 1985, GZ 3 Cg 317/84-8, aufgehoben wurde,in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dahin erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.915,70 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 1.600 Barauslagen und S 1.o28,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt die Versicherungsleistung aufgrund einer mit der Beklagten abgeschlossenen Betriebsunterbrechungsversicherung für den am 12.10.1983 infolge einer Meniskusverletzung der Klägerin eingetretenen Versicherungsfall. Nach dem von der Klägerin unterfertigten schriftlichen Versicherungsantrag vom 3.10.1983 und nach der Versicherungspolizze ist Versicherungsbeginn der 1.11.1983. Die Klägerin behauptet, daß der Versicherungsbeginn mit 1.10.1983 ausdrücklich zur Bedingung gemacht worden sei. Bei der anderslautenden Eintragung im schriftlichen Antrag handle es sich um einen Schreibfehler eines der Versicherungsagenten der Beklagten, die der Klägerin überdies eine vorläufige Deckungszusage abgegeben hätten.

Die Beklagte beruft sich auf den vereinbarten Versicherungsbeginn und auf Leistungsfreiheit wegen Verschweigung einer vorangegangenen Verletzung der Klägerin.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen wollte die Klägerin eine Betriebsunterbrechungsversicherung abschließen. Sie hatte bereits mehrere Versicherungsverträge über Vermittlung des Alfred W*** abgeschlossen. Alfred W*** und Günther

M***, zwei Angestellte der R*** V***, deren Tochtergesellschaft die Beklagte ist, suchten die Klägerin am 3.10.1983 in deren Geschäft auf. Nachdem die Klägerin über die mit 1.11.1983 eintretende Verschlechterung der Konditionen informiert worden war, kam sie mit den beiden Vertretern überein, daß der Vertrag mit 1.10.1983 beginnen soll. Irrtümlich wurde jedoch von Günther M***, der das Antragsformblatt ausfüllte, der Versicherungsbeginn mit 1.11.1983 eingesetzt. Die Klägerin las den Antrag vor Unterfertigung nur flüchtig durch. Eine vorläufige Deckung wurde nicht erörtert. Die Vertreter der Beklagten erklärten der Klägerin jedoch auf deren Frage, daß sie Versicherungsschutz bereits habe, wenn "morgen etwas passiere".

Das Antragsformblatt enthält unter der Überschrift "Wichtig" folgende Bestimmung: "Über den Umfang der gesetzlichen Vollmacht des Vermittlers (§ 43 VersVG) wurde ich aufgeklärt und bestätige, daß keine mündlichen Nebenabreden getroffen wurden. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben bin ich als Antragsteller allein verantwortlich, auch wenn eine andere Person deren Niederschrift vornimmt". Die Versicherungspolizze samt Erlagschein wurde der Klägerin von der Beklagten am 25.10.1983 zugesandt. Nach der Auffassung des Erstgerichtes bedeute die Klausel im Antragsformblatt betreffend mündliche Nebenabreden eine Beschränkung der Vollmacht der Versicherungsvertreter auf die Entgegennahme schriftlicher Anträge. Die Klägerin müsse diese Beschränkung gegen sich gelten lassen, auch wenn sie sie nicht gekannt habe, da ihr ihre Unkenntnis wegen der Auffälligkeit der Klausel im Antragsformblatt als grob fahrlässig anzulasten sei. Maßgeblich sei daher nur der schriftliche Antrag, der von der Beklagten in dieser Form mit Versicherungsbeginn 1.11.1983 angenommen worden sei. Auch bei anderer Auffassung wäre für die Klägerin nichts gewonnen, weil dann Dissens vorläge und ein wirksamer Versicherungsvertrag nicht gegeben sei. Selbst die Anwendbarkeit des § 5 VersVG könnte zu keiner Deckungspflicht führen. Nach dem von der Klägerin beantragten Versicherungsbeginn läge eine Rückwärtsversicherung vor. Die Beklagte wäre dann aber leistungsfrei, weil der Antrag erst am 25.10.1983 angenommen worden sei, die Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aber bereits gewußt habe, daß der Versicherungsfall bereits eingetreten sei. Auch eine Haftung der Beklagten für ihre Vertreter wegen Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten komme nicht in Betracht. Zu ersetzen wäre unter diesem Haftungsgrund nur der Vertrauensschaden. Die Klägerin habe nicht einmal behauptet, daß sie im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages eine andere Abschlußgelegenheit mit einem Versicherungsbeginn spätestens zum 12.10.1983 versäumt habe. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Durch die Klausel über Nebenabreden würden nicht auch mündliche Antragsergänzungen ausgeschlossen. Da sich die Beteiligten über den gewollten Versicherungsbeginn im Klaren gewesen seien, könne sich die Beklagte nicht auf die schriftliche Erklärung berufen. Der Antrag sei der Beklagten mit dem gewollten Versicherungsbeginn 1.10.1983 zugegangen. Auf die Abweichung in der Polizze habe sie nicht hingewiesen, sodaß der Versicherungsbeginn mit 1.10.1983 als wirksam vereinbart anzusehen sei. Eine Rückwärtsversicherung liege dann nicht vor, wenn die Annahme einer zum Zeitpunkt der Antragstellung beantragten Versicherung unter Abwesenden erst später erfolgen könne. Auch bei Annahme eines Dissenses wäre entgegen der Meinung des Erstgerichtes der Anspruch auf die Versicherungsleistung berechtigt. Da die Versicherungsvertreter der Beklagten eindeutig vorvertragliche Schutzpflichten verletzt hätten, habe die Beklagte der Klägerin alle jene Nachteile zu ersetzen, die der Klägerin dadurch entstanden seien, daß sie im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages es unterlassen habe, einen anderen Versicherungsvertrag bei einer anderen Versicherungsgesellschaft abzuschließen. Es sei daher der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe ihre vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt, zu prüfen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs der Beklagten ist berechtigt.

Auszugehen ist von dem auffallenden, unmittelbar unterhalb der für die Unterschrift des Antragstellers vorgesehenen Stelle befindlichen Aufdruck im Antragsformblatt, wonach mündliche Nebenabreden nicht getroffen wurden. Diese Klausel kann nach ihrem objektiven Erklärungswert vom Standpunkt eines redlichen Antragstellers nur so verstanden werden, daß der Versicherer mündliche Ergänzungen oder Abweichungen vom Text des schriftlichen Antragsformulares ausschließen will (vgl. SZ 48/52). Bei einem Widerspruch zwischen der schriftlichen und der mündlich abgegebenen Willenserklärung gilt dann nur die schriftliche Erklärung dem Versicherer zugekommen. Dem Erstgericht ist daher darin beizupflichten, daß infolge Übereinstimmung der maßgeblichen Willenserklärungen ein Versicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn 1.11.1983 zustande gekommen ist. Die Frage der Anwendbarkeit des § 5 VersVG infolge Dissenses stellt sich demnach nicht. Die Behauptungs- und Beweislast für die Nachteiligkeit und Ungewöhnlichkeit der obgenannten Klausel traf die Klägerin (Rummel in Rummel, ABGB, Rz 9 zu § 864 a). Die Klägerin hat aber in erster Instanz in dieser Richtung nichts vorgebracht. Sie hat aber bei der Tagsatzung am 18.6.1985 ihren Anspruch auch auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes wegen culpa in contrahendo gestützt. Richtig ist, daß bei der Anbahnung des Abschlusses eines Versicherungsvertrages der Versicherungsagent als Erfüllungsgehilfe des Versicherers auftritt. Der Versicherer hat daher für die Verletzung von Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten durch den Versicherungsagenten einzustehen (RdW 1984, 370; 7 Ob 8/86). Auch in dieser Hinsicht hat die Klägerin aber kein weiteres Sachvorbringn erstattet. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes hat aber das Erstgericht richtig erkannt, daß bei einem Versicherungsbeginn 1.10.1983 eine Rückwärtsversicherung vorläge, die beklagte Partei aber nach § 2 Abs.2 VersVG leistungsfrei wäre, weil die Klägerin in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wußte, daß der Versicherungsfall bereits eingetreten ist (SZ 40/87). Auf eine Leistungsfreiheit, die sich aus dem Gesetz ergibt, ist aber im Rahmen des Sachvorbringens auch von Amts wegen Bedacht zu nehmen (Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in Der Sachverständige, Heft 3/1984, S 4). Es kann daher unerörtert bleiben, ob sich nicht aus dem weiteren Wortlaut der obgenannten Klausel eine vertragsmäßige Ausschließung der Schadenshaftung der beklagten Partei ergibt.

Demgemäß ist dem Rekurs Folge zu geben (§ 519 Abs.2 letzter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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