OGH 13Os71/86

OGH13Os71/8612.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Juni 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Steinberger als Schriftführers in der Strafsache gegen Albert Peter P*** wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 f. StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Wels als Schöffengerichts vom 13. November 1985, GZ. 16 Vr 536/85-105, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das in den Schuldsprüchen C I und II 1 und 2 sowie im Freispruch unberührt bleibt, in den übrigen Schuldsprüchen sowie im Strafausspruch samt Vorhaftanrechnung und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 26.April 1946 geborene Albert Peter P*** des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144, 145 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1 und 2 StGB (A I 1), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 und 3 StGB (A I 2 und A II 1), des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 StGB a.F. (B I 1), des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs. 1 und 2 StGB i.d.F. der Strafgesetznovelle BGBl. 1984/295 (B I 2) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (C I-III) schuldig erkannt. Darnach hat er in Wels vom 24.April 1984 bis 9.März 1985 die (als Prostituierte arbeitende) Sylvia B*** durch wiederholte gefährliche Drohungen mit dem Tod und durch Gewaltanwendung (Schläge und Fußtritte) mit Bereicherungsvorsatz zur Herausgabe ihres monatlichen Verdienstes von rund 100.000 S genötigt, wobei die Erpressung gewerbsmäßig und durch längere Zeit hindurch begangen wurde (A I 1); dadurch hat er ferner bis 31. Juli 1984 vorsätzlich zumindest zum Teil seinen Unterhalt aus der gewerbsmäßigen Unzucht der Sylvia B*** durch deren Ausbeutung zu gewinnen gesucht (B I 1) und ab 1.August 1984 dieselbe mit eben diesem Vorsatz ausgebeutet und ihr die Bedingungen der Prostitution vorgeschrieben (B I 2). Zu diesem Zweck hat Albert Peter P*** auch wiederholt Sylvia B*** durch Gewalt und durch (teilweise nur mittelbare) Todesdrohungen zur Fortsetzung der gewerbsmäßigen Unzucht und zum Verbleiben in von ihm kontrollierten Bordellen genötigt (A I 2 und A II 1); darüber hinaus hat er Sylvia B*** und mehrere andere, im Dirnen- und Zuhältermilieu verkehrende Personen durch Versetzen von Schlägen vorsätzlich leicht verletzt (C I, II 1 und 2, III).

Diese Schuldsprüche - mit Ausnahme der nicht Sylvia B*** betreffenden Körperbeschädigungen (C I und II) - ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 1, 4, 5, 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg sei festgehalten, daß der (an sich richtige) Einwand, der beisitzende Richter sei infolge vertretungsweiser Tätigkeit als Untersuchungsrichter (ON 55, 56/I) von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen (§ 68 Abs. 2 StPO), nicht zum Tragen kommen kann, weil der Verteidiger, dem schon am 3.Juli 1985 Aktenkopien ausgefolgt worden waren (S 3 i unten) und dem der ausgeschlossene Richter persönlich bekannt ist (ON 123/II), es unterließ, diesen Nichtigkeitsgrund, wie es im § 281 Abs. 1 Z 1 StPO vorgeschrieben ist, in der Hauptverhandlung sofort geltend zu machen (13 Os 183/83).

Der Verfahrensrüge (Z 4) kann jedoch Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Der Verteidiger hat schon vor der Hauptverhandlung unter detaillierter Schilderung der Verantwortung des Angeklagten zum Beweis dafür, daß die der Anklage zugrundegelegten belastenden Angaben der Zeugin Sylvia B*** nicht der Wahrheit entsprechen, daß sie vielmehr freiwillig ohne jeden Zwang allein wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten (nach vorübergehender Tätigkeit als Bardame) wieder der Prostitution nachgegangen sei, sich verschiedenen (beantragten) Zeugen gegenüber erfreut über ihr Wohlergehen geäußert habe, sich frei bewegen konnte und bei zahlreichen Lokalbesuchen und Einkäufen großzügig mit ihrem Geld umgegangen sei, vom Angeklagten auch Geschenke im Wert von rund 270.000 S erhalten habe und die Anzeige nur aus Eifersucht erstattet habe, weil sich P*** wieder seiner Lebensgefährtin zugewendet hatte, die Vernehmung einer Reihe von Zeugen beantragt (ON 75/II). In weiteren (teilweise nur ergänzenden und berichtigenden) Beweisanträgen wurden auch dafür Zeugen angeboten, daß sich Sylvia B*** bereit erklärt habe, ihre belastenden Aussagen zurückzuziehen, wenn P*** seine Lebensgefährtin Maria R*** wieder verlasse (ON 81, 85, 90/II). Die beantragten Zeugen wurden zum größeren Teil zur Hauptverhandlung vorgeladen (ON 93/II), erschienen aber nicht alle. Soweit diese Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen wurden, versagten ihnen die Tatrichter die Glaubwürdigkeit und stützten sich bei ihren Feststellungen auf die als tatsachengerecht beurteilten Angaben der Zeugin B***, deren Aussagen in Details auch von Zeugen bestätigt worden seien, denen ansonsten nicht geglaubt wurde (S 655-658/II). Soweit die beantragten Entlastungszeugen aber nicht erschienen oder gar nicht vorgeladen waren, wiederholte der Verteidiger am Schluß der Hauptverhandlung den Antrag auf deren Vernehmung, verwies zum Beweisthema ausdrücklich auf die in der Hauptverhandlung verlesenen (S 626/II) schriftlichen Beweisanträge und präzisierte in einzelnen Fällen das Beweisthema zusätzlich (S 624, 628, 629/II). Das Gericht lehnte diese Beweisaufnahmen wegen "ausreichend geklärter Sach- und Rechtslage" und auch deswegen ab, weil es sich um Erkundungsbeweise handle (S 625, 630/II). Im Urteil wird ergänzend hinzugefügt, daß der Senat die Durchführung dieser Beweise sehr wohl erwogen habe. Da es sich aber um indirekte Zeugen handle, diese zahlreichen Zeugen der Verteidigung keine neuen Erkenntnisse erwarten lassen, zumal sie schon im Vorverfahren vernommen worden seien, und die Sachlage auf Grund der Aussagen der vernommenen Zeugen G***, M***, S*** und B*** geklärt sei, sei "aus prozeßökonomischen Gründen" die Befragung dieser Zeugen nicht erforderlich (S 659/II).

Dem Schöffengericht ist zu seiner in der Hauptverhandlung gegebenen Begründung, es lägen Erkundungsbeweise vor, entgegenzuhalten, daß der Verteidiger konkrete Behauptungen aufgestellt und auch dargelegt hat, daß von den namentlich und mit genauer Adresse angeführten Zeugen zu ganz bestimmten Punkten Aufklärung zu erwarten sei. Er befindet sich hiemit teilweise im Einklang mit der Zeugin B***, die - wenn auch zum Beweis der Richtigkeit ihrer Anzeige - sich ausdrücklich auf die Zeugenschaft der anderen im Sex-Club beschäftigten Mädchen berief (S 116 unten, 149/I), dabei auch in der Hauptverhandlung blieb (S 516, 517, 531/II), allerdings meinte, daß diese Zeugen sich wegen ihrer Abhängigkeit nicht die Wahrheit zu sagen getrauen. Zu dem Argument, die beantragten Zeugen seien bereits im Vorverfahren vernommen worden und der Verteidiger hätte keine Behauptungen in der Richtung aufgestellt, daß die Zeugen nunmehr anderslautende Angaben machen werden, ist festzuhalten, daß zwar einige Zeugen schon im Vorverfahren einvernommen wurden (Sigrun S*** S 265-267/I, Regina L*** S 219-220, ON 56/I, Gerhard G*** S 215-216, ON 55/I, Robert K*** ON 54/I), daß jedoch die weiters beantragten Zeugen Heidelinde L***, Peggy W***, Christine K***, Brigitte G*** und Erika S*** bisher überhaupt noch nicht befragt worden sind.

Damit zeigt sich schon, daß die Argumentation des Schöffengerichts teilweise aktenwidrig ist. Was aber den Hinweis anlangt, daß die Beweislage bereits geklärt sei, ist zu erwidern, daß das Gericht nur dann berechtigt ist, eine Beweisaufnahme abzulehnen, wenn das angestrebte Beweisergebnis nicht mehr geeignet wäre, die ihm durch die Gesamtheit der bereits vorliegenden Beweise vermittelte Sach- und Beweislage maßgeblich zu verändern (LSK 1979/82, 1983/199). Läßt die beantragte Beweisaufnahme aber ein verwertbares, zur Aufklärung des Sachverhalts relevantes Ergebnis nicht schon von vornherein ausschließen, darf ein Beweisantrag nicht abgewiesen werden (SSt 52/17, 13 Os 97/84). Dies gilt nicht nur für Beweisanbote, die das inkriminierte Tatverhalten an sich betreffen, sondern auch für Beweisanträge, die dazu dienen sollen, Belastungsbeweise zu entkräften; dies umso mehr, wenn sich eine Anklage praktisch nur auf einen Zeugen stützt. Das Gericht ist nämlich im Rahmen der ihm gemäß §§ 3, 232 Abs. 2, 254, 258 StPO obliegenden Pflichten nicht berechtigt, schon auf Grund einer vorzeitig gewonnenen Überzeugung das Beweisverfahren einzuschränken und angebotene, aber nicht durchgeführte Beweise vorgreifend auf ihren Beweiswert zu würdigen (Mayerhofer-Rieder 2 , E 78 bis 87 zu § 281 Abs. 1 Z 4 StPO).

Das Gericht hätte daher die Zeugen, die stellig gemacht werden können und deren Vernehmung daher ohne unzumutbare Verfahrensverzögerung durchgeführt werden kann, zu befragen gehabt und hätte sich erst unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten vorgebrachten Beweise ein endgültiges Urteil Über die Anklagevorwürfe bilden dürfen.

Damit ist es unvermeidlich, eine neue Hauptverhandlung anzuordnen, weshalb bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung in Stattgebung der Verfahrensrüge das Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Umfang der Anfechtung zu kassieren war (§ 285 e StPO), ohne daß es noch des Eingehens auf die weiteren Beschwerdepunkte bedürfte.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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